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Bildung, Jugend

Streik mit sozialistischer Perspektive?

Von Philipp Xanthos | 01.12.2009

Die „offizielle“ Aktionswoche des Bildungsstreiks im Herbst sollte erst am 30. November beginnen. Und tatsächlich drohte zum Zeitpunkt des Aufrufs der „heiße Herbst“ eine leere Phrase zu bleiben.

Die „offizielle“ Aktionswoche des Bildungsstreiks im Herbst sollte erst am 30. November beginnen. Und tatsächlich drohte zum Zeitpunkt des Aufrufs der „heiße Herbst“ eine leere Phrase zu bleiben.

Die ermüdenden bundesweiten Sitzungen des Bildungsstreik-Bündnisses drehten sich um nie enden wollende Konsensfindung, um kleine Forderungen und noch kleinere Formulierungen. Kaum jemand dürfte noch große Hoffnungen für die Bewegung in diesem Jahr gehabt haben. Da war es den kleinen Gruppen wichtiger, sich selbst zu profilieren – würde auch das Bündnis draufgehen, irgend jemand würde schon Gefallen am sektiererischen eigenen Auftreten finden und sich vielleicht der eigenen Organisation anschließen.
Der heiße Herbst – plötzlich da
Doch die wirkliche Bewegung kennt ihre eigenen Gesetze. Schon in der letzten Oktoberwoche war der Funke von Wien aus übergesprungen und entfachte das Feuer der Uni-Besetzungen. Den Anfang machten am 3. November die Studierenden in Heidelberg, es folgten in derselben Woche Münster, Potsdam, Darmstadt,  München, Marburg und Tübingen. In der nächsten Woche gab es bereits in 20 Städten Besetzungen. Erst jetzt sah sich die Tagesschau zu einer Meldung bemüßigt. In den Wochen darauf stieg die Zahl der Besetzungen auf über 50 in der BRD und über 70 in Europa. Denn der Protest im Bildungssektor hat längst einen internationalen Charakter. Besetzungen an Schulen (Berlin und Düsseldorf) schlossen sich an.

So war der „offizielle“ Startpunkt des heißen Herbstes im Bildungssektor, der 17. November, schon der erste Höhepunkt. Denn in etwa 60 Städten demonstrierten über 80 000 Studierende. Das ist wenig gegenüber den 270 000 im Juni. Jedoch  handelt es sich um den Anfangspunkt des Protestes, während im Juni eine breit organisierte Bildungsstreik-Bewegung dem Demonstrations-Tag vorausging. Zudem ist es die zweite große Streik-Bewegung in diesem Jahr, also sehr ungewöhnlich für deutsche Verhältnisse. In Italien gingen laut Bildungssteik-PM am gleichen Tag 150 000 Menschen auf die Straße.
Reaktion der Herrschenden
Die Reaktion der Herrschenden kennt viele Facetten. Der Anfang war durch Totschweigen der gleichgeschalteten Presse charakterisiert. In der Folge lässt sich an der Spitze des Staatsapparats allseitiges „Verständnis“ für die Studierenden vernehmen, während „unten“ brutale Räumungen durch die Polizei durchgeführt wurden. Kaum ein/e PolitikerIn äußert dieser Tage nicht „Verständnis“ für die Studierenden, so lange die Entwicklung der Bewegung nicht abzusehen ist. Beides, „Verständnis“ und Repression, bildet eine perfide Einheit, denn die Ära Merkel ist die Ära des allseitigen „Verständnisses“ und des allseitigen Abschiebens von Verantwortung.
Sozialistische Perspektive
Die Studierenden und Schüler­Innen dürfen sich nicht blenden lassen durch geheucheltes Verständnis, das bloß dem Polizeieinsatz vorausgeht, sondern müssen auf ihren Forderungen beharren und diese entwickeln. Der Bildungssektor steht im Schnittpunkt verschiedener Aspekte der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Nicht nur zählt das bundesdeutsche Bildungssystem zu den reaktionärsten und gleichzeitig unreformierbarsten auf der Welt. Beispiele hierfür sind die diskriminierend getrennte Behinderten-Bildung, die perspektivlose Hauptschule und die aus dem Mittelalter stammende Trennung von betrieblicher Berufsausbildung und gymnasialer Hochschulvorbereitung. Denn bei jeder Debatte stellt sich auch die Frage nach dem Zweck der Bildung und dies ist die Frage nach dem Zusammenhang von Individuum und Gesellschaft. Die Betroffenen sind unmittelbar vor die Frage gestellt: „Wofür lebe ich?“ Dies bringt – zu Ende gedacht – den Sozialismus auf die Tagesordnung, denn nur in der kommunistischen Gesellschaft, der „Assoziation freier Produzent­Innen“ (Marx) stehen die individuellen Lebensbedürfnisse und -pläne den Interessen der Gesamtgesellschaft nicht mehr entgegen. Daher sind vor allem Forderungen, die auf die Selbstorganisation der Studierenden und Schüler­Innen abzielen, zu unterstützen.

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