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Kultur

Rezension: Der Baader Meinhof Komplex

Von Artur Bakker | 01.11.2008

Da sitzt man nun als Alt-68er angespannt im Kino und harrt der Dinge (ohne Cola und Popcorn). Seine eigene Geschichte, das Buch von Stefan Aust, die eigenen Erinnerungen an Erlebnissen und Bildern, die nicht weichen wollen, das Unbehagen über die Werbetrommel zu diesem Film (z. B. Baader Darsteller Bleibtreu bei dem sinnfreiesten aller Dampfplauderer JBK), all das und mehr im Hinterkopf.

Da sitzt man nun als Alt-68er angespannt im Kino und harrt der Dinge (ohne Cola und Popcorn). Seine eigene Geschichte, das Buch von Stefan Aust, die eigenen Erinnerungen an Erlebnissen und Bildern, die nicht weichen wollen, das Unbehagen über die Werbetrommel zu diesem Film (z. B. Baader Darsteller Bleibtreu bei dem sinnfreiesten aller Dampfplauderer JBK), all das und mehr im Hinterkopf.

Der Film hämmert ein starkes Bild nach dem anderen über die Leinwand, berührend, actionreich und aufwühlend: den 2. Juni 1967 mit den Schahprotesten und der Ermordung Benno Ohnesorgs, der Vietnamkongress, das Attentat auf Dutschke, die Morde an Ponto, Buback u. a., die Verhaftung der Baader-Meinhof-Gruppe, Gefängnis und Prozess in Stammheim, der Tod von Holger Meins, die Isolationsfolter von Ulrike Meinhof (wohl die eindrucksvollste Szene des Films), Entführung und Ermordung Schleyers … Keine Frage: perfekt gemacht, der Film versetzt in Wallung.
10 Jahre in 150 Minuten
Hat der Film aber sein erklärtes Ziel erreicht, das der Regisseur Uli Edel wie folgt definiert „… die Geschichte der RAF nicht jemandem (zu) erzählen, der sie schon kennt, […] sondern unseren Kindern, die so gut wie nichts darüber wissen. Denen wollten wir erzählen, was von 1967 bis 1977 in Deutschland passiert ist.“ Zehn Jahre deutsche Politik-, Justiz-, Presse- und Zeitgeschichte in 150 Minuten komprimieren? Das muss schief gehen.

Dabei hat es nicht an guten Beispielen gefehlt, sich dem Thema RAF sachlich und tiefgehend zu nähern. Stellvertretend seien hier zwei genannt: „Die bleierne Zeit“ von Margarethe von Trotta (1981) und „Todesspiel“ von Heinrich Breloer (1997). Beide, auch die anderen Filme, nahmen jeweils Aspekte aus der RAF-Zeit und verhoben sich nicht an dem omnipotenten Anspruch, 10 Jahre in 150 Minuten zu komprimieren.
Keinen Plan
Die Hauptprotagonisten Baader Ensslin und Meinhof werden überhöht, die Widersprüchlichkeiten ihrer Persönlichkeiten werden eingeebnet. Baader als feiges Großmaul ohne den blassesten Dunst von Politik (liest Comics), Ensslin aus einer protestantischen Gutmenschsozialisation, die endlich mal zur Tat drängt (liest Trotzki) und Meinhof, hoch intellektuelle Kolumnenschreiberin der „Konkret“ (liest Marcuse), eines ist ihnen gemeinsam: eine politische Analyse und ein politischer, revolutionärer Plan sind nicht vorhanden. Die immer wieder über die Actionszenen im Theatertremolo vorgetragenen Texte der RAF enthalten nichts als Propaganda, Halbweisheiten, Rechtfertigungen und Drohungen. Ihr Widersacher auf Staatsseite, Horst Herold, dar­gestellt von dem Untergangs Hitler erfahrenen Großmimen Bruno Ganz, der auch hier wieder besser ist als das Original (vgl. Harald Schmidt), darf Weisheiten von sich geben wie „Ursache des Terrorismus sind der Kolonialismus und der nicht verarbeitet Faschismus“. Kein Hinweis auf dessen Größenwahn und seiner schlimmen Terminologie von der „gesellschaftssanitären Aufgabe“ der Polizei.
Zeitumstände ausgeblendet
In dem Film fällt kein Wort darüber, wie die Politik den Terrorismus braucht und missbraucht, kein Hinweis auf die fortwährenden Rechtsbeugungen durch den „Rechtsstaat“, der in Windeseile durchgepeitschten Antiterrorgesetze. Auch fehlt völlig eine Aufarbeitung der Prozessführung in Stammheim, die zwar immer von den bürgerlichen Medien als „normaler“ Prozess gegen Kriminelle bezeichnet, in Wahrheit aber dem Ziel diente, der bestehenden und aufkommenden Protestbewegung zu drohen. Wer sich kritisch über die kapitalistischen Verhältnisse in der BRD äußerte, wurde mit der Baader-Meinhof-Gruppe in einen Topf geworfen. Dass die­se Gruppe nur zu ihrem Beginn einen, höchstens in Ansätzen revolutionären, Ansatz verfolgte und sehr schnell den Strukturen einer Gang  verfiel, findet in dem Film nicht statt.

„Wichtige Zeitumstände bleiben leider ausgeblendet – so der zeitweilig von Teilen der öffentlichen Meinung und der Politik aufgeheizte Taumel in Panik und Hysterie. Heinrich Böll sprach 1972 vom »Notstand des öffentlichen Bewusstseins« und zielte damit auf diejenigen, die glaubten, man müsse den Krieg gegen Terroristen ausrufen. Ausgeblendet bleibt auch die Instrumentalisierung des Terrors für politische Zwecke, durch die sich der Rechtsstaat selbst in Gefahr brachte. Zeitweise zeigte er das hässliche Gesicht, das seine Gegner von ihm zeichnen wollten. Es wäre gut gewesen, wenn der Film auch den im Ausnahmezustand der Angst ins Wanken geratenen Rechtsstaat thematisiert hätte.“ (Gerhart Baum in Die Zeit 39/2008)

Der Film ist nur in Ansätzen historisch fundiert, aber ein perfekt gemachter Actionreißer mit z. T. sehr guten Schauspielern, wie Martina Gedeck als Ulrike Meinhof. Historisch wirklich fundiert kann er auch nicht sein, bildet doch das Buch des Journalisten und ehemaligen Spiegelchef Stefan Aust die Grundlage für den Film. Journalisten im Stile von Aust sind nun mal keine Wissenschaftler sondern Informationsverkäufer. Wäre er auch sonst für den verkaufsfördernden  „Auslandsoscar“ nominiert worden?

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