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Sozialistische Revolution und der Kampf für Frauenbefreiung – Teil I

Von Weltkongress der IV. Internationale, November 1979 | 09.07.2006

Einleitung

Die grundlegenden marxistischen Positionen zur Frauenunterdrückung sind Teil der programmatischen Grundlagen der Vierten Internationale. Aber dies ist die erste umfassende Resolution, welche die Internationale zur Frauenbefreiung angenommen hat. Ziel ist es, darin unsere grundlegende Analyse des Wesens der Frauenunterdrückung bekannt zu machen und darzulegen, welchen Platz der Kampf gegen diese Unterdrückung in unsrer Perspektive für die drei Sektoren der Weltrevolution einnimmt: den entwickelten kapitalistischen Ländern, der kolonialen und halbkolonialen Welt sowie den Arbeiterstaaten [die damaligen „deformierten“ oder „degenerierten“ Arbeiterstaaten des Ostblocks, die Länder also, die sich selbst als „real existierende sozialistische Gesellschaften“ bezeichneten, aber nach 1989 wie ein Kartenhaus zusammenfielen; die HerausgeberInnen]

Der Charakter der Unterdrückung der Frauen

Der neue Aufschwung der Frauenkämpfe
1. Seit dem Ende der sechziger Jahre entwickelte sich eine wachsende Revolte der Frauen gegen ihre Unterdrückung als Geschlecht. In der ganzen Welt beginnen Millionen von Frauen, insbesondere junge Frauen – Studentinnen, Arbeiterinnen, Hausfrauen –, einige der fundamentalen Züge ihrer jahrhundertealten Unterdrückung in Frage zu stellen.

Das erste Land, in dem diese Radikalisierung von Frauen Massencharakter annahm, waren die Vereinigten Staaten. Sie kündigte sich an im Entstehen von Tausenden von Frauenbefreiungsgruppen und in der Mobilisierung von Zehntausenden von Frauen in den Demonstrationen am 26. August 1970 zur Feier des fünfzigsten Jahrestages der siegreichen Beendigung des Kampfes für das Frauenwahlrecht in den USA.

Die neue Welle von Frauenkämpfen in Nordamerika stellte aber keine außergewöhnliche und isolierte Entwicklung dar, wie die Ausbreitung der Frauenbewegung in alle entwickelten kapitalistischen Länder bald zeigte.

Die neue Frauenbewegung betrat die historische Bühne als Teil eines allgemeineren Aufschwungs der ArbeiterInnenklasse und aller ausgebeuteten und unterdrückten Sektoren der Weltbevölkerung. Dieser Aufschwung hat viele Formen angenommen: von ökonomischen Streiks, Kämpfen gegen nationale Unterdrückung, Studentendemonstrationen, Forderungen nach Umweltschutz bis zur internationalen Bewegung gegen den imperialistischen Krieg in Vietnam. Obwohl die Frauenbewegung unter Studentinnen und berufstätigen Frauen ihren Anfang nahm, begannen die von ihr erhobenen Forderungen, zusammen mit den wachsenden Widersprüchen innerhalb des kapitalistischen Systems, weit breitere Schichten zu mobilisieren. Sie begann das Bewusstsein, die Erwartungen und das Handeln bedeutender Teile der ArbeiterInnenklasse, Frauen und Männer, zu beeinflussen.

In vielen Ländern ging der neue Aufschwung der Frauenkämpfe der weitreichenden Veränderung der Kampfbereitschaft der organisierten ArbeiterInnenbewegung voraus. In anderen, wie in Spanien, war er verflochten mit dem explosiven Aufschwung von ArbeiterInnenkämpfen an allen Fronten. Aber in nahezu allen Fällen entstand die Bewegung außerhalb und unabhängig von den bestehenden Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse, die sich dann gezwungen sahen, auf dieses neue Phänomen zu reagieren. In der politischen und ideologischen Schlacht zur Schwächung der Macht der Bourgeoisie und ihrer zentristischen, sozialdemokratischen und stalinistischen Agenten innerhalb der ArbeiterInnenklasse ist daher die Entwicklung der Frauenbewegung ein bedeutsamer Faktor geworden.

Das rasche Wachstum der Frauenbewegung und die Rolle, die sie sowohl international als auch in besonderen Ländern im sich vertiefenden Klassenkampf gespielt hat, bestätigen, dass der Kampf für die Befreiung der Frauen als grundlegender Bestandteil des neuen Aufschwungs der Weltrevolution angesehen werden muss.

2. Diese Radikalisierung von Frauen ist beispiellos hinsichtlich der Tiefe der ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Gärung, die damit zum Ausdruck kommt, und hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Kampf gegen kapitalistische Unterdrückung und Ausbeutung.

In einem Land nach dem anderen nimmt eine wachsende Zahl von Frauen teil an breiten Kampagnen gegen reaktionäre Regelungen zu Abtreibungen und Verhütungsmitteln, gegen repressive Heiratsgesetze, unzureichende Kinderbetreuungseinrichtungen und gesetzliche Einschränkungen des Gleichheitsgrundsatzes. Sie decken die verschiedenen Formen auf, in denen auf allen gesellschaftlichen Ebenen Sexismus zum Ausdruck kommt, und widersetzen sich ihm im Bereich der Politik, des Berufslebens und der Erziehung bis zu den persönlichsten Fragen des Alltagslebens, einschließlich der häuslichen Schinderei und der Gewalt und Einschüchterung, der die Frauen zu Hause und auf der Straße ausgesetzt sind.

Frauen beginnen Forderungen zu erheben, welche die spezifischen Formen, die ihre Unterdrückung im kapitalistischen System heute annimmt, angreifen, und fangen an, die tief verwurzelte traditionelle Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau vom Haushalt bis zur Fabrik in Frage zu stellen. Mehr und mehr bestehen sie auf aktiven Maßnahmen, um ihnen den Zugang zu Bereichen zu öffnen, die ihnen bisher verschlossen waren und um die Bürde, Jahrhunderte alter institutionalisierter Benachteiligung zu überwinden.

Sie bestehen auf ihrem Recht, in völliger Gleichberechtigung an allen Formen gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und kultureller Betätigung teilzuhaben: gleiche Ausbildung, gleicher Zugang zu Arbeitsplätzen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Um diese Gleichberechtigung zu ermöglichen, suchen die Frauen nach Wegen, ihre häusliche Sklaverei zu beenden. Sie fordern, dass die Hausarbeit vergesellschaftet wird und nicht länger als „Frauenarbeit“ organisiert wird. Die Bewusstesten erkennen, dass die Gesellschaft und nicht die einzelne Familie die Verantwortung für die Jugend, die Alten und die Kranken übernehmen muss.

Im Mittelpunkt der Frauenbewegung stand der Kampf um die Straffreiheit der Abtreibung und darum, sie für alle Frauen zu ermöglichen. Das Recht, über den eigenen Körper zu bestimmen, selbst zu entscheiden, ob, wann und wie viele Kinder sie gebären wollen, wird von Millionen von Frauen als eine grundlegende Vorbedingung ihrer Befreiung betrachtet.

Solche Forderungen treffen den Lebensnerv der besonderen Unterdrückung der Frauen, die durch die Familie ausgeübt wird, und berühren die Fundamente der Klassengesellschaft. Sie zeigen an, wie sehr der Kampf für die Befreiung der Frauen damit verbunden ist, alle zwischenmenschlichen Beziehungen zu verändern und sie auf eine neue und höhere Ebene zu bringen.

3. Die Tatsache, dass d
ie Frauenbewegung sich sogar schon vor der Verschärfung der Widersprüche der kapitalistischen Weltwirtschaft Mitte der 70er Jahre als internationales Phänomen entwickelte, unterstreicht die tiefen gesellschaftlichen Wurzeln dieser Rebellion. Darin kommt eines der deutlichsten Symptome für die Tiefe der sozialen Krise der heutigen bürgerlichen Ordnung zum Ausdruck.

Diese Kämpfe verdeutlichen das Ausmaß, in dem die überholten kapitalistischen Beziehungen und Institutionen in jedem Sektor der Gesellschaft wachsende Widersprüche erzeugen und neue Formen des Klassenkampfes hervorbringen. Die Todeskrise des Kapitalismus bringt neue Schichten in direkten Konflikt mit den grundlegenden Belangen und Vorrechten der Bourgeoisie, schafft neue Bündnispartner und stärkt die ArbeiterInnenklasse in ihrem Kampf zum Sturz des kapitalistischen Systems. Der sich entwickelnde Kampf der Frauen gegen ihre Unterdrückung hat bereits begonnen, der herrschenden Klasse eine der Hauptwaffen zu entreißen, mit denen sie die Ausgebeuteten und Unterdrückten so lange spalten und schwächen konnte.

4. Die Unterdrückung der Frauen war Jahrtausende lang ein wesentliches Merkmal der Klassengesellschaft. Aber die praktische Aufgabe, ihre Ursachen auszumerzen, wie auch der Kampf gegen ihre Erscheinungsformen und Auswirkungen konnten vor der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus nicht umfassend gestellt werden. Der Kampf für die Befreiung der Frauen ist untrennbar mit dem Kampf der ArbeiterInnen zur Beseitigung des Kapitalismus verbunden. Er stellt einen wesentlichen Bestandteil der sozialistischen Revolution und der kommunistischen Perspektive einer klassenlosen Gesellschaft dar.

Die Ersetzung des im Privateigentum verwurzelten patriarchalischen Familiensystems durch eine höhere Organisation der menschlichen Beziehungen ist ein Hauptziel der sozialistischen Revolution. Dieser Prozess wird sich in dem Maße beschleunigen und vertiefen, wie sich die materiellen und ideologischen Fundamente der neuen kommunistischen Ordnung entwickeln werden.

Die Entwicklung der Frauenbewegung treibt den Klassenkampf weiter voran, stärkt seine Kräfte und vergrößert die Aussichten auf den Sozialismus.

5. Die Frauen können ihre Befreiung nur durch den Sieg der sozialistischen Weltrevolution erlangen. Dieses Ziel kann nur durch die Mobilisierung der Masse der Frauen als einem mächtigen Bestandteil des Klassenkampfes verwirklicht werden. Darin liegt die objektive revolutionäre Dynamik des Kampfes für die Befreiung der Frauen und der wesentliche Grund, weshalb es Aufgabe der Vierten Internationale ist, sich für die für ihre Befreiung kämpfenden Frauen zu engagieren und dazu beizutragen, dass sie sich eine revolutionäre Führung schaffen.

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Ursprung und Wesen der Frauenunterdrückung

1. Die Unterdrückung der Frauen ist nicht, wie von vielen behauptet, durch ihre biologischen Merkmale bestimmt. Ihre Ursprünge sind vielmehr wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Charakters. Während der gesamten Entwicklung der Urgesellschaft und der Klassengesellschaft hat sich an der Fortpflanzungsfunktion der Frauen nichts geändert. Ihr sozialer Status ist aber nicht immer der einer entwürdigten Haussklavin gewesen, die der Kontrolle und Beherrschung durch den Mann unterworfen war.

2. Vor der Entstehung der Klassengesellschaft, in der geschichtlichen Epoche, die von Marxisten traditionell als „Urkommunismus“ bezeichnet wird, war die gesellschaftliche Produktion gemeinschaftlich organisiert, und ihr Produkt wurde gleichmäßig aufgeteilt. Es gab daher keine Ausbeutung oder Unterdrückung einer Gruppe oder eines Geschlechtes durch das andere, weil keine materielle Grundlage für solche gesellschaftlichen Beziehungen vorhanden war. Beide Geschlechter nahmen an der gesellschaftlichen Produktion teil und halfen, die Versorgung und das Überleben aller sicherzustellen. Der soziale Status der Frauen wie der Männer spiegelte die unentbehrlichen Rollen wider, die beide in diesem Produktionsprozess spielten.

3. Der Ursprung der Unterdrückung der Frauen ist eng verknüpft mit dem Übergang von der Urgesellschaft zur Klassengesellschaft. Der genaue Ablauf dieses komplexen Übergangs bleibt Forschungs- und Diskussionsgegenstand auch unter den Vertretern einer materialistisch-historischen Betrachtungsweise. Jedoch sind die Grundlinien klar, entlang denen sich die Unterdrückung der Frauen entwickelt hat. Die Veränderung im sozialen Status der Frauen entwickelte sich parallel zur wachsenden Produktivität der menschlichen Arbeit, die sich auf Ackerbau und Viehhaltung gründete, zur Entstehung neuer Formen der Arbeitsteilung, des Handwerks und des Handels, zur privaten Aneignung eines wachsenden gesellschaftlichen Mehrprodukts und zur Entwicklung der Möglichkeit für einige Menschen, von der Ausbeutung der Arbeitskraft anderer zu profitieren.

Unter dieser spezifischen sozioökonomischen Bedingungen, unter denen die Ausbeutung von Menschen durch eine privilegierte Minderheit profitabel wurde, wurden die Frauen – aufgrund ihrer biologischen Rolle in der Produktion –zu einem wertvollen Besitz. Wie Sklaven und Vieh waren sie eine Quelle des Reichtums. Nur sie konnten Menschen gebären, deren Arbeitskraft wiederum ausgebeutet werden konnte. So entstand der Kauf von Frauen durch Männer (einschließlich aller Rechte auf ihren zukünftigen Nachwuchs) als eine der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen der neuen, auf Privateigentum beruhenden Ordnung. Die grundlegende gesellschaftliche Rolle der Frauen wurde zunehmend dadurch bestimmt, Haussklavin zu sein und Kinder zu gebären.

Parallel zu der privaten Akkumulation von Reichtum entwickelte sich die patriarchalische Familie als die Institution, durch die die Verantwortung für die unproduktiven Mitglieder der Gesellschaft – insbesondere für die Kinder – von der Gesellschaft als Gesamtheit auf genau bestimmbare Individuen oder kleine Gruppen von Individuen verlagert wurde. Sie war die wichtigste sozioökonomische Institution zur Verewigung der Klassenteilung der Gesellschaft von einer Generation zur nächsten – eine Aufspaltung in Eigentumsbesitzer, die von den Reichtümern lebten, die anderer Leute Arbeit geschaffen hatte, und in Eigentumslose, die für andere arbeiten mussten, um leben zu können. Die Zerstörung der egalitären Gemeinschaftstraditionen und Strukturen des Urkommunismus war entscheidend für die Entstehung einer Ausbeuterklasse und ihrer zunehmenden privaten Anhäufung von Reichtum.

Dies stellt den Ursprung der patriarchalischen Familie dar. Und tatsächlich kommt das Wort Familie selbst, das noch heute in den sich auf das Lateinische stützenden Sprachen benutzt wird, ursprünglich von dem lateinischen Wort „famulus“, was „Haussklave“ bedeutet, und von „familia“: die Gesamtheit der einem Mann gehörenden Sklaven.

Die Frauen hörten auf, eine unabhängige Stellung in der gesellschaftlichen P
roduktion einzunehmen. Ihre produktive Rolle wurde bestimmt durch die Familie, zu der sie gehörten, durch den Mann, dem sie untergeordnet waren. Diese ökonomische Abhängigkeit bestimmte den gesellschaftlichen Status der Frauen als Menschen zweiter Klasse, wovon der Zusammenhalt und der Fortbestand der patriarchalischen Familie stets abhingen. Wenn die Frauen einfach ihre Kinder nehmen und weggehen könnten, ohne dabei wirtschaftliche und soziale Not erleiden zu müssen, dann hätte die patriarchalische Familie kaum die Jahrtausende überdauert.

So entstanden die patriarchalische Familie und die Unterjochung der Frauen zusammen mit anderen Institutionen der sich entwickelnden Klassengesellschaft, um die sich entwickelnde Klassenteilung zu festigen und die private Anhäufung von Reichtum zu verewigen. Der Staat setzte diese Verhältnisse mit seiner Polizei, seiner Armee, seinen Gesetzen und Gerichtshöfen durch. Die Ideologie der herrschenden Klasse, einschließlich der Religion, entstand auf dieser Grundlage und spielte eine entscheidende Rolle bei der Rechtfertigung der Erniedrigung des weiblichen Geschlechts.

Die Frauen, so hieß es, seien den Männern körperlich und geistig unterlegen und daher „von Natur aus“ oder biologisch das zweitrangige Geschlecht. Zwar hatte und hat die Unterjochung der Frauen stets unterschiedliche Konsequenzen für Frauen aus unterschiedlichen Klassen, gleichwohl waren und sind doch alle Frauen, unabhängig von ihrer Klassenzugehörigkeit, als Angehörige des weiblichen Geschlechts unterdrückt.

4. Das Familiensystem ist die Einrichtung der Klassengesellschaft, die den besonderen Charakter der Unterdrückung der Frauen als Geschlecht bestimmt und aufrechterhält.

In der ganzen Geschichte der Klassengesellschaft hat das Familiensystem seinen Wert als Institution der Klassenherrschaft bewiesen. Die Form der Familie hat sich allerdings entwickelt und den sich ändernden Bedürfnissen der herrschenden Klassen angepasst, so wie auch die Produktionsweisen und die Formen des Privateigentums verschiedene Entwicklungsstufen durchlaufen haben. Das Familiensystem in der klassischen Sklavenhaltergesellschaft war verschieden vom Familiensystem des Feudalismus (wo es keine echte Sklavenfamilie gab). Beide unterscheiden sich erheblich von der heutigen, oft als „Kleinfamilie“ bezeichneten Form.

Außerdem erfüllt das Familiensystem gleichzeitig unterschiedliche soziale und ökonomische Anforderungen, abhängig von den Klassen und ihren unterschiedlichen Rollen im Produktionsprozess und den Eigentumsrechten, von Klassen also, die völlig entgegengesetzte Interessen haben. Zum Beispiel stellten die „Familie“ des Leibeigenen und die „Familie“ des Feudalherren ganz verschiedene sozioökonomische Formationen dar. Beide jedoch waren Teil des Familiensystems, einer Institution der Klassenherrschaft, die auf jeder Stufe der Geschichte der Klassengesellschaft eine unentbehrliche Rolle gespielt hat.

In der Klassengesellschaft ist die Familie für die meisten Menschen der einzige Ort, wo sie einige grundlegende menschliche Bedürfnisse befriedigen können wie etwa Liebe und Gemeinschaft. Wie schlecht die Familie diese Bedürfnisse auch immer erfüllt, so gibt es doch keine echte Alternative, solange das Privateigentum existiert. Die Auflösung der Familie im Kapitalismus bringt viel Elend und Leid mit sich, eben weil sich noch kein höheres System zwischenmenschlicher Beziehungen entwickeln kann.

Das Wesen des Familiensystems wird aber nicht durch eine Befriedigung der Bedürfnisse nach Zuneigung und Gemeinschaft bestimmt. Es stellt vielmehr eine ökonomische und soziale Institution dar, deren Funktionen wie folgt zusammengefasst werden können:

a) Die Familie ist der grundlegende Mechanismus, durch den sich die herrschenden Klassen der gesellschaftlichen Verantwortung für das wirtschaftliche Wohlergehen derjenigen entziehen, deren Arbeitskraft sie ausbeuten – der großen Masse der Menschheit. Die herrschende Klasse versucht so weit wie möglich, jede einzelne Familie zu zwingen, für sich selbst verantwortlich zu sein, wodurch die ungleiche Verteilung von Einkommen, gesellschaftlichem Status und Reichtum festgeschrieben wird.

b) Das Familiensystem sorgt dafür, dass das Privateigentum von einer Generation auf die nächste übertragen wird. Es ist der gesellschaftliche Grundmechanismus zur Verewigung der Klassenspaltung der Gesellschaft.

c) Für die herrschende Klasse schafft das Familiensystem den billigsten und ideologisch annehmbarsten Mechanismus zur Reproduktion menschlicher Arbeitskraft. Indem die Familie für die Kinder verantwortlich gemacht wird, wird der Anteil am privat angeeigneten Gesamtreichtum der Gesellschaft, der benutzt wird, um die Reproduktion der arbeitenden Klassen sicherzustellen, auf ein Mindestmaß beschränkt. Überdies hält die Tatsache, dass jede einzelne Familie eine isolierte Einheit darstellt, die um ihr eignes Überleben kämpft, gerade die am meisten Unterdrückten und Ausgebeuteten davon ab, sich zu gemeinsamem Handeln zusammenzuschließen.

d) Das Familiensystem setzt eine gesellschaftliche Arbeitsteilung durch, in der Frauen grundlegend definiert werden über ihre Rolle als Gebärende und über die dieser reproduktiven Funktion unmittelbar zugeordneten Aufgaben der Fürsorge für die anderen Mitglieder der Familie. So ruht die Institution Familie auf einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die eine häusliche Unterjochung und wirtschaftliche Abhängigkeit der Frauen einschließt, und verstärkt diese Arbeitsteilung wiederum.

e) Das Familiensystem ist eine repressive und konservierende Einrichtung, die in sich selbst die hierarchischen, autoritären Verhältnisse reproduziert, die notwendig sind, um die Klassengesellschaft insgesamt aufrechtzuerhalten. Es fördert die besitzgierigen, auf Konkurrenz eingestellten und aggressiven Verhaltensweisen, die zur ständigen Fortführung der Klassenspaltung notwendig sind.

 

Es formt das Verhalten und die Charakterstruktur der Kinder von der frühen Kindheit bis zum Erwachsenenalter. Es richtet sie ab, diszipliniert und überwacht sie und lehrt sie so, sich der herrschenden Autorität zu unterwerfen. Sodann zügelt es rebellische, nonkonformistische Impulse. Es unterdrückt die Sexualität und zwingt sie in gesellschaftlich annehmbare Kanäle männlicher und weiblicher sexueller Verhaltensweisen zu Reproduktionszwecken und sozioökonomischen Rollen. Es impft die gesellschaftlichen Werte und Verhaltensnormen ein, die sich die Individuen aneignen müssen, um in der Klassengesellschaft zu überleben und sich ihrer Herrschaft zu unterwerfen. Es entstellt alle zwischenmenschlichen Beziehungen, indem es ihnen das System wirtschaftlichen Zwangs, persönlicher Abhängigkeit und sexueller Unterdrückung aufzwingt.

5. Die Familie hat im Kapitalismus wie
auch in vorangegangenen Geschichtsepochen eine Entwicklung durchgemacht. Das Familiensystem bleibt aber weiterhin eine unverzichtbare Einrichtung der Klassenherrschaft und nimmt die skizzierten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Funktionen wahr.

Im Falle der Bourgeoisie sorgt die Familie für die Übertragung des Privateigentums von einer Generation auf die nächste. Eine Heirat gewährleistet dabei oft eine Verknüpfung oder Fusion größerer Kapitalblöcke, insbesondere in einem frühen Stadium der Kapitalakkumulation.

Im Falle der klassischen Kleinbourgeoisie wie Bauern, Handwerker oder kleine Ladenbesitzer stellt die Familie auch eine Produktionseinheit dar, die auf der Arbeit der Familienmitglieder beruht.

Für die ArbeiterInnenklasse stellt die Familie, wenngleich sie für einen gewissen gegenseitigen Schutz ihrer eigenen Mitglieder sorgt, letztendlich doch eine ihr fremde Klasseninstitution dar, die der ArbeiterInnenklasse aufgezwungen wird und den wirtschaftlichen Interessen der Bourgeoisie und nicht den Arbeitern und Arbeiterinnen dient. Es wird den arbeitenden Menschen aber von der frühesten Kindheit an eingeflößt, sie – genau wie die Lohnarbeit, das Privateigentum und den Staat – als das Natürlichste und Unvergänglichste unter den menschlichen Beziehungen anzusehen.

a) Mit dem Aufstieg des Kapitalismus und dem Wachstum der ArbeiterInnenklasse hört die Familie bei den Arbeitern und Arbeiterinnen auf, eine kleinbürgerliche Produktionseinheit zu sein, obwohl sie die Grundeinheit bleibt, über die die Konsumtion und die Reproduktion der Arbeitskraft organisiert werden. Nunmehr verkauft jedes einzelne Familienmitglied seine Arbeitskraft individuell auf dem Arbeitsmarkt. Die grundlegenden wirtschaftlichen Bande, die vorher die Familie der Ausgebeuteten und Unterdrückten zusammenhielten – d. h. die Tatsache, dass sie kooperativ zusammenarbeiten mussten, um zu überleben –, beginnen sich aufzulösen. Indem Frauen in den Arbeitsmarkt einbezogen werden, erlangen sie zum ersten Mal seit der Entstehung der Klassengesellschaft ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Dies tendiert dazu, die Hinnahme ihrer eignen häuslichen Unterdrückung zu untergraben. Ein Ergebnis davon ist, dass das Familiensystem selbst untergraben wird.

b) Somit besteht ein Widerspruch zwischen der zunehmenden Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt und dem Fortbestand der Familie. In dem Maße, wie Frauen wirtschaftliche Unabhängigkeit und Gleichheit erreichen, beginnt die Institution Familie sich aufzulösen. Das Familiensystem ist aber eine unverzichtbare Säule der Klassenherrschaft. Es muss erhalten werden, wenn der Kapitalismus fortbestehen soll.

c) Die wachsende Anzahl von Frauen auf dem Arbeitsmarkt bewirkt, insbesondere in Zeiten beschleunigter Expansion, einen tiefen Widerspruch für die Kapitalistenklasse. Sie müssen mehr Frauen einstellen, um von deren Überausbeutung profitieren zu können. Indem aber mehr Frauen eingestellt werden, wird gleichzeitig ihre Fähigkeit eingeschränkt, die grundlegende unbezahlte Arbeit des Kinderaufziehens auszuüben, wofür eben die Frauen verantwortlich gemacht werden. Daher muss der Staat beginnen, die Familie zu stützen, indem einige der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Funktionen, die zuvor von der Familie wahrgenommen wurden, wie Erziehung, Kinderfürsorge usw., nun von ihm sichergestellt und unterstützt werden

Solche Sozialeinrichtungen sind aber teurer als die unbezahlte Hausarbeit der Frauen. Sie verzehren einen Teil des Mehrwerts, den sich andernfalls die Kapitaleigentümer angeeignet hätten. Sie beschneiden die Profite. Überdies nähren Sozialprogramme dieser Art den Gedanken, nicht die Familie, sondern die Gesellschaft solle für das Wohlergehen ihrer nicht produktiven Mitglieder verantwortlich sein. Sie steigern die gesellschaftlichen Erwartungen der ArbeiterInnenklasse.

d) Die unbezahlte Arbeit von Frauen im Haushalt – Kochen, Putzen, Waschen, Kinderfürsorge – spielt im Kapitalismus eine besondere Rolle. Diese Haushaltsarbeit ist ein notwendiger Bestandteil der Reproduktion der Arbeitskraft, die an die Kapitalisten verkauft wird (sowohl die eigene Arbeitskraft der Frau selbst als auch die ihres Ehemannes, ihrer Kinder oder eines anderen Familienmitglieds).

 

Unter sonst gleichen Voraussetzungen müsste das allgemeine Lohnniveau steigen, wenn nicht die Frauen in den Familien der ArbeiterInnenklasse unbezahlte Arbeit leisteten. Die Reallöhne müssten hoch genug sein, um die Güter und Dienstleistungen zu erwerben, die jetzt noch innerhalb der Familie produziert werden. (Natürlich stellt der zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Land zur Reproduktion der Arbeitskraft notwendige allgemeine Lebensstandard eine geschichtlich bestimmte gegebene Größe dar. Sie kann nicht drastisch gesenkt werden ohne eine vernichtende Niederlage der ArbeiterInnenklasse.) Eine allgemeine Abnahme der unbezahlten Hausarbeit von Frauen würde somit die Gesamtprofite beschneiden und das Verhältnis zwischen Profiten und Löhnen zugunsten des Proletariats verändern.

Wie nützlich die Hausarbeit auch sein mag, so produziert sie doch keine Waren für den Markt und daher auch keinen Wert (sprich: Tauschwert) und keinen Mehrwert. Ebenso ist sie nicht unmittelbar in den kapitalistischen Ausbeutungsprozess einbezogen. In Wertbegriffen ausgedrückt, beeinflusst die unbezahlte Hausarbeit in der Familie die Mehrwertrate. Indirekt vergrößert sie die Gesamtmasse des gesellschaftlichen Mehrprodukts. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Arbeit nur von Frauen ausgeübt wird oder ob auch Männer einen Anteil daran haben.

Von der unbezahlten Hausarbeit der Frauen profitiert die Kapitalistenklasse und nicht die Männer allgemein, und sicherlich nicht die männlichen Lohnarbeiter. Diese „Ausbeutung“ der Familie der Werktätigen, deren Last an allererster Stelle die Frauen zu tragen haben, kann nur durch den Sturz des Kapitalismus und die Vergesellschaftung der Hausarbeit im Verlauf des sozialistischen Aufbaus beseitigt werden.

e) Die unverzichtbare Rolle der Familie und das Dilemma, das die zunehmende Anzahl der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Frauen für die herrschende Klasse bewirkt, treten in Zeiten einer Wirtschaftskrise am klarsten zutage. Die Herrschenden müssen zwei Ziele verfolgen.

Und sie müssen eine bedeutende Anzahl Frauen aus den Betrieben nach Hause schicken, um die industrielle Reservearmee wieder herzustellen und das Lohnniveau zu senken.

Sie müssen die wachsenden Kosten der vom Staat bereitgestellten Sozialeinrichtungen senken und die wirtschaftliche Last und Verantwortung dafür wieder auf die einzelne ArbeiterInnenfamilie übertragen.

Um diese beiden Zielsetzungen zu verwirklichen, müssen sie eine ideologische Offensive gerade gegen den Gedanken der Gleichberechtigung und Unabhängigkeit der Frauen i
n Gang setzen und die Verantwortlichkeit der einzelnen Familie für die eigenen Kinder, die Alten, die Kranken untermauern. Sie müssen das Bild der Familie als der einzig „natürlichen“ Form zwischenmenschlicher Beziehungen verstärken und die Frauen, die begonnen haben, gegen ihre untergeordnete Stellung zu rebellieren, überzeugen, dass sie wahres Glück nur in der „natürlichen“ und ursprünglichen Rolle als Ehefrau, Mutter und Haushälterin erlangen können. Trotz der Sparappelle an die Bevölkerung und trotz der düsteren Krisenankündigungen müssen die Kapitalisten mit Bestürzung feststellen: Je weiter die Integration der Frauen in die Lohnarbeit vorangeschritten ist, um so schwieriger ist es, eine ausreichende Zahl von ihnen wieder nach Hause zu schicken.

f) In den frühen Stadien der Industrialisierung geht die zügellose, brutale Ausbeutung der Frauen und der Kinder oft so weit, dass die Familienstruktur in der ArbeiterInnenklasse ernsthaft ausgehöhlt wird und ihre Nützlichkeit als System zur Organisierung, Kontrolle und Reproduktion der Arbeitskraft bedroht ist.

Genau auf diese Tendenz machten Marx und Engels im England des neunzehnten Jahrhunderts aufmerksam. Sie sagten das schnelle Verschwinden der Familie in der ArbeiterInnenklasse voraus. Ihr grundlegendes Verständnis der Rolle der Familie in der kapitalistischen Gesellschaft war korrekt, sie unterschätzten aber die verborgene Fähigkeit des Kapitalismus, das Entwicklungstempo der ihm innewohnenden Widersprüche zu verlangsamen. Sie unterschätzten die Fähigkeit der herrschenden Klasse, in diese Entwicklung einzugreifen, um die Beschäftigung von Frauen und Kindern zu regeln und die Familie zur Rettung des kapitalistischen Systems zu stützen. Unter dem starken Druck der ArbeiterInnenbewegung, die brutale Ausbeutung der Frauen und der Kinder abzuschwächen, schritt der Staat im langfristigen Interesse der Kapitalistenklasse ein, auch wenn dies der Absicht einzelner Kapitalisten zuwiderlief, sechzehn Stunden lang pro Tag jeden Tropfen Blut aus den Arbeitenden herauszupressen und sie mit dreißig sterben zu lassen.

g) Die kapitalistischen Politiker mit ihrer Aufgabe, eine Gesellschaftspolitik zum Schutz und zur Verteidigung der Interessen der herrschenden Klasse zu entwickeln, sind sich der unverzichtbaren wirtschaftlichen Rolle der Familie und der Notwendigkeit, sie als gesellschaftliche Grundeinheit im Kapitalismus zu erhalten, überaus bewusst. „Verteidigung der Familie“ ist nicht nur ein besonderes demagogisches Merkmal der Ultrarechten. Aufrechterhaltung der Familie ist Grundpolitik jedes kapitalistischen Staates, diktiert von den gesellschaftlichen und ökonomischen Bedürfnissen des Kapitalismus selbst.

 

6. Im Kapitalismus stellt das Familiensystem auch den Mechanismus für die extreme Ausbeutung der Frauen als Lohnarbeiterinnen bereit.

a) Es versorgt den Kapitalismus mit einer außerordentlich elastischen Reserve an Arbeitskräften, die mit geringeren gesellschaftlichen Konsequenzen als bei irgendeinem anderen Bestandteil der industriellen Reservearmee in den betrieblichen Arbeitsprozess einbezogen oder wieder nach Hause geschickt werden können.

Da der gesamte ideologische Überbau die Vorstellung stärkt, der Platz der Frauen sei zu Hause, bewirken hohe Arbeitslosigkeitszahlen von Frauen vergleichsweise geringeren gesellschaftlichen Protest. Denn schließlich, so wird gesagt, arbeiteten Frauen ja nur, um eine bereits vorhandene Einkommensquelle der Familie zu ergänzen. Wenn sie arbeitslos sind, dann sind sie mit ihrer Hausarbeit beschäftigt und nicht so augenscheinlich „ohne Arbeit“. Ihr Zorn und ihre Empörung werden als ernsthafte gesellschaftliche Gefahr oft durch die allgemeine Isolierung und Vereinzelung der Frauen in voneinander getrennten Einzelhaushalten zerstreut. So beinhalten in jeder Periode einer wirtschaftlichen Krise die Sparmaßnahmen der herrschenden Klasse immer Angriffe auf das Recht der Frauen, auf einen Erwerbsarbeitsplatz, einschließlich des erhöhten Drucks auf Frauen, Teilzeitstellen anzunehmen, der Kürzungen bei Abfindungen für „Hausfrauen“ sowie Sparmaßnahmen bei sozialen Diensten wie der Kinderbetreuung.

b) Da der natürliche Platz der Frauen angeblich im Haus liegt, verfügt der Kapitalismus über eine weitgehend akzeptierte Begründung zur Aufrechterhaltung

(1) der Beschäftigung von Frauen in schlecht bezahlten, ungelernten Berufen. „Es lohnt sich nicht, sie auszubilden, weil sie doch nur schwanger werden oder heiraten und kündigen.“

(2) ungleicher Lohntarife und niedriger Bezahlung. „Sie arbeiten ja nur, um Luxusartikel und ähnliches Zeugs zusätzlich kaufen zu können.“

(3) einer tiefen Spaltung in der ArbeiterInnenklasse selbst. „Sie nimmt einem Mann den Arbeitsplatz weg.“

(4) der Tatsache, dass die Lohnarbeiterinnen nicht proportional in den Gewerkschaften und den anderen

 

Organisationen der ArbeiterInnenklasse vertreten sind. „Sie sollte sich nicht auf Versammlungen rumtreiben. Sie sollte lieber zu Hause auf die Kinder aufpassen.“

c) Da sich das gesamte Lohngefüge von unten nach oben aufbaut, spielt diese zusätzliche Ausbeutung der Frauen als industrielle Reservearmee eine unersetzliche Rolle dabei, die Löhne auch der Männer niedrig zu halten.

d) Die Unterjochung der Frauen im Familiensystem schafft die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ideologischen Grundlagen, die ihre extremen Ausbeutung ermöglichen; Arbeiterinnen werden nicht nur als lohnabhängige Arbeitskräfte ausgebeutet, sondern auch als minderwertiges Arbeitsreservoir, dem sie aufgrund ihres Geschlechtes zugeordnet werden.

7. Da die Unterdrückung der Frauen geschichtlich mit der Aufspaltung der Gesellschaft in Klassen und mit der Rolle der Familie als Grundeinheit der Klassengesellschaft verflochten ist, kann diese Unterdrückung nur beseitigt werden mit der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Übertragung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Funktionen, die im Kapitalismus von der Einzelfamilie getragen werden, auf die Gesellschaft als Ganzes. Heute sind es diese Klassenbeziehungen im Produktionsprozess – und nicht etwa zu geringe produktive Fähigkeiten der Menschheit – die das Hindernis dafür bilden, wirtschaftliche und gesellschaftliche Funktionen, die im Kapitalismus der individuellen Familie überlassen sind, auf die Gesellschaft als Ganzes zu übertragen.

8. Die materialistische Analyse des geschichtlichen Ursprungs und der wirtschaftlichen Wurzeln der Unterdrückung der Frauen ist wesentlich für die Entwicklung eines Programms und einer Perspektive, die es erlauben, die Frauenbefreiung tatsächlich zu verwirklichen. Diese wissenschaftliche Erklärung zu verwerf
en, führt unvermeidlich zu einem der folgenden beiden Fehler:

a) Ein Fehler, der von vielen gemacht wird, die für sich beanspruchen, die marxistische Methode anzuwenden, besteht darin, die Unterdrückung der Frauen als Geschlecht in der gesamten Geschichte der Klassengesellschaft zu leugnen oder doch zumindest herunterzuspielen. Sie sehen die Unterdrückung der Frauen einfach und allein als einen Aspekt der Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse. Dieser Ansicht nach kommt den Kämpfen der Frauen nur in ihrer Eigenschaft als Arbeiterinnen am Arbeitsplatz Gewicht und Bedeutung zu. Die Frauen würden ganz beiläufig durch die sozialistische Revolution befreit werden, so dass für sie keine besondere Notwendigkeit bestünde, sich als Frauen im Kampf für ihre eigenen Forderungen zu organisieren.

Indem sie das Bedürfnis der Frauen, sich gegen ihre Unterdrückung zu organisieren, ablehnen, verstärken sie nur die Spaltungen in der ArbeiterInnenklasse und behindern die Entwicklung von Klassenbewusstsein unter den Frauen, die sich gegen ihren benachteiligten Status auflehnen.

b) Ein ähnlicher Fehler, nur mit umgekehrten Vorzeichen, wird von denen gemacht, die argumentieren, eine Herrschaft der Männer über die Frauen habe bereits vor der Entstehung der Klassengesellschaft bestanden. Dies habe sich in einer Arbeitsteilung nach Geschlechtern ausgedrückt. Somit müsse die patriarchalische Unterdrückung aus anderen Ursachen als der Entwicklung des Privateigentums und der Klassengesellschaft erklärt werden. Sie sehen das Patriarchat als eine Ansammlung von Unterdrückungsverhältnissen, die zwar parallel zu den Klassenbeziehungen verlaufen, jedoch von ihnen unabhängig sind.

Diejenigen, die diese Analyse systematisch entwickelt haben, isolieren gewöhnlich die Rolle der Frauen in der Reproduktion und konzentrieren sich allein darauf. Sie ignorieren weitgehend die vorrangige Bedeutung der kooperativen Arbeit, des wesentlichen Merkmals der menschlichen Gesellschaft, und messen der Stellung der Frauen im Produktionsprozess der jeweiligen Geschichtsepoche nur geringe Bedeutung zu. Einige gehen sogar so weit, die Theorie einer zeitlosen patriarchalischen Reproduktionsweise mit einer Kontrolle der Männer über die Reproduktionsmittel (die Frauen) zu konstruieren. Sie bringen oft psychoanalytische Erklärungen vor, die leicht in einen ahistorischen Idealismus verfallen und dabei die Unterdrückung auf biologische und/oder psychologische Triebkräfte zurückführen, die aus dem materialistischen System gesellschaftlicher Beziehungen herausgerissen wurden.

Zu dieser Strömung, die bisweilen als „radikale Feministinnen“ organisiert ist, gehören sowohl bewusste Anti-Marxistinnen als auch andere, die von sich glauben, eine „feministische Neubestimmung des Marxismus“ vorzunehmen. Aber die Ansicht, dass die Unterdrückung der Frauen nur parallel zum Auftauchen und zur Entwicklung der Klassenausbeutung verlief, nicht jedoch darin wurzelt, führt die am folgerichtigsten Denkenden und Handelnden dazu, die Notwendigkeit einer politischen Frauenpartei auf der Grundlage eines Programms zu proklamieren, das Unabhängigkeit vom Klassenkampf vorgibt. Sie verwerfen die Notwendigkeit, dass sich Frauen und Männer gemeinsam organisieren auf der Grundlage eines revolutionären Programms der ArbeiterInnenklasse zur Beseitigung sowohl der Klassenausbeutung als auch der sexuellen Unterdrückung. Sie sehen kaum die Notwendigkeit, im Kampf Bündnisse mit anderen Unterdrückten und Ausgebeuteten einzugehen.

Diese einseitigen Betrachtungsweisen verneinen beide die revolutionäre Dynamik des Kampfes für die Frauenbefreiung als einer Form des Klassenkampfes. Beide erkennen nicht, dass der Kampf für die Frauenbefreiung über die Schranken der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse hinausgehen muss, wenn er erfolgreich sein soll. Beide verneinen die Bedeutung, die diese Tatsache für die ArbeiterInnenklasse und ihre revolutionär-marxistische Führung hat.

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Wurzeln der neuen Frauenradikalisierung

1. Die heutige Frauenbefreiungsbewegung ruht auf den Schultern der früheren Frauenkämpfe um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Mit der Festigung des Industriekapitalismus im neunzehnten Jahrhundert wurden zunehmend Frauen in den Arbeitsmarkt einbezogen. Die Kluft zwischen dem vom Feudalismus ererbten gesellschaftlichen und rechtlichen Status der Frauen und ihrem neuen wirtschaftlichen Status als Lohnarbeiterinnen, die ihre Arbeitskraft auf dem Markt verkaufen, schuf krasse Widersprüche. Auch für die Frauen der herrschenden Klasse öffnete der Kapitalismus die Tür zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Aus diesen Widersprüchen entsprang die erste Weile von Frauenkämpfen, die darauf ausgerichtet war, eine völlige rechtliche Gleichstellung mit den Männern zu erlangen.

In dieser Bewegung waren unterschiedliche politische Strömungen vertreten. Unter den Führerinnen des Kampfes um das Frauenwahlrecht glaubten viele, dieses Recht werde dadurch gewonnen, dass sie sich der herrschenden Klasse als loyale Verteidigerinnen des kapitalistischen Systems zeigten. Einige verknüpften den Kampf um das Frauenwahlrecht mit einer Unterstützung für den Imperialismus im Ersten Weltkrieg und widersetzten sich oft dem Wahlrecht für eigentumslose Männer und Frauen, Einwanderer und Farbige.

Aber es gab in einer ganzen Zahl von Ländern auch eine starke Strömung von Sozialistinnen, die den Kampf für die Rechte der Frauen als Teil des Kampfes der ArbeiterInnenklasse sahen und auf dieser Grundlage Unterstützung von Arbeiterinnen und Arbeitern mobilisierten. Sie kämpften für das Wahlrecht und spielten dabei in Ländern wie den Vereinigten Staaten eine entscheidende Rolle. Sie formulierten und kämpften auch für andere Forderungen wie gleichen Lohn und Möglichkeiten der Empfängnisverhütung.

Sogar in einigen der halbkolonialen Länder wie Chile, Argentinien und Mexiko entstanden in dieser Zeit feministische Gruppen.

Durch den Kampf erlagten die Frauen der entwickeltsten kapitalistischen Länder in unterschiedlichem Maße mehrere bedeutsame demokratische Rechte: das Recht auf höhere Bildung, das Recht, Gewerbe und freie Berufe auszuüben, das Recht, ihre Löhne selbst in Empfang zu nehmen und darüber zu verfügen (was als Recht des Ehemannes oder des Vaters angesehen worden war), das Recht auf eigenen Besitz, das Recht auf Scheidung, das Recht, in politischen Organisationen mitzuwirken. In einigen Ländern gipfelte dieser erste Aufschwung in Massenkämpfen für das Wahlrecht.

2. Das Frauenwahlrecht, das nach und manchmal gleichzeitig mit dem allgemeinen Wahlrecht für Männer eingeführt wurde, stellte eine bedeutende objektive Errungenschaft für die ArbeiterInnenklasse dar. Es spiegelte die Veränderung des sozialen Status der Frauen wider und trug dazu bei, diese Ver
änderung voranzutreiben. Zum ersten Mal in der Klassengesellschaft wurden die Frauen rechtlich als Bürgerinnen betrachtet, die fähig sind, bei öffentlichen Angelegenheiten mitzuwirken, mit einem Mitspracherecht bei wichtigen politischen Fragen und nicht nur in privaten Haushaltsangelegenheiten.

Zwar liegt die grundlegende Ursache für die untergeordnete Stellung der Frauen gerade in den Grundlagen der Kassengesellschaft selbst und der besonderen Rolle der Frauen in der Familie und nicht in der formalen Verweigerung der Gleichberechtigung vor dem Gesetz. Doch verschaffte die Ausweitung demokratischer Rechte für die Frauen diesen einen größeren Handlungsspielraum und half späteren Generationen zu erkennen, dass die Wurzeln der Unterdrückung der Frauen tiefer liegen.

3. Die Wurzeln der neuen Frauenradikalisierung sind in den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen der Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zu finden, welche die Widersprüche in der kapitalistischen Wirtschaft, in der Stellung der Frauen in der Gesellschaft und im patriarchalischen Familiensystem vertieft haben. In unterschiedlichem Maße waren die gleichen Faktoren in allen Ländern, die innerhalb des kapitalistischen Weltmarktes verblieben, wirksam. Es ist aber nicht verwunderlich, dass das heutige Wiederaufleben der Frauenbewegung zuerst in den fortgeschrittensten kapitalistischen Ländern stattfand – wie den Vereinigten Staaten, Kanada und Großbritannien –, wo sich diese Veränderungen und Widersprüche am weitesten entwickelt hatten.

a) Fortschritte in der medizinischen Forschung und Technologie auf dem Gebiet der Geburtenkontrolle und der Abtreibung haben die Mittel geschaffen, mit denen die Masse der Frauen eine größere Kontrolle über ihre Fortpflanzungsfunktionen ausüben kann. Die Kontrolle der Frauen über ihren eigenen Körper ist eine Voraussetzung für die Frauenbefreiung.

Während solche medizinischen Methoden in wachsendem Maße zur Verfügung stehen, hindern reaktionäre Gesetze, verstärkt durch bürgerliche Sitten, religiöse Bigotterie und den ganzen ideologischen Überbau der Klassengesellschaft, die Frauen oft daran, die Kontrolle über ihre eigenen Fortpflanzungsfunktionen auszuüben. Finanzielle, rechtliche, psychologische und „moralische“ Schranken werden künstlich errichtet, um zu versuchen, die Frauen von der Forderung abzuhalten, selbst darüber entscheiden zu können, ob und wann sie Kinder gebären wollen. Zudem bedeuten die Beschränkungen, die der Forschung aufgrund kapitalistischer Profiterwägungen und sexistischer Missachtung des Lebens der Frauen auferlegt werden, fortgesetzte gesundheitliche Risiken für die Frauen, wenn sie die günstigsten Methoden der Geburtenkontrolle nutzen wollen.

Dieser Widerspruch zwischen dem, was möglich ist, und dem, was tatsächlich existiert, berührt das Leben aller Frauen. Er hat zu den machtvollen Kämpfen für die Freigabe der Abtreibung geführt, die im Mittelpunkt der Frauenbewegung auf internationaler Ebene standen und stehen.

b) Die anhaltenden Bedingungen des Booms in der wirtschaftlichen Expansion der Nachkriegsjahre erhöhten in bedeutendem Umfang den prozentualen Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Beschäftigten.

So waren z.B. in den Vereinigten Staaten im Jahre 1950 33,9% aller Frauen zwischen 18 und 64 Jahren berufstätig. Bis 1975 war dieser Anteil auf 54% angewachsen. Zwischen 1960 und 1975 wurden nahezu zwei Drittel aller neu geschaffenen Arbeitsplätze von Frauen besetzt. 1950 waren 29,1% aller Beschäftigten Frauen, 1978 waren es bereits 43%.

Von gleicher Bedeutung ist die Tatsache, dass der Anteil berufstätiger Frauen mit Kindern dramatisch zunahm, ebenso der Anteil von Frauen, die einem Haushalt vorstehen. In Spanien sind heute dreimal so viele Frauen berufstätig wie noch 1930.

In Großbritannien war der Anteil erwerbstätiger Frauen zwischen 1881 und 1951 ziemlich stabil und lag etwa zwischen 25% und 27%. Im Jahre 1965 waren bereits 34% aller Frauen zwischen 16 und 64 Jahren vollzeitbeschäftigt, 17,9% gingen einer Teilzeitbeschäftigung nach und insgesamt 54,3% entfielen auf die Kategorie „wirtschaftlich tätig“. Fast zwei Drittel der erwerbstätigen Frauen waren verheiratet.

Nur in einigen Ländern, die noch nach dem Zweiten Weltkrieg einen hohen Anteil landwirtschaftlich Beschäftigter hatten, war in der Nachkriegszeit ein Rückgang der weiblichen Erwerbstätigkeit zu beobachten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass viele Frauen im Zuge der Abwanderung in die Städte nicht mehr wieder in die so genannte aktive Bevölkerung einbezogen wurden. Zum Beispiel ist in Italien, wo dieser Faktor mit der Entwicklung einer Massenarbeitslosigkeit in Kleinbetrieben im „typisch weiblichen“ Bereich zusammenwirkte, der prozentuale Anteil der Frauen an der Zahl der Erwerbstätigen gesunken.

In extremen Krisengebieten wie Süditalien und Nordportugal ist diese Rückentwicklung sogar mit einem Wiederaufleben der Heimarbeit in beträchtlichem Ausmaß einhergegangen. Die Frauen werden veranlasst, an ihren Nähmaschinen zu Hause Akkordarbeit zu leisten, womit sie den Bossen die Kosten der Instandhaltung der Fabrik, des Krankengelds und der Sozialversicherung, Streiks und andere „Probleme“, die eine organisierte Arbeiterschaft verursacht, ersparen.

Während dieses Zustroms von Frauen auf den Arbeitsmarkt zeigte sich kein wesentlicher Wandel bei der Lohndiskriminierung gegenüber Frauen. In vielen Ländern hat sich dieses Lohngefälle zwischen den Geschlechtern sogar noch verstärkt.

Dies liegt vor allem daran, dass die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen nicht gleichmäßig über alle Berufskategorien verteilt ist. In nahezu allen Ländern stellen die Frauen 70 bis 90 Prozent der Beschäftigten in der Textil-, der Schuh-, der Konfektionsbekleidungs-, der Tabakindustrie und in anderen Leichtindustrien, d. h. in Bereichen mit den niedrigsten Löhnen. Auch 70 und mehr Prozent der Beschäftigten im Dienstleistungsbereich sind Frauen, wobei die Mehrheit der Frauen die am wenigsten einträglichen Positionen innehat: als Sekretärinnen, Büroangestellte, Lehrerinnen in der Grundschule, Locherinnen.

Die Diskriminierung in den verschiedenen Berufsbereichen – in vielen Fällen durch ungleichen Lohn für gleiche Arbeit noch verschärft – ist der entscheidende Grund dafür, weshalb auch in den Ländern, in denen die ArbeiterInnenbewegung in dieser Frage am härtesten gekämpft hat, der Durchschnittslohn für Frauen kaum über 75 Prozent des Durchschnittslohns der Männer hinaus kommt. Dies erklärt auch, warum sich der Lohnunterschied sogar noch vergrößert, indem eben ein massiver Zustrom von Frauen in die am schlechtesten zahlenden Wirtschaftsbereiche stattfindet. Dies ist in den Vereinigten Staaten der Fall, wo das mittlere Einkommen ganztägig und ganzjährig b
eschäftigter Arbeiterinnen im Jahre 1955 64 Prozent desjenigen der Männer betrug, im Jahre 1975 aber sogar auf 57 Prozent gefallen ist.

Trotz ihrer wachsenden Erwerbstätigkeit sind die Frauen immer noch gezwungen, zusätzlich zu ihrer Lohnarbeit die meisten, wenn nicht alle häuslichen Verpflichtungen auf sich zu nehmen. In der Folge geben sie ihre berufliche Stellung oft zeitweise auf, wenn sie Kinder haben, und haben dann später Schwierigkeiten, eine neue Anstellung zu finden. Wenn sie weiterarbeiten, sind sie gezwungen, zu Hause zu bleiben, wenn ein Kind krank ist.

Dies hat zu einer bedeutenden Zunahme der Zahl teilzeitbeschäftigter Frauen geführt – zuweilen weil sie keine Ganztagsbeschäftigung finden können, häufiger aber, weil sie sonst ihre Hausarbeit nicht bewältigen können. Teilzeitarbeit bringt aber ausnahmslos niedrigere Löhne, geringere Arbeitsplatzsicherheit, niedrigere Sozialleistungen und eine geringere Wahrscheinlichkeit gewerkschaftlicher Organisierung mit sich.

Das wachsende Gewicht von Frauen in den Belegschaften hat sich stark auf die männlichen Kollegen ausgewirkt. Dies trifft vor allem dann zu, wenn Frauen angefangen haben, sich ihren Weg in Jobs der Grundindustrien zu erkämpfen, von denen sie früher ausgeschlossen waren.

Zu alledem kommen noch die anderen Formen der Diskriminierung und sexistischer Misshandlungen hinzu, denen die berufstätigen Frauen ausgesetzt sind und die vom Kapital organisiert, aufrechterhalten und gefördert werden. Ihre männlichen Kollegen sind sich dessen oft nicht bewusst und äußern manchmal dieselben rückständigen Einstellungen. Und die Gewerkschaftsbürokratie blockiert den Einsatz gewerkschaftlicher Mittel zur Überwindung der spezifischen Hindernisse, mit denen es Frauen zu tun haben, wie etwa höhere Beiträge zur Renten- oder Arbeitslosenversicherung, nur erbärmlicher Schwangerschaftsurlaub oder überhaupt keiner, Arbeitsbedingungen, die für schwangere Frauen doppelt gefährlich sind, sexuelle Repression seitens der Vorarbeiter oder des Aufsichtspersonals, die ihre Kontrolle über die Jobs dazu nutzen wollen, Frauen zu sexuellen Beziehungen zu drängen.

c) Die Anhebung des durchschnittlichen Bildungsniveaus der Frauen hat diese Widersprüche weiter verschärft. Mit der Zunahme der Arbeitsproduktivität und dem Anstieg des allgemeinen Bildungsniveaus der ArbeiterInnenklasse absolvieren mehr Frauen die höhere Schulbildung. Frauen werden auch in qualitativ größerem Umfang als je zuvor zu höheren Bildungseinrichtungen zugelassen.

Allerdings hat, wie die Beschäftigungsstatistiken zeigen, der Prozentsatz der Frauen, die einen ihrem Bildungsniveau entsprechenden Beruf ausüben, nicht damit Schritt halten können. In allen Bereichen des Arbeitsmarktes, von der Industrie bis zu den freien Berufen, werden Frauen mit höherer Qualifikation gewöhnlich zugunsten von Männern mit niedrigerer Qualifikation übergangen. Zudem werden Mädchen in ihrer ganzen Schulzeit weiterhin in bestimmten Pflichtfächern oder durch indirekten Druck in als spezifisch weiblich betrachtete Berufe und Rollen gedrängt.

In dem Maße, wie die Frauen besser gebildet sind und gesellschaftliche Kämpfe ihre individuellen Erwartungen erhöhen, werden die erdrückende und geisttötende Plackerei der Hausarbeit und die Beengtheit des Familienlebens für sie immer unerträglicher. So hat das gestiegene Bildungsniveau der Frauen zusammen mit einer Intensivierung des Klassenkampfes den Widerspruch zwischen den erwiesenen Fähigkeiten und den breiteren Erwartungen der Frauen einerseits und ihrer tatsächlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellung andererseits verschärft.

d) Die Funktionen der einzelnen Familie in der entwickelten kapitalistischen Gesellschaft verringern sich fortlaufend. Sie stellt immer weniger eine Einheit der Kleinproduktion dar – sowohl landwirtschaftlich als auch hauswirtschaftlich (einmachen, weben, nähen, backen usw.) gesehen. Die heutige städtische Kleinfamilie ist weit entfernt von der produktiven Bauernfamilie vergangener Jahrhunderte. Gleichzeitig ist die auf die Verbraucher ausgerichtete Industrie und die Werbung in ihrem Profitstreben bemüht, die Atomisierung und Duplizierung der Hausarbeit auf die Spitze zu treiben, um jedem einzelnen Haushalt eigene Waschmaschinen, Wäschetrockner, Geschirrspülmaschinen, Staubsauger usw. zu verkaufen.

Mit dem Ansteigen des Lebensstandards sinkt die durchschnittliche Kinderzahl pro Familie drastisch. Industriell zubereitete Nahrungsmittel und andere Erleichterungen stehen in wachsendem Maße zur Verfügung. Dennoch haben Untersuchungen in einer Reihe imperialistischer Länder gezeigt, dass trotz der technologischen Fortschritte Frauen mit mehr als einem Kind und mit einer Ganztagsstellung auf 80 bis 100 Arbeitsstunden pro Woche kommen – mehr als in ähnlichen Untersuchungen der Jahre 1926 und 1952 ermittelt wurde. Während verschiedene Geräte bestimmte Hausarbeiten erleichtert haben, hat die abnehmende Größe der durchschnittlichen Familieneinheit dazu geführt, dass die Frauen sich in geringerem Maße an Großeltern, Tanten oder Geschwister wenden können, damit diese ihnen einen Teil der Arbeit abnehmen.

Nach all diesen Veränderungen erweist sich die objektive Grundlage, die Frauen an Heim und Herd zu fesseln, als immer weniger zwingend. Doch die Bedürfnisse der herrschenden Klasse diktieren eine Aufrechterhaltung des Familiensystems. Bürgerliche Ideologie und gesellschaftliche Formierung bestärken weiterhin den reaktionären Mythos, die Wesensart und Erfüllung einer Frau müsse aus ihrer Rolle als Ehefrau-Mutter-Hausfrau erwachsen. Der Widerspruch zwischen Wirklichkeit und Mythos wird einer wachsenden Zahl von Frauen zunehmend augenfällig und unerträglich.

Häufig wird diese Sachlage als „die Krise der Familie“ beschrieben, was sich widerspiegelt in den in die Höhe schnellenden Scheidungsraten, einer wachsenden Zahl von Kindern, die von zu Hause fortlaufen, und einer zunehmenden Gewalttätigkeit in der Familie.

 

4. Größere demokratische Rechte und breitere gesellschaftliche Möglichkeiten haben die Frauen nicht „zufrieden gestellt“ oder sie dazu bewogen, ihre untergeordnete gesellschaftliche Stellung und ihre wirtschaftliche Abhängigkeit passiv hinzunehmen. Im Gegenteil – sie sind dadurch zu neuen Kämpfen und weiterreichenden Forderungen angespornt worden.

Es waren im allgemeinen die jungen, akademisch gebildeten Frauen, diejenigen, die über eine vergleichsweise größere Entscheidungsfreiheit verfügten, und diejenigen, die am meisten von der Jugendradikalisierung der 60er Jahre berührt worden waren, die als erste den Verdruss der Frauen in organisierter und offener Weise zum Ausdruck brachten. Dies hat einige, die sich als Marxistinnen betrachten, zu dem Schluss geführt,
die Frauenbefreiungsbewegung sei im Grunde eine Protestbewegung des Kleinbürgertums oder der Bourgeoisie und sei für Revolutionäre oder die Masse der Frauen der ArbeiterInnenklasse nicht von ernsthaftem Interesse. Einen größeren Fehler konnten sie nicht machen.

Die anfängliche Entwicklung der Frauenbefreiungsbewegung half nur, die Tiefe und die Breite der Unterdrückung der Frauen zu unterstreichen. Selbst diejenigen, die dank ihrer Ausbildung und in vielerlei anderer Hinsicht im Vorteil sind, wurden und werden zu Aktionen getrieben. Die am meisten Unterdrückten und Ausgebeuteten sind nicht notwendigerweise die ersten, die ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen.

5. Die Kürzung der Sozialausgaben in den meisten entwickelten kapitalistischen Ländern in den letzten Jahren hat zum Wachstum der Frauenbewegung beigetragen und die Einbeziehung von Frauen aus der ArbeiterInnenklasse verstärkt. Im Zusammenhang mit den Forderungen der ArbeiterInnenklasse nach höheren Sozialleistungen durch den Staat war die Bourgeoisie nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere in Europa gezwungen, Programme zum Wohnungsbau, zum Gesundheitsdienst und zur Familienunterstützung auszuweiten. Als später der Boom der 50er und 60er Jahre eine wachsende Nachfrage nach weiblicher Arbeitskraft verursachte, wurde das Angebot an Kinderkrippen und -gärten und Wäschereien erhöht, um die Frauen zur Arbeitsplatzsuche anzuregen.

Heute ist die herrschende Klasse angesichts sich vertiefender wirtschaftlicher Probleme dabei, die Sozialausgaben zusammenzustreichen und zu versuchen, diese Last wieder den einzelnen Familien aufzubürden – mit all den Konsequenzen, die das für die Frauen mit sich bringt. Aber der Widerstand dagegen, aus den gerade erst eingenommenen Arbeitsplätzen wieder vertrieben zu werden, und die breite Opposition der Frauen gegen Kürzungen von Sozialleistungen, wie etwa die Schließung von Kinderkrippen und -gärten, haben in vielen Ländern unerwartet heikle Probleme für die Herrschenden geschaffen. Erfüllt von einem wachsenden feministischen Bewusstsein, haben sich die Frauen kämpferischer und weniger als je zuvor gewillt gezeigt, in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise eine unverhältnismäßig große Last auf sich zu nehmen.

6. Hat die Frauenradikalisierung ihre eigene Dynamik, die durch den besonderen Charakter der Unterdrückung der Frauen und die bereits beschriebenen objektiven Veränderungen bestimmt wird, so ist sie doch nicht vom gegenwärtig stattfindenden allgemeineren Aufschwung des Klassenkampfes isoliert. Sie ist nicht unmittelbar von anderen gesellschaftlichen Kräften abhängig, deren Führung unterworfen oder deren Initiative verpflichtet. Gleichzeitig ist und bleibt die Frauenbewegung jedoch wechselseitig tief mit dem Aufschwung anderer gesellschaftlicher Kämpfe verbunden, die sich in ähnlicher Weise auf das Bewusstsein der gesamten ArbeiterInnenklasse ausgewirkt haben.

a) Von Anfang an wurde der neue Aufschwung der Frauenkämpfe stark von der internationalen Jugendradikalisierung und der zunehmenden Infragestellung bürgerlicher Werte und Institutionen, die sie begleitete, berührt. Junge Menschen beider Geschlechter begannen die Religion anzuzweifeln, den Patriotismus zu verwerfen, gegen Unterdrückung zu rebellieren, autoritäre Hierarchien in Frage zu stellen – in Familie, Schule, Fabrik, Armee – sich gegen den Zwang zu wenden, das ganze Leben lang entfremdete Arbeit leisten zu müssen. Radikalisierte Jugendliche begannen, gegen die sexuelle Unterdrückung zu rebellieren und die traditionelle Moral mit ihrer Gleichsetzung von Sex und Fortpflanzung in Frage zu stellen. Für die Frauen schloss dies ein, die altehrwürdige Erziehung von Mädchen zu sexuell passiven, sentimentalen und ängstlichen Geschöpfen anzugreifen. Massen von Jugendlichen, einschließlich junge Frauen, sind sich ihrer sexuellen Not bewusster geworden und haben erfüllendere Formen persönlicher Beziehungen gesucht.

b) Einer der Faktoren, der zu der internationalen Jugendradikalisierung beitrug, war die Rolle, die die Befreiungskämpfe unterdrückter Nationen und Nationalitäten sowohl in der kolonialen Welt als auch in den entwickelten kapitalistischen Ländern gespielt haben. Überdies haben diese Kämpfe einen machtvollen Einfluss auf das Bewusstsein von der Unterdrückung der Frauen im Allgemeinen ausgeübt. Zum Beispiel hat der Kampf der Afroamerikaner in den Vereinigten Staaten eine entscheidende Rolle bei einer verbreiteten Bewusstwerdung und Ablehnung rassistischer Klischees gespielt. Die offenkundige Ähnlichkeit zwischen rassistischen Haltungen und sexistischen Klischees von den Frauen als minderwertigen, gefühlsbetonten, unselbständigen, dummen, aber glücklichen Geschöpfen haben die Empfindsamkeit und die Ablehnung gegenüber solchen Karikaturen zunehmen lassen.

In der sich entwickelnden feministischen Bewegung in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern haben die Frauen aus den unterdrückten Nationalitäten eine zunehmend bedeutendere Rolle zu spielen begonnen. Als Angehörige unterdrückter Nationalitäten, als Frauen und häufig auch als überausgebeutete Arbeiterinnen, erleiden diese Frauen eine doppelte und oft sogar dreifache Unterdrückung. Ihrer objektiven Stellung in der Gesellschaft nach vermögen sie eine strategisch bedeutsame Rolle in der ArbeiterInnenklasse und unter ihren Verbündeten zu spielen.

Im Allgemeinen aber hinkt das Bewusstwerden der Frauen unterdrückter Nationalitäten über ihre besondere Unterdrückung als Frauen hinterher. Dafür gibt es mehrere Gründe: Für viele dieser Frauen überschattet die Tiefe ihrer nationalen Unterdrückung anfänglich ihre Unterdrückung als Frauen. Viele radikale nationalistische Bewegungen haben sich geweigert, Forderungen der Frauen aufzugreifen, und sie als spalterisch im Kampf um die nationale Befreiung bezeichnet. Die organisierte Frauenbewegung ist oft ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen, sich der Nöte der am meisten unterdrückten und ausgebeuteten Schichten der Frauen anzunehmen und die besonderen Schwierigkeiten, denen sich diese Frauen konfrontiert sehen, zu verstehen. Hinzu kommt, dass die Bindung an die Familie bei den Frauen aus unterdrückten Nationalitäten oft besonders stark ist, da sie zuweilen in der Lage zu sein scheint, eine teilweise Abschwächung gegenüber dem verheerenden Druck des Rassismus und der kulturellen Unterdrückung zu bewirken.

Nichtsdestoweniger zeigt die Erfahrung, dass die Radikalisierung, einmal begonnen, einen explosiven Charakter annimmt und die Frauen aus unterdrückten Nationalitäten in die Führung zahlreicher gesellschaftlicher und politischer Kämpfe hineintreibt, wozu auch Kämpfe am Arbeitsplatz, an der Hochschule und in den Stadtteilen gehören, ebenso in die Führung feministischer Bewegungen. Sie erkennen rasch, dass sie der Kampf gegen ihre Unterdrückung nicht schwächt, sondern stärkt.

c) Beigetragen zum Aufschwung der Frauenbewegung hat auch die Krise der traditionellen Religionen, insbesondere der katholischen Kirche. Die schwächer werd
ende Bindung an die Kirche (begleitet von einer Zunahme des Okkultismus und Mystizismus) verweist in zugespitzter Form auf die Tiefe der ideologischen Krise der bürgerlichen Gesellschaft. Jede organisierte Religion, Bestandteil des Überbaus der Klassengesellschaft, gründet auf der Vorstellung und verstärkt sie, Frauen seien minderwertig, wenn nicht gar die reine Verkörperung des Bösen und Tierischen im Menschen. Christentum und Judentum, von denen die Kulturen der entwickelten kapitalistischen Länder geprägt sind, haben immer die ungleiche Stellung der Frauen betont und ihnen das Recht auf eine von ihrer Fortpflanzungsfunktion getrennte Sexualität abgesprochen.

In Ländern, in denen die katholische Kirche einen besonders starken Einfluss ausübt, stehen oft gerade die sich radikalisierenden Frauen an der Spitze derer, die die Macht und den ideologischen Einfluss der Kirche in Frage stellen, wie z. B. in den Demonstrationen von Zehntausenden in Italien für das Recht auf Abtreibung oder in den Demonstrationen des Jahres 1976 in Spanien gegen die dortigen Gesetze gegen Ehebruch.

Auch in Israel hat der Kampf für das Abtreibungsrecht die Stabilität der Begin-Regierung erschüttert.

In vielen unterdrückten Nationen wie Québec, Irland und Euzkadi (dem Baskenland) und in der Chicano-Bevölkerung (Amerikaner mexikanischer Herkunft) hat sich die repressive Ideologie der katholischen Kirche auf besonders bedrückende Weise mit dem Mythos der „Weib-Mutter“ verbunden, dem Mittelpunkt der Familie, als dem einzigen Pol gesellschaftlicher, emotionaler und politischer Stabilität, der einzigen Zuflucht vor den verheerenden Wirkungen der nationalen Unterdrückung. In Québec kam dieses Amalgam lange Jahre im Konzept der „Rache aus der Wiege“ zum Ausdruck, womit den Québequerinnen nahe gelegt wurde, viele Kinder zu gebären, um so die Nation vor der Assimilierung zu retten.

d) Die lesbisch-feministische Bewegung entwickelte sich als mit der Frauenbewegung in Verbindung stehender, aber doch gesonderter Aspekt der Radikalisierung der Frauen. Sie ist ein Bestandteil der Bewegung für die Rechte der Homosexuellen. Die lesbischen Frauen erleiden aber auch eine zusätzliche Unterdrückung als homosexuelle Frauen. Viele haben sich zunächst als Frauen radikalisiert und merkten dann, dass die Diskriminierung, unter der sie wegen ihrer sexuellen Orientierung litten, nur ein Element der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einschränkungen ist, mit denen sie es zu tun haben, wenn sie ihr eigenes Leben bestimmen wollen. So waren lesbische Frauen von Anfang an an vorderster Front der feministischen Bewegung. Sie waren in allen politischen Strömungen der Frauenbefreiungsbewegung zu finden, von den separatistischen Lesben bis zu revolutionären Marxistinnen, und sie haben der gesamten Bewegung geholfen, sich darüber klarer zu werden, in welcher spezifischen Weise lesbische Frauen unterdrückt werden.

Da die lesbische Bewegung nachdrücklich das Recht der Frauen verteidigt, unabhängig von Männern zu leben, sind diese Frauen oft eine besondere Zielscheibe reaktionärer Angriffe. Von Hetzpropaganda bis hin zu physischen Gewalttätigkeiten richten sich diese Angriffe auf die lesbischen Frauen und die lesbische Bewegung in aller Regel gegen die Frauenbewegung in ihrer Gesamtheit. Alle Versuche, die Frauenbewegung durch Hetze gegen lesbische Frauen zu spalten, müssen klar und kompromisslos zurückgewiesen werden, wenn der Kampf für die Befreiung der Frauen vorwärts kommen soll.

e) In vielen entwickelten kapitalistischen Ländern spielen auch die ausländischen Arbeiterinnen eine besondere Rolle. Sie erfahren nicht nur als Arbeiterinnen eine zusätzliche Ausbeutung. Sie sind auch die Opfer besonderer diskriminierender Gesetze. Als Frauen besitzen sie oft nicht das Recht, ihre Ehemänner in ein bestimmtes Land zu begleiten, es sei denn, sie hätten vor ihrer Einreise einen Arbeitsplatz für sich selbst besorgen können. Wenn sie Arbeit finden, müssen sie sie häufig wieder aufgeben, um ihren Ehemännern an einen anderen Ort zu folgen. In vielen entwickelten kapitalistischen Ländern haben Maßnahmen der Regierungen zur Senkung der Zahl der ausländischen Arbeiter den diskriminierenden Charakter dieser Gesetze noch verschärft.

In einem Land wie der Schweiz, wo die ausländischen ArbeiterInnen fast 30 Prozent der Beschäftigten in der Industrie ausmachen, und in anderen europäischen Ländern, wo ausländische Arbeiterinnen in einigen Bereichen wie etwa in den Krankenhäusern in der Mehrheit sind, spielten und spielen die ausländischen Arbeiterinnen eine entscheidende Rolle bei der Hebung des politischen Bewusstseins der Frauenbewegung. Sie halfen, Kämpfe in Industriezweigen zu führen, in denen vorwiegend Frauen beschäftigt sind. Noch wichtiger ist ihr Beitrag dazu, in der Frauenbewegung eine Diskussion über die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik der herrschenden Klasse in Gang zu bringen. Diskriminierende Einwanderungsgesetze; Fremdenfeindlichkeit und Rassismus; die daraus sich ergebenden Spaltungen der ArbeiterInnenklasse; die besondere Betroffenheit ausländischer Arbeiterinnen von diesen Spaltungen; die unabdingbare Notwendigkeit, dass Gewerkschaften und Frauenbewegung für die Interessen der am meisten ausgebeuteten Schichten kämpfen; die Probleme, denen sich Frauen konfrontiert sehen, die sowohl zu Hause als auch durch die feindliche Umgebung, in der sie leben, isoliert werden – all dies sind Fragen, vor denen die Frauenbewegung steht und die ihr helfen, einige der wichtigsten Aspekte einer klassenkämpferischen Perspektive zu entwickeln.

 

7. Das Ende des Nachkriegsbooms und die sich vertiefenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Probleme des Imperialismus im Weltmaßstab, die in der internationalen Rezession der Jahre 1974 und 1975 einen Höhepunkt fanden, führten zu einer Verschärfung der Angriffe auf die Rechte der Frauen auf allen Ebenen. Dies bewirkte kein Abklingen oder an den Rand Drängen der Frauenkämpfe, weil mächtigere gesellschaftliche Kräfte in den Vordergrund getreten sind. Angesichts der Verschärfung der Kämpfe der organisierten ArbeiterInnenklasse in den letzten Jahren gehen feministisches Bewusstsein und Frauenkämpfe durchaus nicht zurück, sondern breiten sich weiterhin aus und gehen eine immer tiefere Verbindung mit dem sich entwickelnden gesellschaftlichen Bewusstsein und der politischen Kampfbereitschaft der gesamten ArbeiterInnenklasse ein. Der Widerstand der Frauen gegen die wirtschaftliche, politische und ideologische Offensive der herrschenden Klasse wurde durch die erhöhte Wahrnehmung feministischer Anliegen gestärkt. Ihre Kämpfe waren und sind eine mächtige Antriebskraft des gesellschaftlichen Protestes und der politischen Radikalisierung.

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Reaktionen der Bourgeoisie und von Strömungen der ArbeiterInnenbewegung

1. Innerhalb der Kapitalistenklasse sind rasch Differenzen darüber aufgetreten, wie am besten auf den neuen Aufschwung der Frauenkämpfe zu reagi
eren sei, um ihren Einfluss zu schwächen und ihre radikale Stoßrichtung abzulenken. Nach anfänglichen Versuchen, die Frauenbewegung mit Spott und Hohn abzutun, setzte sich in der herrschenden Klasse die Ansicht durch, sich in Worten der Auffassung anzuschließen, die Frauen hätten zumindest in einigen Fragen Grund zur Klage. Es wurde versucht, Interesse zu zeigen, indem von der Regierung ein paar spezielle Ressorts, Ausschüsse oder Projekte eingerichtet wurden, um die Aufmerksamkeit der Frauen auf sich zu lenken, während gleichzeitig beharrlich daran gearbeitet wurde, die Führung der Frauenbewegung in die anerkannten Muster der Klassenzusammenarbeit zu integrieren. In den meisten Ländern war die herrschende Klasse gezwungen, einige Zugeständnisse zu machen, die ihr wirtschaftlich und ideologisch am unbedenklichsten erschienen, und bemühte sich dann ständig, sie wieder rückgängig zu machen.

Welches auch immer die Taktik – das Ziel war in jedem Fall das gleiche: die sich entwickelnde Radikalisierung im Rahmen minimaler Reformen des kapitalistischen Systems zu halten.

In vielen europäischen Ländern gab es Maßnahmen zur Erweiterung von Mutterschaftsvergünstigungen durch Ausweitung des Mutterschaftsurlaubs, Anhebung des Lohnprozentsatzes, der in dieser Zeit ausgezahlt wird, oder Garantie des Arbeitsplatzes nach unbezahltem Mutterschaftsurlaub. In anderen Ländern haben die dortigen Regierungen demonstrativ darüber debattiert, ob es nicht gerechtfertigt ist, Gesetze zur Sicherstellung gleicher Bezahlung für gleiche Arbeit oder zur Liberalisierung der Ehescheidung zu verabschieden. In den Vereinigten Staaten sind beide kapitalistischen Parteien für die Verabschiedung eines Zusatzartikels zur Verfassung über die Gleichberechtigung der Frauen eingetreten, während sie in der Praxis jeglichen Versuch sabotiert haben, genügend Stimmen zur Annahme eines solchen Gesetzes zusammenzubekommen.

Aber in Bezug auf soziale Programme, die eine sofortige und bedeutsame wirtschaftliche Auswirkung hätten – wie etwa die Ausweitung von Kinderkrippen und -gärten – wurden keine wesentlichen Fortschritte erzielt.

Die wichtigste Errungenschaft der internationalen Frauenbewegung im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens stellt die bedeutsame Ausweitung des Zugangs zur legalen Abtreibung dar. In mehr als zwanzig Ländern wurden die Abtreibungsgesetze deutlich liberalisiert.

In jedem Land, in dem die Frauen einen messbaren Fortschritt zur Anerkennung des Rechts auf Abtreibung gemacht haben, ist aber rasch klar geworden, dass dieses Recht im Kapitalismus niemals wirklich gesichert ist. Wo auch immer die Frauen den Kampf für ihr Recht auf Kontrolle über ihre eigene Fortpflanzungsfunktion aufnehmen, rotten sich sofort die reaktionärsten Verteidiger des kapitalistischen Systems zusammen, um die Anerkennung dieser grundlegenden Vorbedingung der Befreiung der Frauen zu verhindern. Das Recht, über den eigenen Körper selbst zu entscheiden, stellt eine zu große Herausforderung der ideologischen Grundpfeiler der Frauenunterdrückung dar.

Es ist jedoch politisch bedeutsam, klar zu erkennen, dass rechtsextreme Organisationen wie „Laissez les vivre“, „Oui à la vie“, „Right to Life“ und „Society for the Protection of the Unborn Child“, die mit fremdenfeindlichen, klerikalen, rassistischen oder offen faschistischen Strömungen verbunden sind, ihren Nährboden in der offiziellen Regierungspolitik finden. Sie agieren als fanatische Verteidiger des Status Quo, wobei sie an die rückständigsten, bis tief in die ArbeiterInnenklasse und das Kleinbürgertum hinein reichenden Vorurteile appellieren, und leisten den Herrschenden damit einen wertvollen Dienst. Aber ohne Förderung durch entscheidende Teile der herrschenden Klasse – unter der Hand und auch manchmal ganz offen – würden sie eine weit weniger einflussreiche Rolle spielen.

2. Die Entstehung der Frauenbefreiungsbewegung stellt eine tief greifende Herausforderung an alle politischen Strömungen dar, die für sich in Anspruch nehmen, die Interessen der ArbeiterInnenklasse zu vertreten.

Insbesondere die Stalinisten und die Sozialdemokraten wurden von der raschen Entwicklung einer bedeutsamen Radikalisierung überrascht, die in ihnen keine Führung sah.

Die Antworten der beiden reformistischen Massenströmungen innerhalb der ArbeiterInnenklasse wichen von Land zu Land voneinander ab, je nach der zahlenmäßigen Stärke, der Verankerung in der ArbeiterInnenklasse und in den Gewerkschaftsbürokratien sowie der Nähe zur Regierungsverantwortung in ihrem eigenen kapitalistischen Staat. Aber in jedem Fall wurden und werden die Reaktionen der Stalinisten wie auch der Sozialdemokraten von zwei zuweilen miteinander im Widerstreit stehenden Zielen bestimmt: von ihrer Bindung an die Grundpfeiler der Klassenherrschaft einschließlich der Familie und von ihrem Wunsch, ihren Einfluss in der ArbeiterInnenklasse aufrechtzuerhalten oder zu stärken, damit sie in der Lage sind, die Kämpfe der ArbeiterInnenklasse innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse zu halten.

Der Aufschwung der Frauenbewegung zwang die Stalinisten wie auch die Sozialdemokraten, sich der sich verändernden Lage anzupassen. Insbesondere im Jahr 1975 hagelte es Stellungnahmen, zum Teil als Reaktion auf die Initiativen der Bourgeoisie im Zusammenhang mit dem „Internationalen Jahr der Frau“.

3. Unter dem Druck von Teilen der eigenen Basis haben die sozialdemokratischen Parteien im Allgemeinen rascher als die kommunistischen Parteien auf den Aufschwung der feministischen Bewegung reagiert. Wenn sich die sozialdemokratischen Parteien auch offiziell dagegen sträubten, die Existenz der unabhängigen Frauenbewegung anzuerkennen, so arbeiteten und arbeiten doch viele einzelne weibliche Mitglieder dieser Parteien aktiv in den neu entstandenen Organisationen mit.

Die Positionen der sozialdemokratischen Parteien waren auf der formalen Ebene häufig fortschrittlicher als die der stalinistischen Parteien, insbesondere was das Recht auf Abtreibung angeht. Wo immer die sozialdemokratischen Parteien die Möglichkeit hatten, ihr Image billig aufzupolieren, indem sie sich für liberalisierte Abtreibungsgesetze eingesetzt haben, haben sie das ohne Zögern getan. Kreisky in Österreich und Brandt in Westdeutschland haben anfänglich einen solchen Weg beschritten. Mit einer wachsenden Frauenbewegung in Australien konfrontiert, hat die dortige Labour Party politische Unterstützung zu gewinnen versucht, indem sie zahlreiche kleinere Projekte der Bewegung finanziell unterstützte, wie Frauenhäuser und Gesundheitszentren für Frauen. Während diese Maßnahmen die Sozialdemokraten wirtschaftlich gesehen wenig kosteten, dienten sie dazu, zeitweilig die Aufmerksamkeit der Frauen von der Unzulänglichkeit ihrer gesamten Politik (in Bezug auf Abtreibung und Kinderfürsorge z. B.) abzulenken und halfen der australischen LP, sich als „frauenfreundliche“ Regierung zu präsentieren.

Sobald sie sich aber mit den ersten Anzeichen eine
r Reaktion seitens einiger Teile der Bourgeoisie konfrontiert sahen, haben die sozialdemokratischen Parteien schnell den Rückzug angetreten.

Obwohl die britische Labour Party auf dem Papier für das Recht auf Abtreibung auf Verlangen der Frau eintrat, schwieg die Labour Party zu den reaktionären Vorschlägen im Parlament, die darauf abzielten, die Abtreibungsrechte auf den Stand von vor 1967 zurückzuschrauben. Diese neuen Vorschläge, die von einem Parlamentsmitglied der Labour Party eingebracht worden waren, würden den Zeitraum beschneiden, innerhalb dessen die Frauen eine Abtreibung vornehmen lassen dürfen, den Zugang zu Abtreibungen für Einwanderinnen begrenzen und harte Strafen für alle Verstöße gegen dieses Gesetz auferlegen.

Erst im Jahr 1977, nach einer massiven Kampagne der unabhängigen Frauenbewegung – organisiert über die National Abortion Campaign (Nationale Abtreibungskampagne) – und unter dem Druck ihrer eigenen Basis hat der Kongress der Labour Party eine Resolution verabschiedet, die das Gesetz von 1967 verteidigt.

Die Sozialdemokraten haben sich als besonders nützlich für die Bosse erwiesen, wenn es gilt, so genannte „Sparmaßnahmen“, also Maßnahmen zur Senkung des Lebensstandards der ArbeiterInnenklasse, durchzusetzen. Während sie lauthals beteuerten, Frauen aus der ArbeiterInnenklasse entlasten zu wollen, haben sozialdemokratische Regierungen nicht gezögert, die von der Bourgeoisie geforderten Kürzungen von Sozialleistungen vorzunehmen. Gerade vor kurzem sind in Dänemark 5 000 in Kinderhorten Beschäftige mit einem Federstrich aus der Lohnliste des Staates gestrichen worden.

4. Nachdem die stalinistische Bürokratie ihre Kontrolle über die Sowjetunion gefestigt und die Parteien der Dritten Internationale in Apologeten der konterrevolutionären Politik des Kreml verwandelt hatte, war seit den 30er Jahren die Verteidigung der Familie als des idealen Rahmens menschlicher Beziehungen die Linie der stalinistischen Parteien in der ganzen Welt. Dies nützte nicht nur den Interessen der bürokratischen Kaste in der Sowjetunion selbst, sondern entsprach auch dem Bedürfnis nach Verteidigung des kapitalistischen Status Quo in der übrigen Welt. Die offen reaktionären Theorien der französischen KP zur Familie wurden zum ersten Mal entwickelt, als in der Sowjetunion 1934das neue Familienrecht eingeführt und 1936 Abtreibungen verboten wurden.

Wie demagogisch die KPen zuweilen in Bezug auf den doppelten Arbeitstag der Frauen auch sein mögen, so laufen ihre Vorschläge doch im allgemeinen nur darauf hinaus, die Verhältnisse so neu zu gestalten, dass die Frauen mehr Zeit haben, ihren häuslichen Pflichten nachzukommen. Von verbessertem Mutterschaftsurlaub bis zu geringerer Arbeitszeit und besseren Arbeitsbedingungen für Frauen wird der Kampf gewöhnlich mit der Notwendigkeit begründet, die Frauen für ihre statt von ihrer Haushaltstätigkeit durch deren Vergesellschaftung zu befreien. Die einzige sonstige Lösung, die sie manchmal vorschlagen, ist die Forderung, dass die Männer einen gerechteren Anteil an der häuslichen Arbeitslast übernehmen.

Aber der Aufschwung der Frauenbewegung, die Versuche der Bourgeoisie, davon zu profitieren, die Reaktionen anderer Strömungen der ArbeiterInnenbewegung und der Druck der eigenen Basis haben die kommunistischen Parteien gezwungen, ihre Linie zu ändern. Selbst die starrsten Anhänger des Kremls, wie etwa die amerikanische Kommunistische Partei, waren schließlich genötigt, einige ihrer reaktionärsten Positionen aufzugeben, wie z. B. die Opposition gegen einen Zusatzartikel zur Verfassung über die Gleichberechtigung der Frauen.

Je mehr sich die Radikalisierung vertiefte, umso geschickter mussten die Kommunistischen Parteien manövrieren, indem sie sich in die Bewegung hinein warfen und einen radikaleren Wortschwall entwickelten.

Die KPen haben weibliche Mitglieder an öffentlichen Diskussionen teilnehmen lassen, bei denen sie vernichtende Urteile über die Verantwortung des Kapitalismus für ihren miserablen Status als Frauen äußerten. Aber wenn es um das Programm und um Aktionen geht, verhält es sich mit der Opposition der KPen zur Frauenbefreiung wie mit ihrer Opposition zu einem wirklichen Klassenkampf für andere Forderungen der ArbeiterInnenklasse. Sie sind bereit, jegliche Forderung links liegen zu lassen und den Kampf umzubiegen, wenn es darum geht, ein von ihnen angestrebtes Bündnis der Klassenzusammenarbeit herzustellen oder zu festigen. So hat etwa die italienische KP zwar formal eine Wende vollzogen und sich für die Liberalisierung der Abtreibungsgesetze ausgesprochen, aber ihre Parlamentsabgeordneten sind 1976 einen Block mit den Christdemokraten eingegangen und haben das Reformgesetz gekippt, weil dies ein Hindernis auf dem Weg zum „historischen Kompromiss“ gewesen wäre.

Überdies gibt es oft einen Konflikt zwischen den Positionen örtlicher KP-Gliederungen – die manchmal Kämpfe für die Einrichtung von Kinderbetreuungszentren oder Abtreibungs- und Verhütungskliniken unterstützen – und den Aktivitäten der KP auf nationaler Ebene, wo sie die Sparpolitik unterstützen, bei der gerade solche Sozialprogramme gekürzt werden.

Die Kluft zwischen der formellen Haltung der Kommunistischen Parteien und ihrem Verrat im Klassenkampf hat schon zu scharfen Spannungen innerhalb dieser Parteien und den von ihnen dominierten Gewerkschaften geführt. Dies insbesondere deshalb, weil das Fehlen einer internen Demokratie die Frustrationen vieler Frauen vertieft, die die Widersprüche zwischen ihrer persönlichen Hingabe an die Sache der Frauenbefreiung und der Linie ihrer Partei zu erkennen beginnen. Es gibt für sie keine Möglichkeit, die Positionen ihrer Organisation zu beeinflussen. So bildeten, als die spanische KP den klassenkollaborationistischen Moncloa-Pakt unterzeichnete, Frauen der KP in Madrid eine Oppositionsgruppe, um für interne Demokratie zu kämpfen.

Als 1978 in Frankreich sich in der KP oppositionelle Gruppierungen zu formieren begannen, organisierten sich Frauen der Partei um das Magazin Elles voient rouge (Sie sehen rot). Sie suchten damit, ihre Positionen zu verteidigen und die sektiererische Politik der Partei zu bekämpfen, die es ablehnte, in Aktionseinheiten mit anderen politischen Gruppen zur Abtreibungsfrage oder anderen Themen zusammenzuarbeiten.

Auch auf organisatorischer Ebene mussten sich die Stalinisten anpassen. In einer Reihe von Ländern schufen die Stalinisten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre eigenen Frauenorganisationen. Angesichts der neuen Frauenradikalisierung haben sie beständig versucht, diese Organisationen in den Augen der ArbeiterInnenklasse als die einzig wirkliche Frauenbewegung auszugeben. Die unabhängige Bewegung bedroht ihren Anspruch, die Partei zu sein, die für die Frauen aus der ArbeiterInnenklasse spricht, und ihre anfängliche Reaktion bestand darin, ihre sektiererische Haltung zu verstärken.

Zum Beispiel erklärte in Spanien das von der KP kontrollierte MDM (Movimiento Democratico de la Muje
r – Demokratische Frauenbewegung), sie allein sei die Frauenbewegung, und die KP rief sich zur Partei der Frauenbefreiung aus. Aber trotz der Stärke der KP war das MDM nicht in der Lage, die Radikalisierung der Frauen in den Griff zu bekommen, die im Entstehen von Frauengruppen auf allen Ebenen in ganz Spanien zum Ausdruck kam. Da sie sich unfähig zeigte, das MDM mit einem Machtwort als alleiniges Zentrum zu etablieren, war die KP gezwungen, die Existenz anderer Gruppen anzuerkennen und mit ihnen zusammenzuarbeiten.

5. Zu ähnlichen Widersprüchen hat die Beteiligung an der Frauenbewegung auch in der Sozialdemokratie geführt. Zur gleichen Zeit hat aber die Fähigkeit der Stalinisten wie auch der Sozialdemokraten, sich auf einige der von der Frauenbewegung gestellten Themen einzustellen, ihre Fähigkeit, den allgemeinen Kurs der Bewegung zu beeinflussen, vergrößert. Wenn diese Parteien entscheiden, die eine oder die andere Massenmobilisierung zu unterstützen, wie sie es in letzter Zeit in einer Reihe von Ländern in der Abtreibungsfrage getan haben, haben ihre reformistischen Positionen einen um so größeren Einfluss auf eine große Zahl von Frauen. Es wäre ein Fehler, ihr politisches Gewicht zu unterschätzen.

6. Die Maoisten und zentristische Organisationen haben gegenüber der Frauenbewegung in aller Regel eine sektiererische, ökonomistische Haltung eingenommen, indem sie diese als kleinbürgerlich und im Konflikt mit ihrer Vorstellung von der ArbeiterInnenbewegung angesehen haben. Von diesen Organisationen gab es allerdings grundsätzlich zwei Arten der Reaktion. Einige von ihnen weigerten sich, in den unabhängigen Organisationen der Frauenbefreiungsbewegung mitzuwirken und an ihren Aktivitäten teilzunehmen. Viele dieser Sekten haben ihre eigenen Ersatzfrauengruppen geschaffen, die sie der lebendigen Bewegung entgegenstellen – mit dem Argument, dieser Kurs sei die einzige wirklich kommunistische Strategie.

Andere maoistische und zentristische Gruppen haben sich auf eine Mitwirkung in der Frauenbewegung ausgerichtet. Aber sie haben kein Verständnis für die Beziehung zwischen dem Klassenkampf und dem Kampf für die Frauenbefreiung. Sie lehnen eine Politik der Aktionseinheit ab und traben lediglich der Frauenbewegung hinterher. Dies war ein wichtiger Faktor, der dazu beigetragen hat, dass viele dieser Gruppen Ende der 70er Jahren auseinander flogen.

7. Auch auf die Gewerkschaftsbewegung hat die Frauenradikalisierung eingewirkt, und ihre Bürokratien mussten auf den Druck von Frauen innerhalb und außerhalb der organisierten Gewerkschaftsbewegung reagieren.

Wie die Stalinisten und die Sozialdemokraten versuchen die Gewerkschaftsfunktionäre selbst im günstigsten Fall die Verantwortung der Gewerkschaft für die Forderungen der Frauen auf rein ökonomische Fragen wie gleichen Lohn oder Mutterschaftsurlaub zu beschränken. Sie weigern sich, die organisierte Gewerkschaftsbewegung in den Kampf um Fragen wie die der Abtreibung einzubeziehen. Die wachsende Zahl von Frauen in den Gewerkschaften, von denen viele zunehmend in Frauenausschüssen tätig werden, erschweren jedoch eine solche Haltung seitens der Gewerkschaftsbürokratien. Dies war zum Beispiel im Oktober 1979 klar zu sehen, als der Kongress des britischen Gewerkschaftsdachverbandes TUC unter dem wachsenden Druck seiner eigenen Mitglieder zu einer nationalen Demonstration zur Verteidigung des Abtreibungsrechts aufrief. Es kamen 50 000 Männer und Frauen. Fragen wie die Kinderbetreuung und die Vergesellschaftung der Hausarbeit, Abtreibung und das Recht der Frauen, über ihren Körper selbst zu entscheiden, die Lage der Teilzeitbeschäftigten und besondere Förderungsprogramme für Frauen werden heute mit größerer Häufigkeit in der Gewerkschaftsbewegung gestellt. In einigen Fallen stellen Frauen diese Forderungen ausdrücklich im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen zu überwinden.

Indem sie die Beschäftigung mit diesen Problemen erzwingen, stellen die Frauen die Versuche der Reformisten in Frage, eine Aufspaltung in ökonomische und politische Kämpfe aufrechtzuerhalten und damit das einzuengen, was immer sich an Kämpfen entwickelt. Sie helfen damit der ArbeiterInnenklasse, in breiteren gesellschaftlichen Begriffen zu denken, und ermutigen die Mitgliedschaft in den Gewerkschaften, sich ihrer elementaren Klassenorganisation zuzuwenden und sie für den Kampf um ihre Forderungen zu nutzen.

Bei dem Versuch der Frauen, in den Gewerkschaften Unterstützung für ihre Forderungen zu gewinnen, müssen sie gleichzeitig die Frage der Gewerkschaftsdemokratie aufgreifen. Sie müssen für das Recht kämpfen, sich frei ausdrücken zu können, ihre eigenen gewerkschaftlichen Frauengruppen zu organisieren, in der Gewerkschaftsführung vertreten zu sein, und für die Verpflichtung der Gewerkschaft, Einrichtungen zur Verfügung zu stellen – wie etwa eine Kinderbetreuung während der Versammlungen – die es den Frauen erlauben, in den Organisationen der ArbeiterInnenklasse voll tätig zu sein.

Einige Gewerkschaften haben spezielle Literatur herausgebracht, Frauenausschüsse wiederbelebt, Zusammenkünfte von Gewerkschafterinnen organisiert oder spezielle Schulungskurse für Gewerkschaftsführerinnen eingerichtet. In einer Reihe von Ländern wurden besondere, Branchen übergreifende gewerkschaftliche Frauenausschüsse von der Gewerkschaftsführung auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene organisiert. Anderswo wurden unter dem Druck der Basis Frauenausschüsse geschaffen. Die Frauenradikalisierung und die sich vertiefende Wirtschaftskrise haben in einigen entwickelten kapitalistischen Ländern auch zu einer Zunahme des Anteils der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterinnen geführt.

Im Großen und Ganzen hatte die Schaffung von Frauenausschüssen den Segen der Gewerkschaftsbürokratien. Sie hoffen damit, die Radikalisierung von Gewerkschaftsfrauen einzugrenzen und die Tatkraft der Frauen in eine Richtung zu lenken, die den komfortablen Status Quo auf keiner Ebene in Gefahr bringt – vom Männermonopol bei Führungsposten in den Gewerkschaften bis zum Einvernehmen zwischen der Bürokratie und den Bossen, die besonderen Bedürfnisse der Arbeiterinnen zu ignorieren.

Aber diese Entwicklung widerspiegelt den riesigen Einfluss, den die Frauenbefreiungsbewegung bereits auf die organisierte ArbeiterInnenbewegung hat. Solche Frauenausschüsse in den Gewerkschaften sind heute in zunehmendem Maße sowohl Produkt der Frauenbewegung als auch Teil der Gewerkschaftsbewegung. Sie stehen auf der Schnittlinie beider Bewegungen und können, wenn sie richtig geführt werden, beiden den Weg nach vorn weisen.

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Die Frauenbefreiung in der kolonialen und halbkolonialen Welt

1. Die Frauenbefreiung liegt nicht nur im Interesse der relativ privilegierten Frauen in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Sie ist im Gegenteil für die Masse der Frauen in der ganzen Welt
ein grundlegendes Anliegen von herausragender Bedeutung. Die kolonialen und halbkolonialen Länder bilden dabei keine Ausnahme.

Es gibt große Unterschiede in den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen sowie in den kulturellen Traditionen der kolonialen und halbkolonialen Länder. Sie erstrecken sich von äußerst primitiven Bedingungen in einigen Gebieten bis zur ansehnlichen Industrialisierung in Ländern wie Puerto Rico und Argentinien. Alle halbkolonialen und kolonialen Länder sind jedoch durch die imperialistische Vorherrschaft gekennzeichnet, unter der sie allesamt leiden. Dies hat auch besondere Auswirkungen auf die Frauen dieser Länder.

Die imperialistische Vorherrschaft hat in vielen Sektoren der halbkolonialen Welt eine Überlagerung und Verknüpfung der kapitalistischen Produktionsbeziehungen mit den archaischen vorkapitalistischen Produktionsweisen und gesellschaftlichen Beziehungen mit sich gebracht und sie in den kapitalistischen Weltmarkt integriert. In Westeuropa wurde der Aufstieg des Kapitalismus durch die bürgerlich-demokratischen Revolutionen in den fortgeschrittenen Ländern abgesichert, um die wirtschaftliche und politische Macht der alten herrschenden Feudalklasse zu brechen. In den kolonialen Ländern verstärkte die kapitalistische Durchdringung jedoch oft die Privilegien, Hierarchien und reaktionären Traditionen der vorkapitalistischen herrschenden Klassen, um sie bei jeder sich bietenden Möglichkeit dazu auszunutzen, die Stabilität des Systems aufrechtzuerhalten und die imperialistische Ausbeutung zu maximieren.

Durch die massive Anwendung von Folter, Ausrottung, Vergewaltigung und anderer Formen des Terrors und – in Afrika – durch die richtiggehende Versklavung der Urbevölkerung kolonialisierte der sich ausweitende europäische Kapitalismus in einer brutalen Weise Lateinamerika, Afrika und Teile Asiens und gliederte sie in den Weltmarkt ein. Mit den Eroberern kam außerdem noch das Christentum, das oft genug als das zentrale Glied in der Kette der Unterwerfung genutzt wurde.

Für die Frauen in der halbkolonialen und kolonialen Welt hatte das Eindringen der kapitalistischen Marktwirtschaft eine widersprüchliche Bedeutung:

Einerseits führte sie neue wirtschaftliche Beziehungen ein, die für die Frauen die Grundlage zur Überwindung ihrer Jahrhunderte alten Unterdrückung bildeten. Aber andererseits übernahm und nutzte der Kapitalismus die archaischen Traditionen, den religiösen Kodex sowie die frauenfeindlichen Vorurteile und verstärkte sie in der ersten Phase durch neue Formen der Diskriminierung und doppelte Ausbeutung.

Im Allgemeinen ist die Lage der Frauen direkt vom erreichten Grad der Industrialisierung abhängig. Aber die ungleichzeitige und kombinierte Entwicklung in einigen Gesellschaften kann überraschende Widersprüche erzeugen, so z. B. eine relative wirtschaftliche Unabhängigkeit für Frauen, die über den noch sehr primitiven Ackerbau in einigen Gegenden Afrikas bestimmen.

2. In den kolonialen Ländern schreitet die Entwicklung der kapitalistischen Produktion entsprechend den Bedürfnissen des Imperialismus voran. Aus diesem Grunde kommt die Industrialisierung nur langsam voran und wenn überhaupt, nur in einer unausgeglichenen und verzerrten Weise. In den meisten halbkolonialen Ländern lebt die Mehrheit der Bevölkerung immer noch auf dem Lande, ist in der Landwirtschaft auf Grundlage der Selbstversorgung beschäftigt und wendet äußerst rückschrittliche Methoden an. Die Familie, die in der Regel verschiedene Tanten, Onkel, Nichten, Neffen und Großeltern umfasst, – ist die Grundeinheit der bäuerlichen Kleinwirtschaft.

Frauen spielen eine entscheidende wirtschaftliche Rolle, da sie Kinder gebären, die die Last der Arbeit teilen und die wirtschaftliche Sicherheit im hohen Alter gewährleisten. Sie heiraten im Pubertätsalter und schenken so vielen Kindern das Leben, wie sie es gerade noch körperlich verkraften können. Ihr Wert bemisst sich in der Regel durch die Anzahl der Kinder, die sie zeugen. Eine unfruchtbare Frau wird als soziale Schande und wirtschaftliche Katastrophe betrachtet. Unfruchtbarkeit ist oft ein Grund für die Scheidung.

Aufgrund ihrer Rolle in der Produktion sind die Familienbande für alle ihre Mitglieder, aber insbesondere für die Frauen, sehr eng. Zusammen mit einem primitiven Stand der wirtschaftlichen Entwicklung bringt das äußerste Entbehrungen und Erniedrigungen für die Frauen in den ländlichen Gegenden mit sich. Sie haben praktisch kaum irgendwelche juristischen oder gesellschaftlichen Rechte als Individuum, und sie werden oft kaum als Menschen betrachtet. Im Grunde genommen leben sie unter völliger Vorherrschaft und Kontrolle durch männliche Mitglieder ihrer Familie. In vielen Fällen werden die beschränkten Mittel der Familie zuerst und vor allem unter den männlichen Familienmitgliedern aufgeteilt; es ist nicht ungewöhnlich, dass weibliche Kinder weniger Essen und Fürsorge erhalten, was zum zurückgebliebenen Wachstum oder frühen Tod durch Unterernährung führt. In vielen Gegenden wird immer noch die Kindstötung von Mädchen, sowohl direkt als auch durch absichtliche Verwahrlosung, praktiziert. Oft erreicht die Analphabetenrate unter den Frauen die 100%-Marke.

3. Die Durchdringung des kapitalistischen Weltmarktes hat dennoch unvermeidlich einen Einfluss auf die ländlichen Gegenden. Inflation und die Unmöglichkeit, mit größeren Einheiten zu konkurrieren, die produktivere Methoden anwenden, führen zu beständigen Abwanderungswellen vom Land in die Städte. Oft beginnt diese Abwanderung mit den männlichen Familienmitgliedern und lässt die Frauen, Kinder und Alten mit einer noch größeren Last zurück, da sie sich mit dem kümmerlichen Ertrag ihrer Landwirtschaft durchschlagen müssen.

Die verzweifelte Suche nach Arbeit bringt Millionen von Arbeitern dazu, ihre angestammte Heimat zu verlassen und in die fortgeschrittenen industrialisierten Länder zu emigrieren, wo sie – falls sie das Glück haben, überhaupt Arbeit zu finden – miserable Bedingungen extremer Ausbeutung vorfinden.

Nicht nur die Emigration in die Städte, sondern auch die Verbreitung der Massenmedien, wie Radio und Fernsehen führen zur Infragestellung der Isolation und der zurückgebliebenen Traditionen des flachen Landes.

4. Mit der Emigration in diese Städte beginnen die neuen Lebens- und Arbeitsbedingungen, die hergebrachten Normen und Mythen über die Rolle der Frauen in Frage zu stellen.

In den Städten verliert die kleinbürgerliche Familie weitgehend ihren Charakter als Wirtschaftseinheit. Jedes Familienmitglied ist dazu gezwungen, als Individuum seine Arbeitskraft auf dem Markt zu verkaufen. Wegen der äußerst angespannten Beschäftigungssituation und der finanziellen Verpflichtungen der Stadtbewohner gegenüber ihren Verwandten auf dem Lande umfasst die unmittelbare Familie jedoch immer noch oft Tanten, Onkel, Vettern, Brüder und Schwester
n und deren Kinder, abgesehen von Vater, Mutter und eigenen Kindern.

Innerhalb der städtischen Mittelklasse und der dauerhaft beschäftigten Teile des Proletariats beginnt sich der Rahmen der Familie immer mehr einzuschränken.

Wenn sie in die Städte auswandern, haben die Frauen eine größere Möglichkeit zur Berufsausbildung, zum breiteren sozialen Kontakt und zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Die Anforderungen des Kapitalismus, die eine wachsende Anzahl von Frauen aus der Isolation der Familie herausbringt, geraten in Konflikt mit den alten Vorstellungen über die Rolle der Frauen in der Gesellschaft. Frauen übernehmen Arbeiten im Industrie- und Dienstleistungssektor und fangen an, Positionen einzunehmen, die ihnen vormals durch rückständige Vorurteile und Überlieferungen verboten waren. Jene, die eine Ausbildung erlangen konnten, die es ihnen ermöglicht, in Berufe wie Lehrer und Krankenpflege einzudringen, dienen ebenfalls als Beispiele, die den traditionellen Verhaltensweisen selbst in den Augen jener Frauen widersprechen, die keiner Arbeit nachgehen. Der Mythos der Unterlegenheit der Frauen wird durch diese Realität, die die altehrwürdige Unterwerfung herausfordert, zunehmend in Frage gestellt.

Die städtischen Lebensbedingungen haben selbst für Frauen, die nicht die Gelegenheit haben, eine Ausbildung zu erhalten oder außerhalb des Hauses zu arbeiten, die Möglichkeit gebracht, aus der geistigen Umklammerung der ländlichen Isolation der Familie auszubrechen. Das erfolgt durch den größer werdenden Einfluss der Massenmedien, die unmittelbare Nähe des politischen Lebens und der politischen Kämpfe, die verschiedenen modernen Haushaltseinrichtungen, Wäschereien usw.

5. In den kolonialen und halbkolonialen Ländern bilden die Frauen in der Regel einen kleineren Prozentsatz der Arbeitskräfte als in den imperialistischen Ländern. Er bewegt sich – im Gegensatz zu den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, in denen Frauen grob gerechnet zwischen 30% bis 40% der Lohnabhängigen ausmachen – zwischen 8% und 15%.

Wie nicht anders zu erwarten, sind die Frauen in Berufen konzentriert, die am wenigsten qualifiziert, am schlechtesten bezahlt und am wenigsten durch gesetzliche Sicherheitsbestimmungen, Mindestlöhne usw. geschützt sind. Das trifft insbesondere für Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, für Stücklohn in Heimarbeit und für Hausgehilfinnen zu, wo ein großer Teil dieser Frauen beschäftigt ist. Der Durchschnittslohn einer Arbeiterin liegt ungefähr bei einem Drittel bis der Hälfte des Lohnes der männlichen Arbeitskräfte. Wenn Frauen in den Genuss einer Ausbildung kamen und sich einige Fertigkeiten angeeignet haben, sind sie sogar in noch größerem Maß als in den entwickelten kapitalistischen Ländern auf bestimmte „weibliche“ Berufe – wie Krankenpflege und Schulerziehung – beschränkt.

Darüber hinaus sind Frauen in bestimmten Industriezweigen konzentriert, so in der Textil- und Bekleidungsindustrie, der Nahrungsmittelverarbeitung und Elektroindustrie. Sie stellen dort oft die Mehrheit der Arbeitskräfte. Angesichts der überwältigenden Dominanz der Leichtindustrie in den industrialisierten kolonialen Ländern bedeutet das, dass Arbeiterinnen – auch wenn sie nur einen geringen Prozentsatz aller Arbeitskräfte bilden – eine strategisch wichtige Position einnehmen können. Zum Beispiel stellen die Frauen in Puerto Rico die Mehrheit aller Arbeitskräfte der pharmazeutischen und Elektroindustrie, die die wichtigsten Industriezweige des Landes ausmachen.

Die Beschäftigung von Frauen in solchen Industriezweigen ist für die Extraprofite der Imperialisten von entscheidender Bedeutung, sowohl weil sie eine Quelle billiger Arbeitskraft darstellen, als auch weil die Beschäftigung von Frauen zu geringeren Löhnen oder auf allgemein schlecht bezahlten Stellen es den Kapitalisten erlaubt, die ArbeiterInnenklasse zu spalten und zu schwächen und so die allgemeine Lohnrate niedrig zu halten. Der Prozess der imperialistischen Akkumulation kann nicht vollständig erfasst werden, ohne darzulegen, welche Rolle die extreme Ausbeutung von Arbeiterinnen in den halbkolonialen Ländern gespielt hat und immer noch spielt.

Überall in der kolonialen Welt erreichen Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung riesenhafte Ausmaße; ein erheblicher Teil dieser Lasten fällt den Frauen zu. Um ihre Familien über Wasser zu halten, sind Frauen oft gezwungen, auf solch verzweifelte und prekäre Einkommensquellen wie den Straßenverkauf von Handarbeiten und hausgemachtem Essen oder das Wäschewaschen zurückzugreifen. Oft ist auch die Prostitution der einzige Ausweg. Die sich ausbreitende Arbeitslosigkeit verschlimmert Alkoholismus und Drogensucht, die ihrerseits die bereits existierende Unterdrückung und Gewalt gegenüber Frauen nochmals verschärfen.

6. In vielen kolonialen und halbkolonialen Ländern haben die Frauen immer noch nicht einige der elementarsten demokratischen Rechte errungen, die sich Frauen in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern im 19. und 20. Jahrhundert gesichert haben. Zahllose Länder halten noch Gesetze aufrecht, die die Frauen unter die juristische Kontrolle ihrer männlichen Angehörigen stellen. Dies schließt z.B. Gesetze ein, die die Erlaubnis des Mannes erforderlich machen, wenn die Frau arbeiten will, Gesetze, die den Ehemännern die Kontrolle über das Einkommen der Frau überlassen, und Gesetze, die den Ehemännern automatisch die Vormundschaft über die Kinder und die Kontrolle über den Wohnort ihrer Ehefrauen übertragen. In einigen Ländern werden Frauen immer zur Heirat verkauft. Sie können ungestraft ermordet werden, wenn sie die „Ehre“ ihrer Männer verletzen.

In den Ländern, in denen Gesetzesreformen stattgefunden haben, die den Frauen mehr Rechte zugestehen, bleiben diese oft im Großen und Ganzen rein formal. Die Frauen sind wegen des erdrückenden Gewichts von Armut, Analphabetentum, Unterernährung, wirtschaftlicher Abhängigkeit und rückschrittlichen Traditionen, die ihr Leben einschränken, nicht in der Lage, diese Rechte in der Praxis zu verteidigen. So verweigert der Imperialismus in seiner Epoche des Todeskampfes den  Frauen in den kolonialen Ländern die elementarsten demokratischen Rechte.

7. Die Macht und der Einfluss der organisierten Religion sind in den kolonialen und halbkolonialen Ländern wegen der anhaltenden wirtschaftlichen Rückständigkeit und der Bestärkung und Rückendeckung der religiösen Hierarchien durch den Imperialismus besonders stark. In vielen Ländern gibt es keine Trennung zwischen religiösen und staatlichen Einrichtungen. Selbst dort, wo es eine offizielle Trennung gibt, behalten religiöse Dogmen und religiöse Sitten ein großes Gewicht. Z. B. basieren viele der barbarischsten frauenfeindlichen Gesetze auf religiösem Kodex. In Indien wird das Elend von Millionen von Frauen noch durch das Kastenwesen verstärkt, das zwar nicht mehr durch das Gesetz abgedeckt ist, sich aber auf die Hindu-Religion gründet. In den
moslemischen Ländern ist die immer noch vorherrschende Tradition des Schleiertragens durch Frauen dazu bestimmt, die Frauen aus dem öffentlichen Leben zu verbannen und ihnen jedwede Individualität abzusprechen. In katholischen Ländern ist das Recht auf Scheidung oft eingeschränkt oder gar verwehrt.

8. Die durch alle Stadien der Entwicklung der Klassengesellschaft hindurch ausgeübte Gewalt gegen Frauen – ausgedrückt in der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und geschlechtlichen Herabwürdigung – erfährt durch die Widersprüche, die unter der imperialistischen Vorherrschaft erzeugt werden, eine besondere Verschärfung. Der wachsende Zugang von Frauen zu Ausbildung und Beruf in Verbindung mit ihrer breiteren Teilnahme am allgemeinen gesellschaftlichen Leben gibt Frauen die Möglichkeit, ein weniger bevormundetes, mehr öffentliches Leben zu führen, das die alten Traditionen und Werte verletzt. Aber die Versuche der Frauen, diese Möglichkeiten zu ergreifen und aus den alten Rollen auszubrechen, führt oft zu Reaktionen ihrer männlichen Angehörigen oder anderer, die die Formen von Ächtung, Schlägen, Verstümmelung oder sogar Mord annehmen können. Solche barbarische Gewalt gegen Frauen wird oft durch das Gesetz abgedeckt. Selbst dort, wo es illegal ist, ist es oft in der Praxis so weit akzeptiert, dass es doch ungestraft bleibt.

9. Ausbildungsmöglichkeiten in den kolonialen und halbkolonialen Ländern bleiben im Vergleich zu den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern äußerst beschränkt. Dies spiegelt sich in der hohen Analphabetenrate unter der weiblichen Bevölkerung wider. Von der Ebene der Grundschule bis zur Ebene der Universität wird der weibliche Anteil der Ausgebildeten immer geringer, und die Lücke klafft umso mehr auseinander, je höher der Ausbildungsgrad wird.

Das Erziehungssystem in den kolonialen und halbkolonialen Ländern ist derart organisiert – und das oft viel dreister als in den imperialistischen Ländern – dass es den Ausschluss von Frauen aus dem gesellschaftlichen Leben verstärkt, um die Übernahme der Mutter-Hausfrau-Ehefrau-Rolle durch die Mädchen durchzusetzen. Koedukation herrscht bemerkenswerterweise kaum vor, wobei die Mädchenschulen stets weniger Haushaltsmittel, weniger Lehrkräfte und schlechtere Ausstattungen erhalten. Wo es Koedukation gibt, sind Mädchen dennoch gezwungen, zusätzlich Kurse wie Kochen, Nähen und Hauswirtschaft zu besuchen.

Im Rahmen dieser Nachteile hat der Druck des Weltmarktes jedoch einige Veränderungen in den Ausbildungsmöglichkeiten mit sich gebracht, die den Frauen offen stehen. Das Erfordernis, eine Schicht besser ausgebildeter Techniker zu haben, hat zumindest für eine kleine Schicht von Frauen die Tür zu höherer Bildung aufgestoßen.

10. Frauen haben in der kolonialen Welt noch weniger Kontrolle über ihre Fortpflanzungsfunktionen als die Frauen in den imperialistischen Ländern. Zusammen mit dem starken Einfluss der Religion auf die Erziehungsinhalte laufen die geringen Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen darauf hinaus, dass sie wenig oder gar keinen Zugang zur wissenschaftlichen Information über  Fortpflanzung oder Sexualität haben. Wirtschaftlich und gesellschaftlich stehen sie unter dem persönlichen Druck, mehr und nicht weniger Kinder zu gebären. Falls es doch Zugang zu Informationen über die Geburtenkontrolle gibt, dann geschieht dies fast immer im Rahmen rassistischer Bevölkerungsbegrenzungs-Projekte, die vom Imperialismus aufgezwungen wurden. In einigen Ländern sind erzwungene Massensterilisierungen von Frauen durch die Regierung durchgeführt worden. In Puerto Rico ist mehr als ein Drittel aller gebärfähigen Frauen Opfer dieser Politik geworden. Pläne zur Zwangssterilisation werden heimlich auch bei unterdrückten Gruppen innerhalb dieser Länder durchgeführt, wie bei den Indígenas Boliviens.

Selbst in Ländern, in denen die Zwangssterilisation nicht Bestandteil der offiziellen Politik ist, durchdringt die rassistische Propaganda der Bevölkerungsbegrenzung die Gesellschaft und stellt ein Hindernis beim Kampf der Frauen zur Erlangung der Kontrolle über ihren eigenen Körper dar.

In kolonialen und halbkolonialen Ländern wurden Frauen oft unwissentlich als Versuchskaninchen benutzt, um Medikamente oder Mittel zur Geburtenkontrolle auszutesten. Ein möglicher Zugang zur Abtreibung ist mit Zwang und nicht der Freiheit der eigenen Wahl verbunden. Jedes Jahr sind Millionen von Frauen aller kolonialen Länder dazu gezwungen, illegale Abtreibungen unter den unhygienischsten und entwürdigendsten aller vorstellbaren Bedingungen vornehmen zu lassen, die zu einer unbekannten Anzahl von Todesfällen führen.

In all diesen Fällen wird den Frauen das Recht verwehrt, selbst darüber zu entscheiden, ob und wann sie Kinder gebären wollen.

Unter den Bedingungen der Wirtschaftskrise werden die Pläne zur Bevölkerungsbegrenzung eine weitere Verbreitung finden, es wird mehr Fälle der Art von Puerto Rico geben. Die so genannte „Bevölkerungsexplosion“ muss für die Erklärung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der kolonialen und halbkolonialen Länder herhalten, um damit die Aufmerksamkeit von der Verantwortung des Imperialismus für die Ursachen und die Aufrechterhaltung dieses Elends abzulenken.

Ebenso werden der kolonialen Welt durch die Propagierung fremder kultureller Normen sowohl Rassismus als auch Sexismus aufgebürdet. Wenn schon die Normen der Kosmetikindustrie bezüglich der „Schönheit“ für Frauen in Europa und Nordamerika unterdrückerische Funktion haben, so gilt das umso mehr, wenn dieselben Normen den Frauen in den kolonialen und halbkolonialen Ländern durch Reklame, Kinos und andere Formen der Massenpropaganda untergeschoben werden.

11. Der starke Einfluss der Religion verstärkt die extreme Rückständigkeit bezüglich der Sexualität, die auf eine besondere Entwürdigung und Herabsetzung der Frauen hinausläuft. Das allgemeine Gebot, dass Frauen selbst asexuell, jedoch zugleich eine den Ehemann befriedigende Sexualsklavin sein sollen, wird den Frauen in den kolonialen und halbkolonialen Ländern durch Tradition, Gesetze und Anwendung von Gewalt – einschließlich der sexuellen Verstümmelung von Mädchen – in einer noch brutaleren Weise aufgezwungen als in den imperialistischen Ländern. Frauen sollen ihre „Jungfräulichkeit“ für ihren Ehemann bewahren. Wenn Frauen nicht zur sexuellen Befriedigung ihrer Ehemänner bereit sind oder beschuldigt werden, zur Zeit der Eheschließung nicht mehr Jungfrau gewesen zu sein, bietet das in vielen Fällen Anlass zur Scheidung. Die Doppelmoral des sexuellen Verhaltens für Frauen und Männer wird mit größerem Nachdruck erzwungen als in den imperialistischen Ländern. Die Praxis der Polygamie ist dabei nur ein extremes Beispiel.

Die unbarmherzige Unterdrückung von sowohl männlichen als auch weiblichen Homosexuellen spiegelt nur auf eine andere Weise die Rückständigkeit
in Bezug auf die Sexualität wider.

12. Die imperialistische Durchdringung und kapitalistische Entwicklung wurde den vorkapitalistischen Wirtschafts- und Sozialbedingungen der kolonialen Welt aufgepfropft, wobei viele alte Strukturen und Bedingungen in einer verzerrten Form überlebten. Das bedeutet entsprechend, dass die Frauen ebenso wie alle anderen Unterdrückten und Ausgebeuteten mit mehreren, miteinander zusammenhängenden Aufgaben konfrontiert sind, um ihre Befreiung zu erreichen. Der Kampf gegen die imperialistische Vorherrschaft und kapitalistische Ausbeutung beginnt oft mit den ungelösten Problemen der Landreform und anderen demokratischen Aufgaben.

Demokratische Grundforderungen, wie jene nach Gewährung persönlicher Freiheiten und Unabhängigkeit von der Kontrolle des Ehemanns werden ein großes Gewicht für den Frauenbefreiungskampf in den kolonialen und halbkolonialen Ländern haben. Gleichzeitig werden sie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen gestellt werden, deren Lösung die Reorganisation der gesamten Gesellschaft nach sozialistischen Prinzipien erforderlich macht. Diese Fragen sind u. a. die Preissteigerungen, die Arbeitslosigkeit, das unzulängliche Gesundheits- und Erziehungssystem und die Wohnungsfrage. Sie schließen jene allgemeinen Forderungen ein, die von der Frauenbewegung in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern erhoben wurden, wie Einrichtung von Kindertagesstätten, Rechte und medizinische Einrichtungen, die es Frauen ermöglichen, Kontrolle über ihre Fortpflanzungsfunktionen auszuüben, sowie Gewährung von Zugang zu allen Berufen und Ausbildungsmöglichkeiten. Aber keine dieser Forderungen, einschließlich der demokratischen Grundforderungen, können ohne die Mobilisierung und Organisierung der ArbeiterInnenklasse durchgesetzt werden. Sie ist die einzige gesellschaftliche Kraft, die imstande ist, solche Kämpfe zu ihrem erfolgreichen Abschluss zu führen.

13. Die bürgerlichen Freiheiten sind wegen der Schwäche des Kapitalismus und der herrschenden kapitalistischen Klasse in den kolonialen und halbkolonialen Ländern – wenn sie dort überhaupt vorhanden sind – bestenfalls dürftig und oft kurzlebig. Die politische Unterdrückung ist weit verbreitet. Wenn Frauen ihren Kampf aufnehmen, gilt das gleiche wie bei der Rebellion anderer Teile der Bevölkerung: Sie sehen sich schnell mit Repression und mit der Notwendigkeit zur Aufnahme des Kampfes für politische Freiheiten konfrontiert, wie die Rechte auf Versammlungs-, Organisations- und Demonstrationsfreiheit. Der Kampf für die Frauenbefreiung kann nicht vom allgemeinen Kampf für politische Freiheiten getrennt werden.

Die wachsende Teilnahme der Frauen an sozialen und politischen Kämpfen hat dazu geführt dass Frauen einen wachsenden Anteil der politischen Gefangenen in den kolonialen und halbkolonialen Ländern ausmachen. In den Gefängnissen sehen sich Frauen mit besonders erniedrigenden und brutalen Formen der Folter konfrontiert. Der Kampf für die Freiheit aller politischen Gefangenen, der insbesondere die grauenvolle Lage der Frauen anklagt, war und ist auch in Zukunft ein bedeutender Teil des Frauenbefreiungskampfes in diesen Ländern.

Dieser Kampf hat eine besonders klare internationale Dimension. Politische Gefangene gibt es nicht nur in der kolonialen Welt, sondern ebenso in den imperialistischen Ländern. Forderungen für ihre Freiheit werden weiterhin einen gemeinsamen Punkt der internationalen Solidarität innerhalb der Frauenbewegung bilden.

14. Der Kampf für die Frauenbefreiung war stets mit dem nationalen Befreiungskampf untrennbar verbunden. Was die Frauen auch immer tun, sie legen sich mit der Macht imperialistischer Kontrolle an. Die Notwendigkeit, sich dieser Ketten der Vorherrschaft zu entledigen, ist eine dringende und überfällige Aufgabe für alle Unterdrückten in diesen Ländern, wie die Beispiele Iran und Nicaragua wieder mal klar gezeigt haben. Eine große Zahl von Frauen wird zum ersten Mal durch die Teilnahme an nationalen Befreiungsbewegungen aktiv. Im Verlauf des sich entwickelnden Kampfes wird sich klar herausschälen, dass Frauen eine noch größere Rolle spielen können und müssen, wenn ein Sieg errungen werden soll. Die Frauen ändern sich, wenn sie Dinge tun und lassen, die ihnen durch alte Traditionen und Gewohnheiten verwehrt oder aufgezwungen waren. Sie bilden sich zu Kämpferinnen, Führerinnen, Organisatorinnen und politischen Theoretikerinnen heraus. Die tiefen Widersprüche, innerhalb derer sie leben müssen, lassen die Revolte gegen ihre Unterdrückung als Geschlecht wie auch die Forderungen nach größerer Gleichheit innerhalb der revolutionären Bewegung massiver werden. In Vietnam, Algerien, Kuba, Palästina, Südafrika, der Sahara und anderswo waren die Kämpfe der Frauen zur Beendigung der brutalsten Formen der von ihnen ertragenen Unterdrückung eng mit den sich entfaltenden antiimperialistischen Kämpfen verbunden.

In Nicaragua spielten Frauen, die in der AMPRONAC (Verband von Frauen, die das nationale Problem angehen) organisiert sind, eine entscheidende Rolle bei der Vorbereitung des entscheidenden Aufstands gegen die Somoza-Diktatur. Und 30 Prozent der FSLN-Kräfte waren Frauen, die sowohl in Frauenbrigaden organisiert waren als auch in anderen Kampf- und Versorgungseinheiten integriert waren.

Im Iran hat die Beteiligung von Frauen am Kampf zum Sturz des Schahs Millionen zum ersten Mal in das gesellschaftliche und politische Leben geführt und in ihnen den Wunsch entstehen lassen, auch ihren eigenen Status zu verändern. Trotz des Gewichts reaktionärer religiöser Ideen und frauenfeindlicher Maßnahmen kann die Vertiefung des antiimperialistischen Massenbewusstseins und des Kampfes im Iran nur zu einer Verbesserung der Bedingungen führen, unter denen Frauen für größere Gleichheit und Freiheit kämpfen werden.

Die Teilnahme der Frauen am nationalen Befreiungskampf beginnt auch, das Bewusstsein der Männer von der Rolle und den Fähigkeiten der Frauen zu verändern. Im Verlauf des Kampfes gegen ihre eigene Ausbeutung und Unterdrückung bekommen die Männer ein Gespür für die Unterdrückung der Frauen, werden sich über die Notwendigkeit, diese zu bekämpfen, bewusst und gewinnen mehr Klarheit über die Bedeutung der Frauen als Verbündete im Kampf.

15. Darüber hinaus gibt es in den kolonialen und halbkolonialen Ländern unterdrückte nationale Minderheiten. Zum Beispiel machen im Iran die unterdrückten Nationalitäten 60 Prozent der Bevölkerung aus. In Lateinamerika sind die Indianer (Indígenas) eine unterdrückte Minderheit. Die Frauen dieser Minderheiten sehen sich in doppelter Weise nationaler Unterdrückung ausgesetzt. Wenn sie sich einmal erheben, kann sich ihr Kampf in einer explosiven Weise entfalten.

Die Forderungen der Frauen und der unterdrückten Nationalitäten sind eng miteinander verflochten und verstärken sich gegenseitig. Zum Beispiel kann die Forderung aller Frauen nach dem Recht auf Ausbildung mit der Forderung der Männer und Frauen der unterdrückten Nationalitä
;ten verbunden werden, das Recht zu erhalten, in der eigenen Sprache ausgebildet zu werden.

16. Seit dem Aufstieg der Kolonialrevolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahmen Frauen an den antiimperialistischen Aufständen teil, aber es gab keine Tradition, Frauen als Frauen für ihre besonderen Forderungen als gesonderten Bestandteil dieser Kämpfe zu organisieren. Die weitere Entfaltung des kapitalistischen Weltsystems seit dem 2. Weltkrieg hat jedoch die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Widersprüche in den kolonialen und halbkolonialen Ländern verschärft und wird schließlich die Frauen zum Kampf für ihre eigenen Forderungen bewegen.

a) In der Periode nach dem 2. Weltkrieg gab es einen Anstieg der Industrialisierung der kolonialen und halbkolonialen Länder, auch wenn das Ausmaß dieser Industrialisierung große Unterschiede von Land zu Land aufweist und entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen der imperialistischen Mächte verzerrt wurde. Dies bewirkte einen vermehrten Zugang von Frauen zu Lehrberufen.

b) Technologische Verbesserungen im Bereich der Haushaltsführung und die Kontrolle über die Fortpflanzungsfunktion – selbst wenn sie weitaus weniger zugänglich sind als in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern – wurden bekannt und zeigten die Möglichkeit der Befreiung der Frauen von häuslicher Plackerei auf und erlaubten ihnen, ihre Fortpflanzungsfunktion zu kontrollieren.

c) Die Wirtschaftskrise des Weltkapitalismus, die durch die internationale Rezession von 1974/75 angekündigt wurde, hatte eine verstärkte Auswirkung auf die koloniale Welt, wo die Imperialisten in besonderem Maße versuchten, die Lasten dieser Krise den Massen aufzubürden. Ein überproportionales Gewicht der Wirtschaftskrise fällt den Frauen zu in Form von Preiserhöhungen, Kürzungen bei den minimalen Ansätzen des noch vorhandenen Gesundheits- und Ausbildungssystems und wachsendem Elend auf dem Lande. Auf diese Weise klafft die Lücke zwischen dem, was für Frauen möglich ist, und dem, was tatsächlich existiert, immer weiter auseinander.

d) Der Einfluss dieses Widerspruchs auf das Bewusstsein der Frauen wird heute durch den Einfluss der internationalen Frauenbefreiungsbewegung verstärkt, die die Frauen auf der ganzen Welt angeregt und ihre Forderungen popularisiert und begründet hat.

Diese Faktoren führen zu dem Schluss, dass die Kämpfe der Frauen einen wichtigen Bestandteil des kommenden revolutionären Kampfes in den kolonialen und halbkolonialen Ländern bilden werden.

Dieser Kampf der Frauen kann aufgrund des Grabens zwischen den archaischen Normen und Werten einerseits und der Möglichkeit zur Befreiung der Frauen andererseits, die durch die technologischen Fortschritte des Kapitalismus eröffnet wurde, explosive Ausmaße annehmen. Gleichzeitig befinden sich die von den Imperialisten und ihren Dienern aufrechterhaltenen Normen und Werte im beständigen Widerspruch zum Leben einer wachsenden Zahl von Frauen. Dies bedeutet: Wenn Frauen einmal damit beginnen, ihre Unterdrückung selbst auf einer elementaren Ebene zu bekämpfen, dann kann dies mit anderen sozialen Gärungen verbunden werden und sehr schnell zur Mobilisierung von Massen von Frauen in Kämpfen führen, die in eine radikale antikapitalistische Richtung weisen.

17. Die Haltung und Politik gegenüber den Forderungen und Bedürfnissen der Frauen in kolonialen und halbkolonialen Ländern sind eine der Nagelproben der revolutionären Qualität, der Perspektive und des Programms jedweder Organisation, die bestrebt ist, den Kampf gegen den Imperialismus anzuführen. Die Rolle und Bedeutung, die wir dem Kampf zur Befreiung der Frau in diesen Ländern beimessen, und das Programm, das wir zu deren Verwirklichung vorschlagen, trennen uns von den nicht proletarischen Kräften, die um die Führung des nationalen Befreiungskampfes wetteifern.

Dies war schon seit langem ein charakteristisches Merkmal im Programm des revolutionären Marxismus gewesen, was sich auch in den Resolutionen des Dritten und Vierten Kongresses der Kommunistischen Internationale widerspiegelt. Diese Resolutionen lenkten besondere Aufmerksamkeit auf die exemplarische Arbeit der chinesischen Kommunisten, die die Mobilisierung von Frauen organisierten und führten, die der 2. chinesischen Revolution von 1925–27 vorangingen.

Wenn die revolutionär marxistische Partei der Bedeutung der Organisierung und Mobilisierung der Frauen sowie der Erringung der Führung in den Frauenbefreiungskämpfen blind gegenübersteht, wird sie das Feld den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräften überlassen. Die Führung der Frauenbewegung wird diesen Kräften zufallen und die Bewegung wird in reformistische Kanäle, wenn nicht gar in arbeiterinnenfeindliche Bewegungen gelenkt werden.

18. Nur das Beschreiten der sozialistischen Revolution kann den Weg zur qualitativen Veränderung im Leben der überwältigenden Mehrheit der Frauen in den halbkolonialen Ländern öffnen. Die Beispiele von Kuba, Vietnam und China sind ein mächtiger Ansporn für die Frauen in Asien, Afrika und Lateinamerika. Diese sozialistischen Revolutionen sind der schlagende Beweis für die Möglichkeiten rascher Fortschritte, wenn das Proletariat im Bündnis mit den Bauern erst einmal die Ketten imperialistischer Beherrschung gesprengt hat. Wenn die Gesetze der kapitalistischen Akkumulation durch eine geplante Wirtschaft, die sich auf die Vergesellschaftung der entscheidenden Sektoren der Produktion stützt, ersetzt sind, wird es selbst in den armen Ländern der halbkolonialen Welt möglich, umfangreiche Ressourcen in die Entwicklung der Erziehung, der Kinderbetreuung, der medizinischen Dienste und der Hauswirtschaft zu lenken.

Wenn erst einmal der Kapitalismus abgeschafft ist, werden die Geißeln der Unterbeschäftigung und der Erwerbslosigkeit der Vergangenheit angehören. Im Gegenteil: Der Bedarf an Arbeitskräften wird Frauen in großer Zahl von der Hausarbeit weg in produktive Beschäftigung jeglicher Art bringen. Gesellschaftliche Sitten und Traditionen, die in der vorkapitalistischen und der kapitalistischen Produktionsweise verwurzelt sind, werden in dem Maße zunehmend verschwinden, wie die Transformation der Gesellschaft voranschreitet und die ArbeiterInnenklasse größer und stärker wird.

19. Angesichts der extremen Unterdrückung und der Tatsache, dass es keine Aussicht auf Verbesserung ihrer Lebensbedingungen unter der kapitalistischen Herrschaft gibt, werden die Frauen in den kolonialen und halbkolonialen Ländern zur Vorhut im Kampf für den sozialen Wandel gehören. Durch interne Schulungen und ähnliche erzieherische Aktivitäten müssen die Sektionen der Vierten Internationale ihre eigenen Mitglieder systematisch in die Lage versetzen, die Bedeutung des Kampfes zur Frauenbefreiung zu verstehen, selbst dann, wenn noch keine Massenkämpfe am politischen Horizont sichtbar sind. Wir müssen uns bewusst und konsequent darum bemühen, Frauen für den Sozialismus zu gewi
nnen, sie zu schulen und die Entschlossensten als Führungskräfte unserer Bewegung zu integrieren.

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Frauen in den Arbeiterstaaten: Die verratene Befreiung

1. Die Oktoberrevolution von 1917 und jeder darauf folgende sozialistische Sieg brachten bedeutende Errungenschaften für die Frauen, einschließlich demokratischer Rechte und der Integration in den Produktionsbereich. Die Maßnahmen, die von den Bolschewiki unter der Führung von Lenin und Trotzki beschlossen wurden, zeigten demonstrativ, dass die proletarische Revolution einen unmittelbaren Schritt vorwärts für die Frauen darstellte.

Zwischen 1917 und 1927 verabschiedete die sowjetische Regierung eine Reihe von Gesetzen, die den Frauen zum ersten Mal die gesetzliche Gleichberechtigung mit den Männern brachten. Die Eheschließung wurde zu einem einfachen Registrierungsvorgang, der auf beiderseitigem Einverständnis beruhen musste. Der Begriff der Unehelichkeit wurde abgeschafft. Freie legale Abtreibung wurde zum Recht jeder Frau. 1927 brauchten Eheschließungen nicht mehr registriert zu werden, und Scheidungen wurden auf Wunsch eines der Partner durchgeführt. Gesetze gegen Homosexuelle wurden abgeschafft.

Kostenlose obligatorische Schulbildung bis zum Alter von 16 Jahren wurde für alle Kinder beiderlei Geschlechts eingeführt. Die Gesetzgebung sicherte den arbeitenden Frauen besonderen Mutterschutz zu.

1919 stellte das Programm der Kommunistischen Partei fest: „Die Aufgabe der Partei liegt zum gegenwärtigen Zeitpunkt vorwiegend auf dem Gebiet der Ideen und der Erziehung, um alle Spuren der früheren Ungleichheit und Vorurteile, besonders in den rückständigen Schichten des Proletariats und der Bauernschaft, nachhaltig auszulöschen. Die Partei beschränkt sich dabei nicht auf die formale Gleichberechtigung der Frauen, sondern bemüht sich, sie von den materiellen Bürden der überholten Hausarbeit zu befreien, indem sie sie durch Gemeinschaftshäuser, Großkantinen, öffentliche Wäschereien, Kinderhorte usw. ersetzt.“ Dieses Programm wurde in dem Umfang verwirklicht, den die wirtschaftliche Rückständigkeit und Armut der neuen Sowjetrepublik und die Zerstörung nach fast einem Jahrzehnt Krieg und Bürgerkrieg zuließen.

Es wurde ein bewusster Versuch unternommen, die reaktionären sozialen Normen und Haltungen zu bekämpfen, die die Realität eines Landes widerspiegelten, das noch immer zum überwältigenden Teil bäuerlich war, in dem die Frauen nur einen kleinen Prozentsatz der Arbeitskräfte ausmachten und in dem immer noch auf den sozialen Beziehungen das drückende Gewicht der feudalen Tradition lastete. Unter solchen Bedingungen überrascht es nicht, wenn sich die rückschrittliche Haltung gegenüber Frauen auch in der Bolschewistischen Partei selbst widerspiegelte, die Führung dabei nicht ausgenommen. Die Partei war keinesfalls homogen, was das Verständnis  für die Bedeutung der Durchführung der konkreten und tief greifenden Maßnahmen anging, die notwendig waren, um das Programm von 1919 umzusetzen.

2. Die Dezimierung und Erschöpfung der Vorhut der ArbeiterInnenklasse und die Zerschlagung der revolutionären Erhebungen, die nach dem Ersten Weltkrieg stattgefunden haben, bildeten die Grundlage für den Triumph der von Stalin angeführten konterrevolutionären Kaste in den zwanziger Jahren. Auch wenn die ökonomischen Grundlagen des neuen Arbeiterstaates nicht zerstört wurden, wuchs jedoch schnell eine privilegierte gesellschaftliche Schicht heran, die auf dem fruchtbaren Boden der Armut Russlands viele der Vorteile der neuen Wirtschaftsordnung für sich selbst sicherte.

Um ihre neu gewonnenen Privilegien abzusichern und auszuweiten, kehrte die Bürokratie die Politik Lenins und Trotzkis in nahezu allen Bereichen in ihr Gegenteil um, angefangen bei dem auf der Rätedemokratie basierenden Regierungssystem über die Arbeiterkontrolle in der Wirtschaftsplanung und das Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Nationalitäten bis hin zur proletarisch-internationalistischen Außenpolitik.

In den späten dreißiger Jahren hatte die Konterrevolution die gesamte damals noch lebende bolschewistische Führung physisch ausgerottet und eine Diktatur errichtet, die bis zum heutigen Tag Hunderttausende in Gefangenenlagern, psychiatrischen Anstalten und im Exil hält, sowie jede leise Regung von Opposition erbarmungslos zerschlägt.

Für die Frauen führte die stalinistische Konterrevolution zu einer Politik der Wiederbelebung und Verfestigung des Familiensystems.

Trotzki beschrieb diesen Prozess folgendermaßen: „Echte Emanzipation der Frau ist undenkbar ohne eine allgemeine Hebung von Wirtschaft und Kultur, ohne die Zerstörung der kleinbürgerlichen wirtschaftlichen Familieneinheit, ohne die Einführung vergesellschafteter Essenszubereitung und Erziehung. Inzwischen ist die Bürokratie, geleitet von ihrem konservativen Instinkt, angesichts der ,Desintegration’ der Familie in Alarm geraten. Sie begann damit, Lobgesänge auf die Familienmahlzeit und die Familienwaschküche anzustimmen, d.h. auf die häusliche Sklaverei der Frauen. Die Krönung all dessen liegt in der Wiedereinführung der Strafbarkeit der Abtreibung durch die Bürokratie, womit man offiziell den Frauen den Status eines Packesels verleiht. In völligem Widerspruch zum ABC des Kommunismus hat die herrschende Kaste den reaktionärsten und umnachtetsten Kern des Klassensystems wiederhergestellt, nämlich die kleinbürgerliche Familie.“ (Writings of Leon Trotsky, 1937–38, 2. Auflage 1976, 129).

3. Der wichtigste Faktor, der diesen Rückschritt erleichterte, war die kulturelle und materielle Rückständigkeit der russischen Gesellschaft, die nicht über die Ressourcen verfügte, die zum Bau ausreichender Kinderhorte, Wohnungen, öffentlicher Wäschereien, Haushalts- und Esseneinrichtungen notwendig sind, um damit die Hauptursache für die Unterdrückung der Frau zu beseitigen.

Diese Rückschrittlichkeit trug zur Aufrechterhaltung der allgemeinen gesellschaftlichen Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau bei, die von der zaristischen Periode übernommen worden war.

Aber über diese objektiven Beschränkungen hinaus gab die stalinistische Bürokratie bewusst die Perspektive auf, systematisch auf die Vergesellschaftung der den Frauen aufgebürdeten Lasten hinzuwirken. Sie begann stattdessen, auf die Familie Lobgesänge anzustimmen, und versuchte, die Familie durch rechtliche Einschränkungen und wirtschaftliche Zwänge zusammenzubinden.

Wie Trotzki in der „Verratenen Revolution“ aufzeigt, „nimmt der Rückzug nicht nur die Form einer widerlichen Heuchelei an, sondern er geht unendlich weiter, als es die eisernen wirtschaftlichen Notwendigkeiten verlangen“.

Die Bürokratie stärkte das Familiensystem teilweise aus den gleichen Gründen, aus denen die kapitalistische Gesellschaft es aufrechterhält – als ein Instrument zur Einübung von Verhaltensweisen der Unterwerfung unter Autoritäten und zur Verewigung der Privilegien einer Minderheit. Trotzki erklärte hierzu: „Das zwingendste Motiv für den gegenwärtigen  Familienkult ist zweifellos der Bedarf der Bürokratie nach einer stabilen Hierarchie von Beziehungen und die Notwendigkeit zur Disziplinierung der Jugend durch vierzig Millionen Stützpunkte der Autorität und Macht.“

Als Teil dieser Konterrevolution wurden die alten zaristischen Gesetze gegen die Homosexualität aus der Mottenkiste geholt und wieder eingeführt.

Die Aufrechterhaltung der Familie ermöglichte es der Bürokratie, eine bedeutende Spaltung innerhalb der ArbeiterInnenklasse zu verewigen: die Spaltung zwischen dem Mann als „Oberhaupt der Familie und Brötchenverdiener“ und der Frau als Verantwortliche für Haushalt und Besorgungen – zusätzlich zu alledem, was sie sonst noch tun mag. Auf einer allgemeineren Ebene bedeutet das die Aufrechterhaltung der Teilung zwischen öffentlichem und privatem Leben, die auf eine Isolation hinausläuft, die sowohl Männer als auch Frauen betrifft. Mit der Stützung der Kleinfamilie wurde die Haltung gefördert, „jede Familie ist sich selbst am nächsten“, was wiederum eine Stärkung der Bürokratie zur Folge hat. Im Rahmen der allmächtigen Planungspolitik hat das wenig mit der Bedürfnisbefriedigung der Arbeiter und Arbeiterinnen zu tun, sondern damit, dass dies der Bürokratie erlaubt, die Kosten für soziale Dienstleistungen zu senken.

Die von der proletarischen Revolution und der stalinistischen Konterrevolution geschaffenen Bedingungen haben sich nicht in allen deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas und Asiens in einer mechanischen Weise reproduziert. Es bestehen bedeutende Unterschiede, die den historischen, kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Eigenarten der einzelnen Länder, ja selbst einzelner Regionen zuzuschreiben sind. Trotz all dieser Unterschiede im Ausmaß der Beteiligung von Frauen am Produktionsprozess oder der Verbreitung von Kindertagesstätten und ähnlicher sozialer Dienstleistungen sind jedoch die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Unterlegenheit der Frauen sowie die Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, Frauen verstärkt Hausarbeit machen zu lassen und dies zu rechtfertigen, offizielle Politik in allen deformierten Arbeiterstaaten.

4. Gemäß einer offiziellen Volkszählung der Sowjetunion aus dem Jahre 1970 haben 90 Prozent aller städtischen Frauen im Alter von 16 bis 54 Jahren einen Arbeitsplatz außerhalb des Hauses. Dabei verbringt die durchschnittliche Sowjetfrau zu den acht Stunden am Arbeitsplatz außerhalb des Hauses zusätzlich vier bis sieben Stunden am Tag mit der Hausarbeit.

Die Aufrechterhaltung der Verantwortlichkeit der Frauen für die Hausarbeit in Verbindung mit Kindererziehung, Kochen, Putzen, Wäschewaschen und die Sorge für die persönlichen Bedürfnisse der anderen Mitglieder ist die wirtschaftliche und soziale Basis für die Nachteile und Vorurteile, mit denen sich Frauen konfrontiert sehen, und für die daraus resultierende Diskriminierung am Arbeitsplatz und bei der Bezahlung. Das hat eine tief greifende Auswirkung darauf, wie sich die Frauen selbst sehen, auf ihre Rolle in der Gesellschaft und ihre Ziele, die sie zu erreichen suchen.

Eine Umfrage in der CSSR deckte am Ende der 60er Jahre auf, dass fast 80 Prozent der befragten Frauen die Absicht äußerten, im Haus zu bleiben, bis die Kinder das Alter von 3 Jahren erreicht haben, falls ihr Ehemann damit einverstanden war und das gemeinsame Einkommen zu Befriedigung der Bedürfnisse der Familie ausreichte. Das war kaum überraschend, wenn man bedenkt, dass zur gleichen Zeit die Hälfte von 500 befragten Frauen, die Aufsichtspositionen in ihren Berufen einnehmen, sagten, dass sie zu Hause die gesamte Hausarbeit verrichten müssen (vier bis fünf Stunden täglich).

Auch wenn 50 Prozent der Beschäftigten in der Sowjetunion Frauen sind, so sind sie doch unverhältnismäßig stark an niedrig bezahlten und unqualifizierten Arbeitsplätzen beschäftigt, die mit wenig verantwortungsvollen Aufgaben verbunden sind, und sie sind in den traditionellen Frauensektoren im Produktions- und Dienstleistungsbereich konzentriert. So arbeiten zum Beispiel 43,6 Prozent aller Frauen immer noch in der Landwirtschaft und ein weiteres Viertel in der Textilindustrie. 80 Prozent der Beschäftigten an Grund- und Sekundarschulen und 100 Prozent aller Beschäftigten im vorschulischen Bereich sind Frauen. 1970 wurden nur 6,6 Prozent aller Industrieunternehmen von Frauen geführt. Gemäß den Statistiken aus dem Jahre 1966 „stiegen“ die durchschnittlichen Löhne, gemessen an denen der Männer, von 64,4 Prozent aus dem Jahre 1924 auf gerade mal 69,3 Prozent!

1970 bewegten sich in allen osteuropäischen Ländern die Einkommensunterschiede zwischen 27 und 30 Prozent trotz der Gesetze zur gleichen Bezahlung, die seit Jahrzehnten in diesen Ländern in Kraft sind. Dies ist Ausdruck der Tatsache, dass die Frauen nicht die gleiche Arbeit wie die Männer verrichten. Nicht nur, dass Frauen fortwährend in die schlechter bezahlten „Frauenberufe“ umgelenkt werden und nicht selten für ihre Arbeitsplätze überqualifiziert sind, es arbeiten auch nur sehr wenige dieser Frauen dann tatsächlich in den entsprechenden Bereichen, wenn sie das Ausbildungsprogramm für die besser bezahlten und qualifizierten Arbeitsplätze (insbesondere in der Schwerindustrie) absolviert haben. Die häuslichen Verpflichtungen machen es schwierig, sich in den Spezialberufen auf dem laufenden Stand der Entwicklung zu halten. Aber auch Schutzgesetze, die besondere Arbeitsbedingungen für Frauen schaffen, haben oft diskriminierende Auswirkungen, die sie davon abhalten, dieselben Arbeitsplätze wie Männer einzunehmen.

In der Sowjetunion stellten die Frauen 1976 mehr als 40 Prozent aller wissenschaftlich Ausgebildeten, aber nur 3 von 243 Vollmitgliedern der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften sind Frauen. Auf der Ebene der nationalen Politik sind nur 8 von 287 Vollmitgliedern des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Frauen. Es gibt keine Frauen im Politbüro.

In der Sowjetunion und Osteuropa wie auch in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern gibt es heute genügend materiellen Wohlstand und eine ausgereifte Technologie, um die doppelten Lasten der Frauen erheblich zu mildern. Statt dessen sind die Fehlentwicklungen, die sich aus der nicht vorhandenen demokratischen Kontrolle über die Produktion durch die ArbeiterInnen und aufgrund der Vorherrschaft der privilegierten bürokratischen Kaste ergeben und die die wirtschaftliche Planung und den Produktionsprozess beherrschen, die Ursache für eine breite Verstimmung. Die Frauen spüren in dieser Beziehung die drückende Last der Bürokratie mehr als die Männer, weil sie gezwungen sind, die Verzerrungen in der Wirtschaft durch die ihnen au
fgebürdete doppelte Arbeitsbelastung zu kompensieren.

Im letzten Jahrzehnt wurde die Bürokratie durch diese potentiell explosive Stimmung gezwungen, die Produktionspläne für Konsumgüter und Dienstleistungen auszuweiten. Aber die Versorgung mit Konsumgütern liegt immer noch hinter den Bedürfnissen und wachsenden Erwartungen zurück. Auch soziale Dienste bleiben schmerzlich unangemessen.  Auch wenn beispielsweise Kinderhorte verbreiteter sind als in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, so können gemäß der offiziellen Statistik von Anfang des Jahres 1978 die Kinderhorte in der Sowjetunion nur 13 Millionen der mehr als 35 Millionen Vorschulkinder aufnehmen.

Anfang der 70er Jahre wurden in der CSSR und Polen nur 10 Prozent der Kinder unter 3 Jahren in Kindertagesstätten aufgenommen. Plätze für Kinder zwischen 3 und 6 Jahren gab es nur zu 37 bzw. 45 Prozent. Das verhält sich so, trotz der Tatsache, dass Frauen zwischen 40 und 45 Prozent der Arbeitskräfte in diesen Ländern ausmachen. Trotz all der Schwierigkeiten, die solche Bedingungen den arbeitenden Frauen bereiten, wärmen einige stalinistische Beamte dieser Länder die Theorie von der „natürlichen Arbeitsteilung“ zwischen Mann und Frau wieder auf. In der CSSR und in Ungarn besteht die „Lösung“ darin, den Mangel an sozialen Dienstleistungen und das weitere Absinken der Geburtenrate dadurch zu beheben, dass mensch letztlich den „Lohn für Hausarbeit“ eingeführt hat, der an Frauen vergeben wird, die Mütter von ein oder zwei Kindern bis zum Alter von 3 Jahren sind. Dieses System wird in der CSSR durch einen Zuwachs der Familienzuwendungen für das 3. und 4. Kind ergänzt, sowie durch einen beträchtlichen Bonus für jede weitere Geburt (der fast einem Monatsgehalt gleichkommt). Es ist offensichtlich, dass solche Maßnahmen nur die Auswirkung haben können, die Frauen dazu zu drängen, angesichts des doppelten Arbeitstages, der mit der Ausübung eines Berufes verbunden ist, zu Hause zu bleiben.

Die Zahl der öffentlichen Wäschereien ist in den meisten Arbeiterstaaten unbedeutend. (In Polen, der CSSR und UdSSR können sie nur 5 bis 10 Prozent des Bedarfs decken.)

Ebenso ist die Anzahl der Frauen und Männer, die in öffentlichen Kantinen essen, seit den 50er Jahren stark gesunken. Wegen der hohen Preise und der schlechten Qualität essen nur noch 20 Prozent der Bevölkerung der CSSR ihre Hauptmahlzeit außerhalb des Hauses, verglichen mit 50 Prozent in früheren Jahren. Alle diese Bedingungen laufen darauf hinaus, die Frauen zu Hause lebendig zu begraben. Diese Tendenz wird noch durch die Propaganda der Bürokraten für die Teilzeitbeschäftigung von Frauen verstärkt. Dies findet seinen Ausdruck z. B. in der DDR, wo es jeden Monat den Extratag für Frauen gibt, so dass sie ihrer Hausarbeit nachgehen können. Natürlich wird nur Frauen dieses „besondere Privileg“ eingeräumt.

Im Oktober 1977 kam in der UdSSR dieselbe reaktionäre Tendenz tatsächlich in einem eingefügten Verfassungszusatz zum Artikel 35 der revidierten Sowjetverfassung zum Vorschein. Dieser Artikel soll die Gleichberechtigung der Frau garantieren. Die nun mit einem Zusatz versehene Verfassung sieht „nach und nach die Verkürzung des Arbeitstages für Frauen mit kleinen Kindern“ vor. Die Sowjetführer erklärten, dass diese neue Verfassungsgarantie die Linie der Partei und des Sowjetstaates widerspiegele, die Stellung der „Frau als Arbeiterin, Mutter, Erzieherin und Hausfrau“ zu verbessern.

Diese Verstärkung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen kommt genauso durch die Regierungspolitik dieser Länder zum Ausdruck, die darauf abzielt, die Geburtenraten zu erhöhen, um den Arbeitskräftemangel zu beheben. (Die DDR bildet gegenwärtig die einzige Ausnahme.) Zur gleichen Zeit, als den Frauen in den kapitalistischen Ländern der Zugang zur Abtreibung erleichtert wurde, führten die Versuche in ganz Osteuropa, das Bevölkerungswachstum zu beschleunigen, zu restriktiveren Maßnahmen beim Zulassen von Abtreibungen.

Die stalinistischen Bürokraten haben damit die Ansicht Lenins und anderer Führer und Führerinnen der russischen Revolution zurückgewiesen, dass die uneingeschränkte Möglichkeit zur Abtreibung ein elementares Recht der Frauen ist. Während die legale Abtreibung im Allgemeinen in der Sowjetunion und Osteuropa möglich ist, haben die herrschenden Kasten zum wiederholten Male dieses Recht beschnitten. Dadurch wurden oft demütigende Bedingungen für Frauen geschaffen und auch Frauen mit wirtschaftlichen Maßnahmen dafür bestraft, dass sie um eine Abtreibung nachsuchten (z. B. durch Verweigerung von bezahlten Krankheitstagen, um eine Abtreibung durchzuführen, oder die Weigerung, Abtreibung als freie medizinische Leistung vornehmen zu lassen).

Mit der Ausnahme Polens wurden die Sexualerziehung und die Verbreitung von Informationen zur Empfängnisverhütung in den meisten osteuropäischen Ländern bis vor kurzem ausdrücklich zurückgewiesen. Familienplanungszentren waren nicht existent, der Zugang zu Verhütungsmitteln, wie z. B. zu Pille oder Sterilisation, war strikt beschränkt. (In der CSSR wandten Anfang der 70er Jahre nur 5 Prozent der Frauen solche Methoden an.) Aber keine dieser Maßnahmen führte zum Erfolg, den Trend der anhaltenden Stagnation in der Geburtenrate umzukehren oder die Zahl der Abtreibungen zu senken. Konfrontiert mit diesem „Problem“, entwickelt die Bürokratie eine große Phantasie, Methoden zu finden, um Frauen zu mehr Kindern zu ermutigen. Sie ziehen alle Maßnahmen in Betracht – außer der Vergesellschaftung der Hausarbeit! In Polen erwägen sie die Einführung eines „Lohnes für Hausarbeit“ oder gar einer Steuer, die dem Einkommen von solchen Hausfrauen auferlegt werden soll, die sich weigern, Kinder in die Welt zu setzen. Andere Vorschläge sind die Heraufsetzung des Rentenalters für Frauen von 60 auf 65 Jahre, um damit Geld für einen Mütterfonds aufzutreiben oder möglicherweise auch eine Herabsetzung des Rentenalters für Frauen auf 55 Jahre, um sie damit in die Lage zu versetzen, bei der Beaufsichtigung von Kindern zu helfen.

In China auf der anderen Seite hat die Bürokratie spezielle wirtschaftliche Strafen für Paare eingeführt, die mehr als 2 Kinder haben, um damit das Bevölkerungswachstum einzuschränken. Aber das Prinzip ist das gleiche. Das Recht, die Zahl der eigenen Kinder selbst zu bestimmen, ist den wirtschaftlichen Entscheidungen der Bürokratie unterworfen.

In allen osteuropäischen Staaten und in China treibt die Bürokratie eine Politik voran, die darauf ausgerichtet ist, die sexuelle Unterdrückung zu verstärken. Die extreme Wohnungsnot, der Erziehungsstil, dem die Kinder schon sehr früh ausgesetzt sind, die ständige Weigerung, unverheirateten Paaren Hotelzimmer zu vermieten, all das spiegelt die vorherrschenden gesellschaftlichen Sitten und die Gegnerschaft der Bürokratie gegen jede Form der sexuellen Befreiung wider. Bedenkt man die Stellung der Frauen in der Familie, so sind sie n
atürlich die ersten, die das Gewicht dieser unterdrückenden Normen und Politik zu spüren bekommen.

5. Die Frauen in den deformierten und degenerierten Arbeiterstaaten werden ihre volle Befreiung erst durch eine politische Revolution gewinnen, die die bürokratische Kaste von der Macht vertreibt und die Arbeiterdemokratie wiedererrichtet. Obwohl bis jetzt nur wenige Anzeichen eines wachsenden Bewusstseins über die Unterdrückung der Frauen vorhanden sind, gibt es keine undurchdringliche Barriere zwischen den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern und den Arbeiterstaaten. Die Radikalisierung der Frauen überall auf der Welt und die von ihnen aufgestellten Forderungen werden unweigerlich auch die Frauen der Arbeiterstaaten berühren.

Der Kampf der Frauen für ihre Befreiung wird einen bedeutenden Bestandteil im Verlauf der Herausforderung und des Sturzes der privilegierten bürokratischen Regimes sowie bei der Errichtung einer sozialistischen Demokratie bilden. Insbesondere werden die Forderungen in Bezug auf die Vergesellschaftung der Hausarbeit einen wichtigen Aspekt des Übergangsprogramms für die kommende politische Revolution spielen.

In mancher Beziehung stellen die ökonomische Unabhängigkeit und der wirtschaftliche Status der Frauen in den Arbeiterstaaten im Vergleich zu den kapitalistischen Staaten ein positives Beispiel dar. Aber die Geschichte der Sowjetunion bestätigt ebenso klar die Tatsache, dass die Institution der Familie den Grundstein für die Unterdrückung der Frau bildet. Solange häusliche Knechtschaft der Frauen durch wirtschaftliche und politische Maßnahmen aufrecht erhalten und gefördert wird, solange die Funktionen der Familie nicht von überlegeneren sozialen Einrichtungen voll übernommen werden, bleibt die wirklich gleichberechtigte Integration von Frauen in den Bereich der Produktion und in alle anderen gesellschaftlichen Bereiche und Angelegenheiten unmöglich. Die Verantwortung der Frauen für die Hausarbeit ist die Quelle der Ungleichheit, der sie in ihrem Alltagsleben, in der Erziehung der Kinder, bei der Arbeit und in der Politik ausgesetzt sind.

6. Die stalinistische Konterrevolution gegenüber Frau und Familie sowie die fortwährende Ungleichheit der Frauen im besonderen in der Sowjetunion 60 Jahre nach der Oktoberrevolution bilden eines der Hindernisse bei der Gewinnung radikalisierter Frauen für den revolutionären Marxismus. Wie bei allen anderen Fragen wird die Politik des Stalinismus oft mit Leninismus gleichgesetzt, statt sie als das zu erkennen, was sie wirklich ist: die Negierung des Leninismus. Frauen, die in anderen Teilen der Welt für ihre Befreiung kämpfen, schauen oft auf die Arbeiterstaaten und sagen, „Wenn es das ist, was der Sozialismus für Frauen zu bieten hat, dann brauchen wir ihn nicht.“ Viele Anti-MarxistInnen verweisen auf die Situation der Frauen in den Arbeiterstaaten als „Beweis“ dafür, dass der Weg zur Frauenbefreiung nicht über den Klassenkampf führt. Darum ist der Kampf zur Gewinnung der Führungen der Feministinnen in allen Teilen der Welt untrennbar mit der Entwicklung der politischen Revolution in den deformierten und degenerierten Arbeiterstaaten wie auch mit unserer Fähigkeit verbunden, ein anderes Bild des Sozialismus zu entwerfen, für das wir als glaubwürdige MarxistInnen kämpfen.

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