TEILEN
isl

Gegen das Europa von Kapital und Krieg! Ein anderes Europa ist möglich! Eine andere Linke ist nötig!

01.06.2002

Erklärung der Konferenz der Europäischen Antikapitalistischen Linken in Madrid

Rechte Offensive und Polarisierung nach links

Die politische Lage in der EU steht vor einem Wendepunkt. Wenn die deutsche "rot-grüne" Regierung die Wahlen im September 2002 verliert, wird die EU (mit Ausnahme von Schweden, Griechenland und Finnland) von einer aggressiven und reaktionären Rechten vollständig dominiert werden. Blair ist bloß eine scheinbare Ausnahme – ein Vorreiter-Sozialliberaler, dem es gelungen ist, zur Vorbereitung einer antisozialen und militaristischen Offensive nacheinander Bündnisse mit verschiedenen EU-Regierungen einzugehen.

Seit 1998/99 hatte die Sozialdemokratie in 12 der 15 Mitgliedsländer und in den wichtigsten Institutionen der EU (Ministerrat, der Europäischen Zentralbank, auf den zwei Mal im Jahr stattfindenden Gipfeln, der Regierungskonferenz) das Sagen. Sie hat diese außerordentliche Machtposition in Europa, vor allem die drei "rein linken" Regierungen in den drei zentralen Ländern (Großbritannien, Frankreich, Deutschland) nicht genutzt, um mit der neoliberalen Politik zu brechen. Sie hat sie im Gegensatz noch verschärft. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) und die großen Gewerkschaftsverbände üben sich weiter in Treue zur EU und haben keinen ernsthaften Versuch unternommen, um die Unternehmeroffensive zu stoppen. Die Sozialdemokratie trägt die Verantwortung für diese synchronisierte Rückkehr der Rechten an die Regierung in fast allen Ländern und an die Spitze der EU-Institutionen.

Diese Episode ist die Krönung eines zwanzigjährigen Zyklus, in dem die Sozialdemokratie systematisch darum gekämpft hat, um der Lohnarbeiterklasse die neoliberale Politik aufzudrücken. Dieser soziale Rückschritt, für den es im letzten halben Jahrhundert kein Beispiel gibt, hat die Welt der Arbeit mit voller Wucht getroffen und Millionen von Lohnabhängigen und Jugendlichen in Prekarität, Elend und Hoffnungslosigkeit gestürzt. Daher konnten Fremdenfeindlichkeit und Rassismus außer bei kleinbürgerlichen Schichten auch bei Teilen der Arbeiterklasse und der Jugend Boden gewinnen.

Faschistische und rechtsextreme Demagogen nutzen dieses reaktionäre Terrain aus. Die traditionellen Parteien der Bourgeoisie machen es sich ebenfalls zu Nutzen. Zur Zeit steht kein Machtantritt des Faschismus auf der Tagesordnung, sondern von "klassenkämpferischen" bürgerlichen Regierungen; deren Unterschied zu den "Linksregierungen" besteht hauptsächlich darin, dass sie die Hände freier haben werden, um auf der "europäisch-neoliberalen" Welle zu reiten: unablässige Privatisierungen und Sozialabbau, Engagement der EU auf der internationalen Bühne (Krieg gegen den Terrorismus, Osterweiterung), und Installierung einer durchgängigen und leistungsfähigen Zentralstelle des europäischen Protostaats).

Aber zum ersten Mal prallt die politische Offensive der herrschenden Klassen mit einer bedeutenden sozialen Bewegung zusammen, die von Anfang an weltweit, offensiv, internationalistisch und antisystemisch ist und die von einer neuen Generation getragen wird. Die defensiven Kämpfe, die nie aufgehört hatten, verlieren ihren "Nachhut"-Charakter. Denn die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung hat ihnen einen neuen Rahmen, eine offensive Einstellung, eine Perspektive und eine Alternative gegeben. Der Schwerpunkt in bezug auf politische Initiative und Mobilisierung liegt derzeit außerhalb der traditionellen Arbeiterbewegung. Die europäische Gewerkschaftsbewegung ist zwar geschwächt, aber nach wie vor gehören ihr Millionen von Lohnarbeiterinnen und -arbeitern und Tausende von Aktiven an. Ohne dass diese soziale Kraft, die Klasse der Lohnabhängigen, in Aktion tritt, ohne ihre Massenkämpfe für ihre eigenen Forderungen und Bestrebungen, ohne ihre zunehmende Selbstorganisation, wird weder die marktförmige Globalisierung noch die neoliberale Politik noch die Kriegspolitik aufzuhalten sein. Die Generalstreik und die gigantischen Bürgermobilisierungen in Italien, der Generalstreik in Italien, die wiederholten Mobilisierungen in Griechenland, die erneuten Streiks in Deutschland (in der Metallindustrie, der Baubranche usw.) sind der Auftakt zu einer stärkeren Abwehr gegen die anhaltende Offensive der Unternehmer und der Regierungen.

Vor diesem Hintergrund macht eine "neue" antikapitalistische und alternative Linke sichtbare Fortschritte, in mehreren Ländern – und sei es auch noch in bescheidenem Ausmaß – auch auf Wahlebene. Somit erschöpft sich die politische Lage nicht darin, die neue rechte Offensive festzustellen. Neu ist, dass zu ihr auch eine politische Polarisierung nach links in der Gesellschaft wie in der Arbeiterbewegung und den sozialen Bewegungen gehört.

Gegenüber der EU-Politik bezieht die Konferenz Stellung

1. Gegen den US-Krieg und die Komplizenschaft der EU, gegen die Großmacht Europa – ein anderes Europa ist möglich, ein solidarisches und friedliches Europa!

Die EU hat sich dafür entschieden, die Politik der Regierung Bush mitzutragen. Sie ist darauf aus, an der US-amerikanischen Hegemonie auf Weltebene teilzuhaben, und tritt zugleich als Rivalin auf. Sie akzeptiert die generelle Orientierung der Bush-Regierung ("globaler Kampf gegen den internationalen Terrorismus"), die Organisation (Engagement für die NATO und deren konsequente Reform), die Mittel (Erhöhung der Militärhaushalte und Militarisierung). Aber derzeit teilt die EU weder die Rhetorik noch den Willen, offensiv vorzugehen, noch die verkündeten entscheidenden Ziele dieser Politik (Krieg gegen den Irak oder gegen den Iran). Darin spiegeln sich sowohl Spaltungslinien innerhalb der EU als auch die Interessen der großen europäischen finanziell-industriellen Gruppen in einer Zeit wider, wo die tr
ansatlantischen Konflikte auf wirtschaftlicher Ebene zunehmen und härter werden.

Der Mythos von der "friedlichen" und "großherzigen" EU bricht zusammen. Was die herrschenden Klassen wollen, ist eine Großmacht Europa.

Wir mobilisieren weiterhin als Teil der breiten und einheitlichen Antikriegsbewegung gegen die laufenden Kriege (Afghanistan, Palästina, Kolumbien, Philippinen, Kaschmir, Tschetschenien) oder gegen die Kriege, die vorbereitet werden (Irak, Iran), und gegen jegliche Art von Einmischung, ob wirtschaftlicher, diplomatischer oder militärischer Art (Kongo, Venezuela, Argentinien, Zimbabwe, Pakistan, Balkan).

Wir bereiten uns insbesondere darauf vor, die Bevölkerung der EU gegen die kurzfristige Auslösung des Kriegs gegen den Irak zu warnen. Wir fordern:

* bedingungsloser Abzug der Truppen und der Marine des US- und des europäischen Imperialismus;

* sofortiger Abzug der israelischen Truppen aus den besetzten palästinensischen Territorien, Aussetzung des Vertrags zwischen der EU und Israel, Einhaltung der demokratischen und Menschenrechte, Recht des palästinensischen Volks, sich in einem Staat zu organisieren, Mindestgarantie für sein Überleben;

* gegen die Erhöhung der Militärhaushalte in unseren Ländern, gegen eine europäische Armee (und sofortige Auflösung der bereits gebildeten Eurobrigaden);

* sofortiger Austritt aus der NATO und deren Auflösung.

Die "Verteidigung Europas" gegen wirkliche oder eingebildete militärische Bedrohungen und gegen den aggressiven Druck des US-amerikanischen Imperialismus kann nicht über die Vorbereitung des Kriegs erfolgen, sondern über die radikale Veränderung Europas in einen Raum, in dem soziale, ökologische, demokratische und solidarische Bedingungen herrschen, die die Völker und die Arbeitenden mit Zähnen und Klauen verteidigen werden.

2. Gegen die Festung Europa – für Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte für alle! Für Solidarität und Einheit der Welt der Arbeit auf kontinentaler Ebene!

a) Die Regierungen der EU waren sich ausnahmsweise mal einig und haben eine der brutalsten und abscheulichsten Wenden in der jüngsten Geschichte beschlossen: die "illegale" Einwanderung durch den Einsatz der Kriegsmarine im Mittelmeer und einer Grenztruppe im Osten und zum Nahen Osten hin zu verhindern und zu kriminalisieren. Die Wanderungsbewegungen sind jedoch das unmittelbare Ergebnis der groß angelegten Überausbeutung dienstbarer Arbeitskräfte und der Plünderung des natürlichen Reichtums durch die großen finanziellen, industriellen und Handelsunternehmen mit ausgesprochen unerträglichen Aspekten: endlose Rückzahlung der Auslandsschulden, Hunger von Hunderten von Millionen menschlicher Wesen, die neue "Kriegsökonomie", die die Bewohnerinnen und Bewohner vertreibt und die Kinder in die Armee und in den Arbeitsprozess einreiht. Der globalisierte Kapitalismus, der ausbeutet, unterdrückt und tötet, maßt sich dann an, die Menschen, die dieser Hölle entfliehen, um in den Ländern ihrer "Herren" Zuflucht und Überlebenschancen zu suchen, zu hetzen, einzusperren, auszuweisen und seiner Überausbeutung zu unterwerfen.

Die "Lösung" der EU besteht darin, dass sie ihre Grenzpolizei, ihre Transitlager, ihre kollektiven Abschiebungen, ihre "Justiz" mit abgekürzten Verfahren, ihre finanziellen Sanktionen gegen die Emigrationsländer ausbaut und koordiniert.

Wir betonen das Recht auf Bewegungsfreiheit, das Recht auf Asyl, das Recht darauf, mit denselben Rechten wie die angestammten Bevölkerungen der EU zu leben, kurz: die Öffnung der Grenzen und die Gewährung der vollen Bürgerrechte.

b) Die EU ist nicht "voll"! Sie ist noch nie so reich gewesen! Was die gleichberechtigte soziale und demokratische Eingliederung der ImmigrantInnen "verhindert", ist die schamlose Bereicherung einer winzigen Minderheit von Kapitalisten auf Kosten der angestammten EU-Bevölkerung und die Absage an die Organisierung der Gesellschaft entsprechend der sozialen Bedürfnisse der Masse der Bevölkerung, hier wie dort. Ein gewichtiger Grund, um gemeinsam zu handeln, für die Vereinigung der Arbeiterklasse und die Beseitigung dieser doppelten Ungerechtigkeit.

Diese Politik der EU hat zweierlei tragische Konsequenzen:

Zum einen schafft die Hetzjagd auf ImmigrantInnen – auf illegale, aber auch legale – vor einem Hintergrund von Fremdenfeindschaft und Rassismus das Klima für die leichtere Anwendung der EU-Gesetze zur "Terrorismusbekämpfung". Das bedeutet eine reale Bedrohung der demokratischen Freiheiten. So hat es die spanische Regierung schließlich geschafft, in Andalusien brutal gegen die ImmigrantInnen und gegen Herri Batasuna, eine legale, parlamentarische und für einen bedeutenden Teil des baskischen Volks repräsentative Partei, vorzugehen. Die erdrückende Mehrheit dieses Volks lehnt diese Entscheidung ab und fordert eine demokratische Lösung, die eine Anerkennung ihrer demokratischen Rechte einschließt.

Zum anderen beuten die Unternehmer und die Regierungen diese fügsamen ausländischen Arbeitskräfte ohne Rechte und ohne Gewerkschaften aus. Zudem verlangen sie eine neue Einwanderungspolitik, die es ihnen ermöglichen würde, den Dritte-Welt-Ländern ihre qualifiziertesten Arbeitskräfte "legal" wegzunehmen, während sie "als Zugeständnis" auch gewisse "Quoten" von Subproletariern aus der Dritten Welt
übernehmen. All dies im Namen der "Auffüllung des Arbeitsmarkts" und des "Ausgleichs des demografischen Defizits" (durch das angeblich die Renten der zukünftigen Generationen in Gefahr geraten!).

Das Resultat ist eine menschlich untragbare Situation für die immigrierten Arbeiter und Arbeiterinnen und eine drohende Spaltung in der Arbeitswelt. Dadurch wird die Konkurrenz zwischen einheimischen und zugewanderten Arbeitern und Arbeiterinnen verschärft, was für beide zu einer allgemeinen Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen führt.

Vor einem derartigen Hintergrund (Kombination von Diskriminierung der ImmigrantInnen und Verschlechterung der Lebensbedingungen der einheimischen Bevölkerungsschichten) ruft der neoliberale Kapitalismus in den Betrieben, in den ärmeren Stadtteilen, in den Schulen einen Krieg zwischen den Armen von hier und den neu ankommenden Armen hervor; es geht um das tägliche Überleben, indem man Zugang zu einer (beschwerlichen) Arbeit, einem (niedrigen) Lohn, einer (heruntergekommenen) Behausung, einer (verwahrlosten) Schule, einer (minimalen) medizinischen Versorgung bekommt.

c) Wir brauchen eine radikale und offensive Antwort auf dieses fürchterliche Risiko.

Wir bekämpfen jegliche Form von Fremdenfeindschaft und Rassismus, ob sie von der Bevölkerung oder der Regierung ausgehen; wir schützen alle Opfer der diskriminierenden Politik der Regierungen und der Unternehmer unsere mit unserer Solidarität. Wir fordern sofortige Gleichheit, sämtliche sozialen und politischen Rechte für alle, die in unseren Ländern leben. Wir sind uns aber dessen bewusst, dass man an die Wurzel des Problems gehen muss: Man muss für die Solidarität und die Einheit der Arbeitswelt kämpfen und sich organisieren. Hierfür muss die Gewerkschaftsbewegung eine radikale Wende vollziehen und aufhören, die Arbeitenden hier und die neu ankommenden Arbeitenden sowie die lohnabhängigen Männer und Frauen einander entgegen zu stellen. Dies bedeutet, der gewerkschaftlichen Organisierung der neu eintreffenden Arbeitenden eine moralische und soziale Priorität zu verleihen, damit sie an denselben Kämpfen, denselben Forderungen, denselben Organisationen, demselben Programm, das den gesellschaftlichen Bedürfnissen den Vorrang vor den Profiten einräumt, teilhaben.

d) Die Markt-Annexion der osteuropäischen Länder, eine richtiggehende "Peripherie" unter der Herrschaft der imperialistischen EU, wird diese Entwicklung noch verschärfen. Die Absorption wird nicht ohne eine umfassende Krise auf dem Land und einen massiven sozialen Rückschritt in den Städten bei einer Verschärfung der sozialen Ungleichheit in jedem einzelnen Land vonstatten gehen. Die EU wird dort ihre neoliberalen Rezepte verordnen, ohne für die Transferzahlungen zu sorgen, die versprochen wurden und die unabdingbar sind, um diese Volkswirtschaften wieder anzukurbeln (Agrarpolitik, Strukturfonds, Anleihen).

Es ist Sache der Bevölkerungen der osteuropäischen Länder zu entscheiden, ob sie unter solchen Bedingungen einen Beitritt zur EU wollen. Wir werden innerhalb der EU dafür kämpfen, dass diese Bevölkerungen in den Genuss derselben sozialen, ökologischen, politischen und demokratischen Normen und Rechte kommen. Wir schlagen der Arbeitswelt, den Frauen und den Jugendlichen vor, sich dem gemeinsamen Kampf für ein anderes Europa anzuschließen. Wir kämpfen für eine Gewerkschaftsbewegung, die die Arbeitenden und die emanzipatorischen sozialen Bewegungen auf dem gesamten europäischen Kontinent vereint. Die antikapitalistische Linke verpflichtet sich, bestmögliche Kontakte zu der osteuropäischen Linken, die in den sozialen, politischen, gewerkschaftlichen, feministischen, ökologischen, antirassistischen, pazifistischen und Antikriegs-, Bürgerrechtsbewegungen aktiv ist, zu entwickeln und mit ihr zusammenzuarbeiten.

Was die Türkei betrifft, so sind die Gesetze, die Rechte und die Politik im Hinblick auf politische Demokratie, die in diesem Land gelten, mit denen der EU-Mitgliedstaaten nicht vereinbar. Wir unterstützen die progressiven Kräfte in diesem Land, das nach wie vor von der Militärkaste beherrscht wird, in ihrem Kampf für eine radikale Veränderung in diesen Fragen. Wir sind insbesondere mit dem kurdischen Volk solidarisch, das für seine demokratisch-nationalen, politischen und kulturellen Rechte kämpft.

3. Gegen die despotische Konvention – die Entscheidungen müssen von den Völkern getroffen werden!

Die Struktur der EU ist von Anfang an despotisch gewesen. Die exekutive, legislative und verfassunggebende Macht verbleibt mehr denn je in den Händen der Regierungen der EU (bzw. der Regierungen der größten Länder), in den europäischen Ministerräten, beim Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs, bei der Regierungskonferenz. Von daher erreicht die EU nicht einmal den Grad von bürgerlich-parlamentarischer Demokratie, der in den Mitgliedsländern existiert. Dadurch entzieht sich das neoliberale Europa dem Druck der lohnabhängigen Klassen, die mittels ungleicher Arbeitsbedingungen und Sozialgesetze in Konkurrenz zueinander gebracht werden. So versucht es, die vielfachen Interessenkonflikte unter den herrschenden Klassen hinter und auf dem Rücken der Völker zu meistern.

Die europäischen Bourgeoisien haben sich umfangreiche kurzfristige Ziele gesetzt, die allesamt mit ihrem Streben nach einer Großmacht Europa verbunden sind: Markt-Annexion der osteuropäischen Länder; Eingliederung von Großbritannien, Dänemark und Schweden in die Währungsunion (mit dem Euro); Bildung eines gemeinsamen Finanzmarkts (was insbesondere mit der Privatisierung des Rentensystems verbunden ist); Bildung einer "Wirtschaftsregierung", die für die Synchronisierung der Währungs- und Wirtschaftslenkung mit der Europäischen Zentralbank (EZB) unabdingbar ist; rasche Bereitstellung einer europäischen Streitkraft, die auch zum Einsatz bei den großen sozialen Krisen in Europa dienen könn
te, wie sie sich ankündigen; verstärktes diplomatisches, politisches und militärisches Auftreten der EU in der internationalen Arena.

All dies drängt in Richtung einer tiefgreifenden Reform, durch die die Institutionen des europäischen Protostaats kohärenter, vollständiger und stärker würden.

Daher die Flucht nach vorne, durch welche die Konvention zustande gekommen ist; Zustandekommen, Zusammensetzung, Arbeitsweise und Ziel dieser Konvention geben ein Trugbild von Demokratie ab. Ihr einziges und wahres Ziel besteht darin, die EU mit einer kleinen, starken und leistungsfähigen Exekutive zu versehen, die dazu in der Lage ist, mit der zunehmenden finanziellen, politischen und militärischen Instabilität auf der Welt fertig zu werden. Diese Exekutive würde alle anderen Institutionen der EU dominieren. Sie wäre dem Rat der Regierungen der Mitgliedstaaten direkt unterstellt und stünde im Dienste der europäischen Großkonzerne. Kurz, sie wird auch eine wirkungsvollere Kriegsmaschine gegen die Lohnabhängigen und die Völker hier und anderswo sein.

Dieser Staatsapparat ist weder nutzbar noch reformierbar im Sinne der Völker und der Arbeitswelt. Er muss gestürzt werden, es muss einen radikal demokratischen verfassunggebenden Prozess von unten geben. Die Völker und die Arbeitswelt müssen darüber entscheiden, in welchem Europa sie leben wollen, mit welchen institutionellen Beziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten und auf welchen sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen. Die Erringung solch einer radikalen Demokratie wird notwendigerweise mit der Überwindung der neoliberalen Politik zugunsten eines Programms von dringenden Maßnahmen für die Lohnabhängigen und die Ärmsten in der Gesellschaft einher gehen. Ab sofort muss als Minimum verlangt werden, dass über den "neuen Vertrag" oder die "Verfassung" ein Referendum abgehalten wird, das in allen Mitgliedsländern und Beitrittsländern gleichzeitig stattfindet.

4. Das neoliberale Korsett sprengen – Menschen vor Profite!

Die neoliberale Offensive stützt sich direkt auf die institutionalisierte Koordinierung durch den supranationalen europäischen Protostaat. Zwei beträchtliche Vorteile kommen ihr zugute: Die EU-Verträge verbieten der Arbeitswelt die Durchsetzung ihrer eigenen Sozialgesetze (zu Löhnen, sozialer Sicherheit, Streikrecht, Einstellungen und Entlassungen, Länge der Arbeit, Renten usf.) auf europäischer Ebene. Und die europäischen Regierungen, die im Ministerrat oder zu den EU-Gipfeln zusammenkommen, oder die EZB nehmen es sich heraus, im Namen der (monetaristischen) Kriterien des Maastrichter Vertrags oder des Stabilitätspakts unzulässigerweise zu diesen Bereichen Entscheidungen zu treffen.

Der Kampf um Privatisierungen und Liberalisierung wird in eine neue Etappe treten. Kurzfristig wird die Liberalisierung bzw. Privatisierung der Renten, die angeblich "unbezahlbar" geworden sind, für die EU zur obersten Priorität werden. Das würde den europäischen "Pensionsfonds" Milliarden von Euros einbringen und eine Grundlage abgeben, wie sie für die schwierige Herausbildung eines vereinigten Finanzmarkts auf europäischer Ebene unabdingbar ist.

Außerdem wird der Abbau der öffentlichen Dienste (Verkehr) und der öffentlichen Unternehmen (Energie, Wasser) pausenlos weitergehen, mit den bereits bekannten verheerenden Auswirkungen: wachsende soziale Ungleichheit, Unsicherheit für die NutzerInnen und die Beschäftigten, Fehlorganisation, Verteuerung. Zusammen mit den Kindern sind die Frauen die ersten Opfer der neoliberalen Politik. Die Feminisierung der "neuen" Armut wird durch die Neuauflage von "geburtenfreundlicher" Politik und die Wiederaufwertung der traditionellen Familie, besonders unter rechten Regierungen, verschärft. Damit wird trotz gewisser Fortschritte auf der Ebene der gesetzlichen Gleichstellung eine homosexuellenfeindliche Mentalität in der Gesellschaft verstärkt.

Besonders schädlich ist die vor kurzem beschlossene Wiederbelebung der Atomindustrie. Wir müssen unsererseits eine umfassende Kampagne für die (militärische und zivile) Entatomarisierung Europas wiederbeleben. Dies ist nur eines der größeren Elemente der Beeinträchtigung der Biosphäre, die mehr und mehr den Diktaten des Markts unterworfen wird. Wir sind für eine drakonische Verminderung der globalen ökologischen Einwirkungen (Klimawandel, Erschöpfung der natürlichen Ressourcen, Pollution des Planeten, Zerstörung der Biosphäre), für die das allgemeine Prinzip der Behutsamkeit die Achse sein könnte. Die – im Verhältnis zu der auf diesem Gebiet vollkommen unverantwortlichen US-amerikanischen Politik pseudo-progressive – Politik der EU wird den Gefahren, die dem Planeten jetzt drohen, keineswegs gerecht.

Die neoliberale Dynamik wird sich nicht durch kleine Einzelmaßnahmen ändern lassen, denn sie ist zu einem System geworden. Die Prioritäten müssen radikal umgekehrt werden: Die sozialen Bedürfnisse der Masse der Bevölkerung müssen den Vorrang vor den Profiten des Großkapitals bekommen.

Unser Alternativprogramm ist ebenso einfach, leicht zu machen und klar zu bestimmen wie das neoliberale Programm der Unternehmerklasse: volle und stabile Beschäftigung, anständiger Lohn, tragbarer Lohnersatzbezug (bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Rentenalter) für alle Männer und Frauen; radikale Arbeitszeitverkürzung ohne Lohneinbuße mit Neueinstellungen; Recht auf Wohnung, Bildung und Ausbildung, Gesundheitsversorgung (all dies auf einem qualitativen Niveau) sowie Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln.

Diese politischen und sozialen Rechte gelten für alle einheimischen und eingewanderten Arbeiterinnen und Arbeiter. Ihre Umsetzung erfordert eine radikale Ausweitung der öffentlichen Dienstleistungen, eine Umschichtung des Staatshaushalts (auch der Steuern) mit einer
drastischen Erhöhung der Sozialetats, eine radikale Umverteilung der Einkommen vom Kapital zur Arbeit. Zu diesem Zweck müssen antikapitalistische Maßnahmen ergriffen werden, um das Privateigentum zu kontrollieren und, wenn nötig, zu enteignen, um es durch öffentliches und gesellschaftliches Eigentum zu ersetzen.

Wir wollen diese ökonomischen, ökologischen, sozialen, politischen und kulturellen Alternativen mit der gesamten Menschheit teilen.

5. Eine andere Linke ist notwendig – eine europäische antikapitalistische Linke!

Wir, antikapitalistische Parteien und Bewegungen aus Europa, sprechen uns gegen die EU, ihre Institutionen und ihre Politik aus, nicht im Namen der Verteidigung unseres kapitalistischen Nationalstaats, sondern im Namen eines anderen Europas – eines sozialen, demokratischen, friedlichen und solidarischen Europas. Wir kämpfen für eine radikale politische Umkehr mit der Perspektive einer sozialistischen und demokratischen Gesellschaft, ohne Ausbeutung der Arbeit und ohne Unterdrückung der Frauen, auf der Basis nachhaltiger Entwicklung – für einen Sozialismus von unten, einen Selbstverwaltungssozialismus.

Das ist ein schwieriger Weg, und er wird Zeit erfordern.

Die traditionelle Arbeiterbewegung und ihre dominierenden Strömungen befinden sich in einer historischen Krise. Diese trifft vor allem die Sozialdemokratie. Nachdem sie ihr traditionelles keynesianisches Programm aufgegeben hatten, haben die sozialdemokratischen Parteien in der Regierungsverantwortung das neoliberale Programm systematisch angewendet und sich dadurch tief diskreditiert. Dies gilt auch für andere hieran beteiligte Linksparteien (vor allem in Frankreich und in Deutschland). Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Sozialdemokratie zu ihren klassischen reformistischen Wurzeln zurückkehren kann. Auch jetzt in der Opposition bricht sie nicht mit dem sozialliberalen Rahmen.

Dadurch ist ein Raum links von der sozialliberalen "Linken" entstanden.

Zum ersten Mal seit langer Zeit tritt in Europa eine politische Polarisierung in den Kämpfen, in den verschiedenen sozialen Bewegungen und Gewerkschaften und bei den Wahlen deutlich und sichtbar in Erscheinung. Diese Polarisierung kommt nicht über abstrakte ideologische Debatten, sondern ausgehend von den großen Ereignissen, die die Welt erschüttern, und den praktischen Erfahrungen der Masse der Bevölkerung voran.

Der Kampf gegen den Krieg (zur "Terrorismusbekämpfung") und gegen die mit der kapitalistischen Globalisierung verbundene neoliberale Politik, an der die EU wesentlichen Anteil hat, die zentrale Stellung der "Bewegung der Bewegungen" und deren notwendige Verbindung zur Gewerkschaftsbewegung, die Suche nach radikalen Antworten und einer antikapitalistischen und antipatriarchalischen, ökologischen und internationalistischen Alternative – all dies drängt zu politischer Klärung und zur Konvergenz der Organisationen dieser "neuen", im Entstehen begriffenen antikapitalistischen Strömung.

Gegenüber der EU, ihren Strukturen und ihrer Politik, in Anbetracht der fortgeschrittenen Europäisierung der Instrumente in den Händen der herrschenden Klassen und der bedauernswerten Unfähigkeit der sozialliberalen Führungen der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung muss sich diese antikapitalistische Linke dringend eine europäische Perspektive geben. Denn mehr und mehr stellen sich die Kämpfe, die Forderungen, die Perspektiven und die antikapitalistischen Lösungen auf dieser Ebene.

Die Konferenz betrachtet das Europäische Sozialforum (ESF), das im November 2002 in Florenz stattfinden wird, als ein großes Ereignis für das Wiederentstehen einer kämpferischen sozialen und Arbeiterbewegung. Wir werden uns maximal dafür einsetzen, dass das ESF zu einem Anziehungspunkt für alle lebendigen Kräfte in Europa und zu einem Sprungbrett werden wird, damit das ESF in jedem einzelnen Land Wurzeln schlägt. Wir verpflichten uns zur Unterstützung seiner Ziele und Kampagnen.

Eine der großen Schwierigkeiten besteht im gegenwärtigen Stadium darin, die sozialen Forderungen und das Kräfteverhältnis auf politischer Ebene widerzuspiegeln, um der neoliberale Politik eine Niederlage zu bereiten. Die Schlussfolgerung, die wir hieraus ziehen, heißt: Es ist dringend notwendig, die Perspektive der Bildung einer europäischen politischen Formation als Raum und Prozess zu entwickeln, wo die sozialen und politischen, antikapitalistischen und alternativen Linken Diskussionen mit einer nach vorne gerichteten Perspektive führen.

In diesem Sinne unterstützen wir den Aufruf der PRC, Mitglied der Konferenz, für ein "Alternatives Linkes Forum", das Ende Oktober 2002 in Italien stattfinden wird. Auf Vorschlag der dänischen Rot-Grünen Allianz, Mitglied der Konferenz, werden wir uns an den vielfachen Aktivitäten des Gegengipfels beteiligen, die sich während des dänischen EU-Vorsitzes von September bis Dezember 2002 erstrecken werden.

Die Organisationen, die zu den Konferenzen der Europäischen Antikapitalistischen Linken zusammenkommen, machen Schritte voran. Zum einen indem wir unsere eigene politische Identität öffentlich kenntlich machen, die in einem gemeinsamen "Logo" konkretisiert werden wird. Dann indem wir die Ausarbeitung von detaillierten Positionen zur Frage der Immigration und zur Charta der sozialen Rechte in Angriff nehmen, im Hinblick auf gemeinsame Aktivitäten. Schließlich wird die nächste Konferenz der Europäischen Antikapitalistischen Linken, die fünfte, im Dezember 2002 in Kopenhagen stattfinden, sie wird von der Rot-Grünen Allianz organisiert werden.

Diese Erklärung wurde in International Viewpoint Nr. 342 (Juli/August 2002) und in Inprecor Nr. 474 (September 2002) veröffentlicht. Aus dem Französischen übersetzt von Friedrich Dorn.

Eine Pressemitteilung mit einer vollständigen Liste der beteiligten Parteien und Organisationen ist in Inprekorr Nr. 370/371, September/Oktober 2002, abgedruckt.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite