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Hartz in Großbritannien

Von Bob Moran | 01.06.2003

Auch in Großbritannien ist die Linie der Regierungspolitik klar: Es wir alles in die Wege geleitet, was Geld spart auf Kosten der Arbeitenden und der Arbeitslosen. Wir bringen einen Erfahrungsbericht über die britische „Job Seeker’s Allowance“ (Unterstützung für Arbeitssuchende). Bob Moran sprach mit Charlie McDonald, Mitglied der linken Strömung „Socialist Caucus“ in der Gewerkschaft PCS und Kollege in einem Arbeitsamt (Jobcenter) im Osten Londons.

Auch in Großbritannien ist die Linie der Regierungspolitik klar: Es wir alles in die Wege geleitet, was Geld spart auf Kosten der Arbeitenden und der Arbeitslosen. Wir bringen einen Erfahrungsbericht über die britische „Job Seeker’s Allowance“ (Unterstützung für Arbeitssuchende). Bob Moran sprach mit Charlie McDonald, Mitglied der linken Strömung „Socialist Caucus“ in der Gewerkschaft PCS und Kollege in einem Arbeitsamt (Jobcenter) im Osten Londons.

Bob Moran: Du hast sicherlich etwas von den sogenannten „Hartz-Plänen" in Deutschland gehört. Sie erinnern mich sehr an die bereits durchgesetzten Pläne der britischen Regierungen seit Mitte der 90er Jahre. Es gab plötzlich keine „Arbeitslosen" mehr, sondern nur „Jobsuchende".

Charlie McDonald: Die konservative Regierung unter Premierminister Major hat 1996 durch die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld die sogenannte „Job Seeker’s Allowance" (JSA) eingeführt. Die Idee, die dahinter stand, war die staatliche Hilfen an eine Art Verpflichtung zur aktiven Arbeitssuche zu knüpfen. Ohne eine ausreichende Verpflichtung gibt es weniger oder so gut wie gar kein Geld mehr. Der Grund dafür war der Versuch, die Arbeitslosenzahlen herunterzudrücken. Ab diesen Zeitpunkt enthalten die offiziellen Zahlen nur diejenigen, die JSA erhalten – alle anderen Arbeitlosen fallen durch. Es gibt natürlich viel mehr Arbeitslose, die aber einfach die strengen Kriterien nicht erfüllen.

BM: Haben die Gewerkschaften damals irgend etwas dagegen gemacht? Gab es direkt von Seiten der ArbeiterInnen Widerstand oder über eine Art Arbeitslosenbewegung, wie in Frankreich zum Beispiel?

CMD: Der britische Gewerkschaftsbund TUC hat seine eigene „Kampagne" gegen die JSA durch seine Arbeitslosengruppen organisiert. Leider war die Kampagne typisch für den TUC. Sie bestand lediglich aus Veranstaltungen in der Londoner Gewerkschaftszentrale an denen Labour-Abgeordnete (die damals in der Opposition waren) teilgenommen haben und aus bunten Presseerklärungen, die die JSA, „Workfare1 " etc. verurteilt haben. Aber es gab keine bedeutsamen Mobilisierungen von Arbeitslosen oder KollegInnen, die diese Pläne umzusetzen hatten.

Als es die JSA gab, haben z.B. einige Gruppen, die anarchistisch beeinflusst oder auf direkte Aktionen konzentriert waren, einzelne Angestellte in Arbeitsämtern mobil gemacht. Dies geschah, weil einige KollegInnen zu übereifrig waren, was die „Sanktionen" und Geldkürzungen anging.

Eine Gruppe namens „Groundswell" hatte einen Grundsatz, den sie „three strikes" (drei Schläge) nannte. Beim ersten „Angriff" bekam der/die Kollege/-in einen Verwarnungsbrief, beim zweiten Mal die „letzte Verwarnung", und beim dritten „Strike" hat die Gruppe ein Foto des/der Angestellten, die Adresse, Telefonnummer usw. in der Nähe der Arbeitsstelle plakatiert.

BM: Wie haben deine KollegInnen auf solche Aktionen reagiert?

CMD: Natürlich sorgten solche Reaktionen für einen Meinungsstreit. In der damaligen Angestelltengewerkschaft CPSA2, verurteilte die „Broad Left"-Gruppierung, die durch Militant Labour / Socialist Party (in der BRD die SAV) dominiert wird, auf stärkste solche Gruppen. Sie haben sich auch geweigert, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Die linke „Socialist Caucus" verurteilte solche Taktiken auch, aber wir versuchten gemeinsam mit Groundswell zu arbeiten und gleichzeitig zu erklären, warum wir solche Taktiken für falsch und kontraproduktiv halten.

BM: Es gab ja auch Demonstrationen zum Sitz des Arbeitsministeriums. Was war mit Streiks? „Politische" Streiks sind in Großbritannien ja gesetzlich verboten, welche Gründe bzw. formalen Gründe habt ihr angegeben?

CMD: Bis dahin waren die zwei Sachen Arbeitssuche und Anträge auf Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld völlig getrennt. Mit der JSA kam alles zusammen. Früher fand alles, bei dem Geld im Spiel war, zwischen Glaswänden statt – der/die Angestellte auf der eine Seite, die AntragstellerIn auf der anderen . Die neuen Jobcenter bestanden aus Großraumbüros ohne Abschirmung. Alles sollte jetzt in Jobcentern stattfinden. Die Gewerkschaft fürchtete vermehrte Angriffe auf ihre Mitglieder, da sie ohne irgendwelchen Schutz immer öfter arbeitslosen ArbeiterInnen erklären mussten, dass sie kein Recht auf staatliche Hilfe mehr hätten. Daraufhin gab es kleine Streiks wegen der „Sicherheit am Arbeitsplatz" seitens der CPSA-Gewerkschaft.

Teile der Linken sowie Arbeitslosengruppen kritisierten solche Kämpfe, da sie die Lohnabhängigen in „ArbeiterInnen" und „Arbeitslose" spalteten. Letztendlich wurden die Streiks beendet, indem das Ministerium allen Angestellten die Wahl ließ, mit oder ohne Schutz zu arbeiten, wenn sie das machen wollten. Allerdings galt dieser Kompromiss nicht für neue KollegInnen.

BM: Und was war mit der Labour Party? Wie hat sie sich verhalten, auch nach dem Wahlsieg des Jahres 1997? Ich habe selber JSA bekommen, damals gab es auch schon den „New Deal".

CMD: Genau. Labour war als Oppositionspartei gegen die JSA, aber wie in so vielen Fällen sind die Gesetze noch in Kraft. Das Zentrale in Blairs Plänen, um den Wohlfahrtsstaat zu „reformieren" war und ist der „New Deal". Zuerst gegen jugendliche Arbeitslose eingeführt, gilt er nun für alle. Kurz gesagt, dies ist noch ein Versuch die Arbeitslosenzahlen durch pseudopsychologische Zwangskurse und unterbezahlte Arbeitsmaßnahmen zu drücken. Wie der TUC erklärt hat: Wenn Ausbildungsmaßnahmen etwas bringen würden, dann würden sich Arbeitslose freiwillig dazu bereit erklären, dann bräuchte mensch sie nicht mit Geldkürzungen zu bedrohen.

BM: Und nach 7 Jahren JSA – was nun?

CMD: JSA, New Deal und andere „Reform"projekte waren und sind für die Regierung wohl recht erfolgreich. Für arbeitslose ArbeiterInnen sind sie aber das Gegenteil. Die Arbeitslosenzahlen fallen und gleichzeitig wird es viel schwieriger, als ArbeitsloseR Unterstützungszahlungen zu bekommen. Deswegen ist es für die Regierung viel einfacher, Sozialleistungen drastisch zu kürzen.

1 Workfare: Wortspiel aus „Work“ (Arbeit) und „Welfare" (Wohlfahrt) – sprich Arbeitsplätze, bei denen die Löhne auf Arbeitslosenhilfeniveau liegen

 2 Die CPSA ist seitdem in der neuen Gewerkschaft PCS aufgegangen. Der PCS-Vorsitzende Mark Serwotka ist Marxist, prominentester Unterstützer der Socialist Alliance aus der ArbeiterInnenbewegung und arbeitete bis zu seinem Wahlsieg selber im Arbeitsamt im nordenglischen Sheffield. D
ie PCS ist die sechstgrößte Gewerkschaft (von ca. 300 Gewerkschaften) Großbritanniens.

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