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Kultur

Lebensrettung oder Geschäft?

Von Thadeus Pato | 07.02.2012

Fast 15 Jahre war unser Genosse Klemens Alff Dialysepatient, bis er schließlich an den Folgen seines Nierenversagens verstarb. Seine Nieren hatten 1997 ihren Dienst versagt, und nach den Verteilungskriterien für Organe, wie sie in Deutschland gelten, wäre er wohl auf die Warteliste für Transplantationen gekommen und hätte irgendwann eine „neue“ Niere bekommen. Klemens hat das abgelehnt – aus grundsätzlichen Erwägungen. Hatte er Recht? Und ändert sich an den Gründen für seine Ablehnung durch das neue Transplantationsgesetz etwas?

Fast 15 Jahre war unser Genosse Klemens Alff Dialysepatient, bis er schließlich an den Folgen seines Nierenversagens verstarb. Seine Nieren hatten 1997 ihren Dienst versagt, und nach den Verteilungskriterien für Organe, wie sie in Deutschland gelten, wäre er wohl auf die Warteliste für Transplantationen gekommen und hätte irgendwann eine „neue“ Niere bekommen. Klemens hat das abgelehnt – aus grundsätzlichen Erwägungen. Hatte er Recht? Und ändert sich an den Gründen für seine Ablehnung durch das neue Transplantationsgesetz etwas?

Es sind vier wesentliche Fragen, die sich stellen, wenn man sich mit dem Für und Wider der Organtransplantation auseinandersetzt. Da ist zum einen die Frage, ob das Organ von einem lebenden oder von einem toten Menschen stammt. Zum Zweiten ist dann zu fragen, ob das, was heutzutage als „tot“ definiert wird, tatsächlich auch „tot“ bedeutet. Zum Dritten ist zu fragen, ob in einer Gesellschaft wie der, in der wir leben, mit der Frage der Verteilung der knappen Ressource „Spenderorgan“ gerecht umgegangen wird. Und schließlich ist zum Vierten die Frage zu stellen, ob es nicht andere Möglichkeiten gäbe als eine Organtransplantation, und diese damit weitgehend überflüssig zu machen.
 Tod …
Lassen wir einmal die sogenannte Autotransplantation (dabei wird Gewebe bei ein und derselben Person von einer Körperstelle zur anderen verpflanzt, z. B. Knochen oder Haut) außer Betracht, so gibt es noch die Xenotransplantation (dabei wird Gewebe von einer anderen Spezies auf den Menschen verpflanzt – eine Zeitlang z. B. in der Verbrennungsmedizin mit speziell behandelter Schweinehaut praktiziert oder mit Herzklappen vom Schwein), die Isotransplantation (Verpflanzung zwischen genetisch identischen Individuen, wie z. B. eineiigen Zwillingen) und das, was heute den Löwenanteil darstellt, die sogenannte Allotransplantation, also die Verpflanzung zwischen genetisch nicht identischen Individuen. Die wesentlichen Fragen stellen sich bei der Allotransplantation.

Das Problem stellen dabei nicht die Organe dar, die man auch dem Verstorbenen noch entnehmen kann, wie z. B. Gehörknöchelchen, sondern die, die nur „verwertbar“ sind, wenn bis zur Entnahme Herz und Kreislauf noch in Funktion waren.

Bis zur Entwicklung der Allotransplantation von Organen, die nicht nach dem Kreislaufstillstand verwertet werden können, galt ein Mensch dann als tot, wenn ein nicht zu beseitigender Herz- und Kreislaufstillstand eingetreten war. Das änderte sich 1968. Nicht von ungefähr. Inzwischen waren zwei Dinge passiert. Zum einen hatte die Medizin große Fortschritte in der Wiederbelebung nach Kreislaufstillstand gemacht. Das hatte allerdings die Konsequenz, dass ein Teil der Wiederbelebten keine (messbare) Hirnfunktion mehr hatte und die Intensivstationen zu blockieren drohte. Und zum anderen war man inzwischen soweit, dass man gewisse Methoden hatte, mit der Abstoßungsreaktion des Körpers gegenüber Fremdgewebe umzugehen und damit die Organtransplantation auch über die Isotransplantation hinaus (die erstmals bereits bei einer Nierentransplantation zwischen eineiigen Zwillingen 1954 durchgeführt worden war) breit einzuführen – oder besser: auszuprobieren.
Dafür bedurfte es aber einer Änderung der Definition dessen, was „Tod“ eigentlich bedeutet. Noch 1951 hatte „Black’s Law Dictionary“ lapidar vermerkt: „Der Tod ist das Ende des Lebens … er wird von Ärzten anhand des völligen Stillstandes der Blutzirkulation und daraufhin der animalen und vitalen Lebensfunktionen wie Atmung, Pulsschlag etc. festgestellt.“1959 beschrieben dann die französischen Ärzte Mollaret und Goulon etwas, das sie „Coma dépassé“ nannten, also etwa „endgültiges Koma“, oder „jenseits des Komas“. Das war zu dem Zeitpunkt, als die künstliche Beatmung eingeführt wurde. Sie hatten beobachtet, dass ein Organismus auch nach Ausfall der Hirnfunktion – soweit messbar – am Leben erhalten werden konnte, aber nach Abstellen der externen Unterstützung der Tod eintrat. Aber das führte zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht zu einer Änderung der Todesdefinition. Mollaret und Goulon hatten übrigens auch nicht vorgehabt, dies anzustoßen.
… oder Leben?
Die wesentliche Änderung kam wie gesagt erst neun Jahre später. An der US-amerikanischen Harvard Medical School setzte sich eine Kommission aus Theologen, Juristen und Medizinern zusammen und formulierte den Tod neu. Interessant dabei war nicht, dass, wie voraussehbar und auch beabsichtigt, das „Coma dépassé“ als neues Todeskriterium definiert wurde, sondern die Begründung. Die Kommission formulierte: „1. Der medizinische Fortschritt auf dem Gebiet der Wiederbelebung … hat zu verstärkten Bemühungen geführt, das Leben auch schwerstverletzter Menschen zu retten. Manchmal haben diese Bemühungen nur teilweisen Erfolg: Das Ergebnis sind Individuen, deren Herz fortwährt zu schlagen, während ihr Gehirn irreversibel zerstört ist. Eine schwere Last ruht auf den Patienten, die den permanenten Verlust ihres Intellekts erleiden, auf ihren Familien, auf den Krankenhäusern und auf solchen Patienten, die auf von diesen komatösen Patienten belegte Krankenhausbetten angewiesen sind. 2. Überholte Kriterien für die Definition des Todes können zu Kontroversen bei der Beschaffung von Organen zur Transplantation führen.“

Nimmt man den Wortlaut, so handelt es sich um eine Art von Euthanasie per Todesdefinition. Denn wenn die Autoren des Kommissionspapiers davon überzeugt waren, dass diese Menschen tatsächlich tot sind, dann fragt man sich, wie auf ihnen noch „eine schwere Last“ ruhen kann. Sprache kann eben sehr verräterisch sein …

Es kam nicht von ungefähr, dass die Änderung der Definition des Todeszeitpunktes zu diesem Zeitpunkt erfolgte: 1967 fand die erste Herztransplantation statt (wobei der Chirurg Barnard zu einem Trick gegriffen haben soll, um das Problem des Todeszeitpunktes der Spenderin zu lösen). Objektiv gesehen war also nichts anderes geschehen, als dass man die Definition flugs den geänderten technisch-medizinischen Möglichkeiten angepasst hatte. Man konnte transplantieren (wenn auch nicht besonders erfolgreich, aber davon später mehr) und so schaffte man die Möglichkeiten. Dabei konnte man nebenbei auch noch das Problem mit den vollen Intensivstationen lösen.

Die Frage, ob es sich bei den sogenannten „Hirntoten“ um Lebende oder Tote handelt, kann allerdings bis heute niemand eindeutig beantworten. Da die Wissenscha
ft keine Antwort darauf hat, was „Bewusstsein“ (oder „Seele“, wenn man es religiös formulieren will) ausmacht und wo es seinen Sitz hat, und auch ungeklärt ist, was exakt in einem von der Sauerstoffversorgung abgeschnittenen Gehirn im Einzelnen vor sich geht, ist auch keine sichere Aussage dazu möglich. Der Neurophysiologe Linke aus Bonn stellte z. B. einmal die rhetorische Frage: „Kann ein Mensch für tot angesehen werden, wenn 97 % seiner Körperzellen noch funktionieren, aber nur 3 %, die sein Gehirn ausmachen, ausgefallen sind?" und fuhr fort: „Einige liberal-progressive Denker bezeichnen die Organentnahme beim Hirntoten als Gestattung einer Ausnahme vom Euthanasieverbot."

Fassen wir zusammen: Bei der Definitionsänderung den Tod betreffend handelte es sich um eine pure utilitaristische Entscheidung1, verbrämt mit ein paar moralischen Girlanden. Verkauft wurde das der Öffentlichkeit als neue wissenschaftliche Erkenntnis, nicht als das, was es ist, nämlich eine aus dem „Organmangel“ und gewissen gesundheitsökonomischen Überlegungen geborene Hypothese.

Deshalb hat sich der Gesetzgeber in der BRD im Transplantationsgesetz auch elegant um eine Antwort auf die Frage, wann der Mensch tot ist, herumgedrückt. Er hat lediglich die Kriterien festgelegt, wann Organe entnommen werden dürfen, und die Schmutzarbeit, genau festzulegen, wann diese Kriterien erfüllt sind, der Bundesärztekammer überlassen, die eine Arbeitsgruppe einsetzte, welche wiederum Richtlinien für die Art der Feststellung des „Hirntodes“ aufstellte. Letztere wurden dann in Abständen alle paar Jahre dem medizinisch-technischen Fortschritt angepasst.

Früher hielten die Wache haltenden Angehörigen dem Sterbenden einen Spiegel vor den Mund, um festzustellen, wann er zu atmen aufhörte. Heute glaubt der einfache Bundesbürger, dass man tot ist, wenn technisch festgestellt wird, dass das Gehirn funktionslos ist – und er glaubt, dass man das tatsächlich zweifelsfrei feststellen kann. Viel plausibler allerdings ist die Annahme, dass es sich bei den „Hirntoten“ schlicht um – Sterbende handelt.
Es sei noch eine Anmerkung angefügt: Im Falle einer Schwangerschaft einer hirntoten Person kann der Sterbeprozess, wie wir aus der Erfahrung des sogenannten „Erlanger Babys“ wissen, durchaus lange andauern und nicht so abrupt unterbrochen werden, wie im Falle einer möglichen Organentnahme. Stattdessen versuchte man, die ja angeblich Tote das Kind noch austragen zu lassen …
Bei der Transplantationsmedizin steckt der Teufel im Detail, und wie immer darf man sich, weil es sich um einen lukrativen Geschäftszweig handelt, von der Hochglanzwerbung nicht täuschen lassen – weder bei der Frage der Todesbestimmung noch bei den anderen wesentlichen Fragen.
Verteilungsgerechtigkeit?
Die Ver- oder besser Zuteilung der zur Verfügung stehenden Organe wird sehr unterschiedlich gehandhabt, unter anderem auch abhängig von dem Organ, um das es geht. Letzteres hat eher technische Gründe – die Zeit, die zwischen Entnahme und Einpflanzung vergehen darf, ist bei unterschiedlichen Organen unterschiedlich.

Einfach ist es noch bei der Frage der Lebendspende, wie sie beispielsweise bei der Nierentransplantation nicht selten vorkommt. Da entscheidet der Spender, wem er sein Organ zukommen lässt. Legal ist das nur unter Ehepartnern und nahen Verwandten. Viel häufiger ist allerdings die Lebendspende auf dem Schwarzmarkt des Organhandels. Die meisten denken dabei an irgendwelche dubiosen Kliniken z. B. in Indien, die ihre Organe für eine Handvoll Dollar von Slumbewohnern einkaufen, was dann regelmäßig in den Boulevardmedien breitgetreten wird. Offiziell ist natürlich auch in Indien wie anderswo der Organhandel verboten. Aber die Realität sieht anders aus: Wie Kimbrell (Kimbrell, A.: Ersatzteillager Mensch, Campus 1994) belegte, werden jedes Jahr Zehntausende von Organen global gehandelt. Die Organe stammen in erster Linie von Menschen aus Osteuropa, Lateinamerika, Afrika und Indien. Pure Not treibt sie dazu: Sie verkaufen ihre Organe, um schlicht überleben zu können, Schulden zu bezahlen oder um Ausbildungskosten zahlen zu können.

Aber das ist halt Dritte Welt, sagt dann der gebildete Mitteleuropäer und wendet sich mit Grausen. Dass diese Praktiken in mehrerlei Form auch hierzulande ihren Niederschlag finden, soll und will er besser nicht wissen. Ungern geredet wird deswegen über die betuchten Ausländer, die als Privatpatient­Innen bei deutschen Transplantationschirurgen auftauchen und einen angeblich engen Verwandten als Spender mitbringen. So genau wird in diesen Fällen nicht hingesehen.

Ansonsten ist die Zuteilung ein mehrdimensionales Problem und wird in verschiedenen Ländern unterschiedlich gehandhabt. Grundsätzlich verwenden die Transplantationszentren ein Punktesystem, und das wurde im Lauf der Jahre kontinuierlich verändert. Da wurden Punkte vergeben für die Wahrscheinlichkeit des medizinischen Erfolgs, Punkte für Wartezeit, Punkte für medizinische Dringlichkeit und auch für „soziale Nützlichkeit“. Wie die einzelnen Items gewertet werden, ist recht unterschiedlich. Während beispielsweise in Europa traditionell der medizinische Erfolg höher gewichtet wurde, war es in den USA die soziale Nützlichkeit.

Objektive Kriterien sind das natürlich zum größten Teil nicht. Bewiesen hat das einmal – unbeabsichtigt – eine Transplantationsklinik in Deutschland, die – um die Verteilung objektiver zu gestalten – den Versuch machte, die Punktevergabe und damit die Organzuteilung einem Computer zu überlassen, der anhand der Daten des Patienten den Punktestand errechnete. Der Versuch wurde rasch wieder abgebrochen: Es stellte sich heraus, dass der Computer zu wenig Privatpatient­Innen durchließ, was zu intolerablen Einnahmeverlusten für die Klinik führte. Wie viele Punkte für was vergeben werden, ist zu großen Teilen bei den „weichen“ Kriterien eine sehr subjektive Entscheidung. Manchen ist vielleicht noch der Fall des Herrn von Thurn und Taxis in Erinnerung, der sogar zweimal nacheinander ein neues Herz bekam – ohne Erfolg – und von dem in Medizinerkreisen bekannt war, dass er aufgrund gewisser sonstiger Probleme eigentlich gar nicht auf die Liste hätte kommen dürfen. Dem Autor gegenüber hat ein Transplantationsmediziner einige Jahre später beteuert, das könne heute nicht mehr vorkommen, inzwischen seien die Regeln geändert worden.

Richtig daran ist, dass inzwischen die „harten“, also die rein medizinischen, Kriterien höher gewichtet werden. Für die Lungentransplantation gibt es jetzt eine Website, auf der sich jedeR mittels seiner medizinischen Daten seinen Punktestand selbst ausrechnen lassen kann.
Allerdings haben auch deswegen deutsche Kliniken ein zunehmendes Problem mit bestimmten – in der Regel wohlhabenden – deutschen Patient­Innen, die die Regeln umgingen, sich im Ausland ein Organ „besorgt“ haben und dann der Nachsorge bedürfen oder Probleme bekommen. Die Krankenkassen in Deutschland dürfen nämlich – völlig zu Recht – die Kosten für eine solche Behandlung nicht tragen.
Zwischenbilanz
Wir können als
o feststellen, dass weder geklärt ist, ob die Spender der Organe für die Allotransplantation tatsächlich „tot“ sind – das ist schlicht Ansichtssache, beweisen kann man es nicht. Noch kann man ernsthaft behaupten, dass es eine Verteilungsgerechtigkeit bei der Organtransplantation gibt – das ist angesichts der komplexen Problemlage ebenfalls nicht möglich. Und es kommt hinzu, dass in einer derart ungleichen Gesellschaft, national wie international, wie der, in der wir leben, die pure Existenz dieses Erwerbszweiges – denn die Transplantationsmedizin ist ein ganz gewöhnliches, höchst lukratives Geschäft – nicht nur einen florierenden Schwarzmarkt für Organe, sondern auch eine Verteilung nach Einkommensgesichtspunkten fördert.
Nutzen oder Gefahr?!
Aber auf eines seien diejenigen noch hingewiesen, die sich von den segensreichen Erfolgen der Transplantationsmedizin blenden lassen: Es gibt bis heute keine seriöse Abschätzung, ob die Gesamtbilanz tatsächlich positiv ist. Zwei Beispiele:
1. Es gibt keine Zahlen, wie viele Menschen an den Folgen illegaler Lebendentnahmen sterben oder dahinsiechen. Nach Angaben des Präsidenten der gesamtindischen Gesellschaft für die freiwillige Organspende, Shahjilal Tamboli, haben in 25 Jahren zwischen 1972 und 1997 in Indien etwa 400 Ärzte mehr als 100 000 illegale Nierenverpflanzungen vorgenommen. Und die Komplikationsmöglichkeiten für die „Spender“ sind uferlos – einschließlich der psychischen Folgen. Statistiken? Fehlanzeige.

2. Die Tendenz geht mit steigender technischer Sicherheit dahin, früher zu transplantieren, was heißt, dass in manchen Fällen unklar ist, ob der Eingriff tatsächlich notwendig war. Aber dar­über hinaus ist auch der unmittelbare Nutzen bezüglich Lebenserwartung der Patienten gar nicht so klar, wie immer suggeriert wird. In der Anfangszeit der Herztransplantation, bis etwa zur Entdeckung des Ciclosporin, mit dem der gefürchteten Abstoßungsreaktion vorgebeugt werden konnte, starben 80 % der Transplantierten innerhalb des ersten Jahres. Aber, wie eine Studie von Deng aus Essen (British Medical Journal, Volume 321, 23. September 2000) ergab, verminderte noch Ende der neunziger Jahre eine Herztransplantation das Sterberisiko nicht. Seine Zahlen belegten eher das Gegenteil. Seiner Forderung aber, in Zukunft nur noch Hochrisikopatient­Innen zu transplantieren, kam niemand nach.

Die Vermutung, dass, weltweit gesehen, die Transplantationsmedizin mehr gesundheitlichen Schaden anrichtet, als sie Nutzen stiftet, ist angesichts dieser Beispiele (und es gibt noch mehr) nicht aus der Luft gegriffen.
Vorbeugung bringt kein Geld …
Schließlich gibt es auch keine Zahlen dazu, welche Opfer die Umsteuerung der Unsummen von Steuer- und Krankenkassenmitteln in diese hochgezüchtete Technologie samt dazugehöriger Forschung in anderen Bereichen gekostet hat – angesichts der zunehmenden Rationierung medizinischer Leistungen keine Marginalie. Als der Autor einmal einen kubanischen Chirurgen fragte, ob es nicht sinnvoller sei, etwas gegen den verbreiteten Alkoholismus auf der Insel zu tun, statt Lebertransplantationen durchzuführen, sagte der, ja, aber das sei nicht seine Sache als Chirurg, das sei Sache der Politiker …

Statt die vorhandenen Ressourcen in die Vorbeugung zu stecken – denn unzählige Transplantationen könnten durch Prävention schlicht überflüssig gemacht werden, wird mit aller Macht versucht, den Geschäftszweig auszubauen. Und da wären wir beim neuen Transplantationsgesetz: Ziel ist es, das Angebot an verfügbaren Organen um jeden Preis zu erhöhen. Am liebsten wäre es den Verantwortlichen gewesen, man hätte eine Widerspruchslösung durchsetzen können: Wer nicht rechtzeitig widerspricht, wird ausgeschlachtet. Das ist die gültige Rechtslage beispielsweise in Österreich. Da das in Deutschland (bisher) nicht durchsetzbar war, gibt es jetzt eine Art „Entscheidungslösung“. Damit sollen die Menschen moralisch unter Druck gesetzt werden, indem sie gezwungen werden, zumindest einmal eine Entscheidung zu treffen.

Im Grunde ist die ganze Sache höchst simpel: Der Aufbau eines hochkomplexen, hoch technisierten Transplantationssystems schafft Mehrwert, d. h., Profite. Prävention im richtig verstandenen Sinne ist eine reine Dienstleistung. Es ist erheblich lukrativer – und in einem auf der Profitmaximierung beruhenden Gesellschaftssystem deshalb auch logisch – zu behandeln, anstatt vorzubeugen, ganz egal, was dabei herauskommt.

Um die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Ja, der Genosse Klemens Alff hat Recht gehabt, eine Transplantation abzulehnen. Und er hat immer noch Recht.

1     also nur nach Nützlichkeitserwägungen ausgerichtet (Anm. d. Red.)

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