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Ökologie

Klimawandel und grüner Kapitalismus: Die Katastrophe ist nicht, was kommt, sondern, was da ist

Von Jan Weiser | 01.10.2011

Dieser Text ist die Ausarbeitung eines Referats, das ich auf dem Lausitzer Klimacamp und zu anderen Gelegenheiten gehalten habe, ergänzt um Hinweise, die sich in den verschiedenen Diskussionen ergeben haben. Ich vertrete als Hauptthese, dass der Kapitalismus notwendigerweise produktivistisch ist und dass hieraus Extraktivismus, Klimawandel und Umweltzerstörung resultieren. Die Lösung kann demnach kein „Grüner Kapitalismus“ sein, sondern nur eine basisdemokratische Wirtschaftsplanung.

Dieser Text ist die Ausarbeitung eines Referats, das ich auf dem Lausitzer Klimacamp und zu anderen Gelegenheiten gehalten habe, ergänzt um Hinweise, die sich in den verschiedenen Diskussionen ergeben haben. Ich vertrete als Hauptthese, dass der Kapitalismus notwendigerweise produktivistisch ist und dass hieraus Extraktivismus, Klimawandel und Umweltzerstörung resultieren. Die Lösung kann demnach kein „Grüner Kapitalismus“ sein, sondern nur eine basisdemokratische Wirtschaftsplanung.

Theoretische Grundlage für die hier vertretenen Positionen sind v. a. programmatische Texte der Vierten Internationale oder deren Umfeld, Autoren wie Michael Löwy und Klaus Engert (siehe Literaturtipps).
1. Worum geht’s?
Im Folgenden will ich den Zusammenhang zwischen Produktivismus und Kapitalismus erklären. Hierbei ist wichtig, dass es nicht um abstrakte Modelle geht, sondern um ganz konkrete Probleme und Fragestellungen mit Ereignischarakter, die unser Leben unmittelbar betreffen. Es geht um eine Krise, die zwei Komponenten hat: 1. die ökonomische Krise, 2. die ökologische Krise.
Mit ökonomischer Krise ist gemeint, dass sich die kapitalistische Wirtschaft seit den 70er Jahren in einer Situation der strukturellen und permanenten Überproduktion und Überakkumulation von Kapital befindet. D. h., es gibt seit Jahrzehnten immer mehr Kapital als produktiv und profitabel angelegt werden kann, was also verzweifelt nach Investitionsmöglichkeiten und Märkten sucht. Die Menge dieses Kapitals lässt sich nicht exakt empirisch bemessen und noch weniger lässt sich das genauen Personen zuordnen, aber es lässt sich eine ungefähre Zahl schätzen: etwa 80 Bio. US-$ weltweit (niedrige Schätzung). Zum Vergleich: Alle börsengehandelten Aktien auf der Welt haben einen Wert von 32 Bio. US-$. Die Vernichtung von diesem überflüssigen Kapital (in der aktuellen Wirtschaftskrise wurden etwa vier Billionen $ vernichtet) bedeutet immer Entlassungen, Verarmung usw.

Zur ökologischen Krise gehört vor allem das Umkippen des globalen Klimas. Zu den bekannten Folgen gehört z. B. die Ausbreitung der Wüsten. Gleichzeitig verwandelt sich der Planet als Ganzes mehr und mehr in eine Wüste: 3,5 Mrd. Menschen werden in der Zukunft an Wasserknappheit leiden, 70 % aller Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. Und wir hatten 2011 bereits die höchsten Lebensmittelpreise seit jeher. Beide Krisen zusammen bewirken eine existenzbedrohende Krise der Menschheit. Der Kapitalismus teilt mit allen frühen Hochkulturen die Gemeinsamkeit, ihre ökologische Umgebung in eine Wüste zu verwandeln und diese nach ihrem Verschwinden zurückzulassen. Der entscheidende Unterschied ist eben, dass der Kapitalismus global ist, und, wenn er nicht rechtzeitig überwunden wird, es keinen Raum für einen Neuanfang mehr gibt.
2. Was bedeutet nun Produktivismus?
Produktivismus bedeutet im Allgemeinen das Streben nach Wirtschaftswachstum. Alle Bundestagsparteien sind sich einig, dass „wir“ mehr Wirtschaftswachstum brauchen. Laut Wirtschaftswissenschaftler Benjamin M. Friedman ist Wirtschaftswachstum die Grundlage der Demokratie.
Wirtschaftswachstum heißt, es muss immer mehr produziert werden, was im Kapitalverhältnis selbst begründet liegt. Große Unternehmen müssen steigende Gewinne vorweisen, sonst verfällt ihr Aktienkurs. Und schon kleine Unternehmen müssen Kredite der „lieben“ Sparkasse aufnehmen und müssen die mit Zinsen zurückzahlen, also auch Überschüsse erwirtschaften. Der Konkurrenzkampf der Einzelkapitale bedingt die Steigerung der Produktivität. Die gesamte Produktion und der Handel sind im Kapitalismus Mittel zum Zweck, um das Kapital zu vermehren. Der Staat schafft hierfür die Bedingungen. Was wird nun „mehr“ produziert? Nicht etwa mehr Freizeit oder mehr Lebensqualität, sondern das, was Profite schafft, also kaufbare Dinge, Handelsgüter.
3. Extraktivismus
Die Folgen des Produktivismus lassen sich zusammenfassen als das „Müllproblem“ auf der Output- und das „Ressourcenproblem“ auf der Input-Seite. Das Ressourcenproblem besteht ganz einfach darin, dass die Rohstoffe der Welt endlich sind, das Bedürfnis der Kapitalverwertung hingegen per se unendlich. Der Kapitalismus ist darauf angewiesen, der Erde ständig Rohstoffe zu entziehen: Dies ist der Extraktivismus. Wo z. B. in Südafrika nach Gold gegraben wird, sind die Minen heute schon 3000 m tief. Noch spektakulärer ist die Öl-Förderung. Mit der BP-Ölplattform, die letztes Jahr gesunken ist, wurde laut Wikipedia 10 000 m tief gebohrt. (Und offenbar ist dort unten viel Öl vorhanden, denn eine Million Tonnen Öl sind ins Meer geflossen.) In Kanada wird z. B. Öl-Sand gefördert: Es wird ein ungeheurer technischer Aufwand betrieben, um an Rohstoffe zu kommen. Und was zurückbleibt, ist eine Wüste. Was im Kongo zurückbleibt, wo das Coltan gefördert wird („der Stoff, aus dem die Handys sind“), ist auch ein Wüste. Im Niger, wo das Uran für „unsere“ Atomkraftwerke gefördert wird, bleibt ebenfalls eine Wüste zurück, genauer: eine radioaktive Wüste. Und radioaktive Menschen. Nicht nur bei der Uran-Förderung verlieren ständig Menschen ihre Gesundheit, Leben und Lebensgrundlage (das ist alles sehr billig). Dennoch werden seit Jahren nur 60 % des weltweiten Uran-Verbrauchs gefördert. Die  Kosten  sollen auf das Minium reduziert werden. Übrigens liegen 70 % der weltweiten Uranvorkommen auf indigenem Land. Diese Menschen werden, wie in Indien, einfach vertrieben.1 
4. Müllproblematik
Am Ende des Produktionsprozesses steht der Müll. Nur um eine Zahl zu nennen: In der BRD produziert jeder Mensch im Durchschnitt ½ Tonne Müll pro Jahr, was sich gar nicht vermeiden lässt, weil der Produktions- und Konsumtionsprozess, die Siedlungsstruktur, das Verkehrssystem usw. das weitgehend vorgeben. Jeden Monat entstehen in Deutschland 30 Tonnen strahlender Atommüll. In den Ozeanen sammeln sich die Müllstrudel: Allein im Nordpazifik schwimmen an der Oberfläche 100 Mio. Tonnen Plastikmüll. Dieser wird durch Witterung zerkleinert zu Granulat, was Gifte aufnimmt und von Tieren gefressen wird. Das meiste sinkt auf den Grund und ward nie mehr gesehen.
In einem umfassenderen Sinn gehört zu Müll auch Gift. Weltweit werden jedes Jahr 2 Mio. t Pestizide produziert. Die sind biologisch nicht abbaubar, d. h. die bleiben im Ökosystem – und sie werden mehr. Bayer als größter Gift-Produzent hat im Frühjahr eine Gewinnsteigerung von 22 % gemeldet: Der Profit beträgt 7,5 Mrd. € im Quartal. Die chemische
Industrie überhaupt produziert allein mit ihren Hauptprodukten jedes Jahr über 240 Mio. t Gift. Und: Die Müll- und Giftproduktion scheint zuzunehmen. So stellen allein die Coffee-to-go-Becher Müll dar, der früher nicht produziert wurde.

Die Ursachen für die Müllproduktion sind zunächst kulturelle (weil es „chic“ ist). Dann gibt es zweitens strukturelle ökonomische Ursachen und drittens politische Entscheidungen. Bei den ökonomischen Ursachen steht die allgemeine Tendenz des Kapitalismus im Vordergrund, Arbeitskraft aus dem Produktionsprozess zu verdrängen. Das ist als „Rationalisierung“ bekannt. Wenn ich Kaffeebecher abwaschen lasse, ist das eine Dienstleistung, d. h., es wird mit wenig Technik und viel Arbeitskraft wenig Mehrwert (pro Kapital) produziert. Wenn ich Kaffeebecher immer neu produziere, ist das eine Industrie, d. h., ich produziere mit relativ wenig Arbeitskraft pro Kapital viel Mehrwert. Noch profitabler ist es, wenn jedeR eine High-Tech-Senseo-Espressomaschine zuhause hat. In der Landwirtschaft genauso: Bio-Landwirtschaft ist arbeitsintensiv, „konventionelle“ Landwirtschaft ist technik- und giftintensiv. Es setzt sich das durch, was auf dem Markt konkurrenzfähig ist.
Ein Beispiel für politische Entscheidungen als Ursache wäre die Abwrackprämie von 2009. Zur Rettung der Autoindustrie wurde ganz gezielt beschlossen, mehr Anreiz zur Müllproduktion zu geben, nämlich fahrtüchtige Autos auf den Müll zu werfen. Dies nannte die Regierung dann auch noch „Umweltprämie“.

In einem weiteren Sinne kann man CO2 als „Müll“ oder „giftigen Abfall“ des Produktionsprozesses insgesamt bezeichnen. Die Energieproduktion ist zentrale Grundlage für die gesamte Produktion. In Deutschland werden pro Jahr etwa 900 Mio. t. CO2 produziert, davon 400 Mio. t. allein von den vier Stromkonzernen. RWE allein produziert 160 Mio. t – so viel wie die ganze restliche Industrie.
Als Lösungen werden neue Technologien propagiert, d. h. neue Industrien (also das, was das Kapital braucht: neue Investitionsfelder). Da gibt es einmal die CCS-Technologie (Unterirdische Speicherung von CO2), die lange von den Politiker­Innen ernsthaft als „Lösung“ gepriesen wurde, jedoch mittlerweile wieder in den Schubladen zu verschwinden scheint, weil sie sich als derartige Verantwortungslosigkeit gezeigt hat, dass einzelne Bundesländer nicht mitmachen wollten. Was uns als Lösung verkauft wird, sind in der Regel Risikotechnologien: die „technologische Flucht nach vorn“.
5. Enteignung
Zusammenfassend lässt sich über den Produktionsprozess sagen, dass es auf der Input-Seite das Ressourcenproblem und auf der Output-Seite das Müll-/Gift-Problem gibt. Dazwischen waltet der Verwertungsprozess des Kapitals. Das drohende Umkippen des Klimas ist das allgemeine globale Ergebnis hiervon: Die Erde ist Ressource und Müllhalde zugleich. Jedoch wäre es falsch, einen möglichen Ruin der Ökosphäre für eine absolute Schranke der Kapitalverwertung zu halten. Und gleichzeitig ist „Umweltschutz“ nicht per se anti-kapitalistisch. Vielmehr wird mit der Zerstörung der Umwelt die Tendenz begünstigt, nach der diese selbst als verknapptes Gut zur Ware wird.
Die Anfänge davon sehen wir heute. Der Handel mit CO2-Zertifikaten ist nichts anderes als Handel mit „Verschmutzungsrechten“. Das Recht, eine bestimmte Menge Luft zu verschmutzen, ist aber dasselbe wie, wenn ich diese Menge Luft kaufe. Damit wird saubere Luft eine Ware, mit der sich Handel betreiben und Profite erzielen lässt. Biosprit, „Desertec“, Gentechnologie und andere Projekte des Kapitals weisen auf die Tendenz hin, nach der die Ökosphäre – und so etwas wie „das Leben an sich“ – zum Hauptarbeitsfeld des Kapitalismus im 21. Jahrhundert wird. Indem sich die Sphäre der Warenwelt auf die Ökosphäre ausweitet, ist es der Kapitalismus, der im Gegensatz zu allen früheren Gesellschaften sich nicht nur auf einem ökologischen Terrain entwickelt, sondern diese Voraussetzungen selbst produziert. Die arte-Dokumentation „Die vierte Revolution“ zeigt sehr schön, dass dieser Prozess mit einer neuen Revolution der Produktivkräfte einhergeht. Der „Green New Deal“, den die Grünen auf der parlamentarischen Ebene vertreten, ist genau die politische Entsprechung eines Umbaus des Kapitalismus. Zerstörung der Ökosphäre und „grüner Kapitalismus“ ergänzen sich: Sie sind die Enteignung der Menschheit.

Auf der Welt gibt es drei Mrd. Lohnarbeiter­Innen (+ Familien), die schon nichts haben als ihre Arbeitskraft, knapp drei Mrd. Bäuer­Innen, die mehrheitlich Subsistenzwirtschaft betreiben und deren Existenz unmittelbar vom Weltklima abhängt. Zusätzlich gibt es mittlerweile eine Mrd. Menschen, die völlig außerhalb des Produktionsprozesses leben, nämlich auf dem Müll – und vom Müll. Die meisten Menschen, die diesen Planeten bevölkern, haben also jetzt schon nichts, aber immerhin noch ihr Leben und eine „natürliche“ Umwelt. Indem diese Umwelt, zu der auch die genetischen Codes gehören, (tendenziell) zerstört und/oder zur Ware wird, wird die Menschheit auf einer neuen, fundamentalen Ebene enteignet. Dies meinen die Autor­Innen von „Der kommende Aufstand“, wenn sie schreiben: „Die Katastrophe ist nicht, was kommt, sondern, was da ist.“
6. Die Lösung
Die einzige Lösung lautet: Wir müssen weniger verbrauchen, d. h. weniger produzieren. Konkret heißt das 90 % CO2-Einsparung in den Industrieländern, um die Klimakatastrophe überhaupt beherrschbar zu machen. Das ist mit dem Kapitalismus nicht zu machen. Wie produzieren wir aber weniger und werden trotzdem den Bedürfnissen der Menschen gerecht? Das geht nur, wenn der gesamte Wirtschaftsprozess basisdemokratisch organisiert und geplant wird: in einem ökologischen, solaren, klimaneutralen Sozialismus – auf globaler Ebene. Wie Michel Löwy zeigt, sind die Kern-Elemente einer solchen Gesellschaft erstens das kollektive Eigentum an den Produktionsmitteln (mit verschiedenen möglichen Detail-Formen), zweitens die demokratische Planung der Wirtschaft und drittens eine neue Struktur der Produktivkräfte, d. h. neuartige, nicht zerstörerische Produktions- und Konsumformen. Mit anderen Worten: Es bedarf einer revolutionären sozialen und ökonomischen Umgestaltung. Schritte dorthin sind (u. a.) die Aneignung und demokratische Kontrolle des Energiesektors, die Kontrolle der Arbeiter­Innen über die Produktion, die Konversion der Industrie zur Produzentin nachhaltiger Güter.

Das alles klingt nach einer großen Aufgabe, oder – wie der letztes Jahr verstorbene französische Philosoph und Revolutionär Daniel Bensaïd sagen würde eine „Wette“: „Das revolutionäre Engagement hat unvermeidlich die Form einer Wette… es gibt… keine exakte Wissenschaft der Revolutionen. Um die Welt zu verändern, was dringender ist denn je, sind wir zur Bastelei verurteilt, ohne Gewissheit des Gelingens, aber mit der Gewissheit, dass wir, wenn wir es nicht versuchen, dazu verurteilt sind, vor Scham zu sterben, noch bevor wir von einer eventuellen atomaren Katastrophe oder einem Klimadesaster vernichtet werden.“

1     Das ist nichts Neues: D
er ganze Kapitalismus beruht historisch auf der Ausrottung und Vertreibung indigener Bevölkerung, um an Rohstoffe zu gelangen. Das Startkapital für den europäischen Kapitalismus kommt zu einem sehr großen Teil aus den südamerikanischen Gold- und Silberminen.

 

Literaturtipps
  • In die Diskussion um das Thema „Ökosozialismus“ führt Michael Löwy in der Broschüre „Ökosozialismus, Demokratie und Planung“ ein (Dezember 2010, hrsg. von isl und RSB für 1,- €).
  • Einen Rundumschlag über die Themen Ökologie, Ökonomie, Utopien und Realsozialismus liefert Klaus Engert mit dem Büchlein „Ökosozialismus – das geht“ (März 2010, isp-Verlag, 12,80 €).
  • Weitaus tiefgründiger als ein programmatisches Pamphlet ist die Resolution des 16. Weltkongresses der Vierten Internationale „Kapitalistische Klimaveränderung und unsere Aufgaben“ vom Februar 2010 (hrsg. von isl und RSB für 1,- €).
  • Des weiteren verweisen wir auf das Heft 33 der Internationale Theorie, das unter dem Titel Klimawandel und Umweltzerstörung: zwangsläufige Folge des Kapitalismus unter anderem die Resolution des XV. Weltkongresses der IV. Internationale zu „Ökologie und Sozialismus“ enthält. (2,50 €, zu bestellen über die Publikationsseite).

 

 

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