#Fairland – eine zaghafte Sammlungsbewegung vom Reißbrett

Sahra Wagenknecht in Oberhausen Foto: DIE LINKE Nordrhein-Westfalen, IMG_7342, CC-BY-NC-ND 2.0

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Wagenknecht, die Linke und die Sammlungsbewegung

#Fairland – eine zaghafte Sammlungsbewegung vom Reißbrett

Von Michael S. | 15.06.2018

1. Wohin soll die Reise gehen?

Der Aufruf für eine im Wesentlichen von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine angeschobene neue linke Sammlungsbewegung zielt nicht auf eine Neuformierung der antikapitalistischen Kräfte in Deutschland (die wir als ISO entschieden befürworten), sondern stellt viel eher eine Anpassung an die sich nach rechts entwickelnde politische Situation dar.

2. Wen will die Sammlungsbewegung sammeln?

Ganz offensichtlich vor allem enttäuschte Sozialdemokrat*innen und Grüne. Wie sinnvoll oder wün­schenswert das ist, kann diskutiert werden. Sicher ist aber: Es ist unrealistisch. Nach 30 Jahren Agenda-Politik dürften die dissidenten Kräfte in beiden Parteien so überschaubar sein, dass es jedenfalls für eine Sammlungsbewegung nicht reichen wird. Das weiß auch Sahra Wagenknecht. In Wahrheit ist dieser Aufruf vor allem eine Wortmeldung im Richtungsstreit innerhalb der Partei Die Linke: Es soll Druck aufgebaut werden für eine Regierungs­beteiligung auch im Bund, indem an der Partei vorbei versucht wird, die Zusammenarbeit mit SPD und Grünen zu suchen.

3. Kann eine Bewegung „gegründet“ werden?

Am grünen Tisch kann so Einiges geplant werden, aber keine politische / soziale Bewegung – jedenfalls keine, die von unten nach oben funktioniert. Und so funktioniert die Wagenknecht-Sammlungsbewegung auch viel eher von oben nach unten, es handelt sich um eine ziemlich autoritäre One-Woman-Show. Kleines Beispiel: Sahra Wagenknecht teilt den Medien mit, dass die Bewegung nun doch „auf keinen Fall“ #Fairland heißen werde (wohl weil zu viele dabei an fair gehandelten Kaffee denken). Wer hat das entschieden? Sie alleine? Sie und die engsten Berater*innen? Die da wären? Nicht umsonst auch der nie fehlende Verweis auf das französische Vorbild, den egomanischen Autokraten Jean-Luc Mélenchon und sein „La France insoumise“ (Unbeugsames Frankreich).

4. Mit Ludwig Erhard gegen den Neoliberalismus?

Wagenknecht plädiert für „Reichtum ohne Gier“. Wir sind dafür, den Reichen ihren Reichtum weg zu nehmen – unabhängig davon, ob sie ihn mit oder ohne Gier zusammengerafft haben. In Wahrheit geht es Wagenknecht um eine Rückkehr zum Rheinischen Kapitalismus, zum sozial­demokratischen „Modell Deutschland“ der 1970-er. Wir halten dagegen: Eine reformistische Sammlungsbewegung braucht kein Mensch.

Das reformistische Wunschdenken wird an der Stelle besonders deutlich, wo der Aufruf zustimmend Keynes zitiert:

„Ideen, Kunst, Wissen, Gastfreundschaft und Reisen sollen international sein. Dagegen sollen Waren lokal erzeugt werden, wo immer dies vernünftig möglich ist; vor allem aber die Finanzen sollen weitgehend im nationalen Kontext verbleiben.“

Der letzte Satz nach dem Semikolon ist bestenfalls naiv. Das Beispiel Griechenland hat gezeigt, dass das transnationale Finanzkapital jederzeit in der Lage ist, jeden Ausbruchsversuch aus dem Austeri­täts-Dogma zu strangulieren.

5. Zurück zu Willy Brandt?

Der Aufruf fordert von der deutschen Regierung, nicht dem „unberechenbaren“ Trump die Treue zu halten und sich stattdessen lieber auf Willy Brandts Friedenspolitik zu besinnen.Nichts gegen die Ostverträge, welche die Kriegsgefahr tatsächlich reduziert haben. Wir erlauben uns aber, darauf hinzuweisen, dass der „Friedenspolitiker“ Brandt z. B. auch führend an der Erdrosselung der portugiesischen Nelkenrevolution 1975 beteiligt war – immerhin der letzte ernsthafte Versuch, in Europa mit dem Kapitalismus zu brechen. Diese peinliche Anbiederung an sozialdemokratische „Willy-Nostalgie“ belegt noch mal, dass der Aufruf vor allem auf enttäuschte SPD’ler*innen schielt.

6. Einfache Antworten auf komplexe Probleme?

Wir beabsichtigen nicht, den Birnbaum dafür zu kritisieren, dass er kein Apfelbaum ist. Der Aufruf ist keine Seminararbeit, sondern will Millionen von Menschen erreichen. Deshalb sind „populistische Verdichtungen“ ok, solange sie keine Ressentiments bedienen, sondern im Kern eine antikapitalistische Stoßrichtung haben. Bei der Feststellung „Wir bauen die besten Autos, aber unsere Kinder schicken wir in marode Schulen“ werden viele Marxist*innen die Nase rümpfen. In der Tat stellt sich sofort die Frage, wer ist „wir“, wer ist der kollektive Akteur gesellschaftlicher Veränderung – im gesamten Aufruf kommt der Begriff Arbeiter*innen-Klasse nicht ein einziges Mal vor. Andererseits drückt die obengenannte Formulierung ein massenhaftes Unbehagen breitester Bevölkerungskreise aus und die Lohnabhängigen sind nun mal die Mehrheit der Bevölkerung. Auch die sehr populäre Rede von den „1 %“ und den „99 %“ ist ja (klassen-) analytisch grober Unfug ‒ und weist dennoch in die richtige Richtung.

7. Linkspopulismus?

Die Debatte um den Linkspopulismus kann im Zusammenhang mit der neuen „Sammlungsbewe­gung“ nicht völlig ausgeklammert werden. Wir nehmen uns jedoch die Freiheit, die Wagenknecht-Sammlungsbewegung zu kritisieren, ohne dabei vorschnelle Festlegungen zur viel komplexeren Frage „Wie viel und welchen Populismus braucht die Linke?“ zu treffen. Aber so viel können wir schon verraten: Unsere Strömung war immer eine für Selbsttätigkeit. Dabei bleibt es natürlich, weshalb wir hierarchische und autoritäre Projekte wie „Unbeugsames Frank­reich“ stets kritisieren werden, von Bewegungen mit einer tatsächlichen Dynamik von unten ‒ etwa der Momentum-Kampagne in der britischen Labour Party ‒ aber zu lernen versuchen.

Michael S., Berlin

Dieser Beitrag ist für die Debatten auf der Bundeskonferenz der ISO vom 9./10.6.2018 in Köln vorgelegt worden.

 

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