TEILEN
Kultur

VORWÄRTS, DOCH NICHTS VERGESSEN

Von Avanti | 01.07.2014

Ein Interview mit dem Musiker Bernd Köhler über die Initiative für die Anerkennung des Arbeiterlieds als immaterielles Kulturerbe im Sinne der UNESCO-Konvention.

Ein Interview mit dem Musiker Bernd Köhler über die Initiative für die Anerkennung des Arbeiterlieds als immaterielles Kulturerbe im Sinne der UNESCO-Konvention.

Avanti: Lieder der deutschen Arbeiterbewegung als immaterielles deutsches Kulturerbe” – so lautet der Titel einer, auch von Dir unterstützten und geförderten Initiative. Kannst Du uns die Entstehungsgründe dieses Projektes erläutern?

Bernd: Sicher spielen die Aktivitäten rund um den letztjährigen 150ten Jahrestag der Gründung der organisierten Arbeiterbewegung eine Rolle. Plötzlich richtete sich der Fokus nicht nur auf die Geschichte der arbeitenden Menschen sondern auch auf deren eigenständigen kulturellen Ausdruck.

Bei einem Kultur-Treffen im IG Metall-Bildungszentrum Beverungen brachte der Journalist Joachim Hetscher aus Münster die Idee ein, das Arbeiterlied in den gerade angelaufenen Bewerbungsprozess zum immateriellen UNESCO-Kulturerbe einzubringen. In der Folge hat das nicht nur zum pünktlich eingereichten Bewerbungsmaterial geführt, sondern auch in kurzer Zeit zu einem imposanten Unterstützerkreis von Einzelpersonen.

Was bewegt die Menschen, die diese Initiative unterstützen?

Na ja, es sind natürlich alles Menschen, die im weitesten Sinne mit dem Thema zu tun haben, die um den Wert der Kultur der Arbeitendenbewegung wissen. KünstlerInnen, KulturwissenschaftlerInnen, GewerkschafterInnen oder HistorikernInnen.

Hein & Oss sind dabei – die Volkslied-Sängerlegenden aus der Pfalz, der Historiker Udo Achten, die Musikprofessoren Hartmut Fladt aus Berlin und Hanns-Werner Heister aus Hamburg, Michael Kleff – der Chefredakteur des Musikmagazins FOLKER und Ulrike Obermayr, die Bereichsleiterin für Bildungsarbeit beim IG Metall-Vorstand, um nur einige zu nennen.

Was sind die Kernaussagen des Antrages an die UNESCO?

In einem, die Bewerbung begleitenden, Gutachten von Franz-Josef Möllenberg, dem ehemaligen Vorsitzenden der Gewerkschaft NGG heißt es:

„Es waren die Lieder der Arbeiterbewegung des frühen 19. Jahrhunderts, die den Gedanken der Aufklärung, dem Ruf nach Selbstbestimmung und Freiheitsrechten in Deutschland zur Massenwirkung verhalfen. (…) In diesen Liedern spiegelte sich am eindringlichsten der demokratische Wille der Mehrheit, an der Gestaltung von Politik und Wirtschaft nicht nur teilzuhaben sondern diese auch zu bestimmen. Die Entwicklung der deutschen und europäischen Demokratie ist aufs Engste mit dem selbstbewussten Erstarken der Arbeiterbewegung und ihrer Kultur verbunden, denn die großen Veränderungen waren immer auch Ergebnisse eines harten kulturellen Ringens um das Gehört werden.”

Ich finde, hier ist komprimiert zusammengefasst, um was es bei dem Antrag geht. Darum, diese Lieder, die im offiziellen Kulturverständnis und Kulturbetrieb nur noch als museale Form geduldet werden, wieder in ihrer lebendigen und historisch Bedeutung in das gesellschaftliche Bewusstsein zurückzuholen.

Welche Bedeutung haben eigentlich diese wissenschaftlichen Gutachten?

Das Antragsverfahren sieht zwei wissenschaftliche Gutachten vor. Uns war es wichtig, dass diese von je einem anerkannten Vertreter aus dem gewerkschaftlichen Bereich und einem Vertreter aus der Musikwissenschaft kommen. Das zweite Gutachten hat der Hamburger Musikwissenschaftler Prof. Dr. Rauhe verfasst.

Ihr steht mit Eurem Anliegen unter anderem in Konkurrenz mit den „Bayerischen Schützenvereinen” und dem „Deutschen Brot”. Fast schon ein surreales Szenario?

Ach, das ist sind eher die pointierten Spitzen. Unter den Bewerbungen gibt es jede Menge ehrenwerter Kandidaten. In dem Info der UNESCO-Kommission heißt es dazu: „Die Formen immateriellen Kulturerbes sind entscheidend von menschlichem Wissen und Können getragen. Sie sind Ausdruck von Kreativität und Erfindergeist, vermitteln Identität und Kontinuität. Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben und fortwährend neu gestaltet. Zu den Ausdrucksformen gehören etwa Tanz, Theater, Musik und mündliche Überlieferungen wie auch Bräuche, Feste und Handwerkskünste.” Da gibt es viel Unterstützenswertes.

Mit einer Veranstaltung unter dem Titel „Vorwärts und nichts vergessen” im Mannheimer Technoseum hast Du am 31. Mai 2014 auf Euer Anliegen aufmerksam gemacht. Wurden mehr als die „üblichen Verdächtigen" erreicht?

Der Titel der Veranstaltung lautete, vom Brechttext leicht abgewandelt, „Vorwärts und nichts vergessen" – ganz im Sinne der UNESCO-Idee. Interessanterweise kamen zur der Veranstaltung eben nicht die „üblichen Verdächtigen", denen war das wahrscheinlich zu abgehoben, sondern eine breite Melange kulturell- und kulturpolitisch interessierter Menschen. Vielleicht auch, weil das Ganze neben der IG Metall auch vom Museum unterstützt wurde. 83 BesucherInnen, also rund zwei Drittel, haben danach mit ihrer Unterschrift unser Anliegen unterstützt.

Welche Rolle spielen eigentlich die Arbeiterinnen im „Arbeiterlied”?< span class="massentext">

Gute Frage. Die Genderthematik ist leider genauso so jung wie die Terminologie. Von den theoretischen Klassikern der Arbeiterbewegung bis zu den Arbeitskämpfen der Heutezeit ist immer nur von der Arbeiterklasse die Rede, so wurde dieser Begriff auch auf die Gattung Lied übertragen. Da steht uns also noch jede Menge Klempner- oder besser gesagt Klempnerinnenarbeit bevor. Ich plädiere dafür, das mit Humor anzugehen und finde den Begriff des Arbeitendenliedes eigentlich ganz passend.

Gibt es aktuelle Ansätze zur (Wieder-) Belebung dieses Arbeitendenliedes?

Ja, in aktuellen Arbeitskämpfen entstehen oft solche Lieder. Es fehlt aber an Transparenz und das organisierte Zusammen- und Weitertragen dieser neuen Liedproduktionen. Die gewerkschaftliche wie die linke Bewegung hat leider weder einen Orchesterverband noch hauptamtliche Kulturfunktionäre, die sich darum kümmern könnten. Eine UNESCO-Anerkennung könnte auch bedeuten, dass es leichter wird für solche Initiativen öffentliche Gelder zu beantragen. Das wäre doch schon mal was!

Letzte Frage – wie geht es jetzt mit der Initiative weiter?

Die Bewerbung wurde vom Land NRW an die Kultusministerkonferenz weitergeleitet, dort werden die Bewerbungen bewertet und ausgewählt.

Infos darüber gibt es unter http://unesco.de/7826.html

Leider hat die Initiative noch keine eigene Website, aber auf meiner Homepage (www.ewo2.de/berndkoehler) informiere ich immer wieder mal über den Stand der Dinge.

Die Fragen stellte Wolfgang Alles.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite