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Vorwahlen in Frankreich

Hamon als Hoffnungsträger der Sozialdemokratie?

Von Antoine Larrache | 04.02.2017

Nachfolgend eine Stellungnahme aus unserer französischen Schwesterorganisation NPA zu den Vorwahlen in der Sozialdemokratie, die den „Parteilinken“ Hamon zum Sieger gekürt hat. Auf die von ihm hochgehaltene, freilich als unwesentlich verbessertes Hartz IV verstandene Idee eines BGE werden wir in einer der kommenden Ausgaben der Internationale näher eingehen.

Die erste Runde der Vorwahlen der „Belle alliance populaire“, [eine Wahlallianz der sozialdemokratischen PS und ihrer Satrapen aus dem „links“liberalen und grünen Spektrum AdÜ] führte die PS erwartungsgemäß noch tiefer in die Krise. Daran ändert auch der Ausgang bei der Stichwahl nichts. Allein ihr unerschütterlicher Generalsekretär Cambadélis verschloss wacker die Augen vor dem offensichtlichen Zerfallsprozess der Partei und gab sich erfreut über den Ausgang dieser Wahlrunde.

Allein die gefälschten Teilnehmerzahlen beim ersten Wahlgang sprechen Bände: Obwohl kurz vor Toresschluss noch 350 000 TeilnehmerInnen hinzugeschummelt worden sind, kommt die Parteiführung nicht an dem Eingeständnis vorbei, dass sich bei den Vorwahlen der Rechten dreimal so viele Menschen beteiligt hatten. Dabei ging es bei dem Streit um den politischen Kurs zwischen der innerparteilichen Opposition („frondeurs“) und Valls um substantiellere Dinge als zuvor bei den Rechten. Genau deshalb belegt die geringe Beteiligung (gegen die bescheidene Gebühr von einem Euro), wie weit sich inzwischen die traditionelle Wählerbasis von der Partei entfernt hat.

Von anderen Manipulationen, mit denen die PS beileibe nicht alleine steht, ganz zu schweigen: So erklärte eine Journalistin, dass sie problemlos in zwei unterschiedlichen Wahllokalen ihre Stimme abgeben konnte – ein vor den Parteikongressen der PS durchaus gängiges Verfahren.

Hamon als Retter in der Krise?

Man kann sich zurecht darüber freuen, dass Valls mit seiner lachhaften Kampagne wieder auf die Nase gefallen ist, ebenso, dass Montebourg mit seiner Demagogie baden gegangen ist. Manche Aktive mögen in Hamons Sieg eine bewusste Reaktion auf den Amtsantritt von Valls als Regierungschef und auf die zunehmende Rechtsentwicklung der PS sehen.

Daraus aber eine Perspektive für die Arbeiterbewegung ableiten zu wollen, ist mehr als gewagt. Auch wenn sich Hamon in manchen Fragen wie dem Ausnahmezustand oder dem Arbeitsgesetz von der Regierungsposition abgesetzt hat, darf man nicht übersehen, welche Bilanz er aus den fünf Jahren PS-Regierung zieht: „ein Beigeschmack von etwas Unvollendetem, als ob man auf halber Strecke stehen geblieben wäre“. Soll dies etwa heißen, dass man hätte weiter gehen müssen bei der Repression, der Zerschlagung des Arbeitsrechts und den Militärinterventionen? Hamon sagt ja zu den gezielten Exekutionen von „Terroristen“ und distanziert sich auch nicht von seinem damaligen Eintritt in die Regierung und seiner Rolle als Erziehungsminister, als er sich der Lüge erdreistete, angeblich 60 000 neue Stellen schaffen zu wollen. Notabene hat er die Regierung nicht aus freien Stücken verlassen, sondern wurde rausgeworfen, weil er bescheidene Kritik am Kurs von Valls geäußert hatte.

Und das nicht grundlos: Beim letzten PS-Kongress stimmte er mit der Mehrheit, obwohl er damit Teile seiner eigenen Basis düpierte, und trug – gemeinsam mit Montebourg – zur Ablösung Ayraults durch Valls bei. Bei den Misstrauensvoten gegen die Regierung Valls blieb er außen vor und bei den Abstimmungen über den Staatshaushalt war er jedes Mal dafür.

Sein Programm steht nicht für eine reale Verbesserung der Lage der Lohnabhängigen. Sein Paradepferd, das bedingungslose Grundeinkommen (BGE), ist nichts weiter als eine Erhöhung der Grundsicherung (RSA) um 10% und kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er keinen wirklichen Beitrag zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut leistet, indem er den Mindestlohn um lächerliche 10% anheben und die bestehende 35h-Woche beibehalten will. Kein Wort über die fällige Beschlagnahmung leerstehender Wohnungen zur Bekämpfung der Wohnungsnot, kein Wort zu den Steuerentlastungen für Unternehmer etc.

Seine Website trieft von verlogener Werbung und armseliger Rhetorik. Will man lesen, was er bspw. unter dem Schlagwort: „Ein weiterer Schritt zur Verteilung der Arbeit“ versteht, liest man, dass er für Teilzeitarbeit und die 35h-Woche ist.

Die sogenannte „Linke“ …

Die PS befindet sich in einem Stadium fortgeschrittener Zersetzung. Macron [aus der PS ausgetretener Präsidentschaftskandidat] zielt nicht ohne Erfolg darauf ab, den rechten und offen pro-kapitalistischen Flügel der PS für seine Kandidatur zu gewinnen. Dessen Vertreter wiederum schielen bloß auf ihre Wiederwahl und scheren sich wenig um ihre „linke“ Vergangenheit.

Der eigentliche Parteiapparat wird sich, trotz dessen Halbherzigkeit, allerdings erheblich schwer damit tun, den der traditionellen „Parteilinken“ angehörenden Hamon zu unterstützen, nachdem er zuvor auf Valls gesetzt hat. Und wieso sollten die Mitglieder, die Hollande, Cambadélis und Valls zuneigen, sich für den Vertreter der parteiinternen Opposition engagieren, wenn sie diese am liebsten ausgeschlossen hätten, als es damals um das Misstrauensvotum gegen Valls ging? Nicht wenige in der PS befürchten daher auch, dass die Partei kurzfristig auseinanderbrechen könnte.

Offen ist auch, welche Auswirkungen der Sieg von Hamon in der Stichwahl auf Mélenchons Wahlbewegung „France insoumise“ haben wird. Der Führung des Parti de gauche (PdG) war bereits am Sonntagabend des ersten Wahlgangs unbehaglich zumute, als sie sich abmühten, die Unterschiede zu Hamon darzulegen. Und wo überhaupt liegen diese Unterschiede? Auch Mélenchon war seinerzeit Minister einer „Linksregierung“. In manchen Fragen, wie etwa der Einwanderung oder der Außenpolitik, steht Mélenchon sogar rechts von Hamon. Bei tarifpolitischen Fragen unterscheiden sich beide nicht. Wie steht er zu dem Aufruf über die industrielle Entwicklung, den Vertreter der PdG gemeinsam mit KP-Vertretern und Spitzengewerkschaftern sowie dem PS-Dissidenten Montebourg unterzeichnet haben? „Die industrielle Entwicklung braucht kreative Arbeitskräfte mit ausgewiesenen Kompetenzen, die gut bezahlt werden, einen sicheren Arbeitsplatz haben und aktiv bei den Entscheidungen mitwirken. Nur wirklich kompetente und aktiv einbezogene Mitarbeiter sind dazu in der Lage, Unternehmen innovativ zu gestalten. Darin liegt der wichtigste Kompromiss zwischen Kapital und Arbeit, ohne den keinerlei Entwicklung möglich ist.“

…auf ihrem Weg durch die Institutionen

Klar ist verständlich, dass viele Wähler nichts mehr von der PS wissen wollen. Aber wenn man die Debatte genauer verfolgt, kann man versichert sein, dass Mélenchons Strategie, wie er sie in seinem Manifest für die VI. Republik dargelegt hat, nämlich eine breite Repräsentanz in den Institutionen zu erzielen, um die linke Regierungskomponente zu stärken, ebenfalls an ihre Grenzen stößt.

In gewisser Weise belegt Hamons Abschneiden, was schon lange in der Luft liegt, nämlich, dass Hunderttausende die Nase voll von der sozialdemokratischen Politik haben, egal ob in Griechenland, Spanien oder Frankreich oder sonst wo. Allerdings können die traditionellen Parteien nichts zur Lösung der Krise in der Linken und der Arbeiterbewegung beitragen. Ob KP, PS oder PdG, sie alle haben sich ausgiebig in der Sachwaltung der Kapitalinteressen auf unterschiedlichen Ebenen gemüht, ob in der Regierung, in der Regionalpolitik oder in den Rathäusern. Ein beredtes Beispiel ist die Kommunalpolitik in Grenoble, wo eine Koalition aus Grünen, PdG und Ensemble [einer in Teilen von früheren Spaltprodukten der NPA getragenen Formation] dieselbe Sparpolitik betreibt.

Unter den herrschenden Umständen, die von einer wirtschaftlichen, sozialen, moralischen und politischen Krise des Kapitalismus geprägt sind, werden alle Parteien, die sich in diese Institutionen begeben, sehr schnell verschlissen. Denn die Arbeit in den Institutionen prägt diese Parteien und ihre Mitglieder, da sie an den „partiellen Errungenschaften“ festhalten und ihre Mandate behalten wollen. Dazu vertreten sie ein Programm, das bei möglichst vielen WählerInnen ankommen soll, und verbringen ihre Zeit mit Ratssitzungen statt bei den Mobilisierungen auf der Straße.

Die Kandidatur von Philippe Poutou [Präsidentschaftskandidat der NPA; https://poutou2017.org/  bzw. www.npa2009.org ] soll denen eine Stimme geben, die die Politik der Regierung und der Sozialdemokratie ablehnen, zugleich aber etwas aufbauen wollen, das sich grundlegend unterscheidet von den Parteien, die seit Jahrzehnten bloß ihre Versprechen verraten und mittlerweile soweit sind, dass sie noch nicht einmal mehr etwas versprechen wollen.

Übersetzung MiWe

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