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„Ermittlungsarbeit“ nach dem Terroranschlag

Von Heinz Jandl | 01.04.2016

Es war eine Nagelbombe und was sie anrichten kann, verdeutlicht der Anschlag in Brüssel. Viele Nägel werden in Sprengstoff gepackt und dann werden sie durch die Explosion zu körperzerfetzenden Geschossen.

 

Es war eine Nagelbombe und was sie anrichten kann, verdeutlicht der Anschlag in Brüssel. Viele Nägel werden in Sprengstoff gepackt und dann werden sie durch die Explosion zu körperzerfetzenden Geschossen.

Solch ein Doseninferno wurde am 09. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße vor einem türkischen Friseursalon gezündet. Dass es in Köln „nur“ 22 Verletzte waren (davon 4 Schwerverletzte) hängt mit dem Umstand zusammen, dass das Fahrrad mit der auf dem Gepäckträger deponierten Bombe an die Scheibe des Salons angelehnt wurde, die im unteren Bereich undurchsichtig war. Daher konnten die Täter nicht bemerken, dass sich innerhalb des Salons eine schwere Ledercouch vor der Scheibe befand. Sie fing die meisten der über 700 zehn cm langen Nägel ab. Aber trotzdem schlugen viel zu viele in menschliche Körper ein.

Es waren die Terroristen des NSU, die diese Tat, die auf Massenmord zielte, begingen.

Am 16. März 2016 wurde nun im NSU-Prozess durch eine Kripobeamtin bekannt, dass man in den Trümmern des von Beate Zschäpe zerstörten Hauses Videomaterial über den Kölner Anschlag gefunden hatte.

Eine filmische Aufarbeitung

Anlässlich des Kinostarts des Films „Der Kuaför aus der Keup­straße“ Anfang 2016 fand in Köln eine Sonderveranstaltung im Museum Ludwig statt, wo der Film vorgestellt wurde. Erfreulich, dass über 200 Menschen an einem Wochentag gekommen waren.

Anschließend gab es mit den Protagonisten des Films, ihrem betreuenden Psychotherapeuten und dem Rechtsanwalt der Nebenkläger im NSU-Prozess eine Diskussion. Auch der Regisseur Maus war auf dem Podium, hielt sich aber bewusst stark im Hintergrund.

Der Film verwendet neben Doku-Material auch theaterähnliche Szenen und Protokollausschnitte aus den mittlerweile freigegebenen Ermittlungsakten.

Die sture und erschreckende Eindimensionalität der Ermittlungsbeamten ist zutiefst erschütternd. Schon wenige Stunden nach dem Anschlag wurde die Ermittlungsrichtung durch den NRW-Innenminister und den Kölner Polizeipräsidenten vorgegeben. Die O-Töne der damaligen Nachrichten sind beschämend: Fremdenhass als Tatmotiv? Völlig ausgeschlossen. Die Spur führe eindeutig ins kriminelle Milieu. In diese von oben vorgegebene Richtung hat die Polizei stur jahrelang ermittelt: Noch am Tatort wird der unter Schock stehende Friseur gefragt, wo denn sein Geschäft versichert sei (Versicherungsbetrug?).

Aus den Opfern wurden Tatverdächtige, die man observierte, mit V-Leuten ausspionierte und oft stundenlangen Verhören unterzog. So musste der Friseur den Beamten erklären, woher er die 200 Euro für den vor 18 Jahren in Ankara gekauften Ehering seiner Frau hatte.

Auf den Mordversuch des NSU folgte so der jahrelange Rufmord durch die Ermittler.

In einer Mischung aus Unterstellungen, Verbohrtheit, Betriebsblindheit und Klischees wurden Familienväter und Frauen bei den Verhören immer wieder in die Nähe zu Mafia und Rotlicht gerückt.

Sieben Jahre lang wurde den Opfern nichts, rein gar nichts geglaubt. Der seelische Druck wird in dem Film auf beklemmende Weise spürbar: Eine Frau berichtet von Scheidungsabsichten, weil es nicht sein könne, dass ihr Mann bei den Verhören immer wieder auf die Mafia angesprochen werde. Eine bei dem Anschlag leicht verletzte Angestellte, die von Albträumen gequält wird, wird gefragt, was sie die Nächte über mache, da sie immer so unausgeschlafen sei. Einem Geschäftsmann wird angeboten, die Schutzgelder, die er gezahlt habe, vor der Steuerfahndung zu verstecken.

In diesem Film kommen Betroffene selbst zu Wort, Friseur, Bäcker, Juwelier, die Frau vom Modegeschäft. Sie alle standen im Zentrum einer Hexenjagd, sie wurden in den Dreck gezogen, ihr seelisches Befinden und ihre Ängste kümmerten niemanden. Erst als 2011 der NSU aufflog, ließ der Druck nach. Auch wenn Merkel und Gauck sich in dem Laden herumdrückten, so fehlt doch bis heute jede Entschuldigung aus einem zutiefst in Klischees und Rassismus verhaftetem Ermittlungsapparat.

Nichts Tröstliches

Auch in der anschließenden Podiumsdiskussion fand sich nichts Tröstliches: Der Nebenklage-Anwalt im NSU-Prozess berichtete, dass von den mittlerweile über 130 im NSU Untersuchungsausschuss vernommenen Ermittlungsbeamten nur einer (!) sich bei den Angehörigen der Mordopfer für die fehlerhafte Ermittlungsarbeit entschuldigt habe. Resigniert meinte der Anwalt, dass er bei den nächsten Mordopfern wieder damit rechne, dass sie vom strukturellen Rassismus der Behörden zu zwielichtigen Gestalten abgestempelt würden.

Auch ohne Happy End ein sehenswerter Film!

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