Sackgasse Autogesellschaft — Verkehrswende und Umstieg – jetzt!

Stau auf einer Autobahn, kapitalistischer Normalzustand. Foto: Stephanie Kroos, stau, CC-BY-NC-ND 2.0

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Autos, Mobilität und der Klimawandel

Sackgasse Autogesellschaft — Verkehrswende und Umstieg – jetzt!

Von AG Ökosozialismus | 17.08.2018

Der systematische Betrug der Autokonzerne bei den Dieselmotoren hat eine breite Debatte über die Zukunft der Mobilität von Personen und den Transport von Gütern ausgelöst. Diese Grundsatzdiskussion ist vor allem deshalb erforderlich, weil die Klimaerwärmung und ihre katastrophalen Folgen immer deutlicher zu erkennen sind. Denn Straßen- und Luftverkehr sind für rund ein Viertel der für die Klimaerwärmung relevanten Emissionen verantwortlich, Tendenz deutlich steigend.

Elektroautos – keine Alternative

Das von der Autoindustrie und den politischen Eliten hochgehypte Elektroauto bringt keine Lösung. Für die Autoindustrie hat das Elektroauto den Charme, dass man auf die Produktion von ebenso hohen Stückzahlen wie heutzutage hofft. Gerade diese Massenproduktion schafft jedoch bei der Gewinnung von Leichtmetallen wie Aluminium aus Bauxit erhebliche ökologische Probleme. Die Klimabilanz der Herstellung und Entsorgung von Batterien ist eine weitere Hypothek. Werden Benziner und Diesel durch E-Autos ersetzt, ändert sich am horrenden Flächenverbrauch ebenso wenig wie an den verstopften Straßen und Autobahnen.

Eine wirkliche Verkehrswende angehen!

Notwendig ist deshalb eine Politik der Verkehrswende, die in enger Verbindung mit der Energiewende steht. Im Zentrum der neu ausgerichteten Verkehrspolitik müssen die Menschen, die Umwelt und das Klima stehen. Wir brauchen die grundsätzliche Abkehr von fossilen Energieträgern im Bereich Verkehr und Transport. Oberstes Ziel sollte sein, dass der heute vielfach existierende strukturelle Zwang, für die individuelle Mobilität ein Auto zu nutzen, beseitigt wird. Jede/r, die/der dies wünscht, soll ihre/seine individuelle Mobilität ohne einen eigenen Pkw realisieren können – und möglichst ganz ohne Auto.

Aktuell kommt es darauf an, die Menschen durch ein konkretes, überzeugendes Programm für die Verkehrswende zu gewinnen.

Eine Mehrheit in der Bevölkerung weiß um die Dramatik der Klimaveränderung. Sie ist offen für eine Verkehrswende-Debatte. So gibt es seit Jahrzehnten deutliche Mehrheiten für Tempolimits. In einer Stadt wie Berlin hat auch heute noch die Mehrheit der Haushalte kein Auto. In Hamburg sind es 40 Prozent. Bei den jungen Menschen in Nordamerika, Japan und Westeuropa gibt es seit mehr als 15 Jahren eine weitreichende Umorientierung, das eigene Auto hat erheblich an Wertschätzung verloren.

„Bahn für alle“ hat Vorschläge vorgelegt, wie die notwendige Verkehrswende aussehen könnte. Sie scheinen uns eine geeignete Grundlage für weitere Diskussionen zu bieten.

Das Sieben-Punkte-Sofortprogramm von „Bahn für Alle“

  1. Die Strukturpolitik der kurzen Wege Erforderlich ist eine systematische Strukturpolitik der kurzen Wege. Gefördert werden muss Dezentralität in den Bereichen Einkaufen, Kitas, Schulen, im Gesundheits- und Verwaltungsbereich. Neue Zentralisierungen von Verwaltungseinheiten („Kreisreformen”) sind abzulehnen, da mit Verkehrsinflation und Demokratieabbau verbunden. Im Bereich des Städtebaus wird die fortschreitende Zersiedelung gestoppt. Innenstädte müssen wieder bezahlbar sein. Die Subvention langer Arbeitswege wird umgewidmet in eine Förderung der Nähe von Wohnen und Arbeit.
  2. Systematische Förderung des nichtmotorisierten Verkehrs Diese „Politik der kurzen Wege“ ist zugleich eine entscheidende Förderung für den Fußgänger- und Fahrradverkehr. Die Anteile dieser nichtmotorisierten Verkehrsarten an allen Wegen (also am „Modal split“) können verdoppelt werden. In den Städten sollten – nach den Vorbildern in den Niederlanden und in Dänemark – die Fahrradwege in Form von Radstreifen in die Straßen inte­griert werden. Erforderlich sind dafür die Einstellung aller Subventionen für den Straßen- und den Flugverkehr (Diesel- und Kerosinbesteuerung; dazu eine massive Anhebung der Lkw-Maut). Es gibt keinen neuen Straßenbau, keine neuen Landebahnen und keine neuen Airports. Bei Straße und Luftverkehr kommt es zu einem ersten infrastrukturellen Rückbau beziehungsweise zu Umwidmungen.
  3. Umfassender Ausbau des öffentlichen Verkehrs Notwendig ist umfassender Ausbau aller Formen des öffentlichen Verkehrs. Im öffentlichen Nahverkehr ist ebenfalls eine Verdopplung des Modal-split-Anteils das Ziel. Dabei sollten vor allem oberirdisch geführte und schienengebundene Verkehrsmittel gefördert werden. Unterirdisch geführte Bahnen sind nur noch dort sinnvoll, wo dies baulich absolut unabänderlich ist. Busse sollten so weit wie möglich als Oberleitungsbusse verkehren (in einigen Fällen als Busse mit Akkubetrieb oder mit ergänzendem Akkubetrieb). Carsharing mit E-Pkw und Sammeltaxen – letztere auch verstärkt in ländlichen Bereichen – runden diesen Programmpunkt ab. Es gelten deutliche Tempolimits (120 km/h auf Autobahnen und 30 km/h in Städten und Wohngebieten. Busse und Bahnen werden durch Vorrangschaltungen beschleunigt.
  4. Flächenbahn und Bürgerbahn Ziel ist eine Flächen- und Bürgerbahn: Ein Schienenverkehr, der in der gesamten Fläche des Landes präsent ist, in dem Nah-, Regional- und Fernverkehr gut vertaktet sind und der sich unter öffentlicher, dabei dezentraler und bürgernaher Kontrolle befindet. Im Fernverkehr wird die Orientierung auf einzelne Hochgeschwindigkeitsstrecken beendet. Oberstes Ziel ist die Verwirklichung des Integralen Taktfahrplans als Halbstundentakt auf den wichtigen Verbindungen („Deutschland-Takt“).
    Dafür ist der Ausbau des Schienennetzes mindestens auf Stand von 1990 erforderlich (rund 10.000 km neue – meist reaktivierte – Schienenstrecken), womit das Schienennetz wieder eine Betriebslänge von gut 45.000 km erhält. Insbesondere muss das Schienennetz in den Bereichen Weichen, Ausweichgleise und Gleisanschlüssen so ausgebaut und verstärkt werden, dass der Stand von 1996 wieder erreicht wird (was eine Verdopplung bei Weichen und Ausweichgleisen und eine Verfünffachung der Gleisanschlüsse erfordert).
    Eine besondere Bedeutung erhält die umfassende Elektrifizierung der Schiene – bis auf Stichstrecken sollte das Schienennetz zu 100 Prozent elektrifiziert werden (wie dies in der Schweiz schon seit Jahrzehnten der Fall ist).
    Die Nachtzüge und der Autoreisezug werden wieder eingeführt. Zusammen mit den Eisenbahnen der Nachbarländer wird ein europaweites Nachtzugverkehrsnetz aufgebaut. Das Ziel dabei ist, den größten Teil der Flüge im Bereich bis zu 1500 km auf die Schiene zu verlagern.
    Die Struktur der Schienenunternehmen sollte grundsätzlich öffentlich, bürgernah und dezentral sein. Anstelle einer Gewinn­orientierung muss als oberstes Ziel gelten, Verkehr auf die Schiene zu verlagern und einen optimalen Service für die Fahrgäste zu bieten. Notwendig sind dafür neue Strukturen (Unternehmensformen) für die Schienenverkehrsunternehmen und die Einrichtung von demokratischen Kontroll- und Steuerungsgremien. Die Auslandsengagements der Deutschen Bahn AG werden komplett verkauft, womit eine Konzentration auf das Kerngeschäft, den Schienenverkehr in Deutschland, erfolgt. Insbesondere darf die Schieneninfrastruktur (Netz) nicht mehr der Gewinnorientierung unterworfen sein. Die Entgelte für die Nutzung von Trassen und Bahnhöfen werden halbiert.
  5. Unsinnige Großprojekte stoppen Bislang fließt ein erheblicher Teil der öffentlichen Gelder im Verkehrssektor in zerstörerische oder unnötige Großprojekte. Wir fordern den Stopp solcher Projekte – aktuell den Stopp von Stuttgart 21. Stattdessen sollen die bislang getätigten S21-Investitionen so umgenutzt werden, wie im Programm „Umbau21“ ausgeführt. Wir lehnen – gemeinsam mit den Initiativen vor Ort – die geplante Fehmarnbelt-Querung ab. Wir unterstützen alle, die sich gegen Fluglärm, für Nachtflugverbote und gegen neue Start- und Landebahnen oder gegen meist hoch subventionierte Regional­airports engagieren.
  6. Für ein transparentes Tarifsystem – für einen preiswerten öffentlichen Nah- und Fernverkehr – für Nulltarif-Modelle Grundsätzlich erforderlich ist die Umsetzung eines völlig neuen, einfachen und transparenten Systems der Tarife im öffentlichen Verkehr, besonders bei der Deutschen Bahn AG. Notwendig ist darüber hinaus eine allgemeine Reduktion der Tarife im öffentlichen Verkehr (ÖPNV und Schiene insgesamt) um mindestens ein Drittel. Die Preise für die Mobilitätskarten (BahnCard 50 und 100, Monatskarten) sollten halbiert werden. Modelle mit „Nulltarif“ müssen in ersten Modellregionen erprobt werden. Junge Erwachsene dürfen die öffentlichen Verkehrsmittel in ihrem 19. Lebensjahr kostenfrei nutzen, um eigene Alternativen zu Auto und Führerschein erkunden zu können.
  7.  Den Güterverkehr drastisch reduzieren – den verbleibenden Güterverkehr auf Schiene und Binnenschiff verlagern Der Güterverkehr stieg insgesamt zwischen 1993 und 2016 um 75 Prozent; der Straßengüterverkehr hat sich verdoppelt. Er soll laut offizieller Verkehrspolitik weiter massiv wachsen. Diese Transportinflation ist vor allem einer mit der Globalisierung absurd gestiegenen Transportintensität geschuldet: Immer mehr Transportkilometer stecken in einer Ware von ein und derselben Qualität.
    Durch ein Bündel von Maßnahmen (höhere Lkw-Besteuerung; Beschränkung der Lkw-Größen, keine „Gigaliner“, Nachtfahrverbote und anderes mehr) ist eine Rückführung der Transporte insgesamt auf mindestens das Niveau von Anfang der 1990er Jahre und der Lkw-Transporte auf maximal ein Drittel des aktuellen Niveaus erforderlich. Erst in einem solchen Rahmen kann eine Verlagerung von verbleibenden Transporten auf Schiene und Binnenschiffe erfolgen. Alle anderen Szenarien sind mit nicht akzeptablen Belastungen – zum Beispiel mit noch mehr Schallemissionen – verbunden.

Bewegung schaffen!

Jeder der genannten Schritte wird es mit dem erbitterten Widerstand der Autokonzerne und ihren politischen Erfüllungsgehilfen zu tun bekommen. Der anmaßende Blockadekurs der Autobosse gegen den Einbau von hinreichend großen AdBlue-Behältern in die Dieselkarossen lässt erkennen, was da auf uns zukommen wird. Nur wenn es uns gelingt, eine breite und entschlossene gesellschaftliche Bewegung auf die Beine zu bekommen, haben wir eine Chance, in dieser Auseinandersetzung mit den Gralshütern des fossilen Kapitalismus unsere Vorstellungen durchzusetzen.

Es ist klar, dass bei einer Verkehrswende hin zu einem öffentlichen, schienengebundenen Verkehr weniger Pkw und Lkw benötigt werden. Pkw werden wohl noch in Gestalt von E-Taxis gebraucht, um für die Menschen auf dem flachen Land Mobilität zu ermöglichen, als Dienstfahrzeuge für Servicetechniker*innen oder mobile Dienste usw. Lkw braucht man wohl noch für die Überbrückung der „letzten Meile“, nachdem Mittel- oder Langstreckentransport auf der Schiene oder auf dem Wasser erfolgt ist. Sicher ist jedoch: Es wird in Zukunft allenfalls ein Fünftel der aktuell die Straßen verstopfenden Pkw benötigt.

Konversion ist machbar, Frau Nachbar!

Als Sozialist*innen ist es uns wichtig, dass die Arbeiter*innen nicht die Leidtragenden einer deutlichen Reduzierung der Automobilproduktion werden. Ein Teil der Arbeitsplätze wird dadurch bewahrt, dass die Arbeitszeit deutlich verkürzt und die vorhandene Arbeit auf mehr Schultern verteilt wird. Die heutigen Automobilwerke könnten außer Straßenbahnen, Bussen, Kleinbussen und Sammeltaxis beispielsweise Fahrräder oder auch Blockheizkraftwerke bauen. Es gibt in unserer Gesellschaft zudem Bereiche, in denen erheblicher Nachholbedarf besteht und wo zahlreiche zusätzliche Arbeitsplätze entstehen können. Zu nennen wäre etwa der Bau bzw. die Sanierung von Schulen und Krankenhäusern. Das Kanalisationsnetz und das Wassernetz werden seit Jahrzehnten auf Verschleiß gefahren. In Bildung und Erziehung, in der Pflege von Alten und Kranken besteht riesiger Bedarf. Hier gibt es viel zu wenig Personal.

Aber solche Ausgaben sind aus Kapitalsicht nicht profitabel, sondern Kosten, die möglichst niedrig zu halten sind. Das Problem im real existierenden Kapitalismus ist ja bekanntlich nicht, ob ein Bedarf, sondern ob eine zahlungskräftige Nachfrage an Gütern und Dienstleistungen besteht.

Wenn im Rahmen einer Umstellung hin zu einer ökologisch verträglichen Wirtschaft Autofabriken geschlossen werden, gilt es sicherzustellen, dass die dort beschäftigten Menschen nicht auf die Straße gesetzt werden. Sie müssen eine qualifizierende Umschulung (keine „Schnellbleiche“) für andere, in der Gesellschaft benötigte Tätigkeiten bekommen – unter Beibehaltung ihres bisherigen Gehalts.

Die Konversion der Autoindustrie wird zumindest in der BRD nicht auf der Ebene des Einzelbetriebs zu machen sein. Schließlich muss nicht nur ein Unternehmen, sondern eine ganze Branche umstrukturiert werden. Damit die vielfältigen erforderlichen Maßnahmen sinnvoll miteinander koordiniert werden können, muss die gesamte Branche der Autoindustrie in öffentliches Eigentum überführt werden.

System Change!

Es ist nicht vorstellbar, dass eine Verkehrswende im Rahmen eines Kapitalismus, der nicht zuletzt auch ein fossiler Kapitalismus ist, machbar wäre. In unserem Kampf für eine ökologisch nachhaltige Verkehrspolitik wird sich immer wieder die „Systemfrage“ stellen. Wenn wir es nicht tun – unsere Gegner*innen werden das tun.

Unsere Position in dieser Frage ist klar: Ein Wirtschaftssystem, das auf permanentem Wachstum, Profit und Konkurrenz beruht, kann nicht in Einklang mit einem nachhaltigen, sorgsamen Umgang mit der Natur gebracht werden. Wir müssen das Klima retten und den Kapitalismus auf die Müllhalde der Geschichte verbannen.

(Öko-) Sozialismus oder Barbarei!

Diesen Text als Flyer:
(Druckversion) und Leseversion

Weiterführende Links:
http://www.bahn-fuer-alle.de/pages/argumente/verkehrswende-und-umstieg-ndash-jetzt/ausstieg-aus-der-autogesellschaft.php

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