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Linke

Jakob Moneta zum 90.Geburtstag

Von Wolfgang | 01.11.2004

Brief eines jüngeren Mitstreiters

Brief eines jüngeren Mitstreiters

Lieber Jakob,
zu Deinem 90. Geburtstag am 11. November werden Dir als unverbesserlichem Weltverbesserer sicherlich einige bunte Kränze geflochten werden. Was würde näher liegen, als sich einzureihen und einige mit mehr oder weniger wissenschaftlicher Sorgfalt verfasste Zeilen zu schreiben, um Dein seit 1931 andauerndes Engagement in und für die sozialistische Bewegung zu würdigen?
Vielleicht schadet es ja nicht, von der Konvention abzuweichen, und einen sehr subjektiven Blick auf Dich zu werfen.
Immer noch befindet sich Inprekorr Nummer 27 von Mitte 1973 in meiner Sammlung. Auf dem Titelbild ist ein junger japanischer Straßenkämpfer abgebildet. Ausgerüstet mit Helm und Mundschutz, in voller Aktion gegen die Kräfte der Staatsmacht. Ein Sinnbild für die Zeit des Kultes um die Militanz, in der meine Generation politisch aufgewachsen ist.
Was das mit Dir zu tun hat? Nun, dieses Heft diente mir als Notizblock, um den Titel Deines Buches “Aufstieg und Niedergang des Stalinismus” aufzuschreiben. Du warst von Hermann Weber zu einem Vortrag über die bürokratische Entartung der Sowjetunion eingeladen worden.
Diese erste Begegnung mit Dir war für mich als jungen Radikalen mit langen Haaren und einer bemüht “unangepassten” Kleidung ein Erlebnis der besonderen Art. Meinen Marx, Lenin, Trotzki oder Mandel hatte ich schon gelesen, aber mit dem Namen Jakob Moneta konnte ich damals herzlich wenig anfangen.
Jakob Moneta also: Vierzig Jahre älter als die meisten der bei Deinem Referat anwesenden Personen. Für uns ein älterer Herr, korrekt gekleidet – garantiert mit Jackett und Rollkragenpullover – , Chefredakteur der Gewerkschaftszeitungen Metall und Der Gewerkschafter. Offensichtlich gut bekannt mit dem bedeutendsten Kommunismusforscher der Republik.
Deine Darstellung der stalinistischen Konterrevolution beeindruckte. Sicherlich hattest Du schon damals Dein Redemanuskript mit Schreibmaschine auf DIN A 5-Blätter geschrieben und handschriftliche Korrekturen eingefügt. Du hast es fast eine Stunde lang in der Dir eigenen Art stehend und mit eher leiser Stimme vorgetragen. Mit geschliffenen Formulierungen und differenzierter Argumentation konntest Du die ZuhörerInnen in Deinen Bann ziehen.
Deine Qualitäten als Lehrer im guten Sinne des Wortes, als Vermittler von Erfahrungen, von Theorie und Praxis, waren selbst für uns antiautoritär geprägte Studierende spürbar.
Als wir uns dann ab Mitte der 70er Jahre immer häufiger im Rahmen unserer damaligen deutschen Sektion der IV. Internationale, der Gruppe Internationale Marxisten (GIM), trafen, verringerte sich natürlich diese anfängliche Distanz und Fremdheit. Aber es umgab Dich doch eine geheimnisvolle Aura, die durch die Geheimniskrämerei um “Sonja” oder “Anna Armand” begründet war. Wie wir ja inzwischen wissen, hielt die damals modische aber dilettantisch gepflegte “revolutionäre Konspiration” weder die stalinistische Stasi noch die kapitalistischen Spitzelvereine ab, ziemlich genau über Dein umstürzlerisches Treiben als Internationalist Bescheid zu wissen.
Obwohl wir nicht selten unterschiedliche Standpunkte auf derselben Seite der Barrikade bezogen haben – von der Einschätzung der Sozialdemokratie über die Politik der Gewerkschaftsbürokratie bis hin zur PDS –, obwohl wir also bis heute auf nicht unwesentliche taktische Fragen verschieden geantwortet haben und antworten, hast Du Dich nicht zu unsolidarischen Formen der Debatte verleiten lassen. Verbiesterte Polemik – diese leider bis heute von manchen Linken gepflegte Ersatzhandlung für solidarisches Einmischen in die Klassenkämpfe – ist Dir fremd.
Wir buchstabengläubigen RevolutionärInnen der 70er Jahre haben nicht zuletzt durch Genossen wie Dich verstehen gelernt, dass erst eine dauerhafte politische und soziale Verbindung mit der arbeitenden Klasse unseren eigenen Diskussionen eine ernstzunehmende Grundlage zu geben vermag.
Lieber Jakob, zu Deinem 90. Geburtstag rufen wir Dir den alten jüdischen Spruch “Bis 100!” zu.
Aber wie Du weißt, wünschen wir uns schon seit langem auch etwas. Schreib’ doch bitte die Geschichte Deiner persönlichen Erfahrungen auf!
Du könntest berichten von der Organisation des Streiks der Orangenarbeiter für den 8-Stundentag im Palästina der 30er Jahre, von den legendären Arbeitskämpfen der IG Metall im Bezirk Nordbaden-Nordwürttemberg oder betrieblichen Auseinandersetzungen wie bei VFW-Fokker. Du könntest Dein Wissen über die internationale Solidarität mit ArbeiterInnenkämpfen und Befreiungsbewegungen in aller Welt bis hin zum immer wieder aktuellen Widerstand gegen Antisemitismus, Rassismus und Faschismus weitergeben.
Kurzum, Du könntest wie kaum ein anderer zeigen, dass es sich lohnt für eine bessere, eine sozialistische Gesellschaft zu streiten. Trotz alledem!
Mit allen lieben Geburtstagswünschen!

Lieber Jankel,
es sind nun bald siebzig Jahre her, als wir uns 1935 zum ersten Mal trafen – in der Nähe von Karkur in Palästina, in einem Kibuz des Hschomer Hazair, der „linkesten“ Kibuzbewegung des Landes. Beide waren wir den Nazis entflohen und haben wohl nicht daran geglaubt, dass unsere Zukunft uns wieder in Deutschland zusammenführen würde.
Aber sehr bald stellten wir beide fest, zusammen mit einer ganzen Reihe anderer, dass unsere Vorstellungen vom Weg zum Sozialismus sehr weit von denen, die die zionistische Bewegung vertrat, abwichen. Es war vor allem die praktische Erfahrung mit der arabischen Frage, der Kampf der vielen vom Boden vertriebenen Fellachen gegen die Engländer und die jüdischen Kolonisten, die uns zum Entschluss drängten.
Wir verließen beide 1938 den Kibuz, nachdem wir zu revolutionären Genossen in den Städten Verbindung aufgenommen hatten. Und während des Krieges planten wir, wie wir nach Deutschland zurückkehren konnten, in der festen Überzeugung, dass wir dort der Revolution begegnen würden…
Und so haben wir uns hier in Deutschland wiedergetroffen, ähnliche Erlebnisse und Schicksalsschläge erlebt.
Sehr herzliche Glückwünsche zu Deinem neunzigsten Geburtstag

Rudolf Segall 

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