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DIE LINKE

Elemente eines Übergangsprogramms oder Wunschzettel für Linke?

Von Edith Bartelmus-Scholich | 11.05.2006

Zum Manifest für eine antikapitalistische Linke
von Edith Bartelmus-Scholich

Das Manifest für eine antikapitalistische Linke wurde in der ersten Aprilwoche 06 veröffentlicht. Zu dem Kreis der 20 InitiatorInnen aus WASG und Linkspartei.PDS sind in sechs Wochen noch 500 UnterstützerInnen hinzu gekommen. Das Manifest versteht sich als Beitrag zur Programmdebatte im Parteibildungsprozess zu einer vereinigten linken Partei, ausdrücklich aber nicht als Gegenpapier zu den sog. Eckpunkten, sondern eher als erstes Positionspapier einer sich bildenden parteiübergreifenden antikapitalistischen Strömung.

Im ersten Teil des Papiers wird eine kurze Analyse des globalen Kapitalismus und seiner Auswirkungen auf die Menschen gegeben. Trotz der Kürze ist hier das Manifest den sog. Eckpunkten deutlich voraus. Es werden Zusammenhänge aufgedeckt und Ursachen benannt, über die die Eckpunkte sich ausschweigen. Der Wegfall der Systemkonkurrenz wird als Zäsur beschrieben, die eine neue expansive Phase des globalen Kapitalismus eingeleitet hat. Die Kennzeichen dieser neuen Phase werden in einer wirtschaftlichen Dominanz von ca. 500 transnationalen, globalen Konzernen, einer immer direkteren Machtausübung dieser Konzerne, einer Verringerung der Einflussmöglichkeiten der Nationalstaaten und der Verschärfung von zwischenimperialistischen Widersprüchen, die zu einer Zunahme von Kriegen und Bürgerkriegen führen, zutreffend beschrieben. Korrekt wieder gegeben werden auch die Auswirkungen auf das Leben der Menschen in Europa und in Deutschland. Die schon vor dem Wegfall der Systemkonkurrenz entwickelten neoliberalen Politikkonzepte werden hegemonial umgesetzt und sorgen durch Sozialabbau, die Privatisierung öffentlicher Güter, Arbeitsplatzvernichtung und Umverteilung von unten nach oben für Massenelend und Verunsicherung. Benannt werden auch die Profiteure dieser Politik: Unternehmen und Kapitalbesitzer. Richtig wird konstatiert, dass diese Politik nicht Sachzwang-geleitet, sondern Interessen-diktiert ist. Leider bleibt die Analyse überwiegend in der Beschreibung der Erscheinungen stecken und dringt selten zu den ökonomischen Entwicklungen als Basis der Phänomene vor. So wird der Charakter der neuen Phase des Kapitalismus unzureichend erfasst. Es bleibt offen, ob es sich bei den Erscheinungen um Zeichen einer weltweiten Krise des kapitalistischen Systems handelt oder nicht und wenn ja, welcher Art diese Krise ist. Diese Frage ist aber bedeutend, wenn über Abhilfe nachgedacht wird. Eine unzureichende Erfassung des Charakters der des globalisierten Kapitalismus wird dazu führen, ungeeignete politische Mittel zur Korrektur der Auswirkungen auf die Gesellschaft zu ergreifen und damit nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen.

Das Manifest für eine antikapitalistische Linke bezieht sich positiv auf den Parteibildungsprozess in dem die überwiegend sozialistische, aber mehrheitlich auf Mitgestaltung durch Regierungsbeteiligung orientierende Linkspartei.PDS und die überwiegend reformistische, aber mehrheitlich auf außerparlamentarische Opposition orientierende WASG gemeinsam politikfähig werden sollen. Ausdrücklich wird gesagt, dass schon durch den gemeinsamen Wahlantritt eine politische Kraft entstanden sei, wie sie allein keine der beiden Parteien hätte je sein können. Die Chance auf eine starke mobilisierungsfähige Linke mit realem gesellschaftlichem Einfluss sei gegeben, sofern inhaltlich-strategisch zielführende Entscheidungen gefällt werden. Dabei wird auf die Gefahr hingewiesen, dass aus der Verbindung reformorientierter pragmatischer Kräfte der Linkspartei.PDS und dem sozialdemokratischen Flügel der WASG eine auf Regierungsbeteiligung fixierte und die antikapitalistische Perspektive aufgebende Partei geschaffen werden könnte. Es wird festgehalten, dass es für eine solche Partei in Deutschland keinen gesellschaftlichen Bedarf gebe und dass sich das Projekt einer starken Linken damit erledigen würde. Leider fehlt an dieser Stelle eine detaillierte Analyse der diese Annahme erhärtenden gesellschaftlichen Gegebenheiten. Dies ist kritikwürdig, da damit offen bleibt, wie die an späterer Stelle vorausgesetzte Mobilisierung breiter Bevölkerungskreise zur Durchsetzung politischer Ziele erreicht werden soll und kann.

Ohne diese Analyse aber ausgehend von den richtigen Feststellungen, dass eine Linke, die gesellschaftlich Einfluss nehmen will nicht nur mobilisierungsfähige eigenständige Akteurin in den sozialen Kämpfen werden muss, sondern dies umso wirksamer erreichen kann, je mehr sie den Menschen eine Perspektive, die über das kapitalistische System hinaus weist, anbieten kann, werden im zweiten Teil des Papiers Forderungen erhoben, die anti-neoliberal sind und zugleich die ersten Schritte sein könnten für zukünftige Forderungen, die in eine Gesellschaft führen könnten, in der der Mensch mit seinen Bedürfnissen nicht mehr der Profitlogik untergeordnet wird.

Die Forderungen lauten:

1. Millionärssteuer zur Beseitigung von Armut 
2. Grosse Erbschaften besteuern statt Schuldenabbau durch Sozialraub 
3. Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich 
4. Jobvernichtung bestrafen statt fördern 
5. Schluss mit der Zweiklassen-Medizin 
6. Finanzhaie brauchen Kontrolle und Regulierung 
7. Frieden und Abrüstung statt Staatsterrorismus 
8. Ausbau von Grund- und Freiheitsrechten statt Repression und Diskriminierung

Als »absolute Minimalbedingungen einer Regierungsbeteiligung auf Landesebene« werden vorgeschlagen:

1. Keine weiteren Privatisierungen 
2. Kein Abbau öffentlicher Beschäftigung 
3. Keine Förderung von sozialen Bildungsprivilegien 
4. Keine Kürzungen bei den Schwächsten 
5. Entmilitarisierungs- und Konversionsprogramme auf Landesebene

Ohne die Forderungen im Einzelnen hier bewerten zu wollen, kann festgehalten werden, dass keine von ihnen als einzelne systemsprengende Wirkung entfaltet, sie in der Summe und ohne Abstriche umgesetzt aber sehr wohl soziale Sicherheit herstellen, die Umverteilung von unten nach oben umkehren, den Arbeitsplatzabbau erschweren, die Finanzmärkte kontrollieren, die Remilitarisierung und den Demokratieabbau stoppen würden. Den konsequent anti-neoliberalen Programmpunkten ist allerdings eigen, dass sie obwohl nur durch die Gleichzeitigkeit von parlamentarischer Präsenz und massiven sozialen Protesten erreichbar, doch wenig emanzipatorisches Potential entfalten. Diese Schwäche wird besonders deutlich bei der Forderung 4 "Jobvernichtung bestrafen statt fördern". Statt auf die tiefgreifende Demokratisierung der Betriebe zu setzen und damit die Arbeitsplätze dem Profit geleiteten Interesse der Kapitalbesitzer wenigstens teilweise zu entziehen, wird auf nur die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe orientiert. Auch im Bereich der gesundheitlichen Versorgung wird einzig auf staatliche Regulierungen gesetzt, anstatt zusätzlich in den Krankenversicherungen denjenigen die Macht zu geben, die ihrer bedürfen, nämlich den Versicherten. Damit fehlen den Forderungen genau diejenigen Elemente, die die Dynamik eines gesellschaftlichen Emanzipationsprozesses befördern könnten, der erst hinreichende Bedingung für die Transformation des kapit
alistischen Systems ist. Die InitiatorInnen seien an dieser Stelle daran erinnert, dass der Sozialismus nicht den rundum versorgende Staat, sondern die vollkommene Emanzipation des Menschen zum Ziel hat. 

Trotz dieser Schwächen ist das Manifest für eine antikapitalistische Linke ein erster Schritt auf einem Weg, den es sich gemeinsam zu gehen lohnt. Die konkreten anti-neoliberalen Forderungen sind so gehalten, dass sich heute SozialistInnen und bürgerliche Linke auf sie verständigen könnten. Sie erlauben gemeinsam politikfähig zu werden. Da sie nicht allein durch die Parlamentsarbeit erreichbar sein werden, ist davon auszugehen, dass im Fall ihrer Durchsetzung aus den sozialen Kämpfen darum eine Bewegung hervorgehen wird, die nicht bei diesen Forderungen stehen bleibt, sondern sich selbst weiter gehende Ziele setzt. In diesem Sinne könnten die Forderungen als Elemente eines Übergangsprogramms beschrieben werden.

Edith Bartelmus-Scholich, 11.05.2006

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