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Sport im Kapitalismus – und Sport wie wir ihn wollen

Von Walter Wiese | 13.02.2006

1. Dem Spitzensport – und damit dem öffentlichkeitswirksamen Sport – zu entgehen, ist nahezu unmöglich. Er ist allzeit präsent; selbst viele Menschen, die sich nicht als Sportler sehen, fühlen sich von ihm angezogen und verfolgen ihn. Diese Tatsache ist vor allem der breiten Aufmachung in der Medienberichterstattung (besonders im Fernsehen) geschuldet.

Dies entwickelte sich nicht von heute auf morgen und war von vielen Faktoren abhängig, auch von technischen; der entscheidende dürfte der bürgerliche Charakter des Sports in unserer Gesellschaft sein, so dass er sich schon Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Ware entwickelt hat. Inzwischen sind viele Sportbereiche erfasst und Vereine und Verbände sowie Sportler und Sportveranstalter involviert. Ein verzweigtes, komplexes Netz von Unternehme(r)n hat über Werbung, Werberechte, Übertragungsrechte in Funk und Fernsehen etc. den Sport kommerzialisiert. Dabei kann v. a. der Hochleistungssport inzwischen ohne den „Sponsor“ nicht mehr betrieben werden.

Die Kommerzialisierung durchdringt nahezu den gesamten Sportbetrieb. Um zu verdeutlichen, um welche Geldbeträge es geht, sei an die Vermarktung der Spitzenspiele in der Fußballbundesliga der Männer für die Saisons 2006 bis 2008 erinnert: 1,42 Mrd. Euro!

Ähnliche „Blüten“ treibt die Vermarktung der Fußball-WM von 2006 in Deutschland. Der Rechtehändler Kirch hat für die europäischen Rechte der Fußball-Weltmeisterschaften 2002 und 2006 zusammen 3,4 Milliarden Mark an die FIFA bezahlt. Diese Rechte werden weiterverkauft an Fernsehsender, damit sie das Großereignis auf ihrem Kanal ausstrahlen dürfen. Der Verkauf dieser Rechte geschieht meistbietend!

Auch das „Überich“ des Sportbetriebs, das Internationale Olympische Komitee (IOC), hat den Weg der Vermarktung längst beschritten. Dafür sorgten die „Partner“: Coca-Cola, Kodak, McDonald, …

2. Der Begriff „Sport“ wird aus dem Altfranzösischen abgeleitet und bedeutet soviel wie ‘sich vergnügen’. Über die Freiwilligkeit hinaus fordert er vom Sportler das Anerkennen bestimmter Normen, d. h. Spielregeln. Die Welt des Sports existiert danach um ihrer selbst willen, das Handlungsziel ist prinzipiell folgenlos.  

Sport ist eine spielerische körperliche Aktivität und oft wettkampforientiert. Daneben gibt es das Spiel, welches diese Orientierung nicht aufweist. Turnen sieht die körperliche Geschicklichkeit als Ziel. Mittels Sport verfolgt der Sportler den Zweck, etwas für die Gesundheit und den Erhalt der Leistungsfähigkeit zu tun.

In unsrer Gesellschaft allerdings ist mit dem „Sport“ der Berufssportler verbunden. Er ist zahlenmäßig gegenüber den anderen (Freizeit-) Sportlern in der Minderheit, hat aber ökonomisch eine besondere Bedeutung und prägt sehr stark das Bild des Sports und den Sportbetrieb. Als typische Erscheinung der bürgerlichen Gesellschaft kann der Berufssportler nur dann auftreten, wenn seine Sportart und seine Fähigkeiten ‘abgerufen’ werden, d.h. zur Ware werden; er verkauft sie jemandem, der aus der Vermarktung Profit ziehen kann.

Der Sportler hat im internationalen Sportbetrieb, v. a. bei den Olympischen Spielen, aber auch  eine nationalistische Komponente. Das bürgerliche Denken in den Kategorien der Konkurrenz sah Sporterfolge als mit nationalem Prestige verbunden. Abzulesen ist das z. B. aus der 1968 eingeführten Nationenwertung für die Olympischen Spiele. Die Systemkonkurrenz „Ost“ gegen „West“ wirkte, weil auch die so genannten real-sozialistischen Staaten sie übernahmen. Es ist nur folgerichtig, dass die Nation dann Elitesportler, die als Amateure galten, mit Steuermitteln förderte.

Berufssportler waren zunächst als Teilnehmer an den „modernen“ Olympischen Spielen ausgeschlossen. Erst 1981 wurden sie auf Beschluss des Internationalen Olympischen Komitees zugelassen. Der so genannte Amateurstatus als bis dato unabdingbare Voraussetzung für die Zulassung wurde damit aufgehoben. Der Berufssportler erhielt dadurch ein größeres Forum und größere Vermarktungsmöglichkeiten.

3. In Deutschland wurde der Sport zunächst vom aufkommenden Bürgertum im 19. Jahrhundert geprägt und mit national(istisch)en Parolen verbunden. Arbeiter – von Arbeiterinnen ganz zu schweigen – waren kaum geduldet. Man sah sie als untauglich an, dem Nationalstolz zu dienen, so dass (im deutschen Kaiserreich gegen Ende des 19. Jahrhunderts) nur eine Selbstorganisation in Arbeiterturnvereinen übrig blieb. Dabei orientierten sich die ArbeiterInnen an der Arbeiterkulturbewegung als Ausdruck einer eigenen gesellschaftlichen und klassenbewussten Kraft. Es ging dabei auch darum, der Gesundheitsstrapazierung durch die Fabrikarbeit erfolgreich begegnen zu können.

War ursprünglich das Turnen noch das Ziel, so kamen nach dem 1. Weltkrieg Sportarten wie Handball, Leichtathletik und v. a. Fußball hinzu. Die Arbeiterturnvereine gründeten jetzt den Arbeiter- Turn- und Sportbund (ATSB). Ihre Ausrichtung war – im Gegensatz zu den nationalistischen bürgerlichen Organisationen – international. Organisatorischer Höhepunkt waren die Arbeiterolympischen Spiele 1925 (in Frankfurt) und 1931 (in Wien). Die für 1936 vorgesehenen Spiele in Barcelona fanden wegen des faschistischen Putsches in Spanien und des anschließenden Bürgerkrieges nicht statt. Viele der angereisten Sportler kämpften daraufhin in den internationalen Brigaden auf Seiten der Republik.

Die politische Spaltung zwischen Sozialdemokratie und Kommunisten brachte auch in der deutschen Arbeitersportbewegung eine Trennung: die Kommunisten wurden aus dem ATSB ausgeschlossen. Sie gründeten 1931 eine eigene Organisation („Rotsport“) mit ca. 100.000 Mitgliedern. Der ATSB hatte 1930 ca. 750.000 Mitglieder.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die Arbeiter-Sportorganisationen zerschlagen. Nach dem 2. Weltkrieg gab es in Westdeutschland (BRD) keine eigenen nennenswerten Organisationen, die mit den o. g. hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Bedeutung vergleichbar gewesen wären.

Der deutsche Sportbetrieb wurde nach dem 2. Weltkrieg zweigleisig von der BRD und der DDR betrieben. Waren ihre Anknüpfungspunkte auch verschieden, so waren zunächst auch ihre Einstellungen zum Sport unterschiedlich, was sich z. B. in der Erwähnung des Sports in der jeweiligen Staatsverfassung ausdrückte. Gab es keine in der BRD und zunächst auch nicht in der DDR, so sah die geänderte Verfassung der DDR von 1974 Sport als Element der „sozialistischen Nationalkultur“ (!), zur Bildung und Erziehung der Bürger und als Beitrag zur Gesundheits- und Arbeitskrafterhaltung mit einer Verbindlichkeit an, auf die – formal – jeder DDR-Bürger Anspruch hatte. Die Folge war eine außerordentliche Förderung sowohl des Breitensports als auch des hierauf aufbauenden Spitzensports (Es entstanden ‘Staatsamateure’, wie sie im Westen genannt wurden). Die DDR-Sportler erzielten zahlreiche internationale Erfolge, die die DDR zur „Sportnation“ werden ließen.

Dabei wurden auch in der „real-sozialistischen“ DDR bei der staatlichen Sportförderung viele unerlaubte und unsaubere Methoden angewandt. Das Einlassen auf die Systemkonkurrenz förderte das Doping drüben wie hüben.

Die zunehme
nde Politisierung infolge der nationalistischen Ausrichtung fördert auch in der BRD die staatliche Unterstützung im Hochleistungssport. Der Breitensport erhielt und erhält nicht annähernd diese Unterstützung.

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4. In der BRD wurden 1981 private Fernsehsender zugelassen, die keine Gebühren wie die öffentlich-rechtlichen erhalten; sie sind auf Werbung während ihrer Sendungen angewiesen.

Den Spitzensport entdeckte auch das nach Anlagefeldern suchende Kapital. Es nutzte dabei die fortgeschrittene Technik der Medien, v. a. die neuen Kommerzsender. Die daraus entwickelten Fernsehrechte als Rechte an Rechten lassen sich gut vermarkten. Die Vereine und Veranstalter sind dabei die Rechteinhaber und -veräußerer. Sie profitieren von den Spekulationen der Erwerber, d. h. der Sender. Zwischengeschaltet ist der Rechtehändler, der sie ihnen weiterverkauft. Mitunter ist er selbst Sendereigentümer (Leo Kirch). Beim letzten Poker wurden für die Vergaberechte beim bezahlten Fußball 1,4 Mrd. Euro ausgegeben, die es dann „einzuspielen“ gilt!

Zur besseren Verwertung wird Einfluss auf das „Wie“ des Sports ausgeübt: Beim bezahlten Fußball bestimmen diese Kreise z. B. den Spielplan.

Besonders die Veranstaltungen des Fußballs werden als werbewirksam und profitabel erkannt  (Senderechte, Vermarktung der Senderechte und die damit verbundenen Werbemöglichkeiten). Dies schränkt dann auch die Informationsmöglichkeiten der konkurrierenden öffentlich-rechtlichen Sender ein. Das Geschacher wurde zugleich zu einem Angriff auf die öffentlich-rechtlichen Sender als solche genutzt und ihre Daseinsberechtigung in Frage gestellt.

5. War körperliche Fitness ein wesentliches Ziel des Sportlers, so stellt sich dies im Spitzensport mittlererweile anders dar. In Wahrheit wird im Sport viel, mitunter das Leben, zumindest die eigene Gesundheit riskiert. Offenbarungen dieser Art gibt es in jedem Sportjahr: Die Doping-Tour de France von 1998, der Skandal des gedopten Olympiasieger im 100m-Lauf von  1988 etc. Auch der edle Reitsport vermeldete Doping; hier waren aber die Pferde gedopt.

Die Dopingdiskussion ist Auswirkung eines intensiven Sports. Dort geht es um sehr viel Geld, insbesondere für die Sieger. Das führt hier und da schon mal zur Einnahme von leistungsfördernden Mitteln. Deren Einnahme wird mitunter verharmlosend mit der Aufnahme von Erfrischungsmitteln verglichen, die morgens, nach durchzechter Nacht, wieder fit machen sollen.

Sie werden nicht nur unmittelbar vor dem Wettkampf, sondern bereits beim Training eingenommen. Am erfolgreichsten sind solche, die sich bei den Kontrollen nicht nachweisen lassen.

Da ein Konkurrent des anderen sein Teufel ist, geht es darum, sie sich gegenseitig nachzuweisen bzw. dafür zu sorgen, dass sie nicht nachweisbar sind. Gleichzeitig gelten die Kontrollen als Bemühungen um „reinen“ Sport.

Die Liste der weltweiten Dopingkontrollen des IOC zeigt deutlich, dass Kontrollen allein im Wettkampf nicht ausreichten, um für „sauberen“ Sport zu sorgen. Waren es 1986 noch ca. 32.000 Wettkampfkontrollen, so waren es 15 Jahre später ca. 70.000 geworden. Jetzt wird auch im Training  kontrolliert. Waren es 1988 ca. 10.000 Trainingskontrollen, so waren es 13 Jahren später ca. 60.000.

6. Die BRD hatte am 31.12.2002 ca. 82,5 Mio. Einwohner mit 42,2 Mio. Frauen (51%). Im deutschen Sportbetrieb ist das Zahlenverhältnis anders. Dort sind ca. 9,3 Mio. Frauen aktiv (ca. 14,3 Mio. Männer), was einem Anteil von 39% entspricht.

Diese Aufteilung ist nicht gleichmäßig: So sind im Tanzsport fast doppelt so viele Frauen aktiv wie Männer; im Reitsport ist das Verhältnis Anzahl Frauen zu Männer fast 2,4:1. Die Angaben unter Berücksichtigung des Alters zeigen gerade hier starke Veränderungen im Zahlenverhältnis: Bei den ReiterInnen unter 15 Jahren ist das Verhältnis Mädchen zu Jungen nahezu 7:1; bei den Reitern über 41 Jahre sind es etwa 1,5 mal mehr männliche Reiter als weibliche.

Der Frauenanteil an dem aller Sporttreibenden ist altersabhängig. Mädchen unter 15 stellen 43% der Altersgruppe; d. h., diese Gruppe liegt 11% über dem Durchschnitt von 39%; in höheren Altersstufen geht ihr Anteil (nicht gleichmäßig) zurück.
Offensichtlich ist die Sportteilhabe der Frauen (auch) ein abgeleitetes Zeitproblem, wie die Darstellung von B. Schulz es vermuten ließen.

Die Unterrepräsentanz der Frauen in den Sportorganisationen hat eine Arbeit ermittelt, die im Auftrag der Bundesministerin für Sport erstellt wurde. Danach gibt es in 45% der Spitzenverbände keine Frau im Präsidium! Lediglich 7% der Verbände werden von Frauen geleitet. Insgesamt ist das Fazit der dortigen Untersuchung: von den ca. 2700 Führungspositionen werden 14% von Frauen bekleidet. Die geringe Beteiligung dürfte nicht nur eine Sache des „Zeitmangels“ sein; hier sind gewiss Seilschaften und patriarchalische Traditionen entscheidende Hindernisse incl. die besseren Erfolge beim Gebrauch der Ellenbogen die Ursachen.

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Welchen Sport?
Interview mit Rainer Essbe, Hobbysportler

Wie fühlen Sie sich nach dem Lauf? Ihre Zeit ist recht gut und Sie haben gewonnen.
R: Gut; trotz einer gewissen körperlichen Quälerei macht mir das Laufen Spaß. (lacht) Auch wenn es für Außenstehende unsinnig erscheinen mag, einmal eine Runde zu laufen und sich dabei ‚kaputt’ zu machen. Wissen Sie, die Zeit interessiert mich eigentlich nur als Ausdruck körperlicher Fitness. Das Gewinnen ist wirklich Nebensache.

So ohne Ehrgeiz?
R: So ganz wohl nicht; aber der richtet sich nicht gegen meine Mitläufer. Sport treibe ich aus gesundheitlichen und sozialen Gründen, ansonsten um seiner Selbst willen. Natürlich werden über Sport, egal ob aktiv oder passiv betrieben, auch Dinge kompensiert, die im Alltagsleben fehlen, z. B. Anerkennung von Dritten, in Gruppen Gleichgesinnter soziale Kontakte pflegen etc.

Sport ohne Leistungsdruck? Wie soll der aussehen?
R: Das ist eine Frage des Begriffs. Gewiss gehört zum Sport, der auch als Wettkampf zu verstehen ist, ein Partner, sei es eine Mannschaft oder ein einzelner Sportler, gegen den es zu gewinnen gilt. Wichtig ist jedoch die Richtung des Druckes: Richtet er sich gegen mich oder den ‘Gegner’? (Übrigens: Kein schöner Ausdruck!). Es ist ein Unterschied, ob zwei ‘gegen’ oder ‘mit’ einander spielen.

Außerdem ist es doch so: Ich finde über den Sport soziale Kontakte. Diese Leute sind genau wie ich Liebhaber des Fußballs, der Reiterei oder der Leichtathletik. Wie kann man denn da gegeneinander spielen?

Fairplay?
R: Man kann durchaus diesen alten Begriff verwenden. Aber nicht so, wie es z. B. beim Fußball häufig geschieht: Vor dem Spiel noch ‘Fairplay’ propagieren und während des Spiels die Blutgrätsche praktizieren. Auch die Verwendung von Dopingmittel hat, unter diesem Aspekt, hier nichts zu suchen. Von den gesundhei
tlichen Aspekten ganz zu schweigen. Doping hat mit Achtung vor dem Partner nichts zu tun, eher mit Verachtung: Das Streben nach Erfolg mit allen Mitteln.

Diese Entwicklung ist in der Tat festzustellen. Wie erklären Sie sich das? Ist das ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Situation?
R: Grundsätzlich sehe ich das auch so. Mit scheint die Zweckorientierung des Sports hin zum Beruf in der schon erwähnten Ellbogengesellschaft der entscheidende Punkt zu sein, der auch die unteren Leistungsebenen beeinflusst. Beruf ist Brot, oder, traditioneller: Arbeit ist Brot. Wenn in dieser Gesellschaft über Erwerbsarbeit kein materielles Einkommen erzielt wird, fällt man in die Not. Jemand mit entsprechendem Talent arbeitet als Sportler.

Geändert werden kann das nur in einer solidarischen Gesellschaft, weil sie dieses Problem erkannt und entsprechend gestaltet hat. Konzepte dazu gibt es bereits, wie Sie wissen, wissenschaftlich fundiert seit dem 19. Jahrhundert.

Zurück zum Sport: Wie Sie wissen, gibt es seit Längerem im Fußball die gelbe und rote Karte. Die gelbe wird Spielern gezeigt, die ein besonders grobes Foul begangen haben, das aber nicht automatisch zum Spielausschluss führt. Erst wenn eine rote gezeigt wird, ist es so weit. Aber dieses Kartenspiel erfolgt nur in besonders schwerwiegenden Fällen: ‘Leichtere’ Fouls werden nur spielerisch geahndet. Das bedeutet, dass Unfairness relativiert und damit als sportliches Handeln anerkannt und zu bis einem gewissen Grad zulässig ist. Das ist im Leistungssport gang und gebe; Analoges gibt es auch in anderen Sportarten. Ich halte das für sehr bedenklich.

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Wie sehen Sie unter dem Aspekt Fairness den Nichtangriffspakt von Gijon?
R: Dieses Spielverhalten war eine Offenbarung. Und zwar nicht an schönem Fußball, sondern an Missachtung des Fairplay und ungeschriebener Regeln, die über diese Sportart hinausgehen. Sie offenbarte auch die für bürgerliche Gesellschaften üblichen Hierarchien im Fußball-Weltverband und die diese ausdrückende Ungleichheit der Mitglieder. Der algerische Verband kam gegen die der betroffenen Verbände und deren Unterstützer nicht durch. Hier wurde letztlich die degenerierte Vorstellung von Sport in der heutigen Gesellschaft deutlich.

Sollte dann der Sport oder, genauer, diese betroffene Sportart abgeschafft werden?
R: Nein, auf keinen Fall! Sie würden Millionen von Fußballern völlig zu Unrecht wegen des Fehlverhaltens zweier Verbände strafen. Abgesehen davon, dass ein Verbot bei der enormen sozialen Bedeutung von Fußball nicht durchsetzbar wäre. Die Fußball spielenden Kinder und Erwachsenen würden den Abpfiff einfach übergehen!

Die Einstellung zum Sport und damit die zum Mitsportler muss sich ändern. Doch auch hier gilt Bert Brecht: ‚Wir wären gut anstatt so roh, doch die Verhältnisse sind nicht so!’ Das heißt, erst wenn man den Kopf frei hat von den Alltagssorgen sind die Verhältnisse so, dass Solidarität, Achtung vor dem Mitspieler, d. h. letztlich vor dem Mitmenschen selbstverständlich sind.

Diese Situation wird erst mit dem Aufbau einer Gesellschaft entstehen, die genau auch diese im Auge hat. Eine solche Gesellschaft ist eine freie, d.h. eine durch und durch soziale, sprich sozialistische. Man kann und muss darauf zuarbeiten, ansonsten verfallen wir tiefer in die Barbarei. Deren heutiger ‘Sportteil’ macht deutlich, in welcher Gesamtsituation durch das Hintenanstellen der sozialen Orientierungspunkte wir uns heute befinden.

Das Wollen einer Veränderung allein ist zwar löblich, aber nur die Voraussetzung. Das entsprechende Sein, sprich: die materielle Basis schafft erst, gewissermaßen durchgehend, die Situation der permanenten Solidarität. Unsere heutige Gesellschaft kann das nicht, auch wenn bereits Keime der neuen erkennbar sind, auch im Bereich des Sports.

Welche Rolle spielt die Gesundheit im Sport?
R: Dass diese Frage gestellt werden muss, zeigt, dass der gesundheitliche Aspekt im Sport zumindest in vielen Punkten in Frage gestellt ist.

Das geht auf die Realität des Dopings zurück. Wir treffen immer häufiger auf junge Menschen, die über Leistungssport ihrer Gesundheit schaden: z. B. können Spieler/innen im Fußball ihre Verletzungen nicht völlig auskurieren; sie werden ‘zurecht gespritzt’, dass sie am nächsten Spieltag wieder antreten können. Diese Tatsachen haben dabei zur Konsequenz geführt, dass reiche Vereine (im bürgerlichen Jargon: erfolgreiche) sich ‘Ersatzspieler’ anschaffen, um so verletzungsbedingte Ausfälle  kompensieren zu können. Vereine mit weniger Geld können das nicht. Chancengleichheit?

Für mich persönlich ist der Sport hinsichtlich Gesundheit ein ‘Muss’, denn ich benötige ihn als körperliche Erholung und Regeneration für meinem Berufsalltag.

Welche Rolle spielt der Sport ‚in besseren Verhältnissen’?
R: Sport wird weiterhin die sozialen, kulturellen und gesundheitlichen Aspekte behalten. Wenn er in einer freien Gesellschaft betrieben wird, wird sein Charakter sich in Anlehnung an die gesellschaftlichen Verhältnisse wandeln. Ich vermute, dass in Folge dessen vieles, was im Sport heute gesucht wird, wie z. B. kollektives selbstbestimmtes Handeln und gesellschaftliche Anerkennung, sich dann aus dem Alltag ergibt und dass dafür der Sport nicht mehr oder weniger gebraucht wird.

Der Einzelne wird selbst entscheiden. Als Teil einer Gesellschaft und zusammen mit anderen Sportinteressierten wird er Unterstützung beanspruchen und, bei Relevanz, auch bekommen: Sporthallen, wissenschaftlich fundierte Beratung zu Gesundheit und Sport etc.; da auch dann die Menschen an internationalen Sportkontakten interessiert sein werden, sind solche zu anderen Sportlern für Sportbegegnungen zu organisieren und durchzuführen. Mir scheint, dass der von den Faschisten zerschlagene, selbständig organisierte Arbeitersport Anknüpfungspunkte bietet.

Und die Beteiligung von Frauen? Wird sie dann steigen?
R: Ich denke ja, allerdings nur hinsichtlich der Möglichkeit, weil die blockierenden Voraussetzungen fehlen oder zumindest sukzessive abgeschafft werden. Die letzte Entscheidung hat jede Frau natürlich selbst zu treffen. Vielleicht gibt es dann auch ‘echten Frauensport’ im Sinne von: von Frauen erdachter Sport.

Ist Hochleistungssport heutiger Provenienz dann vorbei?
R: Mit Sicherheit! Als Beruf wird es ihn nicht geben d. h. als das Anbieten einer Ware, da die Warengesellschaft nicht mehr existiert.

Überhaupt gilt: Der Sport in seiner spezifischen Art ist Ausdruck der Gesellschaft, in der er betrieben wird. Mit Veränderung der Gesellschaft in eine der Freien wird er als Teil einer – sozialistischen – Kultur zur individuellen Weiterentwicklung des Einzelnen in der Gesellschaft beitragen.

In diese Richtung müssen wir uns bewegen, nicht nur aus Gründen des Sports.

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