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Betrieb & Gewerkschaft

GDL-Streik – eine hochpolitische Angelegenheit

Von Jakob Schäfer | 14.11.2014

Mit ihren mehrmaligen Streiks im Oktober hat die GDL – bisher jedenfalls – sowohl Durchsetzungskraft als auch politisches Rückgrat bewiesen. Trotz breiter Medienhetze und ungeachtet der Drohungen seitens der Regierung kämpfen die Lokführer­Innen und Zugbegleiter­Innen für ihre mehr als berechtigte Forderungen.

Vor allem der Streik vom 17. bis 19. Oktober hat die Kampfkraft der GDL unter Beweis gestellt: Trotz kurzer Ankündigungsfrist gelang es, so viele Kolleg­Innen im Streik zu haben, dass annähernd 85 % der Züge ganz ausfielen oder große Verspätungen hatten. Dies gelang, obwohl es immer noch beamtete Lokführer gibt (heute annähernd 20 % dieser Berufsgruppe, im Gesamtkonzern sind es weniger als 15 %), die nach dem – grundgesetzwidrigen – Beamtenrecht nicht streiken dürfen.

BILD verbreitete die Meldung, bei der Urabstimmung sei nicht richtig gezählt worden, denn nur 80 % der Mitglieder hätten den Stimmzettel zurückgeschickt, sodass bei 91 % Zustimmung nur knapp 74 % der Abstimmenden für Streik votiert hätten. Dazu stellt die GDL richtigerweise fest:

„Es gibt keine allgemeingültige gesetzliche Bestimmung, nach welchen Regeln eine Urabstimmung zu erfolgen hat. Vielmehr unterfällt die Festlegung von entsprechenden Regeln dem Selbstbestimmungsrecht der jeweiligen Gewerkschaft. Dazu hat die GDL in ihrer Arbeitskampfordnung zum Mehrheitserfordernis bestimmt: „… 75 % der an der Urabstimmung beteiligten stimmberechtigten Arbeitnehmer …“.

Die Begrifflichkeit „….75 % der an der Urabstimmung beteiligten stimmberechtigten Arbeitnehmer….“ ist zwingend so auszulegen, dass damit nur jene Mitglieder erfasst werden, die ihre Stimme (egal ob Ja, Nein oder Enthaltung) abgegeben haben. Nur durch diese aktive Stimmabgabe treten sie in eine „Beteiligung“ ein.

Dies entspricht im Übrigen der grundlegenden Bestimmung des § 32 des Bürgerlichen Gesetzbuchs: „Bei der Beschlussfassung entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.“

Die GDL schreibt: „Unsere Mitglieder sind keine Marionetten, die auf Knopfdruck die Züge stehen lassen. Es geht ihnen um Überstundenbegrenzung, bessere Schichtpläne, fünf Prozent mehr Tabellenentgelt […]“

Und in der Tat haben die Lokführer­Innen allen Grund zum Streiken: Ihr Durchschnittsverdienst liegt heute bei 2900 Euro brutto. Selbst nach 25 Dienstjahren kommen sie (samt Zulagen) auf nicht mal 1800 Euro netto, trotz Schichtarbeit, häufiger Abwesenheit von zu Hause, Stress usw. Sie liegen damit deutlich unter dem Durchschnitt der Einkommen abhängig Beschäftigter (heute bei 3449 € brutto). Die 20?000 Lokführer­Innen schieben drei Millionen Überstunden inklusive des Urlaubsrückstands vor sich her. Ihre Forderung nach 5 % Lohnerhöhung und einer Arbeitszeitverkürzung von 2 Stunden ist unter diesen Bedingungen sogar mehr als bescheiden.

Den Herrschenden geht es selbstverständlich nicht um die Frage, ob dieses oder jenes Quorum (das einzig und allein die Gewerkschaften festzulegen haben) erfüllt ist oder nicht. Es geht darum, wirksame Streiks weitestgehend zu unterbinden. Dazu wird auf breiter Front Stimmung gemacht und gleichzeitig ein Gesetz zur Tarifeinheit vorbereitet.

Wer zersplittert die Tariflandschaft?

Das Gejammere von Regierung und Massenmedien über die Zersplitterung der Tariflandschaft ist an Heuchelei kaum zu übertreffen. Seit vielen Jahren setzen Kabinett und Kapital alles daran, durch Betriebsaufspaltungen, Ausgliederungen und Absenkungstarifverträge die Wirksamkeit von (Flächen)tarifverträgen einzuschränken.

So existieren allein im Bereich des DB-Konzerns etwa 200 verschiedene Tarifverträge. Sie regeln z. T. sehr unterschiedliche Angelegenheiten, aber z. T. auch gleiche Regelungsgegenstände, aber für unterschiedliche Bereiche oder Beschäftigtengruppen. So gibt es selbst innerhalb der Gruppe der Schlosser verschiedene Tarifverträge, je nachdem ob sie an der Instandhaltung der ICE arbeiten oder an anderen Zügen. Solange diese Zersplitterung im Interesse des Bahnvorstands ist, weil damit die Beschäftigten gut aufgeteilt werden können, ist die Unterschiedlichkeit der Tarifverträge offenbar voll in Ordnung.

In weiten Bereichen der Wirtschaft werden heute von diversen Konzernen Scheingewerkschaften, so genannte „gelbe Gewerkschaften“ gegründet, die dann auf regionaler oder betrieblicher Ebene Gefälligkeits-Tarifverträge abschließen. Es sind dies vor allem „Gewerkschaften“, die im Deutschen Handel- und Industrieangestelltenverband zusammengeschlossen sind und allein in der Zeit 2003 – 2012 mehr als 900 solcher Vereinbarungen unterschrieben haben. Auch die „Christlichen“ vom CGB unterzeichnen Unterbietungstarifverträge. Dabei ist der eine Verband so wenig „tarifmächtig“ (sprich streikfähig) wie der andere. Vor allem die Reichweite der Flächentarifverträge wird damit immer mehr eingeschränkt.

Daneben hält in der Gesamtwirtschaft die allgemeine Tarifflucht an. Waren 1998 noch 76 % der Kolleg­Innen im Westen in einem tarifgebundenen Betrieb und 63 % im Osten, so sind es heute nur noch 60 % im Westen und 48 % im Osten.

Tarifeinheit?

Im Gegensatz zu den Behauptungen in den Medien beansprucht die GDL kein Monopol bei der Vertretung der Zugbegleiter­Innen. Nicht einmal bei den Lokführer­Innen beansprucht sie ein solches Monopol. Sie will – was nur logisch ist – einen Tarifvertrag für ihre Mitglieder durchsetzen. Für Kolleg­Innen, die bei der EVG organisiert sind, erhebt sie keinen Vertretungsanspruch.

Der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter: "Aus ihrer [Merkels] Sicht zeigen diese Streiks [der Lokführer und der Pilot­Innen], dass es viele gute Gründe gibt, ein Gesetz zur Tarifeinheit zu verabschieden."

Hier wird die wahre Absicht der Herrschenden schon etwas deutlicher: Es geht nicht um die Eingrenzung der Anzahl von Tarifverträgen (oder der Zahl von Verhandlungen, die beispielsweise der DB-Vorstand zu führen hat), sondern um die Einschränkung von Streiks. Dazu soll zwar nicht das Grundgesetz geändert werden, aber es sollen gesetzliche Bestimmungen eingeführt werden, die generell die Durchführung von Streiks erschweren.

Wider den Zuchtmeister Hoffmann
„Der ehemalige Vorsitzende der IG Medien Friedhelm Klinkhammer an den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes Reiner Hoffmann:
 „Sehr geehrter Kollege Hoffmann, in der Süddeutschen Zeitung las ich, dass du den Vorsitzenden des DBB Dauderstädt ungewöhnlich deutlich aufgefordert hattest, die GDL an die Leine zu nehmen. Ich bin 41 Jahre Mitglied einer DGB-Gewerkschaft, aber so etwas ist mir bisher noch nicht untergekommen. Die GDL zu beschimpfen – eine mutige Gewerkschaft – halte ich für unsolidarisch und unverständlich. Die kleinen Gewerkschaften sind doch deswegen so kampfstark, weil sie gegenüber den sozialdemokratisch durchsetzten Riesengewerkschaften die Interessen der Beschäftigten effektiv durchsetzen. Ihr Ansehen ist wegen ihrer erkämpften Tariferfolge unter Kollegen hoch, jeden
falls höher als das des DGB. Wohltuend bei den Lokführern ist auch das Fehlen von Korrumpierungstendenzen.
Bevor Du öffentlich den Zuchtmeister spielst, sorge erst einmal dafür, dass wir Arbeitnehmer den Lohnzuwachs erhalten, der notwendig ist, die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zugunsten der anderen EU-Staaten auszugleichen.“

Wie die Bundestagsdebatte vom 16. Oktober gezeigt hat, fällt es den Regierenden nicht gerade leicht, die Tarifeinheit grundgesetzkonform in einem Gesetz festzulegen. Nach heutigem Kenntnisstand ist ein mehrstufiges Verfahren geplant, das durchlaufen werden muss, bevor überhaupt gestreikt werden darf.

In den Stuttgarter Nachrichten vom 2.4.2014 wurde der Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU Arnold Vaatz zitiert: „Die Schäden, die ein Arbeitskampf auslöst, müssen im Verhältnis zum Anlass stehen.“

Wenn erst mal die Tür zur Abwägung der Streikfolgen als Voraussetzung für einen zulässigen Streik aufgestoßen ist, dann ist das Arbeitskampfrecht ganz wesentlich eingeschränkt.

Der zweite Strang der aktuellen Vorstöße zur Streikrechtsbeschränkung zielt auf Bereiche der „Öffentlichen Daseinsvorsorge“. Die Welt vom 20.10. schreibt „Zunehmend wird in der juristischen Debatte eine andere Variante favorisiert: eine Einschränkung des Streikrechts in den sensiblen Bereichen der Daseinsvorsorge, also im Verkehr, im Gesundheitswesen, der Telekommunikation und im Bildungsbereich. Damit der Streik wieder zum letzten Mittel im Arbeitskampf wird, fordern Experten, eine Schlichtung vorzuschalten. Außerdem sollen Streiks in diesen Bereichen rechtzeitig angekündigt werden, und es soll eine Grundversorgung aufrechterhalten werden.“

Das geht in die Richtung der Gesetzesinitiative der Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Stiftung.

Die Gesetzesinitiative der Weizsäcker-Stiftung

Die Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Stiftung hat einen Gesetzes­entwurf zur Regulierung des Streikrechts vorgelegt, der sehr weitreichend und äußerst gefährlich ist. Darin enthalten sind solche Einschränkungen wie „Ankündigungspflicht: Eine Arbeitskampfmaßnahme ist nur zulässig, wenn die Arbeitskampfpartei ihre Arbeitskampfmaßnahme vier Tage vor ihrem geplanten Beginn gegenüber der anderen Arbeitskampfpartei ankündigt. […]

Aufrechterhaltung einer Grundversorgung: […] Eine gewerkschaftliche Arbeitskampfmaßnahme ist nur zulässig, wenn mehr als 50 % der teilnahmeberechtigten Mitglieder der Gewerkschaft an einer Urabstimmung teilgenommen und mehr als 50 % der abstimmenden Mitglieder der Gewerkschaft der Arbeitskampfmaßnahme zugestimmt haben. […]“

Faktisch ist darin eine Zwangsschlichtung festgelegt und zum „Streik einer Berufsgruppengewerkschaft“ heißt es dort:

„Eine gewerkschaftliche Arbeitskampfmaßnahme ist unzulässig, wenn sie auf den Abschluss eines Tarifvertrags gerichtet ist, der bezogen auf seinen angestrebten räumlichen und betrieblichen Geltungsbereich weniger als 15 % der Arbeitsverhältnisse erfassen würde. […] n

Der Gesetzesentwurf findet sich hier.

Streikarmes Deutschland
Trotz Piloten- und Lokführerstreik landet Deutschland in internationalen Streikstatistiken auf den hinteren Plätzen. Im Jahresdurchschnitt fallen von 2005 bis 2012 bei uns pro 1000 Beschäftigte 16 Arbeitstage durch Arbeitskämpfe aus. In Frankreich sind es 150, in Kanada 117, in Dänemark 106, in Belgien 73 und in Großbritannien 26. Allerdings: Zwischen 1996 und 2005 waren es nur 2,4 Tage.

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