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Kultur

Suhrkamp Verlag plant umstrittene Trotzki-Biographie

Von Helmut Dahmer | 17.11.2011

Der Suhrkamp Verlag plant die Herausgabe einer umstrittenen Trotzki-Biografie. Wir dokumentieren einen Brief von Helmut Dahmer an den Verlag: Sehr geehrte Frau [anonymisiert], ich schreibe Ihnen als Suhrkamp-Autor und Herausgeber einer mehrbändigen deutschen, wissenschaftlich kommentierten Trotzki-Edition, da Ihr Verlag die Publikation einer deutschen Übersetzung der Trotzki-Biographie von Robert Service plant.

Zu den Großtaten des Suhrkamp-Vorgängerverlags Samuel Fischer gehörte – kurz vor dem Sieg der Nazis – die Veröffentlichung der wichtigsten Schriften des verfemten russischen Revolutionärs: der Autobiographie Mein Leben und der zweibändigen Geschichte der russischen Revolution von 1917. Ein halbes Jahrhundert später habe ich dann – noch unter der Ägide von Günther Busch – 1981 eine deutsche Version der von Isaac Deutscher und George Novack zusammengestellten Trotzki-Anthologie Denkzettel herausgegeben (Edition Suhrkamp, Nr. 896).

Die 2009 bei Macmillan (London) erschienene Trotzki-Biographie von Robert Service (ISBN 978-1-405-05346-4) fügt den Informationen, die seine Vorgänger über den Theoretiker und Praktiker der „permanenten Revolution“ gesammelt haben, nur einige Brief-Zitate aus entlegenen Archiven hinzu, beansprucht aber, das von ihnen gezeichnete Porträt des Revolutionärs und Literaten zu demolieren. Dazu bedarf es weniger des Studiums seiner politischen und autobiographischen Schriften als der Enthüllung des unter dieser publizistischen Decke „begrabenen Lebens“ (Service, S. 4). Also richtet dieser Biograph seine Aufmerksamkeit vornehmlich auf das, wovon Trotzki nicht sprach (oder was er seinem Publikum verheimlichte). Services neues Porträt zeigt Trotzki vor allem als einen schlechten Menschen, einen eitlen Egozentriker, unzuverlässigen Unruhestifter und selbstverliebten Literaten, der (als Privatmann) seine erste Frau schäbig behandelte und später seine Kinder ins Unglück stürzte und der (als Organisator der Roten Armee) „auf den Bürgerrechten von Millionen Menschen herumtrampelte“. Mit viel Energie sucht Service Trotzki in die Nähe eines Stalin zu rücken, um ihn zu den Monstern des 20. Jahrhunderts zählen zu können.

Als Verfechter des Internationalismus und der Arbeiterdemokratie war Trotzki – sehen wir von ein paar Wochen im Herbst 1905 und von den Jahren 1917-1923 ab – sein Leben lang in der Minderheit. Die stalinistische Propaganda hat ihn jahrzehntelang zum „Volksfeind“ und zu einem terroristischen Kumpan Hitlers gestempelt. Erst in den fünfziger und sechziger Jahren wurde die historische Wahrheit über Trotzki und seine Ideen durch Isaac Deutschers dreibändige Biographie wiederhergestellt. Über Deutscher weiß Service uns nur zu sagen, er sei (so wie Pierre Broué) ein Trotzki-Anbeter (S. XXI); freilich hütet sich der Kritiker, auch nur einen einzigen Beleg dafür zu geben, dass die vermeintliche Idolatrie das Urteil des Historikers getrübt hätte.

Service will das einst von Stalin mit Schockfarben dick übermalte und später von Deutscher mühsam restaurierte Trotzki-Bild neuerlich revidieren. Doch gerät er bei dieser Revision einer Revision auf alte, fatale Geleise. „Egozentrisch“ wie er war, schreibt Service, „glaubte“ Trotzki, „dass seine Meinungen, würde er sie nur plastisch ausdrücken, ihm den Sieg eintragen würden. Er taugte besser zum Administrator denn zum Politiker. Stalin beherrschte das Spiel besser als er. Nicht die „Bürokratie“ brachte Trotzki zu Fall: Er verlor gegen einen Mann und eine Clique, die sich durch ein überlegenes Verständnis für das öffentliche Leben in der Sowjetunion auszeichneten. Dagegen halfen weder glänzende Rhetorik noch elegant formulierte Pamphlete.“ (S. 4) Dies Statement hätte so ähnlich auch in einer offiziellen Parteigeschichte der KPdSU, etwa aus der Breschnew-Ära, stehen können.
 
Darum und wegen der allzu vielen sachlichen Fehler haben Trotzki-Experten wie Knei-Paz, North und Patenaude1 das Buch von Service vernichtend kritisiert. Patenaude beklagt, dass Harvard University Press den Druck dieser Biographie zulassen konnte, „die nicht einmal elementaren Standards der Geschichtswissenschaft gerecht wird“.

Das Buch von Service wird gleichwohl seine Leser finden. Doch frage ich mich, ob die deutsche Übersetzung ausgerechnet im Suhrkamp-Insel-Verlag erscheinen muss…

Mit freundlichen Grüßen!
(H. Dahmer)

Fußnoten

Helmut Damer ist der Herausgeber der Schrift: Trotzki, Leo (1988 ff.): Schriften. Köln, Karlsruhe (Rasch & Röhring, ISP-Verlag). Bisher sind 7 von 10 Bänden erschienen.

1 Knei-Paz, Baruch (1978): The social and political thought of Leon Trotsky. Oxford (Clarendon Press); North, David (2010): In defense of Leon Trotsky.. Oak Park, Mich. (Mehring Books); Patenaude, Bertrand M. (2009): Trotzki. Der verratene Revolutionär. [Trotsky. Downfall of a revolutionary.] Berlin (Propyläen) 2010.

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