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Geschichte und Philosophie

Krieg dem Krieg: Teil II

Von Ingrid Kohlhas | 01.05.2014

Die proletarische Frauenbewegung und ihr Widerstand gegen den imperialistischen Krieg

Um die Rolle des Widerstands der sozialistischen Frauen und anderen politischen Frauen im allgemeinen einordnen zu können, ist es erforderlich, sich zunächst mit der sozialen Lage von Frauen vor dem Ersten Weltkrieg und mit den politischen Rahmenbedingungen dieses Widerstands zu befassen.

Die proletarische Frauenbewegung und ihr Widerstand gegen den imperialistischen Krieg

Um die Rolle des Widerstands der sozialistischen Frauen und anderen politischen Frauen im allgemeinen einordnen zu können, ist es erforderlich, sich zunächst mit der sozialen Lage von Frauen vor dem Ersten Weltkrieg und mit den politischen Rahmenbedingungen dieses Widerstands zu befassen.

So betrug zum Beispiel der Anteil der Frauen in den Gewerkschaften gerade einmal 10 %. Die aktiven Frauen, die mit Clara Zetkin versuchten, Frauen für die Sozialdemokratie zu gewinnen, zählten kaum mehr als 1.000.
Die Lage der Frauen vor dem Ersten Weltkrieg
Am Ende des 19. Jahrhunderts war die Anzahl der unverheirateten Frauen sehr hoch. Viele Frauen waren gezwungen sich zu prostituieren. Die Zahl der Prostituierten lag zwischen 100.000 und 200.000. Die Frauen der ArbeiterInnenklasse und die Bäuerinnen mussten meistens von Beginn ihrer sexuellen Aktivitäten an quasi ununterbrochen Schwangerschaften austragen. Entsprechend hoch waren Mütter-, Kinder- und Säuglingssterblichkeit. In den Jahren 1902 bis 1906 wurden in Deutschland 2.236 Frauen wegen Abtreibungen verurteilt. Dies betraf nur einen Bruchteil der tatsächlichen Abtreibungen, die häufig zu Infektionen, Sterilität und Tod der Patientinnen führten.

Zwischen 1882 und 1907 verdreifachte sich die Zahl der Industriearbeiterinnen auf 1,5 Millionen. Die Arbeitsbedingungen waren schrecklich, überheizte Werkstätten voller schädlicher Dämpfe, mangelhafte Beleuchtung, unerträglicher Lärm, wenige Pausen und polizeiähnliche Kontrollen, bei 10 bis 17 Stunden täglicher Arbeitszeit. Die Löhne der Frauen betrugen oft nicht einmal die Hälfte der Männerlöhne. Sie arbeiteten meist in den Bereichen Textil, Bekleidung und Nahrung. Außerdem arbeiteten Frauen als Landarbeiterinnen, Heimarbeiterinnen und Hausangestellte mit ähnlich langen Arbeitszeiten und niedrigen Löhnen.

Aufgrund der Aktivitäten der SozialistInnen wurden ab 1851 Arbeitsschutzmaßnahmen eingeführt. Die Begrenzung der täglichen Arbeitszeit, das Verbot der Kinderarbeit und Mutterschaftsurlaub wurden gesetzlich geregelt.

Die Teilnahme an politischen Veranstaltungen war Frauen zwischen 1850 und 1905 per Gesetz verboten.
Die Rechtsentwicklung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Um die Jahrhundertwende kam es zu einer Rechtsentwicklung eines Teils der Sozialdemokratie. Die Gründe dafür lagen in einer Verbesserung der Kampfbedingungen der Arbeiterklasse. Es kam zu einer außerordentlichen Entwicklung der Produktivkräfte in der Metallverarbeitung, dem Bergbau, der Chemie, der Elektrizität. Deutschland entwickelte sich zu einer der wichtigsten Industriemächte. Das Proletariat stellte die Mehrheit der Bevölkerung dar. Es kam zu einer Erhöhung der Löhne, der Staat übernahm soziale Aufgaben, wie öffentliche Schulen, Arbeitsgesetzgebung, Sozialversicherungen. Die partielle Einführung des Parlamentarismus ermöglichte es der Sozialdemokratie, auf staatlicher Ebene Einfluss zu nehmen. Die Sozialdemokratie kontrollierte mächtige Gewerkschaften mit mehr als 2 Millionen Mitgliedern.

Die Idee, der Kapitalismus sei sozial geworden und habe sein Wesen geändert, fand immer mehr AnhängerInnen. Diese glaubten, das Wachstum der ArbeiterInnenbewegung und Reformen auf wirtschaftlicher und staatlicher Ebene würden Schritt für Schritt zum Sozialismus führen. Dieser verhängnisvolle Irrtum führte zur Aufgabe der internationalen Solidarität innerhalb der Klasse, zur Stärkung des Nationalismus in der ArbeiterInnenbewegung und zum Bündnis der ArbeiterInnenparteien mit der jeweiligen nationalen Bourgeoisie. Die nationalistische Verblendung hinderte die Menschen am Kampf gegen das Verbrechen des imperialistischen Krieges.

Der Reformismus fand eine soziale Basis in der „Arbeiteraristokratie“ und leistet vermittelt über die Gewerkschaftsbürokratien und Parteibürokratien der bürgerlichen Hegemonie in der ArbeiterInnenbewegung Vorschub.

Die marxistische Opposition in Deutschland und in der II. Internationale bekämpften den Revisionismus und den Rückschritt. Frauen, wie zum Beispiel Clara Zetkin, sahen im Revisionismus zu Recht eine Gefahr für die angestrebte Emanzipation der Frauen.
Frauen in der Antikriegsbewegung
Die Mühen um die gewerkschaftliche Organisierung der Frauen, die verschiedenen Wahlrechtskampagnen, die Einführung des Internationalen Frauentags, die internationale Zusammenarbeit und Kongresse, teilweise unter den Bedingungen der Illegalität (Organisationsverbot für Frauen bis 1908), brachten trotz Repression und Verfolgung der Antikriegsbewegung Erfolge. Mit der Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit auf 55 % der Erwerbstätigen verdoppelte sich im Verlaufe des Krieges die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Frauen auf 418.000. Hunderttausende traten 1917 in den Ausstand. Obwohl es an materiellen Anlässen für Streiks nicht mangelte, wurden zunehmend auch politische Forderungen gestellt: für die Aufhebung der Ausnahmegesetze (Hilfsdienst und Notgesetz), für sofort
igen Friedensschluss, für ein demokratisches Wahlrecht. Über eine Million Menschen streikten im Januar 1918. Zeitgenössische Berichte von Streikenden, der Polizei und der Presse lassen den Schluss zu, dass im Januar 1918 hauptsächlich Frauen streikten. Sie wurden als die „Nüchternsten und Mutigsten“ geschildert und traten vielfach als Anführerinnen auf. Sie forderten die Männer zur Solidarität auf und widersetzten sich Aufforderungen der Gewerkschaftsführung zum Abbruch der Streiks.

Fortsetzung folgt
Literatur zum Thema:

1) Annik Maheim, Alix Holt, Jaqueline Heinen, Frauen- und Arbeiterbewegung, erschienen im isp-Verlag, Frankfurt 1984, Übersetzung aus dem Französischen.
„Femmes et mouvement ouvrier“ erschienen bei Editions la brèche, Paris 1979.

2) Renate Wurms, „Krieg dem Kriege“ – „Dienst am Vaterland“: Frauenbewegung im ersten Weltkrieg aus Florence Hervé (Hrsg.), Köln, 1983.

"Die Gewerkschaften, die die SPD ins Leben gerufen hat und die sie vollkommen im Griff hat, zählen mehr als zwei Millionen Mitglieder und verfügen über ein jährliches Einkommen von 88 Millionen Mark. Ihre Mitglieder haben um die SPD herum ein weites Netz von parallelen Organisationen geknüpft, die unter dem ein oder anderen Aspekt fast sämtliche Lohnempfänger erfassen und die sich auf all die Bereiche Jugend, Volkshochschulen, Büchereien und Lesegesellschaften, Freizeitgestaltung und Wandervereine, Verlagshäuser, Zeitungen, Zeitschriften, Illustrierte erstrecken. Das Bauwerk beruht auf dem soliden Gerüst eines kompetenten und effizienten technischen Verwaltungsapparats, der sich mit den modernsten Leitungs- und Werbemethoden auskennt.“

Pierre Broué, Révolution en Allemagne, 1917-1923, Paris, (Editions de Minuit) 1971, zitiert nach 1).

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