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Innenpolitik

Leider ein rechter und kein linker Haken

14.10.2016

Bei den Landtagswahlen/Abgeordnetenhauswahlen 2016 in Mecklenburg-Vorpommern  und Berlin verbuchte die AfD weitere Wahlerfolge, die SPD bekam eine Klatsche.

Bei den Landtagswahlen/Abgeordnetenhauswahlen 2016 in Mecklenburg-Vorpommern  und Berlin verbuchte die AfD weitere Wahlerfolge, die SPD bekam eine Klatsche.

Mecklenburg-Vorpommern

In Mecklenburg-Vorpommern (MV) kam die Alternative für Deutschland (AfD) bei ihrem ersten Antritt auf 20,8 % der abgegebenen Stimmen und landete damit auf Platz 2 hinter der SPD mit 30,6 %, die damit 5 % gegenüber der letzten Wahl verloren hat. Die CDU, die auch weiterhin mit der SPD in einer „großen Koalition“ regieren will, verlor 4 Prozent und kam auf 19 % der Stimmen, die NPD schaffte es mit 3 % nicht mehr in den Landtag; auch Grüne und FDP müssen draußen bleiben.

Die Partei DIE LINKE büßte leider knapp 5 % ein und ist mit 13,2 % im Landtag vertreten, eine Koalition mit der SPD wäre rein rechnerisch und praktisch möglich gewesen, die Sozialdemokraten entschieden sich aber sehr schnell für die Fortsetzung der bisherigen Koalition. Von den 1,3 Mio. Wahlberechtigen nahmen 61,9 % an der Wahl teil. Den größten Stimmenzuwachs bekam die AfD aus dem Lager der bisherigen NichtwählerInnen (56 000). Diese Partei wird mehrheitlich von Männern gewählt, setzt sich aber aus allen Schichten der Gesellschaft zusammen. Von den 167 000 Stimmen für diese Partei kamen aus der Gruppe der ArbeiterInnen 33% von den arbeitslosen WählerInnen 29 %.

Industriearbeitsplätze und Forschung konzentrieren sich auf die Küstenregionen wie Wismar, Rostock und Greifswald. Der Maschinenbau und die Landwirtschaft leiden an den Folgen der EU-Sanktionen gegenüber Russland, einem traditionell wichtigen Wirtschaftspartner der Region. In den ländlichen Regionen sind Arbeitsplätze und Verkehrsverbindungen besonders dünn und können nicht durch den Tourismus an der Küste in den Sommermonaten kompensiert werden. Die Arbeitslosigkeit liegt nach frisierten offiziellen Zahlen bei 9 %.

In Mecklenburg-Vorpommern leben gerade mal 6000 vor Krieg, Armut und Verfolgung geflüchtete Menschen!

Berlin

Auch in Berlin schnitt die AfD mit 14,1 % der Stimmen gut ab und bekam wie in MV aus allen Lagern ihre Stimmen. Die gestiegene Wahlbeteiligung, für die sich besonders die SPD starkmachte, kam vor allem der AfD zugute. Die SPD kam nur noch  21,6 % (-6,7%), die CDU  17,6% (-5,7%), Grüne 15,2 % (-2,4%), FDP 6,7% (+4,9%), die Clowns und Laptop-Fetischisten der Piratenpartei flogen mit nur noch   1,7 % im hohen Bogen wieder raus.

Erfreulich bei dieser Wahl war der Erfolg der LINKEN, die mit einem Zuwachs von 3,9% auf nun 15,6 % knapp vor den Grünen landen konnten. Dieser Erfolg ist im Besonderen auch dem Engagement von Sarah Wagenknecht im Wahlkampf zu verdanken, der es glaubwürdig gelang, die Soziale Frage in den Vordergrund zu rücken und bei ihrem Auftritt klar rüberbringen konnte, dass die AfD nicht eine einzige soziale Forderung im Interesse der lohnabhängigen Klasse hat – im Gegenteil. Einen kleinen aber schönen Seitenhieb dabei gab es für die Grünen, Stimmen für die würden „mehr  Bio-Läden in Prenzlauer Berg“ bringen, ansonsten aber an den Bedürfnissen gerade der in prekären Verhältnissen lebenden Menschen vorbeigehen; sicher etwas verkürzt, aber in der Tendenz zutreffend.

Die sozialökonomischen strukturellen Unterschiede zwischen MV und Berlin spiegeln sich gut im Ergebnis für die Grünen wieder. Berlin hat zwar so viele in (Kinder-)Armut lebende Menschen wie Hamburg, MV oder Bremen und die sozialen Nöte und Widersprüche sind bei jeder Fahrt durch die verschiedenen Bezirke auffallend, aber Berlin hat einen viel größeren Anteil an Universitäten, Forschungseinrichtungen, Hightech-Firmen und eine große gut etablierte Mittelschicht mit allen Indikatoren eines besseren Lebens wie höherer Bildung, besserer Jobs, besserer Teilhabe an Kultur- und Freizeitangeboten, höherer Lebenserwartung und das erforderliche Geld für schöne Neu- und Altbauwohnungen in den begehrten Innenstadtbezirken. Die ehemaligen Alternativen sind seit Langem wieder im schönen bürgerlichen Leben angekommen, das Klientel der Grünen ist durchaus mit dem der Unionsparteien kompatibel, sie wollen nicht in ihrer Behaglichkeit gestört werden.

Aktuellstes Beispiel für ihr Leben im Elfenbeinturm ist ihre Haltung zur Übernahme der Kaiser`s /Tengelmann-Lebensmittelkette durch Edeka. Die Grünen haben Verständnis für die Ablehnung dieser Übernahme durch die Kartellbehörde und nehmen dadurch die drohende Arbeitslosigkeit mehrerer Tausend KollegInnen in Kauf.

Die Motive der AfD-WählerInnen

Sowohl in Mecklenburg-Vorpommern als auch in Berlin waren für die Stimmabgabe folgende Themen entscheidend: die Begrenzung der Flüchtlingszahlen; die Begrenzung des Islamismus; die AfD sage, was andere verdrängen; den etablierten Parteien könne man nicht trauen.

Diese Einstellungen fallen nicht vom Himmel, sie sind gewachsen und in MV kommt noch hinzu, dass durch die starke Präsenz von rechten Gruppen und der NPD auf dem Land ein verankertes rechtsradikales Milieu entstanden ist. Über den Weg der kommunalen Vernetzung konnte sich eine rechtsradikale Kultur entwickeln. In Berlin ist das anders, da gibt es einen viel größeren antifaschistischen und antirassistischen Widerstand. Es wäre aber völlig daneben, die Wählerinnen und Wähler der AfD pauschal als rechtsradikalen gesellschaftlichen Bodensatz abzutun.

Von den etablierten Parteien vorbereitet

Der Boden für die Wahlerfolge der AfD wurde durch die Politik des bürgerlichen Lagers einschließlich der SPD und der Grünen vorbereitet. Dass die Erfolge der AfD im bürgerlichen Lager für Nervosität sorgen, ist verständlich, der Platz an den schmackhaften Töpfen des Parlamentarismus wird enger. Als Erklärung wird dann meistens gebracht, dass „der Wähler“ ihre Politik „noch nicht verstanden“ habe, anders ausgedrückt: Die Wähler wären zu blöd. Wir sollten uns noch einmal kurz die Themen der letzten Jahre, die bis heute brennen, in Erinnerung rufen:

Die Bankenrettung der sogenannten Euro-Krise, Milliarden-Bürgschaften und Steuergelder für Bankenspekulationen; die Angriffe auf die griechische Arbeiter­Innenklasse und deren überhebliche, demagogische Verleumdung als Faulpelze; die Einmischung der EU und der NATO in den Konflikt der Ukraine, die Sanktionen gegen die Russische Föderation, was beides von der Mehrheit der Bundesdeutschen abgelehnt wird; die Instrumentalisierung des islamistischen Terrors für eine feindselige, diskriminierende Haltung gegenüber Moslems einerseits; die Verharmlosung von parallelgesellschaftlichen Tendenzen andererseits; die verweigerte Solidarität innerhalb der EU gegenüber den Kriegsflüchtlingen; fehlende bezahlbare Mietwohnungen in den Großstädten, zunehmende Altersarmut, überfordertes Rentensystem und geplünderte Kassen und, und, und. In allen Umfragen zu diesen Themen weicht die mehrheitliche Meinung der Bevölkerung von der Regierungspolitik ab.

Nun muss man sich fragen, weshalb denn ein Protest dagegen sich nur gering in einer Wahl für DIE LINKE ausdrückt. An dieser Stelle dürfen wir weder die SPD noch die Gr&
uuml;nen mit Kritik verschonen. SPD und Grüne haben seit Bestehen einer linken Alternative im Bundestag keine Möglichkeit ausgelassen, die PDS /LINKE zu verteufeln, zu verschmähen, als unfähig und als Alt-Stalinisten abzustempeln. Selbst die reformerische Politikalternative, wie sie die LINKE anstrebt, wurde als Unmöglichkeit abgetan, von reformsozialistischen Alternativen ganz zu schweigen. Es wurde und wird (zumindest auf Bundesebene) auf die LINKE eingedroschen, der real-existierende Kapitalismus als alternativlos gepriesen. Wer den Menschen jahraus, jahrein eintrichtert, dass eine Alternative zum Neo-Liberalismus der EU nur im Stalinismus enden würde, muss sich nicht wundern, wenn diese Sichtweise verfängt. Die Zustimmung zum kapitalistischen System ist den etablierten bürgerlichen Parteien mit der AfD gemein.

Noch einmal zur AfD und „wir schaffen das“.

Die AfD startete mit einer rechten Kritik an der Europäischen Union und einem arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Verarmungsprogramm (z. B. kein Mindestlohn, Privatisierung der Rentenkassen etc.). Im Zuge der Flüchtlingsströme aus den Kriegsgebieten des Vorderen Orients und dem in Europa einziehenden islamistischen Terror wurde auf den „Sündenbock“ gesetzt: die Flüchtlinge und Asylsuchenden. Hier fanden die rechtsradikalen Ideologen im Anzug mit zum Teil smartem Auftreten innerhalb der AfD ihre politische Plattform.

Nun fragen sich viele WählerInnen der AfD, wie denn das angehen kann, dass jahrzehntelang keine Mittel für die Armutsbewältigung (siehe oben) vorhanden sind und nun mal locker knapp eine Million Menschen hier aufgenommen werden. Sie fordern aber nicht eine Umverteilung des Reichtums von Oben nach Unten (wofür sich die LINKE starkmacht), sondern sie lehnen die Opfer ab und nicht die Politik, die überhaupt erst diese Zustände herbeigeführt hat. Hier treffen sich öffentliche Meinungsmache und der angepasste autoritäre, systemkonforme Charakter in einer Gesellschaft wieder.

Wenn es der AfD gelingen sollte, sich im Laufe des Jahres ein neues „Sozialprogramm für Deutsche“ gegen Migranten zu geben und zusätzlich einen eigenen Ordnerdienst zu bilden, dann gute Nacht.

Die Linke insgesamt muss argumentativ gegen die „soziale“ Demagogie der AfD steuern, für einen aktiven Internationalismus der Lohnabhängigen starkmachen und Themen in der Gesellschaft ohne blinde Flecken aufgreifen. Solidarität mit den Geflüchteten und ihr Schutz sind oberstes Gebot.

Empfehlenswerte Literatur
Hans-Joachim Maaz: „Der Gefühlsstau.  Ein Psychogramm der DDR“

Arno Gruen: „Der Verlust des Mitgefühls. Über die Politik der Gleichgültigkeit“

Erich Fromm: „Anatomie der menschlichen Destruktivität“

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