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Palästina: Befreiungsbewegung in Trümmern

28.11.2016

Lässt sich im Jahr 2016 noch von einer palästinensischen Befreiungsbewegung sprechen? Wohl kaum, denn zu tief ist die Kluft zwischen der Fatah, die die palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland führt, und der Hamas, die den Gazastreifen regiert.

Lässt sich im Jahr 2016 noch von einer palästinensischen Befreiungsbewegung sprechen? Wohl kaum, denn zu tief ist die Kluft zwischen der Fatah, die die palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland führt, und der Hamas, die den Gazastreifen regiert.

Das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge steht für die totkranke Palästinensische Befreiungsorganisation PLO nicht mehr auf der Tagesordnung. Seit der Unterzeichnung der Oslo-Verträge im September 1993 haben sich die innerpalästinensischen Zwistigkeiten immer weiter verschlimmert.

Die Spaltung der islamistischen Bewegung

Die Hamas und die Bewegung des Islamischen Dschihad in Palästina sind die beiden islamistischen Hauptorganisationen. Im März 2005 unterzeichneten sie gemeinsam mit der Fatah, der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und der Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas (DFLP) das Kairoer Abkommen. Darin wird die Integration von Hamas und des Islamischen Dschihad in die PLO zur Sprache gebracht, ohne dass dies bis heute umgesetzt worden wäre. Trotzdem wurden die beiden islamistischen Parteien im Mai 2011 in ein „provisorisches Führungsgremium der PLO“ aufgenommen.

Die islamistische Szene in Palästina ist nicht einheitlich; vielmehr existieren zahlreiche Meinungsverschiedenheiten zwischen der Hamas und dem Islamischen Dschihad. Hamas strebt eine Lösung an, die einen einzigen Staat „unter islamischer Führung“ in den Grenzen Palästinas von 1948 vorsieht und ist gegen eine Zweistaatenlösung.

Trotzdem strebte Hamas nach den siegreichen Parlamentswahlen 2006 das Regierungsamt der durch die Oslo-Verträge zustande gekommenen palästinensischen Autonomiebehörde an. Strategisch orientiert sie sich auf eine langfristige „Waffenruhe“ mit Israel in den Grenzen von 1967. Der Islamische Dschihad verfolgt die gegenteilige Strategie, indem er jedwede Wahl in Palästina boykottiert und am bewaffneten Kampf gegen die israelische Armee rundum festhält. Unstimmig zwischen den beiden ist auch die Bündnispolitik in der Region. Während Hamas mit dem syrischen Regime unter Assad im Februar 2012 gebrochen hat, steht der Dschihad weiterhin aufseiten Teherans, das mit Damaskus verbündet ist. Nichtsdestotrotz unterhält Teheran wieder Beziehungen zur Hamas, deren Führung im Februar 2016 in den Iran gereist war, um die Beziehungen zur Islamischen Republik zu fes­tigen.

Fatah im Spagat

Apparat und Führungsriege der Fatah sind zwar weitgehend mit der Autonomiebehörde verbandelt, aber trotzdem ist sie weiterhin eine Volkspartei, die in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon oder Westjordanland verankert ist. Dabei setzt sie auf das einstige Image und Charisma des verstorbenen Jassir Arafat wie auf die Furcht vor der Hamas. In ihrem Auftreten lehnt sie sich heute stärker an den Islam an und pflegt einen konservativen Nationalismus. Dabei genießt sie die Unterstützung der wichtigsten Westmächte und der Golfstaaten, nutzt aber auch die Schwächen der Gegner. Als Hamas mit dem syrischen Regime brach, bandelte Fatah mit Assad an und feierte gar im Januar 2016 ihren Jahrestag in Damaskus mit offiziellen Vertretern des syrischen Regimes.

Auch innerhalb der Fatah gibt es zahlreiche Widersprüche. Einerseits setzt sie auf die Oslo-Verträge und Verhandlungen mit Israel, andererseits lehnten es die Delegierten auf dem 6. Kongress im August 2009 ab, die Artikel 12 und 13 aus der Fatah-Charta zu streichen, in denen zur Schaffung eines „einzigen demokratischen Staates“ in den gesamten Grenzen des historischen Palästinas aufgerufen wird.

Im Flüchtlingslager Balata im westjordanischen Nablus liefern sich die ehemaligen Mitglieder der Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden, des bewaffneten Arms der Fatah, Feuergefechte mit den Sicherheitskräften der Autonomiebehörde. Zudem ist die Fatah gespalten in die Anhänger des früheren Sicherheitschefs der Autonomiebehörden, Mohammed Dahlan, und denen des Präsidenten Mahmud Abbas. Im libanesischen Lager Ain al-Hilweh bekämpfen sich die beiden Flügel unter Einsatz bewaffneter Milizen. Allerdings trennen Dahlan und Abbas keine strategischen Differenzen, sondern nur der Kampf um die Pfründe des Regierungsapparats.

Keine linke Alternative in Sicht

Die palästinensische Linke ist gespalten. Die PFLP, die DFLP und die Palästinensische Volkspartei (PPP, ehemalige KP) sowie die Palästinensische Nationale Initiative haben für die ursprünglich im Oktober angesetzten, inzwischen aber seitens der Regierung um vier Monate verschobenen Kommunalwahlen eine Bündnisliste namens Demokratische Allianz aufgestellt. Allerdings verfolgen die Einzelorganisationen unterschiedliche strategische Ziele: Während die DFLP und die PPP eine Zweistaatenlösung befürworten, ist die PFLP für einen einzigen „demokratischen Staat“.

Diese Gruppierungen verfügen nach wie vor über einen gewissen Kredit in der Bevölkerung, der aus ihrem Engagement in Bürgerinitiativen und unter den Student­Innen sowie in der Frauenbewegung (Generalunion palästinensischer Frauen, GUPW) rührt. Die PFLP ist daneben auch im Gazastreifen aktiv, wo sie bei den israelischen Angriffen im Juli 2014 mit ihrem militärischen Arm, den Abu-Ali-Mustafa-Brigaden, koordinierte Aktionen mit Hamas und dem Dschihad durchführte. Im Libanon führen PFLP und DFLP gemeinsame „Volkskomitees“ und gehören seit Februar 2015 den Gemeinsamen Palästinensischen Sicherheitskräften an, die das Erstarken des IS in den Flüchtlingslagern verhindern sollen.

Beide Organisationen hegten zwar gewisse Sympathien für den Arabischen Frühling 2011, unterhalten aber nach wie vor Beziehungen zum syrischen Regime und haben ihre Büros in Damaskus. Allen linken Organisationen gemein sind Probleme, Nachwuchs zu rekrutieren, wovon auch die Führungsebenen betroffen sind.

Die Linke liefert ein Abbild der gesamten Befreiungsbewegung, ist gespalten und steckt in einer strategischen Sackgasse. Dies wiegt umso schwerer, als sie eigentlich als Alternative zu Hamas und Fatah gute Voraussetzungen hatte.

Aus l’anticapitaliste
vom 6. Oktober 2016,
Übersetzung MiWe

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