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Ökologie

Vor 40 Jahren erschien: „Grenzen des Wachstums“

Von K. Hasse | 21.05.2012

Im Frühjahr 1972 wurde das Buch“ Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht. Es erschien fast zeitgleich in rund 30 Sprachen und die Resonanz war gewaltig. Der Titel war auch gleichzeitig die zentrale Aussage des Buches. Das Wirtschaftssystem der westlichen Welt, das auf unbegrenztes materielles Wachstum und steigenden Rohstoffverbrauch setzt, wurde damit infrage gestellt.

Im Frühjahr 1972 wurde das Buch“ Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht. Es erschien fast zeitgleich in rund 30 Sprachen und die Resonanz war gewaltig. Der Titel war auch gleichzeitig die zentrale Aussage des Buches. Das Wirtschaftssystem der westlichen Welt, das auf unbegrenztes materielles Wachstum und steigenden Rohstoffverbrauch setzt, wurde damit infrage gestellt.

Die Publikation erreichte damals mit einer Auflage von 30 Millionen und sollte sich tief in das kollektive Bewusstsein der Weltbevölkerung eingraben. Der Veröffentlichung lag ein Forschungsprojekt zugrunde, das von 17 jungen Wissenschaftlerlnnen am Massachusetts Institute oft Technology (MIT) durchgeführt wurde. Mit der Leitung der Forschergruppe war Dennis Meadows beauftragt. Der Anstoß für die Studie war vom sog. „Club of Rome“ ausgegangen, einem Kreis von Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Sie waren 1968 einer Einladung des italienischen Kaufmanns und Humanisten Aurelio Peccei nach Rom gefolgt, um über die Zukunft der Menschheit zu beraten.
Die MIT-Wissenschaftler unter Meadows kamen in ihrer rechnergestützten Untersuchung zu 4 Kernaussagen:

  • Auf dem endlichen Planeten Erde gibt es nicht überschreitbare Grenzen für wirtschaftliches Wachstum.
  • Die Wirtschaft und die Bevölkerung wachsen momentan exponentiell. Deswegen werden die Grenzen des Systems bereits im 21. Jahrhundert erreicht.
  • Bei einer Überschreitung der Grenzen wird es zu einem Kollaps von Industrie, Landwirtschaft und Bevölkerung kommen.
  • Durch eine radikale Abkehr vom wirtschaftlichen Wachstumskurs ist es noch möglich, einen geordneten Rückzug einzuleiten und den Zusammenbruch zu vermeiden.

„Unverantwortlicher Unfug“
Obwohl die Wissenschaftler das kapitalistische System nicht infrage stellten, war für die Herrschenden klar, dass die veröffentlichten Thesen nicht kompatibel mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung waren. Entsprechend heftig fiel die Reaktion auf das Buch aus. In der Newsweek wurde die Studie als „unverantwortlicher Unfug" bezeichnet und die New York Times Book Review nannte die Studie ein „hohles und irreführendes Werk". Der Spiegel veröffentlichte eine beißende Kritik unter dem Titel „Weltuntergangs-Vision aus dem Computer“. Darin wurden Meadows und sein Team „Kassandra-Rufer“ und „Propheten des drohenden Overkill“ genannt.

Die Kritiker behaupteten, dass die MIT-Forscher die Weltressourcen zu gering eingeschätzt hätten und dass eine optimierte Ressourcenausnutzung nicht berücksichtigt worden sei. Spätere Kritiker behaupteten, dass Meadows das Versiegen einzelner Rohstoffe bereits im 20. Jahrhundert vorhergesagt habe, was aber nicht eingetreten sei. Alle diese Kritiken offenbarten aber nur ein Unverständnis für die Methode der Studie.
Eine moderne Simulationsstudie
Meadows und seinem Team war von Anfang an klar, dass sie nur über eine schlechte Datenbasis über die Ressourcen verfügten. Deswegen entwarfen sie Szenarien mit unterschiedlich hoch angesetzten Rohstoffvorräten und Entwicklungsdynamiken. Die Arbeit wurde als flexibles Simulationsmodell auf einem Computer angelegt. Dieses Vorgehen war für die damalige Zeit noch neu, gehört aber mit der heute fortgeschrittenen Rechnertechnik zum Stand des Wissens.

Die Arbeit beruht auf 5 Variablen: Industrieproduktion, Bevölkerung, Nahrungsmittelproduktion, Ressourcen, Umweltverschmutzung. Die Wechselwirkungen zwischen diesen Größen einschließlich der Rückwirkungen und möglicher Zeitverschiebungen wurden als mathematische Abhängigkeiten formuliert. Mit dem entwickelten Modell wurden Simulationsläufe mit unterschiedlichen Annahmen durchgeführt. So wurde z. B. eine Simulation unter der Annahme einer 5-fach größeren Ressourcenmenge durchgeführt als 1972 bekannt war. Fast alle Simulationsläufe endeten damit, dass es bis Mitte des 21. Jahrhunderts zu einem Kollaps kam. Die Berechnungen offenbarten, dass allein eine Begrenzung des Wachstums das Weltsystem in einen stabilen Zustand bringen kann.

Zusammen mit seiner Frau veröffentlichte Meadows noch zwei Nachfolgeberichte zu „Grenzen des Wachstums“. Sie erschienen 1992 und 2004 und konnten eine deutlich verbesserte Datenlage im Vergleich zu 1972 nutzen. Trotzdem bestätigten sich die Grundaussagen des ersten Berichts: Die Ressourcen sind begrenzt und ein ungebremstes Wachstum führt zum Kollaps.
Ressourcen und Umwelt: 40 Jahre danach
Die heutige Situation zeigt, dass der Bericht an den Club of Rome ein sehr weitsichtiges Werk gewesen ist. Das industrielle Wachstum geht unverändert weiter. Neben den USA, Japan und Europa sind neue Akteure auf den Weltmärkten entstanden, wie China, Indien oder Brasilien, die zu einer hohen Wirtschaftsdynamik beitragen. In den westlichen Industrieländern ist der Ressourcenverbrauch weiter gewachsen. Eine künstlich reduzierte Produktlebensdauer und ständige Modeänderungen sorgen für eine ungehemmte Produktschwemme. In der Konsequenz werden in den ersten 20 Jahren des neuen Jahrhunderts mehr Rohstoffe aufgebraucht als während des ganzen 20. Jahrhunderts. Metalle wie Gallium, Lithium oder Neodym, die für den Bau von Batterien, Solarzellen oder elektrische Antriebe benötigt werden, gehen rasant zur Neige.
Der ungehemmte Ressourcenverbrauch bedeutet eine steigende Umweltzerstörung, denn jedes Produkt verursacht vom Abbau der Rohstoffe über die Verarbeitung bis hin zur Nutzung und Entsorgung zahlreiche Umweltbe­lastungen.

Meadows prognostizierte, dass „das auslösende Moment für den Kollaps wahrscheinlich im Nahrungssystem“ liegen werde. Die industrielle Landwirtschaft zieht aus den Böden immer nur raus, trägt aber nur das Mineralische wieder rein – aber nicht das Organische. Das führt im Ergebnis zur Zerstörung der Böden. Tatsächlich nimmt die Bodenfruchtbarkeit global ab. Die Bodenfläche geht zur Zeit 16 bis 300 mal schneller verloren, als sie wieder hergestellt werden kann. Das gilt auch für Deutschland. So hatten Brandenburger Weizenböden vor 150 Jahren ca. 4 % Humus. Heute haben sie nur 0,1 % und weniger. Die besten Schwarzerdeböden in Deutschland, z. B. in der Magdeburger Börde, hatten früher 7 – 14 % Humusanteil. Heute haben sie gerade einmal 2 %.

Laut Meadows wird „die globale Nahrungsmittelproduktion in 2020 einen Höhepunkt erreichen“, ab dem sie schrumpfen wird. Dazu würden auch die steigenden Energiepreise beitragen, denn die heutige industrielle Landwirtschaft ist massiv vom Eintrag fossiler Ener­gien
abhängig. So erfordert die Herstellung einer Nahrungskalorie in diesem System durchschnittlich 10 Kalorien an fossiler Energie.

Die Förderung konventionellen Öls erreichte 2006 ihren Höhepunkt. Seitdem kann die wachsende Nachfrage nur mühsam befriedigt werden, indem Öle aus riskanten und teuren Tiefseebohrungen sowie aus der umweltschädlichen Aufbereitung von Teersanden und sog. Bioöl hinzugefügt werden. Selbst die Internationale Energieagentur warnt inzwischen vor einem Ölcrash. IEA-Chefökonom Fatih Birol drückte es verklausuliert aus: „Damit wir auf dem jetzigen Niveau bleiben, müssen wir in 10 Jahren drei neue Saudi-Arabiens in Produktion bringen." Tatsächlich wurden die letzten richtig großen Ölfelder vor 40 Jahren gefunden – was natürlich auch Birol weiß.

Besonders kritisch sieht es beim Klimawandel aus. Um die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu verhindern, müssen die Treib­hausgase in den Industriestaaten bis 2050 um 90 % sinken. Doch trotz des Kyoto-Vertrages sind die schädlichen Kohlendioxid-Emissionen im vergangenen Jahrzehnt um 30 % gestiegen.
„Unglaublich naiv“
War dem Team um Meadows 1972 klar, dass sich ihre Vorhersagen 40 Jahre danach bewahrheiten würden? Offensichtlich nicht. Sie glaubten, „die Menschheit“ wachrütteln zu können, so dass sie sich vom „Wachstumsglauben“ befreien könnte. Meadows selbst drückte es 2011 bei einem Besuch vor einer Enquetekommission des Deutschen Bundestages so aus: „Ich war unglaublich naiv in dem Glauben, dass die wichtigen Leute, denen wir unseren Bericht gaben, das Richtige tun würden.“
Wirtschaftswachstum und Kapitalismus
Meadows ist ein begabter Wissenschaftler, der ein mathematisches Simulationsverfahren erstmalig genutzt hat, um ökologische Entwicklungstendenzen aufzuzeigen. Ein Bewusstsein über den Kapitalismus hat er aber nie gehabt. Er glaubt bis heute, dass man voluntaristisch in die kapitalistische Wirtschaft eingreifen könne, wenn man nur die Köpfe der Verantwortlichen erreicht. Tatsächlich ist wirtschaftliches Wachstum aber untrennbar mit dem Kapitalismus verbunden. In einem System marktwirtschaftlicher Konkurrenz überleben immer nur die Unternehmen, die ihre Produktivität laufend erhöhen und die Preise senken können. Um die Profite aber zumindest auf dem gleichen Niveau halten zu können, muss die Produktion ständig ausgeweitet werden. Ohne dieses Wachstum ist die kapitalistische Ökonomie instabil und ihre Aufrechterhaltung nicht möglich.
Ressourcen- und Energieeffizienz
Andere bürgerliche Ökologen haben diesen wirtschaftlichen Mechanismus des Kapitalismus durchaus verstanden. In ihrer Ratlosigkeit propagieren sie heute die Entkopplung von Wachstum und Ressourcen- und Energieverbrauch. Es wäre demnach möglich, ökonomisches Wachstum aufrechtzuerhalten – aber gleichzeitig die genutzte Energie-und Ressourcenmenge zu reduzieren. Meadows gehört nicht zu diesen Vertretern: „Empirisch gesehen gibt es nicht einen einzigen Fall, in dem man nachweisen kann, dass das möglich ist“ erklärte er vor der Enquetekommission des Deutschen Bundestages.

So führt ein „bescheidenes“ Wachstum von 1,8 %, wie es z. B. die BRD in den letzten beiden Jahrzehnten im Jahresdurchschnitt erzielte, bereits zu einer BIP-Zunahme von 43 % in 20 Jahren. Damit werden aber alle möglichen kleinen Einsparungen bei Energie und Ressourcen wieder aufgefressen. Folgerichtig heißt es im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht der Bundesregierung, dass „das Tempo der Erhöhung (bei der Ressourceneffizienz) der letzten 5 Jahre nicht ausreichen würde“, um die gesetzten Einsparziele zu erreichen. Die Autoindustrie zeigt, wie es gemacht wird: Die Motoren wurden immer weiter entwickelt, so dass sie heute so effizient wie nie zuvor sind. Gleichzeitig wurde das Fahrzeuggewicht in den letzten 25 Jahren aber um 50 % erhöht.

Die Wahrheit ist, dass das Gerede von der Energie- und Ressourceneffizienz reine Ideologie ist, die die Wirklichkeit vernebelt. Tatsächlich muss der industrielle Produktionsausstoß massiv reduziert werden. Dies erfordert u. a. einen Abschied vom motorisierten Individualverkehr, eine verlängerte Nutzungsdauer industrieller Produkte, die Entwicklung ihrer Reparatur- und Recyclingfähigkeit sowie eine Deglobalisierung mit deutlich weniger Transportkilometern. Dieser Weg kann nicht mit dem Kapitalismus beschritten werden, sondern nur gegen ihn. Und zu den politischen Grundlagen für diese Wende gehören neben dem Marxismus auch Erkenntnisse, wie sie 1972 in „Grenzen des Wachstums“ formuliert worden sind.

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