Kapitalistische Globalisierung und die Folgen

Ein Soldat der US Armee bewacht im Jahr 2006 Patroit-Raketen am US-Stützpunkt in Katar. Foto: Morning Calm Weekly Newspaper Installation Management C..., 030215-F-5712B-020, CC BY-NC-ND 2.0

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Debatte zum Weltkongress der Vierten Internationale

Kapitalistische Globalisierung und die Folgen

Von Internationales Komitee der Vierten Internationale | 02.02.2018

Die allgemeine Durchsetzung der neoliberalen Politik – die ursprünglich ab den 1970er Jahren in Ländern wie Chile, Großbritannien und den Vereinigten Staaten umgesetzt wurde, aber bis auf die osteuropäischen Staaten erstreckte – beschleunigte sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR und dem Auseinanderbrechen des Ostblocks Anfang der 1990er Jahre sprunghaft. Die kapitalistische Globalisierung erlebte einen vollen Aufschwung und hat eine neue internationale Herrschaftsform hervorgebracht, die vielfältige und tiefgreifende Folgen hat.

Die neoliberale Ordnung bleibt jedoch unvollendet, instabil und mündet regelmäßig in eine chaotische internationale Lage. Die erste mit der Globalisierung zusammenhängende Finanzkrise zeigte sich 1997/98; zu einer neuen schweren Krise kam es 2007/08. Die kapitalistische Überproduktionskrise ist umfassend. Die geopolitischen Kräfteverhältnisse sind aus dem Lot geraten. Gewisse traditionelle Imperialismen befinden sich unaufhaltsam im Niedergang, während neue kapitalistische Mächte aufkommen und die Konkurrenz beleben. In mehreren Ländern und Regionen hat die allgemeine Brutalität der neoliberalen Diktate den sozialen Zusammenhalt zersetzt, scharfe Regierungskrisen und selbst Volkserhebungen ausgelöst, aber auch gefährliche konterrevolutionäre Entwicklungen losgetreten. Viele Völker zahlen bereits heute einen hohen Preis für die globale Umweltkrise – insbesondere, aber nicht nur in Form der sich laufend weiter verschärfenden Klimaerwärmung.

Unterdessen konnten Erfahrungen mit der kapitalistischen Globalisierung und ihren Folgen gesammelt werden, die uns erlauben, unsere früheren Analysen zu aktualisieren und neue Themen aufzugreifen. Die nachfolgenden „Thesen“ erheben nicht den Anspruch, vollständig zu sein oder fertige Schlüsse zu bieten. Sie sollen vor allem einen kollektiven internationalen Reflexionsprozess anstoßen. Sie stützen sich oft auf bereits bestehende Argumente, versuchen aber, die Diskussion über ihre Folgen weiter voranzubringen. Dafür „blenden“ sie – auch auf die Gefahr hin, komplexe Realitäten zu sehr zu vereinfachen – laufende, oft unabgeschlossene Entwicklungen „aus“, um das Neue besser zu erfassen.

I. Eine neue imperialistische Galaxie

Als Erstes gilt es festzustellen, dass sich die heutige Lage stark von der zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder der Jahre 1950-1980 unterscheidet. Zu erwähnen sind insbesondere folgende Faktoren:

  • Eine tiefgreifende Veränderung und Diversifizierung des Status der traditionellen Imperialismen: „Großmacht“ USA; Scheitern der Bildung eines integrierten europäischen Imperialismus; „Reduktion“ des französischen und des britischen Imperialismus; „zahnlose“ Militärimperialismen (vor allem Deutschland, aber auch Spanien gegenüber Lateinamerika); weiterhin untergeordnete Stellung des japanischen Imperialismus (Japan verfügt zwar über eine starke Armee, besitzt aber weder Atomwaffen noch Flugzeugträger); Krisen des sozialen Zerfalls in manchen westlichen Ländern (Griechenland), die historisch zum imperialistischen Bereich gehören …

Die Herausbildung neuer (Proto-)Imperialismen: China, das sich gegenwärtig als zweite weltweit führende Supermacht durchsetzt, und Russland, dem es gelingt, auf dem Kriegsschauplatz Syrien seine Interessen durchzusetzen.

  • Wichtige Veränderungen in der internationalen Arbeitsteilung, mit der Dominanz der Finanzmärkte (Finanzialisierung) in der Wirtschaft, der Deindustrialisierung vieler westlicher und insbesondere europäischer Länder, einer neuen Konzentration der globalen Warenproduktion insbesondere auf Asien – wobei die Vereinigten Staaten, Deutschland und Japan weiterhin bedeutende Industriemächte sind.
  • Eine ungleiche Entwicklung jedes Imperialismus, der jeweils in gewissen Bereichen Stärken und in anderen Schwächen aufweist. Die Hierarchie der imperialistischen Staaten ist heute folglich schwieriger feststellbar als in der Vergangenheit. Die Vereinigten Staaten sind natürlich noch immer die Nummer eins; sie sind die Einzigen, die in fast allen Bereichen den Anspruch auf eine Vormachtstellung erheben können, auch wenn in wirtschaftlicher Hinsicht sie einen relativen Niedergang erleben und die Begrenztheit ihrer Weltmachtstellung hinnehmen müssen.

Die Charakterisierung der neuen Mächte ist also nicht die einzige Aufgabe, die sich stellt. Wir müssen auch erneut den sich wandelnden Status der traditionellen Imperialismen – und die imperialistische Ordnung in ihrer Gesamtheit – besser evaluieren. Klassische Begriffe wie die von „Zentrum“ und „Peripherie“, „Norden“ und „Süden“ müssen angesichts der wachsenden Diversifizierung innerhalb jedes einzelnen dieser geopolitischen Räume neu beurteilt werden.

II. Chronische geopolitische Instabilität

Als Zweites gilt es festzuhalten, dass die kapitalistische Globalisierung international zu keiner stabilen „neuen Ordnung“ geführt hat, ganz im Gegenteil.

Es gibt einen dominanten imperialistischen Block, den man, da er um die Achse Nordamerika/Europäische Union strukturiert ist, als „atlantischen Block“ bezeichnen könnte – sofern man den Begriff geostrategisch und nicht geografisch versteht: Denn dazu gehören auch Australien, Neuseeland und Japan. Es ist ein hierarchischer Block unter US-amerikanischer Hegemonie. Die NATO ist sein bevorzugter permanenter bewaffneter Arm. Deren Aufstellung an der europäischen Grenze der „russischen Einflusszone“ zeigt, dass ihre ursprüngliche Funktion nichts an Aktualität eingebüßt, zumal diese Grenze wieder zur Konfliktzone geworden ist.

Die NATO wollte sich weiter im Osten ausbreiten, war aber nicht sehr erfolgreich. Die Nahostkrise zeigt, dass die Organisation als operativer Rahmen nicht in der Lage ist, ihr Gesetz überall durchzudrücken. Gegenüber dem regionalen Stützpunkt Türkei bestehen intensive Spannungen. Für jedes operative Einsatzgebiet mussten neue Bündnisse mit Regimes geschmiedet werden, die sich gegenseitig feindlich gegenüberstehen, wie Saudi-Arabien und Iran. Der militärische Beitrag ihrer europäischen Mitglieder ist marginal. Diese Situation gab Donald Trumps Angriffen auf die Organisation zu Beginn seiner Amtszeit Nahrung.

Zugleich intensiviert sich der innerkapitalistische Wettbewerb. Auf geopolitischer Ebene fordert China als Neuankömmling Zutritt zum Hof der Größeren. Russland lässt sich in seiner erweiterten Einflusszone (Syrien) nicht mehr umgehen. Die japanische Regierung versucht, ihre militärische Abhängigkeit von den USA zu lockern und sich von den pazifistischen Klauseln der japanischen Verfassung zu befreien. Auf wirtschaftlicher Ebene herrscht ein scharfer Wettbewerb, da die Bewegungsfreiheit des Kapitals sogar „Subimperialismen“ erlaubt, über ihre regionale Sphäre hinaus mit anderen in Wettbewerb zu treten. In ideologischer Hinsicht erleben die herrschenden Klassen eine Legitimationskrise, sind häufig mit schweren institutionellen Disfunktionalitäten konfrontiert und verlieren die Kontrolle über Wahlverfahren in Schlüsselländern, wie in den Vereinigten Staaten (Wahl von Trump) und in Großbritannien (Brexit). Der Krieg ist ein Dauerzustand. Die Auswirkungen der globalen Umweltkrise sind bereits deutlich spürbar. In verschiedenen Weltteilen löst sich der soziale Zusammenhalt auf. Humanitäre Katastrophen und unfreiwillige Bevölkerungsbewegungen haben ein seit dem Zweiten Weltkrieg beispielloses Niveau erreicht.

Die Völker bezahlen für die Durchsetzung der neuen neoliberalen Ordnung einen enorm hohen Preis. Die Ursachen der gegenwärtigen chronischen Krise sind mannigfaltig.

  • Die imperialistischen Staaten haben nach wie vor die Aufgabe, günstige Bedingungen für die Kapitalakkumulation zu schaffen, doch das globalisierte Kapital operiert ihnen gegenüber unabhängiger als in der Vergangenheit. Diese Abkoppelung hat dazu beigetragen, die alten nahezu exklusiven Einflusszonen der traditionellen Imperialismen in der Welt durchlässig zu machen (mit Ausnahme weiter Teile Lateinamerikas?). Die enorme Mobilität des Kapitals hat verheerende Folgen für die gesellschaftlichen Gleichgewichte, was die Möglichkeit der Staaten, stabilisierend einzugreifen, untergräbt.

Die kapitalistische Globalisierung, die Finanzmarktdominanz und die zunehmende Internationalisierung der Produktionsketten ziehen auch die Fähigkeit der Staaten in Mitleidenschaft, Wirtschaftspolitiken umzusetzen.

  • Das beispiellose Ausmaß der Finanzmarktdominanz, die Entwicklung von sogenannt „fiktivem“ Kapital, die dem modernen Kapitalismus eigen ist, hat in den letzten Jahren erhebliche Ausmaße angenommen. Das führt zu einer stärkeren Ablösung von Produktionsverfahren, ohne dass die Verbindung ganz aufgelöst worden wäre, während sich die Verbindung von ursprünglichem Kreditgeber und ursprünglichem Kreditnehmer lockert. Die Finanzmarktdominanz hat das kapitalistische Wachstum gestützt, aber ihre übermäßige Entwicklung spitzt die Widersprüche zu.
  • Das Schuldensystem operiert mittlerweile im Norden wie im Süden. Es ist ein zentrales Mittel der vom Kapital über die Gesellschaften ausgeübten Diktatur und spielt, wie der Fall Griechenlands zeigt, eine unmittelbar politische Rolle in der Aufrechterhaltung der neoliberalen Ordnung. Zusammen mit den Freihandelsabkommen hindert es Regierungen daran, eine alternative Politik umzusetzen, die einen Ausweg aus der sozialen Krise bieten würde.
  • Ein regelrechter „Währungskrieg“ (Devisen) findet statt – eine der Facetten innerimperialistischer Konflikte, da über den Rückgriff auf die Währung Kontrollzonen festlegt werden.

Früher waren die geopolitischen Bündnisse durch den Ost-West-Konflikt einerseits und den Konflikt zwischen China und der Sowjetunion andererseits „festgefahren“; heute sind sie insbesondere in Südasien fließender und ungewisser geworden.

  • Die innerimperialistischen Rivalitäten nähren eine neue Spirale des Wettrüstens, die von der „Modernisierung“ des Atomarsenals durch Länder wie die Vereinigten Staaten und Frankreich, die versuchen, sie im Rahmen lokaler Konflikte einsatzfähig und politisch akzeptabel zu machen. Die Aufstellung von „Raketenschutzschildern“ durch die Vereinigten Staaten kurbelt diese Spirale weiter an, wie die Koreakrise zeigt.
  • Das Aufflammen von Revolutionen und der darauf folgenden Konterrevolutionen im arabischen Raum hat dazu beigetragen, dass in einem weiten Gebiet, das vom Nahen Osten bis in die Sahelzone und darüber hinaus in einen Teil Afrikas südlich des Sahel führt, eine unkontrollierbare Lage entstanden ist.
  • Nach dem Zusammenbruch der UdSSR verhielten sich die Bourgeoisien und die (traditionellen) imperialistischen Staaten in einer ersten Phase sehr offensiv, mit der Durchdringung der Märkte im Osten, der Intervention in Afghanistan (2001) und im Irak (2003) … Seither verzettelten sie sich militärisch und es kamen die Finanzkrise, der Aufstieg neuer Mächte, die Revolutionen im arabischen Raum … was alles zu einem Verlust an geopolitischer Initiative und Kontrolle führte: Washington reagiert heute eher auf dringliche Situationen, als zu planen, wie es seine Ordnung durchsetzen kann.
  • Vor diesem Hintergrund erhalten die regionalen Mächte wie die Türkei, der Iran, Saudi-Arabien, Israel, Ägypten, Algerien … Südafrika, Brasilien, Indien, Südkorea erhebliches Gewicht. Obwohl sie im weltweiten Herrschaftssystem unter US-Hegemonie eine untergeordnete Rolle spielen, treiben sie zusätzlich zu ihrer Rolle als regionale Gendarmen (wie Brasilien in Haiti) auch ihr eigenes Spiel

Eine der durch die Entwicklung der internationalen Lage aufgeworfene Frage ist, wie die Wende nach 1989 (erobernde Imperialismen) mit der Mitte der 2000er-Jahre einsetzenden Wende (geopolitische Instabilität) zusammenhängt.

In dieser Hinsicht ist die Situation mit den Finanzkrisen 1997/98 und 2007/08 klar gekippt. Sie legten die der kapitalistischen Globalisierung innewohnenden Widersprüche frei und hatten erhebliche Auswirkungen auf politischer Ebene (Delegitimierung des Herrschaftssystems), auf sozialer Ebene (in den direkt betroffenen Ländern mit ausgesprochener Härte) und strukturell, insbesondere mit der Schuldenexplosion. Sie bildet den Hintergrund für die großen Demokratiebewegungen, die einige Jahre später aufkamen (Besetzung von Plätzen), aber auch für offen reaktionäre, antidemokratische Entwicklungen, die von der großen Furcht vor dem „Mittelstand“ genährt werden (siehe z. B. Thailand).

In Verbindung mit der Umweltkrise und den massiven Bevölkerungsbewegungen bringt die strukturelle Instabilität der globalisierten Ordnung neue Formen von Armut hervor, die fortschrittliche Organisationen dazu zwingen, ihre Politik anzupassen.

III. Globalisierung und Krise der Regierbarkeit

Die imperialistischen Bourgeoisien gedachten den Zusammenbruch des Sowjetblocks und die Öffnung Chinas zum Kapitalismus zu nutzen, um einen globalen Markt mit einheitlichen Regeln zu schaffen, in dem sie ihr Kapital nach Gutdünken investieren können. Die kapitalistische Globalisierung hatte zwangsläufig tiefgreifende Folgen – die zudem durch Entwicklungen verschärft wurden, die die imperialistischen Bourgeoisien in ihrer Euphorie nicht voraussehen wollten.

Tatsächlich bedeutete dieses Projekt Folgendes:

  • Die gewählten Institutionen (Parlamente, Regierungen …) werden ihrer Entscheidungsmacht in grundlegenden Fragen enthoben und dazu gezwungen, Beschlüsse in ihrer Gesetzgebung nachzuvollziehen, die anderenorts getroffen wurden: in der WTO, internationalen Freihandelsabkommen etc. Der klassischen bürgerlichen Demokratie wurde damit der Todesstoß verpasst – auf ideologischer Ebene drückt sich dies in der Bezugnahme auf die „Regierbarkeit“ (Gouvernanz) statt auf die Demokratie aus.
  • Die aus der spezifischen Geschichte der Länder und Regionen hervorgegangenen „geeigneten Formen“ bürgerlicher Herrschaft (historische Kompromisse europäischer Art, Populismus lateinamerikanischer Prägung, staatlicher Dirigismus asiatischer Prägung, Klientelwirtschaft mit Umverteilungsfunktion verschiedener Prägung …) werden im Namen des höher gewichteten Rechts auf „Wettbewerb“ als illegal erklärt. Faktisch errichten alle die ihren Interessen jeweils angepassten Beziehungen zum Weltmarkt, was die freie Entfaltung des imperialistischen Kapitals hemmt.
  • Das gemeine Recht wird dem Recht der Unternehmen untergeordnet, denen der Staat auf Kosten des Rechts der Bevölkerung auf Gesundheit, eine gesunde Umwelt und einen gesicherten Lebensstandard die bei einer Investition erhofften Gewinne zu sichern hat. Das ist einer der Knackpunkte der neuen Freihandelsverträge, die die aus den großen internationalen Institutionen wie WTO, IWF und Weltbank bestehende Struktur ergänzen.
  • Eine endlose Spirale der Zerstörung sozialer Rechte. Die traditionellen imperialistischen Demokratien haben die Schwäche der Arbeiterbewegung und ihre Krise in den Ländern des sogenannten Zentrums gut eingeschätzt. Unter Berufung auf die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt haben sie sie für eine anhaltende, systematische Offensive genutzt, mit dem Ziel, die insbesondere in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erkämpften kollektiven Rechte zu zerstören. Dabei streben sie keinen neuen, ihnen gewogeneren „Sozialvertrag“ an, sondern wollen mit solchen Abkommen generell Schluss machen und sich die potenziell gewinnträchtigen Sektoren des öffentlichen Dienstes, auf die sie bislang keinen Zugriff haben, wie Gesundheitswesen, Bildung, Rentensysteme, Transportwesen etc., unter den Nagel reißen.
  • Eine Veränderung der dem Staat zugewiesenen Rolle und des Verhältnisses zwischen imperialistischem Kapital und Territorium. Von Ausnahmen abgesehen, sind die Regierungen bei bedeutenderen Industrieprojekten oder bei der Entwicklung von sozialen Infrastrukturen (Bildung, Gesundheit …) nicht mehr im Boot. Obwohl sie weiterhin „ihre“ Multis in der Welt unterstützen, fühlen sich Letztere (angesichts ihrer Macht und ihrer Internationalisierung nicht mehr wie in der Vergangenheit von ihren Ursprungsländern abhängig: Das Verhältnis ist so „asymmetrisch“ wie nie zuvor … Die nach wie vor wesentliche Rolle des Staates beschränkt sich darauf, Regeln einzuführen, die die Freizügigkeit des Kapitals zur allgemeinen Regel machen, den gesamten öffentlichen Sektor dem Appetit des Kapitals zu öffnen, zur Zerstörung der sozialen Rechte beizutragen und die eigene Bevölkerung im Zaum zu halten.
  • Wir haben es also mit zwei hierarchischen Systemen zu tun, die die weltweiten Herrschaftsverhältnisse strukturieren. Die, wie in Punkt I erwähnt, bereits komplexe Hierarchie der imperialistischen Staaten und die Hierarchie der bedeutenden Kapitalflüsse, die sich netzartig über die Welt ziehen. Diese beiden Systeme decken sich nicht mehr, auch wenn die Staaten im Dienste der Letztgenannten stehen.

Die kapitalistische Globalisierung stellt eine neue weltweite Form der Klassenherrschaft dar, die unabgeschlossen und strukturell instabil ist. Tatsächlich führt sie in zahlreichen Ländern und ganzen Regionen in offene Krisen der Legitimität und der Unregierbarkeit, in einen permanenten Krisenzustand. Die vermeintlichen Zentren globaler Regulierung (WTO, UN-Sicherheitsrat …) sind unfähig, ihre Aufgabe tatsächlich auszuüben.

Eine Klasse beherrscht eine Gesellschaft nicht dauerhaft ohne Vermittlung und soziale Kompromisse, ohne sich auf eine wie immer geartete historische, demokratische, soziale oder revolutionäre Legitimität stützen zu können … Im Namen der Freizügigkeit des Kapitals räumen die imperialistischen Bourgeoisien mit Jahrhunderten von „Know-how“ in diesem Bereich auf, während die Aggressivität der neoliberalen Politiken in immer mehr Ländern den sozialen Zusammenhalt zerstört. Dass in einem westlichen Land wie Griechenland ein Großteil der Bevölkerung keinen Zugang mehr zu Pflege und Gesundheitsdiensten hat, ist bezeichnend für die Kompromisslosigkeit der europäischen Bourgeoisien.

Im Zeitalter der Imperien galt es die Stabilität der kolonialen Besitzungen sowie (wenn auch in geringerem Ausmaß) der Einflusszonen aus der Zeit des Kalten Krieges zu sichern. Was die Gegenwart betrifft, lässt sich sagen, dass es angesichts der Mobilität und der Finanzmarktdominanz vom jeweiligen Ort und Moment abhängt … So können ganze Regionen aufgrund der Auswirkungen der Globalisierung in eine chronische Krise stürzen. Die Umsetzung neoliberaler Diktate durch überholte diktatorische Regimes führte in der arabischen Welt zu Volksaufständen und in Afrika zu breiten Mobilisierungen, offenen Regimekrisen und gewaltsamen konterrevolutionären Gegenschlägen, die zu massiver Instabilität geführt haben.

Die Besonderheit des globalisierten Kapitalismus ist, dass er sich mit der Krise als permanenten Zustand zu arrangieren scheint. Krisen werden zu einem wesentlichen Bestandteil des normalen Funktionierens des neuen globalen Herrschaftssystems. In diesem Fall muss unsere Vorstellung von „der Krise“ als besonderem Moment in einer langen Phase der „Normalität“ tiefgreifend überholt werden – die ganze Tragweite davon können wir noch nicht beurteilen und müssen sie auch noch nicht voll tragen.

IV. Die neuen (Proto-)Imperialismen

Nach 1991 gingen die traditionellen imperialistischen Bourgeoisien davon aus, sie könnten die Märkte der ehemaligen sogenannten „sozialistischen“ Länder so weit durchdringen, bis diese natürlich untergeordnet wären – und fragten sich sogar, ob die NATO gegenüber Russland noch eine Funktion habe. Diese Annahme war nicht aus der Luft gegriffen, wie die Lage Chinas zu Beginn des Jahrtausends und die (dem internationalen Kapital sehr gewogenen) Beitrittsbedingungen dieser Länder zur WTO zeigen. Doch die Dinge haben sich anders entwickelt – was von den etablierten Mächten offenbar ursprünglich nicht ernsthaft in Erwägung gezogen worden war.

In China entstand eine neue Bourgeoisie innerhalb des Landes und der Partei, vor allem durch „Verbürgerlichung“ der Bürokratie, die sich über mittlerweile wohl bekannte Mechanismen selbst in eine besitzende Klasse verwandelte. Sie bildete sich also auf einer unabhängigen Grundlage (Erbe der maoistischen Revolution) und nicht als eine von Vornherein dem Imperialismus organisch untergeordnete Bourgeoisie erneut heraus. China wurde damit zu einer kapitalistischen Macht und gleichzeitig ständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrats mit Vetorecht (dasselbe gilt für Russland), auch wenn es weiterhin eine aus der ganz besonderen eigenen Geschichte übernommene Sozialstruktur aufweist.

Lässt sich China als neuer Imperialismus charakterisieren? Natürlich muss man präzisieren, was man im gegenwärtigen globalen Kontext, der das Thema des vorliegenden Textes ist, unter diesem Begriff versteht. Doch nachdem China zur zweitgrößten Weltmacht aufgestiegen ist, scheint es immer schwieriger, ihm diesen Status abzusprechen, wie fragil auch immer das aktuelle Regime und seine Wirtschaft sein mögen.

Russland bleibt ökonomisch stark von Rohstoffexporten abhängig (darunter zu 2/3 Erdölprodukte). Seine internationale Stellung hängt stark von seinem Atomarsenal (globales Kräftegleichgewicht) und seiner regionalen militärischen Schlagkraft (Krim, Syrien) ab.

Die BRICS-Länder haben mit mäßigem Erfolg versucht, gemeinsam auf dem Weltmarkt aufzutreten. Nicht alle Länder dieses schwachen „Blocks“ spielen in derselben Liga. Brasilien, Indien, Südafrika können vermutlich als Subimperialismen charakterisiert werden – ein Begriff, der auf die 1970er-Jahre zurückgeht – und als regionale Polizisten, wenn auch mit einem erwähnenswerten Unterschied in Bezug auf die Vergangenheit: Sie profitieren von einer wesentlich größeren Freiheit des Kapitalexports (siehe das in Afrika eröffnete „große Spiel“, in dem die Vereinigten Staaten, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Indien, Brasilien, Südafrika, China, Katar, Türkei, Nigeria und Angola in Konkurrenz zueinander stehen).

Drei erste Schlussfolgerungen:

  1. In dem Maß, wie China in Ostasien und darüber hinaus sowie Russland in Osteuropa und im Nahen Osten ihre Stellung behaupten, belebt sich der Wettbewerb zwischen kapitalistischen Mächten. Dabei handelt es sich tatsächlich um Konflikte zwischen kapitalistischen Mächten, d.h. um etwas qualitativ anderes als in früheren Phasen.
  2. Allgemeiner gesprochen können (sogar untergeordnete) Bourgeoisien und die Multis des „Südens“ in Sachen Kapitalfreizügigkeit die nach 1991 von den traditionellen imperialistischen Bourgeoisien aus Eigeninteresse entworfenen Regeln insbesondere für Investitionen nutzen, was den weltweiten Wettbewerb gegenüber früher komplexer macht. Was die Warenströme betrifft, geht die allgemeine In-Konkurrenz-Setzung der ArbeitnehmerInnen zwar weiterhin von den Unternehmen der traditionellen imperialistischen Zentren aus, die den Zugang zu den Verbrauchermärkten der industrialisierten Länder kontrollieren, und nicht von den Firmen in den produzierenden Ländern; für China, aber auch Indien und Brasilien gilt dies heute allerdings weniger.
  3. Es gibt nicht nur eine Legitimitätskrise der herrschenden Klassen, sondern auch eine ideologische Krise. Sie zeigt sich im Ausmaß der institutionellen Krise, in der sich die „schlechten“ KandidatInnen gegenüber dem und gegen das Establishment durchsetzen und Wahlen an sich nach Ansicht eines wachsenden Teils der Bevölkerung jede Glaubwürdigkeit einbüßen. Aus Unfähigkeit, darauf zu reagieren, werden sie immer mehr auf das Prinzip „teile und herrsche“, auf Rassismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und Stigmatisierungen setzen, sei dies gegen KoreanerInnen in Japan oder AfroamerikanerInnen in den USA und Brasilien, MuslimInnen in Indien, SchiitInnen, SunnitInnen oder ChristInnen in muslimischen Ländern. Der Kampf gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit ist mehr denn je ein wesentlicher Teil des Widerstands auf internationaler Ebene. Dasselbe gilt für andere Formen der (sexistischen, sozialen …) Diskriminierung.

V. Neue extreme Rechte, neue Faschismen

Eine erste Folge der ungeheuer destabilisierenden Macht der kapitalistischen Globalisierung ist der ebenso spektakuläre Aufstieg neuer rechtsextremer Strömungen und Faschismen mit (potenzieller) Massenbasis. Manche geben sich relativ klassisch fremdenfeindlich (Neonazis), wie die Goldene Morgenröte in Griechenland, die NDP in Deutschland oder Jobbik in Ungarn.  Andere richten sich in einer neuen Fremdenfeindlichkeit und Isolationismus/Abschottung ein. Besonders stark wachsen sie in einem Teil Europas (das gilt nicht für Spanien und Portugal), insbesondere mit der PVV in den Niederlanden, dem Front National in Frankreich, der Lega Nord in Italien, der FPÖ in Österreich, den „Wahren Finnen“, der UKIP in Großbritannien … Ihnen kommt eine dreifache Krise entgegen. eine soziale, eine institutionelle und eine Identitätskrise. Ihr Wirtschaftsprogramm schwankt, doch allen gemein ist die heftige Ablehnung von MigrantInnen und ein islamfeindlicher Rassismus. Geert Wilders in den Niederlanden geht so weit, die Schließung aller Moscheen zu fordern!

Andere extrem rechte Strömungen entstehen in der Gestalt religiöser oder nationalreligiöser Fundamentalismen, und zwar in allen „großen“ Religionen (Christentum, Buddhismus, Hinduismus, Islam …) oder in Form von „Nationalreligiösen“ (extrem rechter Zionismus) … Diese Strömungen stellen heute in Ländern wie Indien, Sri Lanka, Israel eine erhebliche Bedrohung dar.

Sie konnten Einfluss auf die Politik so bedeutender Regierungen wie jener der Vereinigten Staaten (unter Bush und heute unter Trump) nehmen. In Frankreich wurde der von der Regierungsrechten aufgestellte Präsidentschaftskandidat François Fillon von den reaktionärsten katholischen Kreisen unterstützt. Die radikal evangelikalen Christen verdrehen in Lateinamerika und Afrika allen den Kopf. Die muslimische Welt stellt hier keinen Sonderfall dar; doch hat diese Entwicklung international mit „grenzüberschreitenden“ Bewegungen wie dem Islamischen Staat, Al Qaida oder den Taliban, Netzwerken, die von Marokko bis Indonesien und den südlichen Philippinen mehr oder weniger formal miteinander in Kontakt stehen, ein besonderes Gewicht erhalten.

Wie alle politischen Begriffe ist der Faschismusbegriff oft abgedroschen oder wird unterschiedlich interpretiert.

Allgemein müssen die neuen rechten Strömungen – ob religiös oder nicht – genauer analysiert werden. Denn dabei handelt es sich nicht um simple Neuaufgüsse von etwas Vergangenem. Sie sind Ausdrucksformen der Gegenwart! Um zu verstehen, welche Rolle sie spielen, müssen sie politisch charakterisiert werden (es sei daran erinnert, dass vor nicht allzu langer Zeit ein nicht unerheblicher Teil der internationalen radikalen Linken im islamischen Fundamentalismus den Ausdruck eines „objektiv“ fortschrittlichen, wenn auch ideologisch reaktionären Antiimperialismus sah). Es ist auch nötig, um „essentialistische“ Interpretationen eines „Kampfs der Kulturen“ zu bekämpfen.

Es handelt sich um extrem rechte, konterrevolutionäre Strömungen. Sie haben dazu beigetragen, die Dynamik der im „arabischen Frühling“ entstandenen Volksrevolutionen zu beeinträchtigen. Sie haben weder ein Monopol auf Gewalt (siehe das Assad-Regime!) noch auf „Barbarei“ (die imperialistische Ordnung ist „barbarisch“), üben aber über die Gesellschaft eine Kontrolle und einen „von unten kommenden“ Terror aus, die in vielerlei Hinsicht an die Faschismen der Zwischenkriegszeit erinnern, bevor diese an die Macht kamen.

Wie alle politischen Begriffe ist der Faschismusbegriff oft abgedroschen oder wird unterschiedlich interpretiert. Doch auch unsere eigenen Organisationen diskutieren neben der Frage des Islamischen Staates die Entwicklung fundamentalistischer und rechtsextrem-nationalistischer Strömungen, ob sie nun als faschistisch bezeichnet werden können oder nicht, beispielsweise in Pakistan (Taliban-Bewe­gung) oder Indien (RSS [hindu-nationalistische, radikal-hinduistische Organisation, Anm. d. Red.]). „Theofaschismus“ könnte unabhängig von der jeweiligen Religion ein Überbegriff für diese Art von Strömungen sein.

Wie auch immer sich diese neuen rechtsextremen Kräfte charakterisieren lassen, ihre zunehmende Bedeutung stellt unsere Generation an AktivistInnen vor die bislang unbekannte politische Aufgabe des Aufbaus eines „antifaschistischen“ Widerstands im großen Maßstab. Daran muss gearbeitet werden, und dafür müssen wir die Analysen wie auch die nationalen und regionalen Erfahrungen kollektivieren.

Allgemeiner gesagt, gibt die erneut aufkommende radikale Rechte einem sehr gefährlichen reaktionären Aufschwung Nahrung, die vor allem grundlegende Rechte der Frauen und LGBT* infrage stellen wollen, wofür sie sich in der Frage der Abtreibung (Spanien, wo ein skandalöser Gesetzesentwurf für das Verbot des freiwilligen Schwangerschaftsabbruchs verhindert werden konnte, Polen, Nicaragua etc.) und des Familienrechts (Werbung für die Rückkehr zu einem sehr konservativen Bild der Rolle der Frau …) auf institutionelle Kirchen stützen können, oder sogar eine regelrechte Hexenjagd auf Homosexuelle (Iran, afrikanische Länder, in denen evangelikale Strömungen großen Einfluss haben …) oder Transsexuelle betreiben. Die Reaktion greift also das Recht auf Selbstbestimmung von Frauen und von Menschen (Anerkennung der Vielfalt der sexuellen Orientierung) frontal an – mithin Rechte, die in langen Kämpfen errungen wurden.

VI. Autoritäre Regime, demokratische und solidarische Erfordernisse

Dieser Aufstieg reaktionärer rechter Bewegungen wird durch die heute von den bürgerlichen Regierungen im Namen des Kampfs gegen den Terrorismus oder die „illegale“ Immigration betriebene Ideologie der nationalen Sicherheit begünstigt. Die genannten Regierungen nutzen die so genährten Ängste wiederum, um das Strafrecht zu verschärfen, zunehmend Polizeiregimes einzurichten und freiheitsfeindliche Maßnahmen durchzudrücken: ganze Bevölkerungen werden als „verdächtig“ behandelt und unter Überwachung gestellt.

Selbst in Ländern mit langer bürgerlich-demokratischer Tradition erleben wir einen regelrechten Regimewechsel. Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung werden Bürgerkriegsgesetze eingeführt. Massenweise werden Überwachungssysteme eingerichtet. Die Armee wird mit Polizeigewalt ausgestattet (Frankreich) und die Polizeikräfte werden militarisiert. Im aktuellen Recht werden Ausnahmeregeln eingeführt. Die Exekutive dehnt ihre Autorität auf Kosten des Rechtswesens aus …

Die kapitalistische Globalisierung hat die sogenannten demokratischen Institutionen, wo es diese gab, und den bürgerlichen Parlamentarismus in eine Krise gestürzt.

Die zunehmende Durchsetzung von Ausnahmezuständen trägt zur Negierung der Menschlichkeit ganzer Personengruppen wie Minoritäten, MigrantInnen etc. bei: Dazu trägt auch bei, dass systematisch „Verbrechen“ wie Blasphemie, Majestätsbeleidigung, Persönlichkeitsverletzung oder Bedrohung der nationalen Sicherheit geahndet werden. Die schleichende Rückkehr der Politik der Entmenschlichung (die den Völkermorden der Vergangenheit Vorschub leistete) verweist nicht nur auf reaktionäre, sondern auf konterrevolutionäre Tendenzen.

Die kapitalistische Globalisierung hat die sogenannten demokratischen Institutionen, wo es diese gab, und den bürgerlichen Parlamentarismus in eine Krise gestürzt. Die vorherrschende Reaktion auf diese schwindende Legitimität besteht darin, plötzlich oder schleichend autoritäre Regimes einzuführen, die sich der Souveränität des Volks entziehen (als Ausnahme, die die Regel bestätigt, waren manchmal auch ehemalige Militärdiktaturen, beispielsweise in Birma, gezwungen, einen Teil ihrer Macht abzutreten oder zu teilen). Im Namen von Abkommen oder Regulierungen sprechen Regierungen ihren Bevölkerungen das Entscheidungsrecht ab.

Das demokratische Gebot – „echte Demokratie jetzt!“ –  erhält damit eine subversivere Dimension, die im Vergleich zur Vergangenheit unmittelbarer ist und erlaubt, damit einen alternativen, populären Inhalt zu transportieren. Ebenso können sich dank der Universalität der neoliberalen Politik und der damit einhergehenden Vermarktung von Gemeingütern als Waren soziale Widerstandsbewegungen einander annähern, wie dies im Rahmen der globalisierungskritischen Bewegung geschehen ist. Die schon heute spürbaren Folgen des Klimawandels bieten ebenfalls ein neues Feld von potenziell antikapitalistischer Annäherung.

Die dauerhaften Folgen der Niederlagen der Arbeiterbewegung, die ideologische Hegemonie des Neoliberalismus sowie der Verlust der Glaubwürdigkeit sozialistischer Alternativen untergraben jedoch diese positiven Tendenzen. Es ist schwierig, die oft beträchtlichen Erfolge der Protestbewegungen auf Dauer zu sichern. Die Heftigkeit der Unterdrückung kann in diesem Umfeld den auf Abschottung setzenden „geschlossenen“ Widerstand unterdrückter Gemeinschaften verstärken, sodass sie sich gegenüber der Unterdrückung anderer Gemeinschaften gleichgültig verhalten (wie im Fall des „Homonationalismus“). Die religiöse Aufladung vieler Konflikte trägt auch zur Spaltung von Ausgebeuteten und Unterdrückten bei.

Die neoliberale Ordnung kann sich nur durchsetzen, wenn sie die bestehenden Solidaritäten zerstören und das Aufkommen neuer Solidaritäten verhindern kann. So nötig Solidarität ist, so wenig können wir davon ausgehen, dass in Reaktion auf die Krise „natürlich“ neue Solidaritäten entstehen, genauso wenig, wie sich der Internationalismus angesichts des globalisierten Kapitals von selbst entwickelt. Dafür bedarf es der Zustimmung zu systematischen gemeinschaftlichen Bemühungen.

VII. Kapitalistische Expansion und Klimakrise

Mit der Wiedereingliederung des chinesisch-sowjetischen Blocks in den Weltmarkt hat sich der geografische Raum, in dem das Kapital dominiert, enorm erweitert. Darauf stützt sich der Optimismus der imperialistischen Bourgeoisien. Darauf stützt sich aber auch eine in vielfältiger Weise dramatische Beschleunigung der weltweiten Umweltkrise. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo in den großen Ländern des Südens mit hohem Ausstoß die Treibhausgasemissionen ebenfalls unverzüglich gesenkt werden müssen und nicht nur im Norden.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass die Begleichung der „ökologischen Schuld“ an den Süden nicht die globale kapitalistische Entwicklung fördert und weder japanisch-westlichen Multis mit Standorten im Süden noch den Multis des Südens (vom Typ der brasilianischen Agroindustrie) zugute kommt, denn das würde sozialen und Umweltkrisen nur noch mehr Vorschub leisten.

Selbstverständlich besteht nach wie vor Bedarf an Solidarität zwischen „Norden und Süden“, beispielsweise in der Verteidigung der Opfer von Klimachaos. Doch mehr denn je steht im „Nord-Süd“-Verhältnis aus Sicht der Arbeiterklassen ein gemeinsamer „antisystemischer“ Kampf an: das heißt ein gemeinsamer Kampf für eine antikapitalistische Alternative, eine andere Vorstellung von Entwicklung im „Norden“ wie im „Süden“ („Norden“ und „Süden“ sind heute so heterogen, dass die Begriffe auch irreführend sein können).

Der Ausgangspunkt muss der ökosoziale Kampf für „eine Veränderung des Systems und nicht des Klimas“ sein; seine Basis sind die sozialen Bewegungen und nicht einfach spezifische Klimabündnisse. Also muss auf eine Verbindung zwischen beiden hingearbeitet werden. Wenn man dem sozialen Kampf keine ökologische Dimension verleiht (gemäß dem, was in Bauern- oder Stadtkämpfen teilweise bereits passiert), wird die zahlenmäßige Ausbreitung von „Klima“-Mobilisierungen an der Oberfläche der Dinge verharren.

Die Organisierung der Opfer des Klimachaos, ihre Verteidigung und die Hilfe für ihre Selbstorganisation sind bereits Teil der Grundlage des ökologischen Kampfs.

Die Folgen eines auf fossile Brennstoffe gestützten globalen Energiesystems liegen heute auf der Hand. Angesichts der weltweiten Klimaerwärmung schmelzen die Polkappen, der Meeresspiegel steigt, das Grundwasser schwindet, Wüsten breiten sich aus, Wasser wird knapper, die Landwirtschaft ist bedroht und extreme Klimaphänomene häufen sich. Die Folgen des Taifuns Haiyan auf den Philippinen übersteigen im Ausmaß das, worauf man bereits vorbereitet war. Die vorausgesagte Zukunft ist bereits eingetreten. Das hat destabilisierende Folgen, die weit über die direkt betroffenen Gebiete hinausreichen und in Kettenreaktionen Spannungen erzeugen (siehe die Spannungen zwischen Bangladesch und Indien in der Frage von WanderarbeiterInnen oder zwischenstaatliche Konflikte um die Kontrolle von Grundwasserspeichern).

Die ausgedehnte Polarkappe der westlichen Antarktis weist heute Anzeichen von Destabilisierung auf, und ihr Abschmelzen könnte zum Anstieg des Meeresspiegels um 7 Meter führen.

Die Fachwelt ist sich einig darüber, dass eine durchschnittliche Erhöhung der Erdtemperatur von 2 °C gegenüber dem Stand vor der Industrialisierung Klimafolgen auslösen wird, die, wenn sie einmal eingetreten sind, nicht mehr aufhaltbar sind. Damit stellt sich eine Reihe von noch völlig ungelösten schwierigen Fragen.

Das Abschmelzen der Gletscher und der Eiskappen könnte eine katastrophale Erhöhung des Meeresspiegels nach sich ziehen und weltweit Ballungsräume an der Küste, Inselgemeinschaften oder sehr niedrig gelegene Länder und Regionen (Bangladesch …) bedrohen. Die ausgedehnte Polarkappe der westlichen Antarktis weist heute Anzeichen von Destabilisierung auf, und ihr Abschmelzen könnte zum Anstieg des Meeresspiegels um 7 Meter führen.

Wie soll die Weltbevölkerung ernährt werden, ohne vermehrt auf (agro-)industrielle Landwirtschaftsbetriebe und den steigenden Einsatz von Pestiziden, Herbiziden und GVO zu setzen, die die Biosphäre zerstören? Die zentrale Frage ist die der Nahrungssouveränität, die den Völkern das Recht und die Mittel gibt, das ihnen adäquate Nahrungssystem selbst zu definieren. Sie gibt die Macht eher in die Hände von ProduzentInnen, VerteilerInnen und KonsumentInnen statt in jene der Großunternehmen und der Marktinstitutionen, die heute diesen Sektor dominieren. Sie erlaubt es, den Landraub zu stoppen, und erfordert eine umfassende Landwirtschaftsreform, um den ProduzentInnen die Böden zurückzugeben.

Der zerstörerischste Einzelaspekt der Umweltkrise ist vielleicht der Einfluss, den sie auf die Artenvielfalt hat – man spricht vom „sechsten Artensterben“. Eine Erhöhung der Erdtemperatur von rund 3 °C würde beispielsweise bedeuten, dass die Hälfte aller Arten zum Aussterben verurteilt wäre. Ein Viertel aller Säugetiere ist bedroht. Die laufende Übersäuerung der Weltmeere würde den Tod von Korallenriffen sowie von Organismen bedeuten, die von der Verkalkung ihrer Schalen abhängen. Die Zukunft unserer Spezies kann nicht losgelöst von dieser Krise der Artenvielfalt gesehen werden.

VIII. Eine Welt permanenter Kriege

Wir stecken mittendrin in einer Welt permanenter Kriege (im Plural). Diese Situation betrifft nicht nur internationale Konflikte. Sie kennzeichnet auch die innere Lage von Ländern Afrikas und Lateinamerikas, etwa Mexiko.

Kriege sind Teil unserer Realität und werden es in vielfältiger Form auch weiter bleiben. Wir müssen neu analysieren, wie sie geführt werden, wie unter anderem der Widerstand an der Basis aussieht, um besser die Bedingungen des Kampfes, die Realität jeder Situation, die konkreten Erfordernisse der Solidarität zu verstehen … Dafür muss jeder Krieg in seinen Besonderheiten analysiert werden.  Wir sind mit sehr komplexen Situation konfrontiert, wie heute im Nahen Osten, wo innerhalb eines einzigen Kriegsschauplatzes (Irak-Syrien) Konflikte mit ihren spezifischen Ausprägungen ineinander greifen, sodass Spannungen und Widersprüche zwischen fortschrittlichen Kräften geschürt werden.

Wir brauchen aber in der sehr komplexen geopolitischen Lage die Orientierung bewahren: Klassenunabhängigkeit gegenüber den Imperialismen, den Militarismen, den Faschismen und dem Aufkommen von „antisolidarischen“ (rassistischen, islamfeindlichen und antisemitischen, ausländerfeindlichen, kastenspezifischen, fundamentalistischen, homophoben, frauenfeindlichen, maskulinistischen …) identitätsbetonten Bewegungen.

IX. Die Grenzen der Großmacht

Die einheitlichen Regeln der globalisierten kapitalistischen Weltordnung hindern gewisse Länder nicht daran, gleicher zu sein als andere; die Vereinigten Staaten erlauben sich Dinge, die sie bei anderen nicht durchgehen lassen. Sie setzen auf die Bedeutung des Dollars, um ihr „Recht“ auf Strafverfolgung zu „exportieren“; sie kontrollieren über weite Strecken die fortschrittlichsten Technologien und befehligen eine unvergleichbare Militärmacht. Ihr Staat bewahrt globale Regulierungsfunktionen, die andere nicht haben – oder für die anderen die Mittel fehlen.

Die Vereinigten Staaten sind nach wie vor die einzige Supermacht weltweit – und trotzdem verlieren sie von Afghanistan bis Somalia die Kriege, die sie angezettelt haben. Schuld daran ist vielleicht die neoliberale Globalisierung, die verhindert, dass sie vorübergehende militärische Erfolge (im Bündnis mit den lokalen Eliten) gesellschaftlich konsolidieren können. Es ist vielleicht auch eine Folge der Privatisierung von Armeen, da Söldnerfirmen ebenso wie „nicht offizielle“ bewaffnete Truppen im Dienst von Sonderinteressen (Großunternehmen, bedeutenden Besitzerfamilien …) eine wachsende Rolle spielen.

Es liegt aber auch daran, dass diese Macht, so dominant sie auch sein mag, nicht über die Mittel verfügt, unter rundum strukturell instabilen Bedingungen zu intervenieren. Sie bräuchte nachgeordnete imperialistische Mächte, die sie unterstützen könnten. Frankreich und Großbritannien verfügen nur noch über sehr begrenzte Kapazitäten; Japan muss erst den zivilen Widerstand gegen seine vollständige Remilitarisierung überwinden. Der Brexit bedeutet den Gnadenstoß für den Aufbau eines vereinten europäischen Imperialismus, zumal Großbritannien über eine der beiden einzigen bedeutenden Armeen in der Europäischen Union verfügt (und dazu über eines der wichtigsten diplomatischen und finanziellen Netzwerke sowie eine der wichtigsten Ökonomien).

Mit der Wahl von Donald Trump und seine unilateralen Erklärungen spitzt sich ein bereits bestehendes Problem zu: Inwiefern ist auf den von den Vereinigten Staaten gewährleisteten „strategische Schirm“ Verlass? Die Antwort fällt eindeutig aus: in ungewissem Ausmaß. Die rechten Hardliner in Japan ziehen daraus ihre Schlussfolgerungen. Wie wird Westeuropa reagieren? Das imperialistische Deutschland ist unter Druck. Wird es weiterhin von seiner wirtschaftlich dominanten Stellung profitieren können, ohne militärisch Verantwortung zu übernehmen? Die Krise der EU, der Druck Russlands und die Haltung Washingtons werfen objektiv die Frage nach der Wiederaufrüstung Deutschlands auf – einem Land, in dem (ebenso wie in Japan) der Antimilitarismus in der Bevölkerung tief verankert ist.

Wer Krieg sagt, müsste Antikriegsbewegung sagen. Da sich die Kriege stark voneinander unterscheiden, ist die Entstehung von Antikriegsbewegungen, die sich wechselseitig stärken, keine Selbstverständlichkeit. Aus der Perspektive (west-)europäischer AktivistInnen scheint in dieser Frage Pessimismus angesagt, so sehr hat das „Lagerdenken“ die wichtigsten Kampagnen auf diesem Gebiet zersetzt und gelähmt. Dennoch gibt es Antikriegsbewegungen, insbesondere in Asien – und in Eurasien wird die Überwindung der aus der Ära der Blöcke übernommenen Grenzen insbesondere zu dieser Frage erfolgen.

X. Internationalismus versus Lagerdenken

Es gibt keine „nicht-“ oder „anti-“kapitalistische Großmacht mehr (eine Kategorie, zu der Kuba nicht zählt). Die Schlussfolgerungen daraus sind in aller Konsequenz zu ziehen.

Obwohl wir uns nie an der chinesischen Diplomatie orientiert haben, hatten wir in der Vergangenheit die Volksrepublik (und die Dynamik der Revolution) gegen das imperialistische Bündnis zwischen Japan und den USA verteidigt – in diesem Sinn standen wir in diesem Lager. Unabhängig von unserer Haltung zum stalinistischen Regime waren wir gegen die NATO; dennoch vertraten wir kein „Lagerdenken“, denn das hinderte uns nicht daran, die stalinistische Bürokratie zu bekämpfen. Wir agierten einfach in einer Welt, in der die Konfliktlinien Revolution/Konterrevolution, Ostblock/Westblock und China/Sowjetunion miteinander verzahnt waren. Dies ist heute nicht mehr der Fall.

Die konkreten Aufgaben der Solidarität müssen vom Standpunkt der (humanitären, politischen und materiellen) Bedürfnisse der betroffenen Bevölkerungen und der Widerstandsbewegungen aus gedacht werden.

Die Logik des „Lagerdenkens“ hatte schon immer zur Folge, die Opfer (die auf der falschen Seite standen) im Namen des Kampfs gegen den „Hauptfeind“ im Stich zu lassen. Heute gilt dies noch mehr als früher, denn es führt dazu, sich dem Lager einer kapitalistischen Macht (Russland, China) anzuschließen oder im Gegenteil dem westlichen Lager, wenn Moskau oder Peking als Hauptbedrohung angesehen werden. Damit nährt man aggressive Nationalismen und heiligt Grenzen, die aus der Zeit der Blöcke übernommen wurden, wo wir diese doch gerade auflösen sollten.

Das Lagerdenken kann auch dazu verleiten, in Syrien das mörderische Assad-Regime und das Eingreifen Russlands zu unterstützen – oder aber das Bündnis unter US-Hegemonie, an dem insbesondere Saudi-Arabien beteiligt ist. Selbst angesichts der Tragödie, die sich in Aleppo abspielt, schaute ein Teil der internationalen radikalen Linken weg, um nicht mit der Tradition des Lagerdenkens brechen zu müssen. Andere Strömungen begnügen sich damit, die imperialistische Intervention im Irak oder in Syrien zu verurteilen (was korrekt ist), ohne aber zu sagen, was der Islamische Staat ist und tut und ohne zum Widerstand gegen diesen aufzurufen.

Diese Art von Position verhindert, dass die Gesamtheit der Aufgaben klar benannt wird, die sich der Solidarität stellen. Es genügt nicht, an die historische Verantwortung der Imperialismen, die Intervention von 2003 oder die uneingestandenen Ziele der aktuellen Intervention zu erinnern. Die konkreten Aufgaben der Solidarität müssen vom Standpunkt der (humanitären, politischen und materiellen) Bedürfnisse der betroffenen Bevölkerungen und der Widerstandsbewegungen aus gedacht werden. Was nicht möglich ist, ohne das Assad-Regime und die konterrevolutionären fundamentalistischen Bewegungen anzugreifen.

Auch im Fall der Grenzstreitigkeiten, die gegenwärtig Osteuropa spalten, wie im Fall der Ukraine war unsere Ausrichtung, uns in allen Ländern in und außerhalb der EU für ein Europa einzusetzen, das auf dem freien Zusammenschluss souveräner Völker beruht und alle (nationalen, sozialen …) Dominanzverhältnisse ablehnt  – was unserem Verständnis von Sozialismus entspricht.

XI. Humanitäre Krise

Neoliberale Politik, Kriege, Klimachaos, wirtschaftliche Verwerfungen, sozialer Zerfall, übermäßige Gewalt, Pogrome, Zusammenbrüche von Sozialversicherungssystemen, verheerende Epidemien, versklavte Frauen, getötete Kinder, Zwangsmigration: der Triumph des entfesselten Kapitalismus gebiert eine Welt, in der sich humanitäre Krisen häufen.

Der Zerfall der gesellschaftlichen Ordnung trifft in Länder wie Pakistan mit voller Wucht den Staat. Namentlich in Mexiko hat der Zerfall des Kapitalismus nicht zum Aufkommen eines neuen Faschismus geführt, aber am Rand der Gesellschaft stehende kriminelle Banden verändert, die im Untergrund wie richtige Machtgruppen funktionieren und mit der herrschenden politischen Klasse und dem internationalen Finanzkapital verbunden sind.   Sie breiten ihre Netzwerke über den Rest Lateinamerikas und die Vereinigten Staaten aus. Neben dem Drogenhandel sind sie auch in die Entführung und den Handel mit Frauen involviert. Die kontrollieren große Teile des Landes und haben eine eigene soziale Basis. Der sogenannte Krieg gegen die Drogen, Konflikte zwischen verschiedenen kriminelle Banden und „Kollateralschäden“ haben mehr Todesopfer gefordert als der Krieg im Irak. Ihre Existenz kommt der kapitalistischen Akkumulation entgegen, indem Tausende Bauern/Bäuerinnen und autochthone Völker enteignet und von ihrem Land vertrieben werden, wovon vor allem Rohstoff fördernden transnationalen Konzerne profitieren. Sie rechtfertigt die Militarisierung des Landes und die Kriminalisierung sozialer Proteste. Obwohl sie selbst politisch nicht auftreten, bilden diese Banden die Grundlage für den Akkumulationsprozess des Kapitals und leisten einer frauenfeindlichen, sexistischen, homophoben und ausländerfeindlichen Kultur Vorschub. Sie können einen fruchtbaren Boden für die Entstehung paramilitärischer Gruppen im Dienst der Oligarchen werden.

Der wiederbelebte Internationalismus muss nun dauerhaftere Formen auf allen Ebenen des Widerstands finden.

Anstatt angesichts dieser Dringlichkeiten das Völkerrecht zu stärken, wird es von den Nationalstaaten mit Füssen getreten. Die Europäische Union gibt nicht einmal mehr vor, in der Frage der Aufnahme von Flüchtlingen das Völkerrecht einzuhalten. Davon zeugt das ruchlose Abkommen, das mit der Türkei ausgehandelt wurde. Dasselbe gilt für das Schicksal der Rohingya in Südostasien.

Oft äußert sich die grenzenlose Gewalt ganz unverblümt. Dabei wird die extreme Gewalt nicht mehr geleugnet, sondern inszeniert, wie im Fall des islamischen Staates. Der Frauenmord in Ländern wie Argentinien und Mexiko nimmt extreme Formen an wie aufgespießte und verbrannte Körper, die in ihre Brutalität der „traditionellen“ Gewalt von „Ehrenmorden“ (bei denen z. B. Frauen, die gegen die patriarchale Ordnung aufbegehren, bei lebendigem Leib begraben werden …) in nichts nachstehen.

Nach George W. Bush und den Anschlägen vom 11. September 2001 wird die Menschlichkeit des Feindes selbst von immer mehr Regierungen geleugnet. Im Namen des Kampfes des Guten gegen das Böse hat der „humanitäre Krieg“ das Völkerrecht und das Kriegsrecht abgeschüttelt: der „absolute“ Feind hat auf keinerlei Recht mehr Anspruch – er verkommt in den Kerkern der FundamentalistInnen, dem „schwarzen Loch“ von Guantanamo oder den Geheimgefängnissen der CIA.

Auf diese moderne Barbarei muss mit einer Ausweitung des internationalistischen Aktionsfeldes geantwortet werden. LinksaktivistInnen und soziale Bewegungen müssen insbesondere sicherstellen, dass sich eine Solidarität „von Volk zu Volk“, von „sozialen Bewegungen zu sozialen Bewegungen“ gegenüber den Opfern der humanitären Krise entwickeln kann.

Nach einer Phase, in der der Begriff des Internationalismus an sich oft verunglimpft wurde, ist er mit der Welle der Globalisierungskritik und der Zunahme von „Besetzungen“ von Plätzen und Stadtteilen wieder zu seinem Recht gekommen. Der wiederbelebte Internationalismus muss nun dauerhaftere Formen auf allen Ebenen des Widerstands finden. Das wird nicht spontan passieren, in vielen Ländern ist eine Verringerung des Solidaritätsgefühls oder seiner Umsetzung zu beobachten.

XII. Ein globaler Klassenkrieg

Der globalisierte Kapitalismus führt einen globalisierten Klassenkrieg.

Die mittelfristige Entwicklung der internationalen Lage ist insbesondere in ökonomischer Hinsicht schwer vorherzusehen. Eine neue Finanzkrise droht, ohne dass bekannt ist, was der Auslöser und die Folgen sein werden. Werden die technologischen Innovationen in Verbindung mit der Informatik spürbare Auswirkungen auf die Arbeitsproduktivität haben oder nicht? Befinden wir uns in einer Phase langer Stagnation? Können wichtige Teil der Bourgeoisie auf einen neuen Protektionismus setzen? Trägt die Klimaerwärmung dazu bei, dem Kapitalismus absolute Grenzen zu setzen? Liegt der Hauptfaktor der kapitalistischen Krise im tendenziellen Fall der Profitrate (wie bei den „klassischen“ Krisen) oder sind andere Faktoren (die Art von Verwaltung der Globalisierung, die Auswirkung der Umweltkrise …) voll zu berücksichtigen?

Dennoch mangelt es gegenwärtig nicht an Gewissheiten. Die Prekarisierung der Arbeit und der allgemeinen Lebensbedingungen, der Zerfall des sozialen Gefüges werden in den allermeisten Ländern weitergehen. Die Unterdrückung wird sich verschärfen, sofern sich keine ausreichend starke Solidarität dagegenstellt. Die Verheerungen der Umweltkrise werden sich ausweiten. Die geopolitische Instabilität wird sich weiter zuspitzen, wovon insbesondere die aktuelle Zunahme der Spannungen in Ostasien zeugt. Konflikte um die Kontrolle über die Ressourcen, Märkte und Kommunikationswege werden sich häufen.

Die erste Folge der Wahl von Donald Trump ist, dass sich all diese Tendenzen zuspitzen. Schlimmer noch, werden gerade neue Schwellen der Gefährlichkeit überschritten. Die Beschleunigung des Wettrüstens (Konstruktion von Flugzeugträgern …) ist eines der auffälligsten Symptome dafür. Sie erhält sogar erneut eine atomare Dimension. Länder wie die Vereinigten Staaten oder Frankreich versuchen, den „taktischen“ Einsatz dieser Massenvernichtungswaffe politisch möglich zu machen – zurzeit angesichts der Schärfe der Koreakrise und der Aufstellung des US-amerikanischen Raketenabwehrsystems Thaad im Süden erwägt China, sein Arsenal aufzustocken und seine U-Boote strategisch in die Meere zu entsenden. Der Bau von Mauern und die Schließung von Grenzen werden immer üblicher, mit all dem, was an Verteufelung und Misshandlung des „Fremden“ damit einhergeht; doch die Demagogie gegen die ImmigrantInnen kann nicht über die Heftigkeit der Angriffe auf die gesamte werktätige Bevölkerung hinwegtäuschen. Die historische Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ erfährt heute seine volle Bedeutung.

Gerade durch ihre Brutalität können die Angriffe der Reaktion Gegenschläge in Form von massiven demokratischen Mobilisierungen provozieren, wie in den Vereinigten Staaten durch die Wahl von Trump oder in Argentinien durch die extreme Gewalt gegen Frauen, und selbst auf internationaler Ebene. So verlief der 8. März 2017 spektakulär und fiel ganz aus dem Rahmen des Üblichen heraus. Die Angriffe können kämpferischen sozialen Bewegungen von ArbeiterInnen und BäuerInnen aber auch schwer Niederlagen beibringen, wie in Pakistan. Die Analyse der Dynamiken des Widerstands von unten erfolgt im zweiten Text, der zur Diskussion für den Weltkongress vorgelegt wird, und die Bedingungen für den Aufbau von aktivistischen Parteien werden im dritten Teil behandelt.

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