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Bildung, Jugend

Selbstbestimmung für Studierende

Von Philipp Xanthos | 01.01.2010

Bei den Protesten im Bildungsbereich wird stets auch eine Demokratisierung der Schulen und Hochschulen gefordert.

Bei den Protesten im Bildungsbereich wird stets auch eine Demokratisierung der Schulen und Hochschulen gefordert.

Im Aufruf des bundesweiten Bildungsstreik-Bündnisses lautet die vierte der vier Forderungen: „Demokratisierung und Stärkung der Mit- und Selbstverwaltung in allen Bildungseinrichtungen“. Diese Forderung erhält im Allgemeinen breite Zustimmung von allen Seiten. Jedoch wird selten gefragt, was genau damit gemeint ist.
Bürgerliche Demokratie
Denn von bürgerlicher Seite ist der Idealzustand schon längst vorhanden: Jede Klasse hat eineN KlassensprecherIn, jede Schule eineN SchülersprecherIn, die meisten Hochschulen (außer in Bayern und Baden-Württemberg) einen StudentInnenRat oder Studierenden-Ausschuss, dazu viele verschiedene Fachschaften. Und auf der Verwaltungsebene existieren ungezählte Personal1– und Betriebsräte. Sie alle bewirken in erster Linie eins: Der Laden läuft. Das Hamsterrad aus Prüfungen, Bürokratie und Stress dreht sich weiter, jedoch dürfen sich alle mehr oder weniger gut vertreten fühlen, während Grundschulzeugnisse über Existenzen und Lebensläufe entscheiden und die ExpertInnen aus der Bertelsmann-Stiftung ganze Studiengänge designen. In den offiziellen Gremien sitzen diejenigen, die sich tatsächlich für die Rechte der von ihnen Vertretenen schinden, denen gegenüber, die bloß „Gremiensemester“ sammeln, um ihren Lebenslauf aufzubessern und dem Stiftungs-Stipendium zum Durchbruch zu verhelfen. Der Bildungssektor ist aus bürgerlicher Sicht mindestens ebenso demokratisch wie die restliche Gesellschaft.
Demokratie von „links“
Der linkspartei-nahe Verband SDS konkretisiert seinerseits in seinem programmatischen Selbstverständnis Demokratie in Bezug auf Hochschulen. Die GenossInnen des SDS halten zunächst fest: „Hochschulen sind nicht losgelöst von der Gesellschaft zu betrachten. Deshalb muss die Forderung nach einer demokratischen Hochschule immer auch mit einer Forderung nach einer Änderung der Gesellschaft verbunden sein. Wir kämpfen dabei für die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung.“ Konkret bedeutet „Demokratisierung“ für den SDS „Viertelparität, die die Statusgruppen der Professorinnen und Professoren, der Studierenden und der wissenschaftlichen sowie der technisch-administrativen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichberechtigt an der Meinungsbildung betei­ligt.“ Das heißt, dass die 38 000 ProfessorInnen in der BRD2 genauso viele Stimmen haben sollen wie 185 000 wissenschaftliche MitarbeiterInnen, 263 000 nicht-wissenschaftliche MitarbeiterInnen und jede einzelne dieser Gruppen soviel wie zwei Millionen Studierende. Die politische Debatte in der BRD zwischen „links“ und „rechts“ bewegt sich also zwischen den zwei Positionen, ob zwei Millionen Menschen soviel Stimmrecht haben sollen wie 38 000 oder gleich gar keins. Letztlich lautet die in der liberalen Öffentlichkeit diskutierte Frage: Hat einE StudierendeR 1/52 des Rechts eines Titelträgers (2 000 000 zu 38 000) oder bedeutet „Gleichberechtigung“ nur 1/100 oder 1/1000?
Selbstbestimmung
Der erste revolutionäre Akt in bildungspolitischer Hinsicht wäre hier ganz schlicht, in der Tradition der bürgerlichen Revolution, eine allgemeine Stimmengleichheit zu fordern. Nichts spricht dafür, dass Menschen – von vorneherein – weniger Bestimmungsrecht haben als andere. Die erste Losung der radikalen Demokratie lautet: „Ein Mensch – eine Stimme“. Selbstverständlich würden bei Durchsetzung dieses Prinzips ganz klare Minderheiten entstehen. Diese Minderheiten, vor allem die der Beschäftigten der Einrichtungen, verdienen besonderen Schutz und sollten sich selbstverständlich innerhalb ihrer Gruppe autonom organisieren können. Möglicherweise würde aber auch der ein oder andere Bürokrat sein Büro und seine Stelle verlieren, wenn er nicht mehr allein über Stellen und Büros entscheidet.

Im selben Atemzug muss gesagt werden, dass Selbstbestimmung im revolutionären Sinne nicht nach dem Stellvertreterprinzip sondern nach dem Räteprinzip zu verstehen ist, d. h. die Betroffenen organisieren ihre Angelegenheiten direkt in Basiseinheiten (das könnten in der Hochschule die Seminare sein, in Schulen die Klassen) und entsenden bei Bedarf Delegierte, die ihnen rechenschaftspflichtig und absetzbar sind. Nicht umsonst wird der Genosse Lenin zitiert mit den Worten: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“

Zur Selbstbestimmung gehört noch eine dritte Komponente: „Abschaffung aller Standesprivilegien!“ Der RSB fordert seit jeher die Abschaffung des Beamtentums, das das Rückgrat der Klassenherrschaft bildet. Gerade im Bildungsbereich spaltet dies die Klasse der Lohnabhängigen. Denn wenn an einer Schule der Hausmeister entlassen werden kann, die Lehrerin aber nicht, werden beide kaum zusammen streiken. Gleiches gilt z. B. auch für ProfessorInnen und „ihre“ wissenschaftlichen Hilfskräfte.

1    Ein Personalrat ist ein Betriebsrat für Beschäftigte in der öffentlichen Verwaltung.
2    Quellen für alle Zahlen: www.destatis.de

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