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Ökologie

Strahlengrenzwerte

Von Sophie Wegener-Stahlschmidt | 01.05.2011

Bei der Gewinnung von Energie durch Kernspaltung wird eine Vielzahl von radioaktiven Isotopen erzeugt und freigesetzt, die in der Natur so nicht oder nur äußerst selten vorkommen.

Bei der Gewinnung von Energie durch Kernspaltung wird eine Vielzahl von radioaktiven Isotopen erzeugt und freigesetzt, die in der Natur so nicht oder nur äußerst selten vorkommen.

Zunächst zu den physikalische Grundlagen: Die radioaktiven Isotope Uran-238, Uran-235, Thorium-232 (α-Strahler) und Kalium-40 (β-Strahler) sind wegen ihrer großen Halbwertszeiten von teils mehreren Milliarden Jahren noch heute in der Natur vorhanden. Andere sind deshalb vorhanden, weil sie in den Zerfallsreihen der Uranisotope immer neu erzeugt werden. Zu diesen gehört das Rn-222 ein radioaktives Isotop des Edelgases Radon (α-Strahler). Es steht in der Zerfallsreihe des Uran-238.
Radonbelastung
Der größere Teil der natürlichen Strahlenbelastung wird durch Radon-222 hervorgerufen. Es ist ein Tochternuklid des Radium-226, welches in vielen Gesteinsarten und Erdschichten vorkommt. Beim Zerfall des Radium-226 entweicht das Edelgas in die Atmosphäre. In einem m3 Luft zerfallen durchschnittlich pro Sekunde 49 Radonisotope. Wir sagen, die spezifische Aktivität von Luft, hervorgerufen durch das Radon, beträgt 49 Bq/m3 (Becquerel Bq).

9 % aller Lungenkrebstoten und 2 % aller Krebstoten insgesamt sind auf die Radonbelastung zurückzuführen. In der EU sterben jährlich 20000 Menschen an den Folgen der Radonbelastung.
Kaliumbelastung
Der menschliche Körper besteht zu 0,25 % aus Kalium. K-40 ist ein Isotop des Elements Kalium. Jedes 10 000ste Kaliumatom ist ein Kalium-40 Atom. Die spezifische Aktivität von reinem Kalium beträgt 30 000 Bq/kg. Bezogen auf einen Organismus, der 0,25 % Kalium enthält, ergibt sich dabei eine Energieabgabe von 0,6 mJ (milli Joule) pro kg und Jahr. Das entspricht einer Jahresdosis von 0,6 mSv. (milli Sievert). Diese Belastung ist Teil der natürlichen radioaktiven Belastung und unvermeidlich.

Nun erscheint eine Energie von 0,6 mJ lächerlich. Die Destruktion speziell der radioaktiven Strahlung beruht jedoch auf ihrer ionisierenden Wirkung. Trifft radioaktive Strahlung zum Beispiel auf das Edelgas Argon, so werden den Argonatomen ein oder mehrere Elektronen aus der Hülle entrissen. Es entstehen positiv geladene Argonionen und negativ geladene frei beweglichen Elektronen. Das Argongas wird elektrisch leitend. Befinden sich das Gasvolumen und ein Lautsprecher in einem Stromkreis, macht sich das Eintreten radioaktiver Strahlung durch ein Knacken bemerkbar (Geiger-Müller-Zählrohr). Durch die Ionisierung verändern die Stoffe ihre chemischen Eigenschaften. Die zelluläre Erbsubstanz wird zerstört oder verändert. Jahre nach der Strahlenexposition kann es zu einer Tumorerkrankung oder zu genetischen Schäden kommen, die erst in den folgenden Generationen als Erkrankungen in Erscheinung treten. Es gibt deshalb keine ungefährliche radioaktive Strahlung.

Die Isotope Uran-235 und Plutonium-239 sind spaltbar und dienen als Brennstoff in Kernkraftwerken. Treffen langsame Neutronen auf ein Uran-235 Atom wird dies in zwei kleinere Atomkerne gespalten. Zusätzlich entstehen weitere Neutronen, die weitere Kernspaltungen hervorrufen können (Kettenreaktion) und zahlreiche Elektronen. Bei der Spaltung von 1 g Uran-235 wird eine Energie von 82 GJ ( Gigajoule=Milliarden Joule) frei. Das ist ungefähr das zwei millionenfache der Energie, die bei der Verbrennung von 1 g Erdgas frei wird. Energieumsetzungen in den Atomkernen sind grob gepeilt 1 Million mal so groß wie die in der Atomhülle, für die Kernspaltung kommt noch mal der Faktor 200 dazu.
Plutonium-239 und Jod-131
Neben dem spaltbaren Uran-235 befindet sich überwiegend Uran-238 in den Kernbrennstäben. Ein Teil der Neutronen, die bei der Kernspaltung frei werden, treffen auf Uran-238. Dieses verwandelt sich zunächst in Uran-239 und dann durch zweifachen β-Zerfall in Plutonium-239.

Das Plutonium 239 ist ein α-strahler. Die α−Strahlung ist gefährlicher als die andern Strahlenarten, weil sie ihre Energie in Materie auf einer kurzen Wegstrecke abgibt, und lokal sehr viele Ionen erzeugt. Bei der Berechnung der Äquivalentdosis gemessen in Sievert wird die α-Strahlung aufgrund ihrer größeren biologischen Wirksamkeit mit einem Faktor 10 bis 20 versehen. Plutonium-239 hat eine Halbwertszeit von 24 Tausend Jahren und kommt in der Natur ohne Zutun des Menschen nicht vor. Seine Aktivität ist 200 000mal so groß wie des Urans.
Ähnlich wie das Plutonium-239 entsteht eine Vielzahl radioaktiver Isotope in Kernreaktoren, die bei ihrer Freisetzung über die Atemluft oder die Nahrungsmittelkette von Pflanzen, Tier und Mensch aufgenommen werden.

Jod wird für die Funktionsweise der Schilddrüse benötigt. Jod-131 hat eine Halbwertszeit von 8 Tagen und ist ein β-Strahler. Es unterscheidet sich in seinen chemischen Eigenschaften nicht vom natürlichen Jod-127. Es reichert sich deshalb in der Schilddrüse an. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl kam es in weiten Teilen Europas zu einer radioaktiven Verseuchung durch das Jod 131. Die Folge davon war eine Zunahme von Schilddrüsenkrebs.

Grenzwerte für das Jod-131 (Halbwertszeit 8 Tage) in Lebensmitteln scheint es derzeit keine zu geben. Nach der Tschernobylkatastrophe legte der damalige Bundesinnenminister Zimmermann den Grenzwert für Milch auf 500 Bq/l fest. Ein einziger Liter dieser Milch kann in der Schilddrüse eines Kindes eine Belastung von 1,6mSv hervorrufen (vgl.: Jahresäquivalentdosis Kalium 0,6mSv). Zimmermannmilch wurde diese Milch verächtlich genannt. Der damalige hessische Umweltminister Fischer legte nach Protesten von Eltern einen Grenzwert von 20 Bq/l fest.
Cäsium-137  und Strontium-90
Cäsium 137 hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren und wird in der Muskulatur aufgenommen. Seit seiner Freisetzung durch die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl vor 25 Jahren ist es erst auf die Hälfte zerfallen. Das radioaktive Cäsium, welches durch die oberirdischen Atombombenversuche vor 50 Jahren flächendeckend verbreitet wurde, ist heute auf ein Viertel seines ursprünglichen Wertes abgesunken. Noch heute weisen Pilze und Wildschweine in Österreich und Bayern eine Cäsiumaktivität von vereinzelt bis zu 10 000 Bq/kg auf.
Strontium 90 ist ein β–Strahler und hat eine Halbwertszeit von 28 Jahren. Es wird statt des Kalziums in die Knochen eingebaut und gilt wegen seiner langen Verweildauer im Körper als sehr gefährlich.

Gefahren gehen nicht nur von den Kernkraftwerken aus. Alle Menschen, die im Bereich der Forschung, der medizinischen Anwendungen, des Uranabbaus, der Urananreicherung, der Entsorgung der radioaktiven Abfälle, der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennstäbe, der Waffenindustrie, der chemischen Industrie, im Bergbau im allgemeinen (wegen der erhöhten Radonbelastung) und im Krieg
in radioaktiv verseuchten Gebieten ionisierender Strahlung ausgesetzt sind, haben ein erhöhtes Risiko an Krebs zu erkranken ganz ohne Supergau. Die Altlasten dieser Industrie sind bereits jetzt horrend.
Vernebelungstaktiken
Zwischen 8 930 und 1,44 Millionen werden die Zahl der Krebstoten nach Tschernobyl geschätzt, je nachdem welche „wissenschaftliche“ Studie herangezogen wird.

Die Beschreibung der Vernebelungs- und Vertuschungstaktiken der Nuklearindustrie würde Bücher füllen. Eine beliebte Methode ist es eine Gefährdung durch eine andere zu relativieren.

Die KIKK-Studie zur Untersuchung von Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken; durchgeführt vom Deutschen Kinder Krebsregister (DKKR) in Mainz (November 2007) ergab, dass das Risiko für Kinder an Leukämie zu erkranken in der Umgebung von Kernkraftwerken signifikant erhöht ist. Die Studie könne keine Beweise für einen ursächlichen Zusammenhang liefern, sogenannte „Leukämie-Cluster“, Häufungen von Leukämieerkrankungen, träten auch andernorts auf, so die Befürworter­­Innen der Atomenergie.

Ein „Leukämie-Cluster“ in den Jahren 1985 bis 1989 im niedersächsischen Sittensen konnte allerdings aufgeklärt werden. Gemeinsamer Risikofaktor aller Erkrankten war zum Teil mehrfaches Röntgen in einer Orthopädiepraxis.

Gegen die unverschämten Argumente der Kern­energie­befür­worter­­Innen hilft nur eine Umkehr der Beweislast. Solange die Betreiber der Kernkraftwerke nicht nachweisen können, dass sie nicht die Verursacher der Erkrankungen sind, sollten sie für alle Schäden durch Krebserkrankungen in der Nähe von Kernkraftwerken aufkommen. Dies schmälert nicht das psychische und physische Leid und den Verlust an Lebensqualität der betroffenen Menschen, aber Mitleid ist ein Fremdwort für die Aktionär­­Innen der Energiekonzerne. Eigentum verpflichtet bekanntlich zu nichts.
Zur Frage der Grenzwerte
Lebensmittel sollten flächendeckend und gründlich auf allen Stufen der Produktion auf Schadstoffe untersucht werden und die Ergebnisse dieser Untersuchungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wem würde nicht beim Gedanken an vergiftete Lebensmittel der Appetit vergehen? Ein naturwissenschaftliches Kriterium für die Höhe von Grenzwerten radioaktiver Isotope sehe ich nicht, da jede zusätzliche Strahlenbelastung das Krebsrisiko erhöht. Die Höhe der Grenzwerte ist das Ergebnis von Machbarkeit, Risikoabwägungen und sozialen Auseinandersetzungen. Wer Hunger und Durst hat wird mangels Alternativen auch verseuchte Lebensmittel essen und trinken. Die sozialen Aspekte und Folgen der Umweltverseuchung werden in diesem Artikel nicht behandelt.

 

Erklärt: Strahlungsarten
Alpha- und Beta-Strahlung
Alpha-Strahlung sind schnelle Heliumkerne bestehend aus zwei positiv geladenen Protonen und zwei Neutronen, kurze Reichweite, leicht abschirmbar.
Beta-Strahlung entsteht durch schnelle negativ geladene Elektronen (mittlere Reichweite) ebenfalls leicht abschirmbar.
Gamma-Strahlung
Teil des elektromagnetischen Spektrums, zu dem auch das sichtbare Licht gehört, die Energie der γ−Quanten (Photonen) ist um etwa 1 Million mal so groß wie die des Lichts, breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus, kaum abschirmbar, Blei und Betonwände erforderlich, die Emission von α-und β-Strahlung ist in der Regel verbunden mit der Emission von γ-Strahlung.

 

 

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