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Ökologie

Reicht eine andere Technik?

Von K. Hasse | 01.06.2011

Mit der Abschaltung von 7 AKW wurde gleichzeitig eine gesellschaftliche Debatte über die Neuausrichtung der Energieversorgung angestoßen. Die politische Linke muss in dieser Diskussion Flagge zeigen und zur Frage Stellung beziehen: Ist eine ausreichende Versorgung nur mit erneuerbaren Energien möglich?

Mit der Abschaltung von 7 AKW wurde gleichzeitig eine gesellschaftliche Debatte über die Neuausrichtung der Energieversorgung angestoßen. Die politische Linke muss in dieser Diskussion Flagge zeigen und zur Frage Stellung beziehen: Ist eine ausreichende Versorgung nur mit erneuerbaren Energien möglich?

Die Atomkatastrophe von Fukushima hat in der deutschen Energiediskussion eine Zäsur bewirkt. Über Nacht vollzog die Merkel-Regierung in offensichtlicher Panikstimmung eine Kehrtwende gegenüber ihrer bisherigen Energiepolitik.

Wenn man weg von den fossilen und nuklearen Energieträgern will, sind die sich stellenden Fragen nicht einfach. Die Sonne scheint nur am Tag und auch der Wind steht aufgrund von Flauten nur diskontinuierlich zur Verfügung. Lässt sich die deutsche kapitalistische Konsum- und Wegschmeißgesellschaft einfach so von fossilen und nuklearen Energien auf erneuerbare Energieträger umstellen – ohne ihre Strukturen anzutasten? Es gibt Zweifel, ob das Mengengerüst und die Verfügbarkeit der erneuerbaren ausreichen.
Erfreulicherweise sind in der BRD im letzten Jahr mehrere größere Studien veröffentlicht worden, die uns helfen, Antworten zu finden. Zu nennen ist insbesondere die Studie des Umweltbundesamts (UBA) vom Juli 2010 [BMU10]. In dieser Veröffentlichung ist auch eine interessante Energieverfügbarkeits-Simulation des Fraunhofer Instituts IWES enthalten.
UBA-Studie: Der Energiebedarf
Die UBA-Studie liefert ein differenziertes Bild des Bedarfs an Strom und Brennstoffen für die Bereiche Haushalte, GHD (Gewerbe, Handel, Dienstleistungen), Industrie und Verkehr. Betrachtet werden soll als Basis das Jahr 2005 und als Projektion das Jahr 2050.
Es fällt auf, dass im Jahr 2050 nur knapp 30 % des Brennstoffbedarfs von 2005 benötigt werden sollen. Wie kommt das UBA auf diese Zahlen? Grundlage sind erhebliche Effizienzpotenziale, die gegenüber dem Verbrauch von 2005 nutzbar sind. So kann nach dem UBA-Szenario der Energieverbrauch für Raumwärme, der in 2005 etwa 580 TWh ausmachte, deutlich reduziert werden. Das erscheint schlüssig. So sind von den heute in den Haushalten eingesetzten 17 Millionen Heizungsanlagen nur 12 % auf dem Stand der Technik. Allein durch den Austausch der Heizungsanlagen könnte der private Heizenergieverbrauch um 30 % gesenkt werden. Durch diese und weitere Sanierungsmaßnahmen (Isolierungen) könnte nach der BMU-Studie der durchschnittliche Raumwärmebedarf von heute 144 kWh/m2a auf 30 kWh/m2a abgesenkt werden. Eine weitere Reduktion des Energieverbrauchs erzielt das UBA, indem für Raumwärme, –kälte und Warmwasser grundsätzlich solarthermisch unterstützte Wärmepumpen eingesetzt werden sollen. Im Industriebereich will die UBA-Studie zahlreiche einzelne Effizienzpotenziale ausnutzen. Dazu gehören beispielsweise energiesparende Elektromotoren, verbesserte Druckluftleitungen oder Wärmerückgewinnungen.
Bürgerliche ÖkologInnen und die Energieeffizienz
Die UBA-Studie legt auf diese einzelnen Effizienzmaßnahmen größten Wert. Die Studie weist zwar auf die Möglichkeiten hin – fragt aber nicht, ob diese zahlreichen Einzelmaßnahmen politisch durchgesetzt werden können. Viele sinnvolle Maßnahmen werden insbesondere auf den hartnäckigen Widerstand der privaten Kapitaleigner stoßen, für die ein kurzfristig zu erzielender Profit im Vordergrund steht. Man könnte daher die Frage stellen, wozu diese ganzen Effizienzmaßnahmen erforderlich sind. Würde es nicht ausreichen, einfach nur eine ausreichende Zahl von Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen zu installieren?

Die Problematik soll verdeutlicht werden, indem wir einmal kurz annehmen, dass der gesamte 2005er Energieverbrauch (Strom und Brennstoffe, also 1855 TWh) durch erneuerbare Energien aufgebracht werden soll. Dabei nehmen wir für Biomasse den Wert, den die UBA-Studie noch als ökologisch vertretbar einschätzt. Zusammen mit der Solarenergie, die in dieser Studie für 2050 als sinnvoll angesehen wird, sind dies in Summe 450 TWh. Um den noch offenen Energiebetrag von 1 405 TWh zu decken, müssten wir in Deutschland z. B. 310 000 Windkraftanlagen (zu 2 MW) onshore und 18 000 Windkraftanlagen zu 5 MW offshore installieren. Der dafür benötigte Platz würde 5 % der BRD-Fläche einnehmen. Ein derartiges Ausbauszenario könnte schnell zu einem Albtraum werden. Insbesondere wenn man berücksichtigt, dass ein jährliches Wirtschaftswachstum von bescheidenen 1 % bis 2050 bereits einen weiteren Anlagenzubau von 50 % erfordern würde…

Dieses kleine, sehr grob gehaltene Zahlenbeispiel zeigt bereits, warum bürgerliche Ökologen Energieeffizienzrechnungen in das Zentrum ihrer Energieumbau-Visionen stellen. So hat Ulrich von Weizsäcker nach dem Buch „Faktor 4 Doppelter Wohlstand – halbierter Verbrauch“ von 1997 im letzten Jahr eine Fortsetzung dieses Werks herausgebracht. Der neue Titel: „Faktor 5“. Auch die UBA-Studie achtet geradezu ängstlich darauf, dass ihre Vorschläge mit den Interessen der bürgerlichen Klasse kompatibel bleiben. So soll die kapitalistische Produktion ungebremst weiterlaufen, und es soll sogar noch ein jährliches Wirtschaftswachstum von 0,7 % geben. Allein dadurch würden im Jahre 2050 der Produktionsausstoß und der Energieverbrauch in Relation zu heute um 30 % gestiegen sein. Weiterhin soll auch in 2050 das heutige Mobilitätsmuster mit immerhin noch 25 Millionen Elektro- und Hybridfahrzeugen fortgeschrieben werden. Damit nicht genug: Auch das Militär existiert in den UBA-Energiebilanzen von 2050 sowohl in Bezug auf den Verbrauch der Militärfahrzeuge als auch indirekt in der Produktion militärischer Güter.
Ökosozialistische Maßnahmen mit Effizienzfaktor 10
Aus ökosozialistischer, aber auch aus einer ehrlichen ökologischen Sicht sind all dies unsinnige Produktionen. Ein öffentliches flächendeckendes und schienengebundenes Verkehrsnetz könnte mit einem Bruchteil des Energie- und Ressourcenaufwands, der für Autos getrieben wird, auskommen. Durch die kostenfreien öffentlichen Verkehrsmittel würde das private Auto weitgehend überflüssig. Die Automobilindustrie könnte in diesem Land dann auf unter 10 % von heute zurückgefahren werden. Auch solche nutzlosen und umweltschädigenden Verkehrsprodukte wie (Privat-)Boote, (Privat-)Flugzeuge, Motorräder oder neuerdings auch Quads und Segways könnten erheblich reduziert werden, ohne dass es eine wirkliche Einbuße an Lebensglück gäbe.
Eine ökosozialistische Politik könnte auch dafür sorgen, dass eingebauter Verschleiß der Güter und schnell wechselnde Moden, die nur einen sinnlosen Konsum anheizen sollen, aus der Welt verschwinden.
Eine lange Lebensdauer und die Recycling- und Reparaturfähigkeit von Produkten stände im Zentrum der Entwicklungs- und Konstruktionsziele. Eine mögliche erste Aufgabe könnte es sein, die Lebens- bzw. die Einsatzdauer von Produkten um den Faktor 4 zu steigern – eine Lösung, die ein Ulrich von Weizsäcker bisher nicht finden will.

Wenn man diese und weitere ökosozialistischen Maßnahmen ergreifen würde, könnte man den Energieverbrauch, den die UBA für 2050 angibt, mindestens noch einmal um 50 % senken.
Potenzial der erneuerbaren Energien
Wie groß ist nun der Betrag an erneuerbaren Energien, die in 2050 erbracht werden können? Die Tabelle auf Seite 11 listet die Ergebnisse der UBA-Studie auf. Diese Tabelle kann den Anforderungen aus der Tabelle auf Seite 10 gegenübergestellt werden. Es wird deutlich, dass mehr Strom geliefert werden kann als nachgefragt wird, dass aber bei den Brennstoffen ein Bedarf offen ist.
Die Frage, wie eine ausreichende Stromversorgung bei Windflauten und in der Nacht gesichert werden kann, liefert das IWES-Simulationsmodell [BMU10], das eine hohe räumliche und zeitliche Auflösung hat. Wie erwartet, zeigt sich in der Simulation, dass die erneuerbaren Energien ohne Speicher nicht zu jedem Zeitpunkt den geforderten Strombedarf decken können. Sie zeigt aber auch, dass durch die erneuerbaren Energien 2050 viele Stunden im Jahr mehr Leistung zur Verfügung stehen wird als nachgefragt. Die überschüssige Energie kann in elektrolytisch gewonnenen Wasserstoff und erneuerbares Methan umgewandelt und in vorhandenen Gaskavernen zwischengespeichert werden. Diese gespeicherten Gase können in Gas- und Dampf-Kombi-Kraftwerken zur Rückverstromung eingesetzt werden. Zusätzlich kann das synthetisierte Methan genutzt werden, um den erforderlichen Brennstoff, z. B. für Hochtemperaturprozesse, bereitzustellen. Das Ergebnis der Betrachtungen zeigt, dass in 2050 die gesamte deutsche Energieversorgung ausschließlich mit erneuerbaren Energien betrieben werden könnte.

Literaturangaben:

BEE09:    Wärmeversorgung 2020, BEE Bundesverband Erneuerbarer Energien, Berlin, Oktober 2009
BMU10:    Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Energieziel 2050: 100 % Strom aus erneuerbaren Quellen, Dessau-Roßlau, Juli 2010

Technische Potenziale der erneuerbaren Energien für 2050
Aufgebrachte Gesamtenergiemenge:
Strom: 705 TWh
Thermische Energie: 202 TWh

Photovoltaik (248 TWh Strom): Installierte Photovoltaik-Module auf 1 620 km² Dachfläche

Onshore-Wind (248 TWh Strom): 60 000 MW installiert, entspricht 30 000 Windrädern zu 2 MW. Heute: ca. 22 000 kleinere installierte Windräder

Offshore Wind (180 TWh Strom): 45 000 MW installiert, entspricht 11 250 Windrädern zu 4 MW. Heute: Fast keine installierten Windräder offshore

Geothermie (50 TWh Strom): 2 120 Geothermiekraftwerke zu 4 MW

Wasserkraft (24 TWh Strom): 5 200 MW Wasserkraft

Biogas (23 TWh Strom): Biogaspotenzial thermisch von 40 TWh, in Gas- und Dampf-Kombi-Kraftwerk-Anlagen mit 57 % Wirkungsgrad zu Strom gewandelt

Bioreststoffe (202 TWh thermische Energie): Biomasse unter Berücksichtigung von Naturschutzbelangen

Strom- und Brennstoffbedarf heute und im Jahr 2050
kWh/m2a: Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr
TWh: Terawattstunden, Terawatt = 1012 Watt
   2005  2050
Strombedarf
 509 TWh
 468,5 TWh
Brennstoffbedarf 1346,5 TWh
 377,5 TWh


Quelle: [BMU10]

 

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