Radikale Vorschläge für radikale Veränderungen

Foto: Andreas Wecker, flickr.com, Skyline von Frankfurt bei Nacht, CC BY-NC-ND 2.0

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Was tun mit den Banken?

Radikale Vorschläge für radikale Veränderungen

Von Michel Husson, Eric Toussaint u.a. | 31.01.2017

Neun Jahre nach dem Ausbruch der kapitalistischen Finanzkrise verlangt die in ihrem Gefolge betriebene Austeritätspolitik der Bevölkerung immer neue Opfer ab. Erinnern wir uns an dieser Stelle an die Versprechungen und Ankündigungen, die damals von den Verantwortlichen in Banken, Politik und Aufsichtsbehörden gemacht wurden. Praktisch alle Versprechen, die damals angesichts der Krise gemacht worden sind, wurden nicht eingelöst: Da war die Rede davon, dass man von nun an im Bankensystem moralische Kriterien einzuführen [1] wolle, es war viel von der Trennung von Geschäftsbanken und Investmentbanken die Rede, es wurde das Ende der exorbitanten Gehälter und Boni im Finanzsektor versprochen, und schließlich hieß es, dass künftig die Banken so ausgerichtet würden, das sie sich vordringlich der Finanzierung der Realwirtschaft widmen. Schon zu der Zeit, als die Versprechen gemacht wurden, haben wir ihnen nicht geglaubt, und das aus gutem Grund. Statt einer Neuausrichtung des Bankensystems nach moralischen Kriterien ist alles, was wir jetzt vorfinden, eine lange Liste von Bankenpleiten, beginnend mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers am 15. September 2008.
Eine Auflistung der Bailouts (Bankenrettungen) seit 2012:

  • Dexia in Belgien und in Frankreich (2012 gab es den dritten Bailout),
  • Bankia in Spanien (2012),
  • Espírito Santo (2014) und Banif (2015) in Portugal,
  • Laiki und Bank of Cyprus in Zypern (2013),
  • Monte dei Paschi, Banca delle Marche, Banca Popolare dell’Etruria e del Lazio und Carife in Italien (2014/2015),
  • NKBM in Slowenien (2012),
  • SNS Reaal in Holland (2013),
  • und der Hypo Alpe Adria in Österreich (2014/2015).

Diese Aufzählung ist beileibe nicht vollständig. Absolut unerträglich ist, dass die Behörden in all den Fällen sich für Bailouts entschieden haben. Das heißt: Sie zahlten eine Art „Lösegeld“ an diese Banken, während die BürgerInnen die Folgen des unverantwortlichen Gebarens der DirektorInnen und AktionärInnen dieser Banken tragen müssen. Eine angekündigte Trennung zwischen Geschäftsbanken und Investmentbanken wurde nicht einmal in Ansätzen versucht. Darauf zu hoffen, dass dies für die herrschende Politik noch ein Thema ist, ist reines Wunschdenken. Die von Pierre Moscovici, dem damaligen französischem Finanz- und Wirtschaftsminister in der Regierung von François Hollande, 2012 durchgeführte Bankenreform war nichts als eine Farce. Was die vom europäischen Parlament im April 2013 festgelegte Obergrenze auf variable Vergütungsanteile (Boni) für Banker anbelangt, so folgte daraus in der Praxis: Die Banken erhöhten die fixen Vergütungen. Sie konnten das tun, weil es keine Regelungen gab, die das verhinderten, und weil es keine Menschen gab, die entsprechende Regelungen schufen.
Ansonsten gab es keinerlei Maßnahmen, die darauf abzielten, weiteren Krisen im privaten Finanzsystem einen Riegel vorzuschieben. Regierungen und Aufsichtsbehörden, die eigentlich durchsetzen wollten, dass die bestehenden Regelungen eingehalten und weiter ausgebaut und verbessert werden, haben die 2008/2009 verkündeten, eher armseligen Ansätze entweder weiter abgeschwächt oder ganz in die Tonne gekippt. Im Mittelpunkt aller Bankenaktivitäten steht mehr denn je die Jagd nach dem maximalen Gewinn. Insofern gab es auch keine Abkehr von Hochrisikoaktivitäten, die maßgeblich für den Ausbruch der Krise 2007/2008 verantwortlich waren. Seither hat es zahlreiche Skandale gegeben, in die die 15 größten Privatbanken Europas und der USA verwickelt waren: betrügerische Hypothekenkredite, Manipulationen bei Wechselkursen und Zinssätzen (wie dem Libor), gezielte Manipulation der Energiemärkte, massiver Steuerbetrug, Geldwäsche zugunsten des organisierten Verbrechens und so weiter. Der Skandal rund um die Panama Papers zeigt, wie die Banken Steueroasen für ihre Zwecke nutzen. Die Financial Times berichtete, dass der britische Premierminister David Cameron persönlich eingegriffen hatte, um zu verhindern, dass die Offshore-Trusts in die europaweite Untersuchung der Steuerbetrugsaktivitäten einbezogen werden.

Wegen des von den Banken verantworteten Vergehens haben die Behörden allenfalls Geldstrafen verhängt – in einer Höhe, die angesichts des Ausmaßes der verbrecherischen Praktiken eher ein Witz sind. Die verbrecherischen Handlungen der Banker haben nicht nur auf die öffentlichen Finanzen, sondern auch auf die Lebensbedingungen von Millionen von Menschen in der ganzen Welt negative Auswirkungen. Aber statt die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, wurden verantwortungsvolle Menschen in den Regulierungsgremien wie etwa Martin Wheatley, der frühere Chef der Financial Conduct Authority in London, aus dem Verkehr gezogen. Er wurde gefeuert, weil er seine Arbeit anständig gemacht hatte und weil er zu kritisch gegenüber den Banken war. George Osborne (Finanz¬minister unter David Cameron) entließ Martin Wheatley im Juli 2015, neun Monate vor Auslaufen von dessen Fünfjahresvertrag.

Obwohl sie offenkundig für die zahlreichen oben genannten Delikte verantwortlich sind, ist kein einziger führender Bankmanager in den USA oder Europa (mit Ausnahme von Island) verurteilt worden, wohingegen HändlerInnen, die in der Bankenhierarchie untergeordnete Positionen einnahmen, strafrechtlich verfolgt und zu Haftstrafen zwischen fünf und vierzehn Jahren verurteilt wurden.

Wenn wie im Falle der „Royal Banc of Scotland“ (RBS) Banken verstaatlicht wurden, entstanden für die öffentlichen Haushalte sehr hohe Kosten. Gleichzeitig blieben die Interessen der großen AnteilseignerInnen unangetastet. Die Anteile wurden den privaten EignerInnen zu einem Bruchteil ihres ursprünglichen Wertes zurückverkauft. Die Rettung der RBS kostete die öffentliche Hand 45 Milliarden Pfund, die Reprivatisierung der RBS wird für die öffentliche Hand einen Verlust von 14 Milliarden Pfund bringen.

In Bezug auf die Frage, ob die Banken jetzt die Realwirtschaft finanzieren, gilt: Alle entsprechenden Bemühungen der Zentralbanken, auch nur im Ansatz eine Wiederbelebung der Realwirtschaft zu erreichen, sind bislang fehlgeschlagen.

Weil wir insbesondere im Lichte der griechischen Erfahrung spüren, dass die Banken für jedes Projekt der Gesellschaftsveränderung von zentraler Bedeutung sind, schlagen wir Sofortmaßnahmen vor, um die folgenden sechs Ziele zu erreichen:

  1. Umstrukturierung des Bankensektors;
  2. Beendigung aller Spekulation;
  3. Ende des Bankgeheimnisses;
  4. Regulierung des Bankensektors;
  5. Entwicklung alternativer Mittel zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben;
  6. Stärkung der öffentlichen Banken.

In einem zweiten Teil werden wir unsere Argumente für die Vergesellschaftung des Bankensektors entwickeln

SOFORTMAßNAHMEN

1. Umstrukturierung des Bankensektors

Nötig sind eine radikale Verringerung der Größe von Banken, um das „too big to fail“-Risiko zu beseitigen, das systemische Banken1 darstellen, und die Trennung von Geschäftsbanken und Investmentbanken. Die Geschäftsbanken sollen die einzigen Finanzinstitute sein, denen es erlaubt ist, Einlagen von SparerInnen entgegen zu nehmen. Sie sollen als einzige öffentliche Unterstützung erhalten (öffentliche Garantien für die Sicherung von Spareinlagen und Zugang zu Geld von der Zentralbank). Diese Geschäftsbanken bekommen die Auflage, Kredite an Privatpersonen, an lokale und nationale Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen zu gewähren. Aktivitäten an den Finanzmärkten sind ihnen untersagt. Das bedeutet, dass sie keine Verbriefungen vornehmen dürfen, d. h. Darlehen dürfen nicht in handelbare Wertpapiere umgewandelt werden. Geschäftsbanken müssen die Kredite bis zur vollständigen Rückzahlung in ihren Büchern halten. Die Bank, die ein Darlehen gewährt hat, muss für diese Darlehen auch das Risiko tragen.

Investmentbanken haben kein Anrecht auf öffentliche Garantien; im Falle des Ausfalls einer Investmentbank werden alle Verluste durch den privaten Sektor getragen, angefangen bei den GroßaktionärInnen (die mit ihrem gesamten Vermögen haften).

Kreditbeziehungen zwischen Geschäftsbanken und Investmentbanken sind nicht gestattet. Im Sinne von Frédéric Lordons Prinzip einer echten „Apartheid“ zwischen Geschäftsbanken und Investmentbanken wird es einer Geschäftsbank unter keinen Umständen erlaubt sein, in Kreditbeziehungen zu einer Investmentbank zu treten.[2]

2. Beendigung von Spekulation

Wie Paul Jorion vorschlägt, muss Spekulation verboten werden. Mit einem solchen Verbot würde jedermann, der Spekulation praktiziert, sich eines Verstoßes schuldig machen. [3] Teil eines Programms gegen die Spekulation sollte sein, dass Sanktionen gegen Banken vorgesehen werden, wenn diese auf eigene Rechnung oder im Namen ihrer Kunden spekulieren. Der Erwerb von Sachvermögen (Rohmaterialien, Rohstoffe, Grundstücke, Gebäude etc.) oder Wertpapieren (Aktien, Anleihen oder anderen Sicherheiten) durch Finanzinstitute, die in der Absicht getätigt werden, auf den Preis zu spekulieren, wird verboten.

Derivate verbieten. Da Verbriefungen und Derivate zur Absicherung von Risiken entfallen, bedeutet das für die Banken und Finanzinstitute: Wenn sie sich gegen verschiedene Arten von Risiken (im Zusammenhang mit Wechselkursen, Zinssätzen, Zahlungsausfällen etc.) absichern wollen, müssen sie auf ganz traditionelle Versicherungsverträge zurückgreifen.

Banken müssen vor der Platzierung von Finanzprodukten auf dem Markt eine Genehmigung durch die zuständige Aufsichtsbehörde anfordern: In der Vergangenheit haben die ProduktdesignerInnen der Banken ständig neue, in der Regel immer komplexere und undurchschaubare strukturierte Finanzprodukte entwickelt, die dann ihren KundInnen anbieten konnten. Damit muss Schluss sein. Die Entwicklungsabteilungen der Investmentbanken müssen jedes neue Finanzinstrument zunächst bei den Aufsichtsbehörden zur Zulassung einzureichen. Er wenn die Zulassung erfolgt ist, dürfen diese Produkte den KundInnen angeboten werden. Für Derivate gilt diese Regelung nicht. Sie sind grundsätzlich nicht zulässig.

Trennung von Beratungstätigkeit und Marktaktivitäten. Wir stimmen dem belgischen Ökonom Eric de Keuleneer zu, der die Trennung von Beratungstätigkeit und Marktaktivitäten vorschlägt: „Es ist nicht richtig, dass Banken riskante Schulden übernehmen und gleichzeitig ihre Kunden über die Qualität dieser Schulden beraten.“ Es darf nicht möglich sein, dass Banken auf Gold zu spekulieren und gleichzeitig „uneigennützig“ ihren Kunden anraten, Gold zu kaufen.

Verbot von Hochfrequenzhandel und Schattenbanken. Strenge Begrenzung von Off-Balance-Sheet-Geschäften, die weder als Posten auf der Aktivseite noch auf der Passivseite der Bilanz einer Bank ausgewiesen werden. [4] Generelles Verbot von Leerverkäufen.

3. Ende des Bankgeheimnisses

Verbot von Over-the-counter-Finanzmärkten (außerbörslichen Finanzmärkten). – Alle Transaktionen auf den Finanzmärkten müssen aufgezeichnet werden und nachvollziehbar, geregelt und kontrollierbar sein. Bis jetzt sind die wichtigsten Finanzmärkte „over the counter“ – das heißt, sie unterliegen überhaupt keiner Aufsicht. Dies gilt für den FOREX-Markt (5.300 Milliarden US-Dollar pro Tag) [5], den Derivatenmarkt, die Märkte für Rohstoffe und Agrarprodukte [6] etc.

Schluss mit dem Bankgeheimnis. Die Banken müssen alle Informationen in Bezug auf ihre DirektorInnen, ihre verschiedenen Einheiten, ihre KundInnen, die Aktivitäten, die sie durchführen, die Transaktionen die sie für ihre KundInnen durchführen oder auf eigene Rechnung machen, zugänglich machen. Ebenso muss die Buchführung lesbar und nachvollziehbar sein. Die Aufhebung des Bankgeheimnisses muss ein grundlegender demokratischer Imperativ für alle Länder werden. Konkret heißt das, dass die Banken den Steuerbehörden folgende Unterlagen zur Verfügung stellen müssen:

  •  eine Liste der Namen der NutznießerInnen von Zinsen, Dividenden, Kapitalerträgen und sonstigen Finanzeinnahmen;
  • Informationen über die Eröffnung, Änderung und Schließung von Bankkonten, mit dem Ziel, ein nationales Verzeichnis aller Bankkonten einzurichten;
  • alle Informationen über die Kapitalbewegungen in das und aus dem Land heraus zum Zweck der Identifizierung des Auftragsgebers.
  • Verbot von Geschäften mit Steueroasen. Den Banken müssen Transaktionen mit Steueroasen untersagt werden. Die Nichtbeachtung des Verbots führt zu strengen Sanktionen (einschließlich der möglichen Widerrufung der Banklizenz) und hohen Geldstrafen.

4. Regulierung des Bankensektors

Anforderung an die Banken, deutlich das Volumen ihrer Eigenmittel im Verhältnis zu ihrer Bilanzsumme zu erhöhen (Erhöhung des Eigenkapitals). [7] Während gegenwärtig das Eigenkapital in der Regel weniger als 5 % des Vermögens einer Bank beträgt, sind wir dafür, dass das gesetzliche Minimum auf 20 % angehoben wird.

Verbot der Sozialisierung der Verluste von Banken und anderen privaten Finanzinstituten. Das bedeutet das Verbot für öffentliche staatliche Stellen, private Schulden mit öffentlichen Mitteln zu gewährleisten.

Wiederherstellen der unbegrenzten Haftung der GroßaktionärInnen bei Bankenpleiten. Die Kosten des Konkurses einer Bank müssen aus dem Gesamtvermögen der HauptaktionärInnen (seien sie Einzelpersonen oder Unternehmen) bestritten werden.

Bei Bankkonkursen müssen die Einlagen „kleiner KundInnen“ der Geschäftsbank bis zu einer Höhe von 150.000 Euro vom Staat garantiert werden – vorbehaltlich einer demokratischen Debatte.

Hohe Besteuerung der Banken. Die Gewinne der Banken müssen konsequent den gesetzlichen Bestimmungen in Bezug auf die Besteuerung von Unternehmen unterliegen. In der Tat liegen die Raten, die Banken derzeit zahlen, sehr deutlich unter dem gesetzlichen Zinssatz, der selbst schon viel zu niedrig ist. Banktransaktionen mit Devisen [8] und finanziellen Sicherheiten müssen besteuert werden. Die kurzfristigen Bankschulden müssen besteuert werden, um langfristige Finanzierung zu fördern.

Systematische strafrechtliche Verfolgung von BankdirektorInnen, die Finanzverbrechen begangen haben. Widerrufung der Banklizenzen von Institutionen, die gegen bestehende Verbote verstoßen haben und sich der Veruntreuung schuldig gemacht haben.

Andere Wege zur Rettung von Banken finden. Zusätzlich zu den oben genannten Maßnahmen – unbeschränkte Haftung für Großaktionäre (die alle ihre Vermögenswerte umfasst), Garantien für Einlagen bis zu 150.000 Euro und das Verbot der staatlichen Gewährleistung von privaten Schulden aus öffentlichen Mitteln – muss ein Mechanismus geschaffen werden für eine ordnungsgemäße Abwicklung von in Konkurs gegangenen Banken. Dieser sollte aus zwei Strukturen bestehen: eine private „Bad Bank“ (von privaten AktionärInnen gehalten und ohne, dass Kosten für die öffentliche Hand entstehen) und eine öffentliche Bank, in welche Einlagen und sichere Anlagen übertragen werden. Bestimmte neuere Erfahrungen können als Inspiration dienen – insbesondere die Maßnahmen, die seit 2008 in Island ergriffen worden sind. [9]

5. Andere Möglichkeiten der Finanzierung der Staatsverschuldung finden

Am 16. März 2016 senkte die EZB den Leitzins, den die Banken der Europäischen Zentralbank (EZB) für Kredite zahlen müssen, auf 0,00 Prozent. Das billige Geld können die Banken – natürlich mit einem saftigen Risikoaufschlag – an Länder wie Italien, Spanien, Portugal oder Irland leihen. Im Statut der europäischen Verträge ist es der EZB untersagt, Geld direkt an Staaten oder öffentliche Institutionen zu verleihen. Diese Art der Subventionierung von Banken ist ein Skandal!
Die Zentralbanken sollten öffentlichen Einrichtungen Darlehen bei Null Prozent Zinsen gewähren. Im Unterschied zur derzeitigen Praxis der EZB (aufgrund der europäischen Verträge) würde die Zentralbank in der Lage sein, Kredite zu Null Prozent Zinsen an den Staat und alle öffentlichen Einrichtungen (Gemeinden, Krankenhäuser, Sozialwohnungsgesellschaften etc.) zu vergeben, um eine sozial gerechte Politik im Kontext einer ökologischen Transformation zu schaffen.

6. Stärkung der bestehenden öffentlichen Banken und Wiedereinrichtung öffentlicher Banken in den Ländern, in denen diese privatisiert wurden

In Bezug auf die Frage, wie ein öffentliches Bankenwesen ausgestaltet sein sollte, gibt es unterschiedliche Vorstellungen. In Frankreich ist 2012 das Komitee „Pour un Pôle Public Financier au Service des Droits!“ (Hin zu einem öffentlichen Finanzpol zur Sicherung unserer Rechte!) entstanden, das sich für die Schaffung eines öffentlichen Bankenstruktur einsetzt. [10] Der gravierende Nachteil dieses Projekts ist aus unserer Sicht, dass es nicht an die Wurzel des Problems geht. Es sieht vor, dass Privatbanken und ein Genossenschaftssektor, der nur dem Namen nach genossenschaftlich ist, neben einem unbedeutenden öffentlichen Bankensektor weiter bestehen bleiben. In Belgien, wo die Regierung in den 1990er Jahren die letzten öffentlichen Banken privatisiert hat, kaufte der Staat 2011 einen Teil der Bank Dexia zurück, jetzt ist er zu 100 % deren Eigentümer. Der Staat bezahlte dafür € 4.000.000.000 – einen Betrag, den selbst die Europäische Kommission als unvernünftig hoch ansah. Aus „Dexia“ ist „Belfius“ geworden und die Bank hat immer noch privaten Status. Unserer Meinung nach muss Belfius eine wirklich öffentliche Bank werden. Bei ihr müssen alle jene konkreten Maßnahmen zur Anwendung kommen, die weiter oben formuliert wurden. Es hätte Folgendes getan werden müssen: Belfius hätte praktisch – ohne dass Kosten für die öffentlichen Finanzen angefallen wären – als öffentliches Bankinstitut eingerichtet werden können, wobei die anfallenden Kosten aus den Einlagen der KundInnen der Dexia Bank und anderen sicheren Anlagen hätten finanziert werden können. Die Bank hätte unter BürgerInnenkontrolle gestellt werden müssen. Arbeitsbedingungen, Arbeitsplätze und Einkommen des Personals hätten gesichert werden müssen. Hingegen hätten die Vergütungen für die DirektorInnen stark reduziert werden sollen. Das zuständige Ministerium hätte gegen die DirektorInnen von Dexia wegen ihrer kriminellen Verfehlungen Strafverfahren anstrengen sollen.

II. VERGESELLSCHAFTUNG DES BANKENSEKTORS

Setzt man die konkreten Maßnahmen, die wir oben erwähnt haben, in die Praxis um, wäre das ein großer Schritt nach vorn bei der Bewältigung der Krise im Bankensektor. Dennoch würde damit der private Sektor nach wie vor eine beherrschende Stellung einnehmen.

Es wären über einen längeren Zeitraum noch eine ganze Reihe weitere Maßnahmen erforderlich.

Wenn die Erfahrung der letzten Jahre etwas zeigt, dann ist es das, dass die Banken nicht den KapitalistInnen überlassen werden dürfen. Wenn überhaupt, so schaffen wir es nur durch die Mobilisierung der Bevölkerung, dass die oben diskutierten Maßnahmen umgesetzt werden. Wir müssen davon ausgehen, dass der Widerstand des Kapitals gegen eine Umwandlung der Banken in öffentliches Eigentum selbst dann noch nicht enden wird. Das Kapital wird weiterhin alles daran setzen, um das, was es verloren hat, zurück zu bekommen. Es wird alle nur möglichen Schliche versuchen, um bestehende Regulierungen zu umgehen; es wird seine gewaltigen finanziellen Mittel einsetzen, um die Unterstützung von Abgeordneten und Regierung für Deregulierungsmaßnahmen zu gewinnen. Und natürlich geht ihr ganzes Streben auch weiterhin dahin durchzusetzen, dass auch in Zukunft der Erzielung von maximalen Gewinnen ohne Rücksicht auf die Interessen der Bevölkerungsmehrheit das Maß aller Dinge im Bankensektor ist.

Die Vergesellschaftung des Bankensektors unter Kontrolle der BürgerInnen ist notwendig.

Die KapitalistInnen haben in der Vergangenheit gezeigt, wie weit sie zu gehen bereit sind. Sie sind bereit, allerlei Risiken einzugehen (Risiken, für deren Folgen sie nicht gerade stehen wollen), wenn auf diesem Wege die Profite gesteigert werden können. Sie scheuen auch nicht vor dem Begehen von Straftaten zurück, wenn das der Erhöhung ihrer Profite dienlich ist.

Weil die Gesellschaft, die wir schaffen wollen, von der Verfolgung des Gemeinwohls, der sozialen Gerechtigkeit und der Wiederherstellung von ausgewogenen Beziehungen zwischen den Menschen und der Natur geleitet ist, muss der Bankensektor sozialisiert werden. Es muss, um es in den Worten von Frédéric Lordon zu sagen, eine „völlige Entprivatisierung des Bankensektors“ [11] stattfinden. Die Sozialisierung des Bankensektors in seiner Gesamtheit wird im übrigen auch von der Gewerkschaft der Bankangestellten bei der BPCE empfohlen. [12]

Sozialisierung des Bankensektors bedeutet:

  • Entschädigungslose Enteignung der GroßaktionärInnen; KleinaktionärInnen werden vollständig entschädigt.
  • Ein Monopol auf alle Bankgeschäfte für den öffentlichen Sektor – mit einer einzigen Ausnahme: Es soll weiter einen genossenschaftlichen Bereich von kleinen Banken geben, in dem allerdings die gleichen Regeln gelten wie im öffentlichen Sektor.
  • Schaffung eines öffentlichen Dienstes für Spar-, Kredit- und Investitionen mit einer doppelten Struktur: ein Netzwerk von kleinen Zweigstellen für die „kleinen“ KundInnen, Privatleute und kleine Betriebe auf der einen Seite und Spezialinstituten auf der anderen Seite, die zuständig sind für Fondsmanagement, die Finanzierung von Investitionen, die nicht in den Zuständigkeitsbereich von staatlichen Institutionen und deren regionalen und lokalen Untergliederungen fallen (z. B. für Gesundheit, Bildung, Energie, öffentlicher Verkehr, Ruhestand, die Umwelt). Diese staatlichen Einrichtungen werden mit den Haushaltsmitteln ausgestattet, die notwendig sind, um die erforderlichen Investitionen zu tätigen und ein effizientes Funktionieren zu gewährleisten. Die Spezialinstitute der Finanzwirtschaft wiederum sind zuständig für jene Bereiche und Handlungsfelder, die nicht von den Ministerien und deren Unterabteilungen abgedeckt werden.
  • Festlegung eines Katalogs per Bürgerbeteiligung, in dem festgehalten ist, welche Ziele erreicht werden sollen und welche Maßnahmen zu deren Erreichung durchgeführt werden sollen. Damit soll sichergestellt werden, dass die finanziellen Mittel, die Kredite und die Investitionen den gesellschaftlichen Prioritäten dienen, die vorher in einem demokratischen Planungsprozess festgelegt wurden.
  • Transparenz bei den Jahresabschlüssen, die in einer für die Öffentlichkeit in verständlichen Form dargestellt werden müssen.
    Wir geben dem Wort „Sozialisierung“ den Vorzug gegenüber dem Begriff „Verstaatlichung“ oder „Staatseigentum“, weil wir so die Rolle der BürgerInnen als demokratische Kontrollinstanz deutlich machen wollen. An der Entscheidungsfindung in den Banken sind DirektorInnen, PersonalvertreterInnen, KundInnen, gemeinnützige Verbände, örtliche Beamte und VertreterInnen der nationalen und regionalen öffentlichen Bankeinheiten beteiligt. Wie die Aufsicht durch aktive BürgerInnen ausgeübt wird, ist in einem demokratischen Verfahren festzulegen. Gleiches gilt für aktive Beteiligung von Beschäftigten im Bezug auf Geschäftsentscheidungen. BankdirektorInnen müssen jährlich einen öffentlichen Bericht über ihre Verwaltungsarbeit vorlegen. Dabei ist besonderes Augenmerk auf regionalen Bezug und auf Service-Qualität zu legen. Das Personal der Finanzinstitute muss dazu ermutigt werden, der Kundschaft ehrliche und authentische Beratung zu bieten. Es muss Schluss gemacht werden mit zur Zeit üblichen aggressiven Verkaufspolitik, die sich nicht am Wohl der Beratung suchenden Menschen orientiert, sondern stets die Erzielung einer Maximalrendite für das Finanzinstitut im Blick hat.
    Die Sozialisierung des Bankensektors macht das Finanzwesen zu einen öffentlichem Dienst, der diesen Namen auch verdient. So wird Folgendes möglich:
  • Die BürgerInnen sind KundInnen und als Beschäftigte nicht mehr dem Einfluss der Finanzmärkte und dem Zwang der Erzielung der Maximalrendite unterworfen.
  • Es können BürgerInnenprojekte und Projekte öffentlicher Institutionen finanziert werden.
  • Banken können sich jetzt dem Allgemeinwohl widmen. Dazu gehört auch der Übergang von der kapitalistischen produktivistischen Wirtschaft hin zu sozialem und ökologischem Wirtschaften.

Da Ersparnisse, Kredit, Sicherheit der Einlagen und der Erhalt der Integrität der Zahlungssysteme Angelegenheiten von allgemeinem Interesse sind, empfehlen wir, dass ein Gesamtsystem öffentlicher Bankdienstleistungen geschaffen wird. Aus diesem Grund treten wir für die Sozialisierung sämtlicher Unternehmen im Banken- und Versicherungssektor ein.

Weil Banken heute ein wichtiges Instrument für das Funktionieren des kapitalistischen Systems und einer Produktionsweise sind, die für unseren Planeten verheerend ist, weil in diesem kapitalistischen System riesige Ressourcen sinnlos vergeudet werden, weil es Kriege und Armut hervorbringt und weil es die sozialen Rechte und die demokratischen Institutionen immer weiter untergräbt, ist es wichtig, dass wir die Kontrolle über die Banken übernehmen. Nur so schaffen wir es, dass sie Werkzeuge im Dienst der Bevölkerungsmehrheit werden.

Die Sozialisierung des Bankensektors darf nicht als bloßer Slogan oder als eine Forderung begriffen werden, die ein Selbstläufer ist. Wir können nicht davon ausgehen, dass die EntscheidungsträgerInnen die Sozialisierung in die Praxis umsetzen, bloß weil sie begriffen hätten, dass Sozialisierung Sinn macht. Sozialisierung muss als ein politisches Ziel begriffen werden, das nur in einem langwierigen Prozess erreicht werden kann, der durch eine Bewegung der BürgerInnen vorangetrieben wird. Es ist nicht nur erforderlich, dass die bestehenden organisierten sozialen Bewegungen (einschließlich der Gewerkschaften) der Sozialisierung in ihrer Agenda eine hohe Priorität geben. Es ist auch wichtig, dass andere Sektoren (lokale Regierungsstellen, kleine und mittlere Unternehmen, Verbraucherverbände etc.) in diesem Sinne handeln. Vor allem aber ist es erforderlich, dass BankmitarbeiterInnen sich der Rolle ihres Berufs bewusst werden. Es ist wichtig, dass sie begreifen, dass es gerade auch in ihrem Interesse ist, dass die Banken sozialisiert werden.

Weil es sich dabei um eine Maßnahme handelt, die direkt auf das Herz des kapitalistischen Systems zielt, ist eine massive Mobilisierung dafür erforderlich, dass Vergesellschaftung des Bankensektors Wirklichkeit werden kann. Eine Regierung der Linken, die davor zurückschreckt, die Sozialisierung der Banken in Angriff zu nehmen, wird nicht in der Lage sein, jenen radikalen Wandel in Gang zu setzen, der erforderlich ist, um mit der Logik des Systems zu brechen und einen neuen Prozess der Emanzipation anzustoßen.

Die Sozialisierung des Banken- und Versicherungssektors muss Teil eines viel breiteren Programms von weiteren Maßnahmen sein, die den Übergang zu einem neuen, postkapitalistischen und post¬produktivistischen Modell in Gang bringen. Soll sie Wirklichkeit werden, würde das die Abkehr von der Sparpolitik, die Annullierung der illegitimen Schulden und die Umsetzung einer umfassenden Steuerreform mit stärkerer Besteuerung des Kapitals erfordern. Weitere Bestandteile wären eine deutliche Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichzeitiger Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen, die Sicherung des Lohnniveaus für die Masse der Beschäftigten, die Sozialisierung des Energiesektors, die Durchsetzung von Maßnahmen zur Gewährleistung der Geschlechterparität, die Ausweitung der öffentlichen Dienstleistungen und Sozialleistungen und die Implementierung einer Politik der ökologischen Konversion.

Ein solch tiefgreifender Umbruch der Gesellschaft muss letztendlich europaweit angegangen werden; wegen der Ungleichzeitigkeit von Bewegungen in verschiedenen Ländern wird es aber wohl so sein, dass er zunächst in einem oder mehreren Ländern angegangen werden wird.

Die Sozialisierung des gesamten Bankensystems ist aus ökonomischen, sozialen, politischen und demokratischen Gründen dringend notwendig

Bei diesem Text handelt es sich um eine sinngemäße Übertragung eines gemeinsamen Artikels. Der Text, der sich vorwiegend auf die Situation in Belgien, Frankreich und Großbritannien bezieht, wurde an manchen Stellen so bearbeitet, dass er für eine deutsche LeserInnenschaft verständlich wird. Die Übersetzung ist relativ frei, es wurden Ergänzungen hinzugefügt, um den Sachverhalt besser verständlich zu machen. Gelegentlich wurden Details, die sich sehr speziell sich auf die Situation in Belgien, Frankreich und Großbritannien beziehen, fortgelassen. Inhaltliche Veränderungen wurden nicht vorgenommen.
Die Vorlage ist auf der Website des CADTM zu finden.* Aus dem Englischen übersetzt von Paul Michel.

Anmerkungen

|1| Der belgische grüne Europaabgeordnete Philippe Lamberts schlägt ein Maximum von 100 Milliarden Dollar bei Vermögenswerten vor. „Um einen Vergleich zu geben, die Bilanzsumme von BNP Paribas hat im Jahr 2011 2.164 Milliarden Euro betragen, die der Deutschen Bank 1.965 Milliarden Euro“ (http://www.philippelamberts.eu/les-7-peches-capitaux-des-banques/).
Wir sind der Meinung, dass die maximale Größe einer Bank insbesondere in den kleineren Ländern deutlich niedriger sein sollte. 100 Milliarden Euro ist ein Vielfaches des BIP von Zypern und mehr als ein Viertel des BIP von Belgien.
|2| http://blog.mondediplo.net/2013-02-18-La-regulation-bancaire-au-pistolet-a-bouchon.
|3| Paul Jorion in: Financité, November 2013.
|4| Zum Beispiel sind Grenzen für Garantien von außerbilanziellen Verpflichtungen nötig. Das sollte Gegenstand weiterer Diskussionen sein.
|5| Siehe Eric Toussaint, „Comment les grandes banques manipulent le marché des dévises“ (Wie die Großbanken den Devisenmarkt manipulieren), am 13. März 2014 auf www.lemonde.fr veröffentlicht, übernommen auf http://cadtm.org/Comment-les-grandes-banque. Auf Englisch als Kapitel 18 des Buchs Bankocracy (als PDF: http://cadtm.org/IMG/pdf/Bankocracy_web.pdf).
|6| Eric Toussaint, „Les banques spéculent sur les matières premières et les aliments“ (Die Banken spekulieren auf Rohstoffe und Lebensmittel), 10. Februar 2014, auf Englisch: http://cadtm.org/Banks-speculate-on-raw-materials.
|7| Dies würde bedeuten, das gegenwärtige System der Gewichtung von Risiken bei Anlagen abzuschaffen. Es ist absolut unzuverlässig, da es die Gewichtung den Banken überlässt. Zur Erläuterung des aktuell von den Banken praktizierten Systems der Risikogewichtung, siehe http://cadtm.org/Banks-bluff-in-a-completely-legal.
|8| Eric Toussaint, „Il faut imposer une véritable taxe Tobin au lobby bancaire“ (Eine echte Tobin-Steuer muss gegen die Bankenlobby durchgesetzt werden), als Meinungsbeitrag veröffentlicht von der Tageszeitung L’Humanité, 25. Februar 2014, und auf http://cadtm.org/Il-faut-imposer-une-veritable-taxe.
|9| Interview mit Eva Joly, geführt von Renaud Vivien, „Iceland refuses its accused bankers ,Out of Courtʻ settlements“ (Island verweigert den beschuldigten Bankern außergerichtliche Vergleiche), http://cadtm.org/¬Iceland-refuses-its-accused.
|10| Siehe die Website des Komitees: http://pourunpolepublicfinancier.org/
Zu dem öffentlichen Pol, den sich das Komitee vorstellt, würden öffentliche Finanzinstitute (Banque de France, die Caisse des Dépôts und ihre finanzielle Tochtergesellschaften, OSEO, die Société des participations de l’Etat, Banque Postale, UbiFrance, die Agence française de développement, das Institut d’émission des Départements d’Outre-Mer, CNP Assurance) oder Finanzinstitute zählen, deren Zweck öffentliche Dienstleistungen sind (Crédit foncier, Coface). Jede Bank oder Versicherungsgesellschaft, in der der Staat einen Mehrheitsanteil erwirbt oder denen öffentliche Aufgaben zugeteilt werden, würde als öffentliche Finanzeinrichtung gelten.
In Belgien widmet sich eine von der Parti du Travail de Belgique bzw. Partij van de Arbeid (PTB/PvdA) erstellte Seite dem Thema öffentliche Banken (auf Französisch und Flämisch): http://www.banquepublique.be/.
|11| Frédéric Lordon, „L’effarante passivité de la ,re-régulationʻ financièreʻ“ („Die erschreckende Passivität der finanziellen Neuregulierung“), in: Les Économistes Atterrés (Hrsg.), Changer d’économie! Nos propositions pour 2012, Paris: Les liens qui libèrent, 2011, S. 242.
|12| Siehe insbesondere die folgenden Links: http://www.sudbpce.com/files/2013/01/2012-projet-bancaire-alternatif-definitif.pdf; http://cadtm.org/IMG/pdf/PLAQUETTE_BANQUES_SUD_BPCE.pdf; http://cadtm.org/Socialiser-le-systeme-bancaire.

Foto: “Blue Hour” von Andreas Wecker, flickr.com

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