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Feminismus

Nach Köln und sowieso: Null Toleranz bei sexualisierter Gewalt!

Von Edith Bartelmus-Scholich | 14.02.2016

Die Silvesternacht geriet für Hunderte Frauen am Kölner Hauptbahnhof zum Albtraum. Auf dem Bahnhofsvorplatz, aber auch im Bahnhof lauerten ihnen alkoholisierte Männergruppen auf um sie zu vereinzeln, zu umringen, zu beleidigen und sexuell zu attackieren.

Die Silvesternacht geriet für Hunderte Frauen am Kölner Hauptbahnhof zum Albtraum. Auf dem Bahnhofsvorplatz, aber auch im Bahnhof lauerten ihnen alkoholisierte Männergruppen auf um sie zu vereinzeln, zu umringen, zu beleidigen und sexuell zu attackieren.

Es kam nicht nur zu Diebstählen, sondern vielfach zu brutalen sexuellen Übergriffen und zu einer Vergewaltigung. Die Übergriffe waren geeignet, die betroffenen Frauen schwer zu traumatisieren. Inzwischen wurden mehr als 600 Anzeigen erstattet, davon 45 % wegen sexuellen Belästigungen.

Die Opfer – denen Mitgefühl und Solidarität gebührt – aber auch Augenzeugen beschreiben überwiegend die Täter als Gruppen nordafrikanischer junger Männer, die aus einer Menge von ca. 1000 Männern heraus agierten. Die Polizei zeigte sich von der Entwicklung überrascht und überfordert. Für Stunden waren Frauen Freiwild und der öffentliche Raum wurde von enthemmten Gewalttätern kontrolliert. Damit stellen die Ausschreitungen von Köln in Deutschland eine neue Qualität sexualisierter Gewalt dar.

„taharrush gamea“

Keine neue Qualität, sondern eine übliche Aktionsform im Krieg gegen Frauen stellen derartige Übergriffe jedoch dort dar, wo die mutmaßlichen Täter sozialisiert wurden. In allen nordafrikanischen Staaten fürchten Frauen gemeinschaftlich begangene sexuelle Belästigungen, für die es dort die Bezeichnung „taharrush gamea“ gibt. Es sind stets Horden junger, subalterner und perspektivloser Männer, die mit dieser Form der Gewalt Frauen nicht nur herabwürdigen und verletzen, sondern ihnen auch den Zugang zum öffentlichen Raum versperren wollen. Patriarchalische Religion und patriarchalische Gesellschaft, die Frauen nur mindere Rechte und minderen Status zubilligen, sind neben den sozialen und wirtschaftlichen Problemen im Maghreb der Nährboden für Männergewalt gegen Frauen. Dies gipfelt darin, dass noch eher als bei uns, nach sexualisierter Gewalt eine Täter-Opfer-Umkehr erfolgt. Die Gesellschaft gibt der Frau, die Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden ist, in der Regel mindestens eine Mitschuld daran.

Es ist wohl unstrittig, dass nicht geduldet werden darf, dass Frauen „taharush gamea“ nun auch in Deutschland fürchten müssen. Frauen müssen in Deutschland die reale Möglichkeit haben, sich überall, zu jeder Tageszeit, in jeder Bekleidung und ohne Begleitung im öffentlichen Raum zu bewegen, ohne Gewalt ausgesetzt zu sein. Sie dürfen nicht wegen ihres Geschlechts beleidigt und herangewürdigt werden. Sie genießen gleiche Rechte wie Männer, überall: als Bürgerinnen, im Betrieb und in der Verwaltung, in Schule, Ausbildung und Studium sowie in der Partnerschaft. Sie können und sollen sich selbst organisieren und für mehr Rechte und vollständige Teilhabe an der Gesellschaft kämpfen. Die Durchsetzung dieser Norm – einer Minimalanforderung – für alle hier lebenden Frauen, auch für diejenigen, die aus Ländern, in denen sie stark unterdrückt wurden, zu uns kommen, ist die wichtigste frauenpolitische Tagesaufgabe und eine deutliche Botschaft an die Täter.

Andere Formen der Frauenfeindlichkeit

Darüber muss mehr als die Minimalanforderung für alle in Deutschland lebenden Frauen sichergestellt werden: Auch minder schwere Übergriffe, häusliche Gewalt, sexualisierte Werbung und verbale Herabwürdigungen von Frauen stellen Gewalt gegen Frauen dar. Auch wenn sie täglich vorkommen und die Gesellschaft sie kaum skandalisiert, ist nun der Zeitpunkt gekommen, sexuelle Übergriffe strafbar zu machen und sexualisierte Werbung zu verbieten. Diskurse, in denen Frauen als Menschen zweiter Klasse, als Untergebene des Mannes oder als sexuell verfügbare Objekte dargestellt werden, müssen als das klassifiziert werden, was sie sind: frauenfeindlich.

Zudem müssen Straftatbestände wie Frauenhandel, Zwangsprostitution, aber auch Zwangsheirat und weibliche Beschneidung endlich wirksam bekämpft werden. Es ist zu hoffen, dass im Zuge der Debatte über sexualisierte Gewalt, die nach den Ereignissen in Köln aufgeflammt ist, auch diesen Themen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Unabhängig davon, dass die Kölner Exzesse überwiegend von jungen Männern, die aus Nordafrika stammen, zu verantworten sind, kann es nicht sein, dass nun Rassisten alle nordafrikanischen, arabischen oder islamischen Migranten in Sippenhaft nehmen und versuchen, mit rechten „Bürgerwehren“ den öffentlichen Raum zu kontrollieren. Die übergroße Mehrzahl der Migranten verabscheut die Taten, verurteilt die Täter und solidarisiert sich zum Teil öffentlich mit den Opfern. Diesen Menschen muss weiter vertrauensvoll begegnet werden, und sie müssen vor gewalttätigen Übergriffen von Faschisten geschützt werden.

Auch den rasch aufgekommenen Forderungen nach massenhafter Abschiebung von Nordafrikanern ist nicht zu folgen. Vielmehr scheint neben der konsequenten Bestrafung von überführten Straftätern angezeigt, den oftmals noch sehr jungen Männern auch eine Perspektive durch Integration in unsere Gesellschaft zu eröffnen. Vorerst ist hierzu nötig, sie mit Sprachkursen, sozialpolitischem Unterricht und Maßnahmen zur Heranführung an Ausbildung und Arbeitsmarkt sinnvoll auf die Integration vorzubereiten.

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