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Geschichte und Philosophie

Vor 75 Jahren: Konterrevolution und Revolution in Spanien

Von Peter Berens | 01.07.2011

Am 17./18. Juli 1936 putschten die Militärs gegen die republikanische Volksfrontregierung. Am 19. Juli und in den folgenden Tagen schlug die ArbeiterInnenbewegung die Revolte in den meisten Städten nieder.

Am 17./18. Juli 1936 putschten die Militärs gegen die republikanische Volksfrontregierung. Am 19. Juli und in den folgenden Tagen schlug die ArbeiterInnenbewegung die Revolte in den meisten Städten nieder.

Acht Jahre herrschte in Spanien Diktatur, bis sie 1931 zusammenbrach und die Zweite Republik ausgerufen wurde. An der neuen linksbürgerlichen Regierung war auch die Partido Socialista Obrero Español (PSOE), die Schwesternpartei der SPD, beteiligt. Die politische Revolution konnte die sozialen Probleme nicht lösen. Der Großgrundbesitz knechtete Pächter- und Landarbeiter­Innen, die katholische Kirche besaß nicht nicht nur religiösen Einfluss, sondern auch ausgedehnte Ländereien, bedeutend blieb der Anhang der Monarchie und das aufgeblähte Offizierskorps hatte wenige Jahre zuvor einen Aufstand in spanisch Marokko mit Hilfe von deutschem Giftgas unterdrückt. Das Bürgertum war jedoch gespalten. Dem Zentralismus Madrids standen die unterdrückten nationalen Minderheiten in den industrialisierten Randbereichen Baskenland und Katalonien gegenüber. Die Provinzregierung Generalidad de Cataluña und die Regionalpartei Esquerra mit ihren 100 000 Mitgliedern strebten nach Unabhängigkeit.
Die Kommune von Oviedo 
Nach den Wahlen vom November 1933 stellten die rechten Parteien der Radikalen und der extrem konservativen CEDA1  die Regierung in Madrid. Daraufhin bildete sich die Arbeitereinheitsfront Alianza Obrera, die aus der sozialdemokratischen PSOE, ihrer Gewerkschaft Unión General de Trabajadores (UGT), den aus der anarchistischen Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo (CNT) ausgeschlossenen Syndikalist­Innen, den Rechtskommunist­Innen des Bloque Obrero y Campesino (BOC), den Trotzkist­Innen der Izquierda Comunista de España (ICE) und der stalinistischen Partido Comunista de España (PCE) bestand.

Am 5. Oktober 1934 rief die Alianza zum „revolutionären Generalstreik“ auf, der in weiten Teilen des Landes befolgt wurde. Die bürgerliche Generalidad erklärte Katalonien für unabhängig. Im Bergarbeitergebiet Asturien um die Stadt Oviedo ging der Generalstreik in den bewaffneten Aufstand über, obwohl dort die stärkste Kraft innerhalb der Alianza Obrera  die Federación Socialista Asturiana, die Regionalpartei der PSOE, war2. Die Bergarbeiter riefen die „República Socialista Asturiana“ aus. Es dauerte vierzehn Tage bis Regierungstruppen unter General Franco die „Kommune von Oviedo“ und die 30 000 Kämpfer­Innen der „Roten Armee Asturiens“ niedergeschlagen hatten. Es gab mehr als 3000 Tote. Zehntausende wanderten ins Gefängnis.
Der Militärputsch und seine Folgen
Die asturische Aufstand führte zu einer umfassenden Radikalisierung der Gesellschaft. Kapital, Großgrundbesitz und Klerus zitterten vor dem Kampfruf „UHP“3  der Alianza Obrera. Die faschistische Falange erhielt Zulauf, die Offiziere bereiteten einen Militärputsch vor.
In der Arbeiter­Innenbewegung radikalisierte sich vor allem die Jugend der PSOE und die PSOE in Katalonien, die zur stalinistischen PCE überwechselten bzw. deren Ableger Partido Socialista Unificado de Cataluña (PSUC)  bildeten. Damit wurde die PCE zur Massenpartei. BOC und ICE schlossen sich 1935 zur halb trotzkistischen Partido Obrero de Unificación Marxista (Arbeiterpartei der Marxistischen Vereinigung) zusammen. PSOE, PCE und POUM führten aber nicht die Alianza Obrera fort, sondern gründeten die Volksfront, die die Wahlen vom Februar 1936 gewann. In ihr arbeiteten die Arbeiter­Innenorganisationen mit bürgerlichen Parteien zusammen.

Am 17./18. Juli 1936 putschten die Militärs. Am 19. Juli schlugen die Milizen der Arbeiter­Innenbewegung in fast allen Städten den Aufstand nieder. Von den 100 000 Milizionär­Innen gehörten ca. 65 000 zur CNT, 30 000 zur UGT, 10 000 zur PCE und 5 000 zur POUM. Dazu kamen Einheiten der linksbürgerlichen nationalistischen Parteien im Baskenland und in Katalonien, sowie republiktreue Polizeieinheiten der Guardias de asalto.
Kollektivierung von Land und Industrie
Die revolutionären Arbeiter­Innen begnügten sich nicht mit einem ersten Sieg über die Militärs. In Katalonien und Aragon wurden 70 % des Landes kollektiviert, in anderen Provinzen über die Hälfte. Die meisten Kollektive wurden von Komitees der CNT geleitet. Selbst in Valencia, wo nur sehr wenig Land enteignet wurde, lag die Zahl der Kollektive über 350, die meist von der CNT, aber auch von der UGT geleitet wurden.
Unter dem Einfluss der CNT wurden in Katalonien über 100 Fabriken kollektiviert. Arbeiter­Innenpatrouillien ersetzten die Polizei. Auch in den Kolonnen der Milizen und auf den Schiffen bildeten sich Komitees, die die militärische Leitung kontrollierten. Es entstand eine „zweite Macht“, während die erste Macht des bürgerlichen Staates fast verschwunden war. Die demokratische ging in die sozialistische Revolution über und wurde damit zur permanenten Revolution. Ein Problem blieb jedoch, dass die Komitees in Stadt und Land oft nicht gewählt wurden, sondern in ihnen CNT, UGT und linke Parteien nach dem Kräfteverhältnis vertreten waren. Anstatt die Komitees zu demokratisieren und zu Räten zu erweitern, traten CNT und POUM Ende September in die Generalidad de Cataluña und die CNT im November in die Volksfrontregierung, beides bürgerliche Regierungen, ein.
Der Mai 1937 in Barcelona
Der Vormarsch der reaktionären Militärs, die massiv von Nazi-Deutschland, dem faschistischen Italien und Portugal unterstützt wurden, führte ebenso zur Krise der Republik wie die chaotischen Wirtschaftsstrukturen mit ihrem Nebeneinander von Kollektiven, staatlichen Betrieben und Privateigentum an Produktionsmitteln. Die Doppelherrschaft zwischen erster und zweiter Macht konnte nicht endlos andauern. Entweder siegte die soziale Revolution oder der Kapitalismus wurde uneingeschränkt wiederhergestellt.

Als Speerspitze der antirevolutionären Kräfte auf republikanischer Seite entpuppten sich die stalinistische PCE und ihre katalanische Abteilung PSUC. Gestärkt durch Waffenlieferungen aus der Sowjetunion und durch das Prestige der Eliteeinheiten der Internationalen Brigaden wuchs ihr Einfluss sprunghaft an. Die von ihr neu aufgebaute und kontrollierte Polizei besetzte im Mai 1937 die Telefonica in Barcelona, deren Telefonistinnen zur CNT gehörten. Daraufhin kam es erneut zum Aufstand. Die Mitglieder der CNT und der POUM bauten Barrikaden, die die Arbeiter­Innenviertel der Stadt beherrschten, während die Polizei die Innenstadt kontrollierte. Doch die anarchistischen Minister­Innen der Madrider Volksfrontregierung riefen ihre Anhänger­Innen auf, die Kämpfe einzustellen. Die POUM passte sich der CNT an. Nach fünf Tagen Kampf zur Verteidigung der Errungenschaften der sozialen Revolution verließ
en die Arbeiter­Innen die  Barrikaden und gingen demoralisiert nach Hause. Polizeieinheiten aus Valencia besetzten die Stadt.
Die „demokratische“ Konterrevolution
Die Niederschlagung des revolutionären Flügels der Arbeiter­Innenbewegung hatte einen scharfen Rechtsruck zur Folge. Kollektive, Komitees und Arbeiterpatrouillen wurden aufgelöst, Betriebe „verstaatlicht“ und damit der Regierung unterstellt, Milizen in die bürgerliche Armee eingegliedert, die CNT aus der Volksfrontregierung geworfen, die POUM unterdrückt, Revolutionäre wie die POUM-Funktionäre Andreu Nin und Maria Mena i Lopez, Anarchisten wie Camillo Berneri, Linkssozialisten wie Kurt Landau und  Trotzkisten wie Hans Freud und Erwin Wolf ermordet und der „linke“ Sozialist Francisco Largo Caballero durch den „rechten“ Sozialisten Negrin als Regierungschef ersetzt. Dessen 13 Punkte-Erklärung von 1938 war ein „demokratisches“ Programm, das jede grundlegende soziale Veränderung ausschloss und sich auf bloßen „Anti-Faschismus“ beschränkte.

Doch ohne die Kollektivierung der Fabriken und Ländereien, ohne die Unabhängigkeit spanisch Marokkos, ohne die Gleichberechtigung der unterdrückten Nationalitäten d. h. ohne soziale Revolution war der Krieg gegen die Militärs nicht zu gewinnen. Die konservativ-faschistische Konterrevolution konnte nicht durch ihre demokratisch-republikanische Variante, sondern nur durch die soziale Revolution geschlagen werden.
Die Kapitulation der Republik
Weitere militärische Niederlagen folgten. Die Internationalen Brigaden wurden nicht verstärkt, sondern aufgelöst, damit Großbritannien und Frankreich auch die faschistischen Freiwilligen der reaktionären Militärs zum Abzug bewegen sollten. Aber selbst nachdem diese Katalonien erobert hatten, beherrschte die Republik noch ein Drittel Spaniens. Doch am 5./6. März 1939 putschte die republikanische Militärspitze gegen die eigene Regierung Negrin, die sich nach Frankreich absetzte, und rief den Rat der Nationalen Verteidigung zur neuen Regierung aus. Mit Hilfe demoralisierter anarchistischer Truppen wurden republiktreue kommunistische Einheiten niedergeschlagen und die Rest-Republik an Franco ausgeliefert.
Ohne revolutionäre Partei keine siegreiche Revolution
Die Arbeiter­Innen hatten im Oktober 1934 in Asturien, am 19. Juli 1936 und im Mai 1937 in Katalonien  getan, was sie tun konnten, um eine revolutionäre Veränderung zu erreichen. Begeisterung und Mut verpufften, weil es keine marxistische Partei gab, die der bürgerlichen Volksfront eine revolutionäre Politik entgegensetzte.

Die POUM verfügte zwar über mindestens 30 000 Mitglieder, einen eigenen Radiosender, eigene Tageszeitungen, eine eigene Miliz und eine eigene Gewerkschaft, aber nicht über eine eigenständige revolutionäre Strategie. Sie passte sich der opportunistischen Politik der anarchistischen CNT-Führung und damit der bürgerlichen Volksfront an, anstatt – auch innerhalb der CNT – mit den anarchistischen Massen für eine revolutionäre Alternative zu kämpfen.

1    Confederación Española de Derechas Autónomas
2    Nur in Asturien unterstützte die Confederación Regional del Trabajo der anarchistischen CNT den Generalstreik.
3    Uníos Hermanos Proletarios oder Uníos Hijos del Proletariado bedeutet etwa „vereinigt euch proletarische Brüder“ bzw. „vereinigt euch Söhne des Proletariats“.

 

Buchtipps
Reiner Tosstorff, Die POUM im spanischen Bürgerkrieg, Frankfurt/M. 1987.
Leo Trotzki, Revolution und Bürgerkrieg in Spanien 1931-39, Frankfurt/M. 1975.
Georg Orwell, Mein Katalonien, Zürich 1974.

 

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