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Eine radikale Kampagne zum Klimawandel

Von Laurent Menghini | 01.06.2008

Das nachfolgende Referat wurde von Laurent Menghini auf der Pariser Konferenz der antikapitalistischen Organisationen (31.5./1.6.08) gehalten:

Der Klimawandel ist der umfassendste Ausdruck der Umweltkrise, die die Erde bedroht. Er vollzieht sich weltweit, da alle Regionen der Welt davon betroffen sind und nahezu alle wirtschaftlichen und produktiven Vorgänge ursächlich für diese Krise und zugleich von deren Auswirkungen betroffen sind.

Während die Temperaturerhöhung seit Beginn des Industriezeitalters auf ca. 0,6 ° geschätzt wird, schwanken die Vorhersagen für das Jahr 2100 zwischen 1,1° und 6,4 ° (bezogen auf das Referenzjahr 1990), sofern nicht politisch dagegen gesteuert wird.
Wenn man bedenkt, dass ab einer Temperaturerhöhung von 2 ° (bezogen auf den Beginn des Industriezeitalters) eine sehr hohe Gefährdung für Menschheit und Ökosystem anzunehmen ist, kann man ermessen, welchen Gefahren und Herausforderungen uns sehr unmittelbar bevorstehen: Hungersnöte von ungeahntem Ausmaß durch Verschiebung der Niederschlagsmengen, Zunahme der Orkane, Anstieg des Meeresspiegels, Verknappung des Trinkwassers etc. Zusammengenommen stellen diese Risiken die Menschheit vor Veränderungen, die in ihrer Brutalität und Geschwindigkeit nie zuvor in der Geschichte da gewesen sind.

Die Tragweite dieser Risiken zwingt die Bourgeoisie auf internationaler Ebene sowie in den einzelnen Ländern nach Antworten zu suchen, v. a. im Hinblick auf die Zeit nach Auslaufen des Kyoto-Abkommens 2012. Diese Antworten sind angesichts des Umfangs des Klimawandels völlig unzureichend, können aber als Vorwand für neue soziale Einschnitte dienen.
Zugleich stützt eine Institution wie der Weltklimarat (IPCC), der von der UN eingesetzt wurde, die Kritik an der Politik der Bourgeoisie, insofern sie nicht den einvernehmlichen Empfehlungen des Rates Folge leistet, welche da sind:

  • Die Emission der Treibhausgase muss in den Industrieländern bis 2020 um 25-40 % verringert werden;
  • Die weltweiten Emissionen müssen 2020 ihren Höhepunkt überschritten haben;
  • Bis 2050 müssen die weltweiten Emissionen unter Wahrung der sozialen und demokratischen Rechte um 50-85 % gesunken sein.

Das Unvermögen der Bourgeoisie, diesen Empfehlungen nachzukommen, verschafft der radikalen Linken einen Ansatzpunkt. Die Emissionen können in diesem Umfang nicht verringert werden, ohne die Produktions- und Distributionsweise grundlegend zu ändern, was der kapitalistischen Globalisierung, die auf dem zunehmenden Warenaustausch basiert, diametral entgegensteht. So ist beispielsweise der Gütertransport auf der Straße ein Mittel, die Konkurrenz zwischen den Arbeitern eines Kontinents zu fördern.

Neue Fragen

Diese Situation stellt die Organisationen der Linken und der Umweltbewegung vor neue Fragen,  die in der öffentlichen Diskussion zunehmend in den Vordergrund treten. Für die LCR und die anderen Kräfte der radikalen Linken geht es darum, politische Antworten zu formulieren und an einheitlichen Mobilisierungsstrukturen teilzunehmen oder sie zu initiieren.
Solche Einheitsstrukturen existieren bereits in mehreren Ländern und haben auch schon Massenmobilisierungen bewirkt. Selbst wenn mensch die kulturellen Unterschiede zwischen den Nationen bedenkt, müsste es angesichts dieser Gesamtlage möglich sein, solche Einheitsstrukturen überall zu schaffen, wo Organisationen der radikalen Linken existieren. Auch wenn  NGOs und große Umweltverbände zwangsläufig mit einbezogen werden müssen, sind diese nicht notwendigerweise die treibende Kraft. Insofern müssen wir uns an die Kräfte wenden und mit ihnen zusammen arbeiten, deren Hauptanliegen zwar nicht der Umweltschutz ist, die aber die Bedeutung des Klimawandels verspüren: Globalisierungsgegner, Gewerkschaften, Dritte Welt-Gruppen, Flüchtlingsinitiativen etc.

Man kann von solchen Einheitsstrukturen keine fertigen politischen Antworten erwarten, da sie noch nicht lange existieren und die politische Diskussion solcher Fragen noch am Anfang steht. Ihr gemeinsames Anliegen ist, dass die Staaten oder die EU für ein besseres Folgeabkommen nach 2012 eintreten, besonders angesichts der Forderungen der USA und ihrer Verbündeten. Dieses Anliegen ist berechtigt, muss aber Hand in Hand gehen mit:

  • einem Aufruf zu Gerechtigkeit in sozialen und Klimafragen; ein internationales Abkommen muss die Ungleichheit zwischen Nord und Süd berücksichtigen und die Verantwortung für die Zukunft nicht auf die Entwicklungsländer abwälzen; ebenso darf Umweltpolitik in den entwickelten Ländern nicht noch die soziale Ungleichheit vertiefen und den einfachen Leuten weitere Belastungen aufbürden;
  • der Forderung nach Beschränkung der Marktmechanismen (Handel mit Emissionsrechten, Steuern, Entwicklung sauberer Energien…), die zumeist nur Notlösungen hinsichtlich ihrer ökologischen Effizienz sind und mehr den Kapitalinteressen dienen;
  • der Miteinbeziehung breiter Bevölkerungsschichten in die Kampagnen und Mobilisierungen, um die Klimafragen nicht Expertenzirkeln zu überlassen.

In einigen Ländern haben diese Forderungen dazu geführt, dass für ein Abkommen mobilisiert wurde, das die Vorgaben des Weltklimarates effektiv umsetzt, die Länder der Südhalbkugel anstelle der Industriestaaten entlastet und den Reichen die Kosten aufbürdet, statt die soziale Ungleichheit noch zu verstärken – kurzum: effizient, gerecht und solidarisch ist. Diese Formulierung ist einerseits präzise genug, um sich abgrenzen zu können, andererseits auch allgemein genug gehalten, um eine breite Einheitsfront zu ermöglichen. Zugleich kann es als gemeinsame Grundlage dienen für den Aufbau einer internationalen Bewegung mit einheitlicher Stoßrichtung.

Die LCR und die
eigentliche radikale Linke wiederum müssen diese Ziele in eine radikale Richtung weiterentwickeln und die globalen Zusammenhänge sowie die Verantwortung des Kapitalismus sichtbar machen. In der aufkommenden Kampagne müssen in den zentralen Losungen soziale und ökologische Belange zusammenhängend berücksichtigt werden. Dabei sollte betont werden:

  • die Dringlichkeit der Angelegenheit: Der Klimawandel findet heute statt und die Konsequenzen daraus werden sich bereits morgen zeigen – also muss sofort gehandelt werden,
  • die Verantwortung der kapitalistischen Produktionsweise und der daraus abgeleiteten Energiepolitik für die aktuelle Krise,
  • die Frage der Gerechtigkeit: Klimapolitik muss so angelegt sein, dass die durch die Umweltkatastrophen hervorgerufene Ungleichheit aufgehoben wird und zwar auf internationaler Ebene.

Wir müssen also eine Diskussion anstoßen, die über den Tellerrand hinausgeht, auf einer Analyse der aktuellen Politik in Europa basiert und einen präzisen Katalog von Forderungen erstellt, der als dringliche Agenda zur Rettung des Klimas fungiert. Dabei müssen drei Schwerpunkte im Vordergrund stehen:

Die Verkehrspolitik

26,5 % des Ausstoßes von Treibhausgasen in Frankreich entstehen durch das Verkehrsaufkommen, davon 94 % durch den Straßenverkehr, der zwischen 1990 und 2004 um 23 % zugenommen hat.

Das Transportwesen mit all seinen Folgen für Umwelt und Gesellschaft ist einer der grundlegenden Pfeiler des Kapitalismus. Die Bourgeoisie ist in dieser Frage befangen und hofft lediglich auf ein technologisches Wunder (wasserstoff- oder biospritbetriebene Fahrzeuge), während die einzig ernsthafte Problemlösung darin besteht, das Verkehrsaufkommen drastisch zu reduzieren und langfristig die Automobilkultur durch öffentliche Verkehrsmittel und Fahrrad zu ersetzen. Wer an der Organisation des Transportwesens rührt, rührt zugleich an den Grundlagen des Kapitalismus. Der – absehbar anhaltende – Anstieg des Ölpreises muss genutzt werden, um umwelt- und sozialverträgliche Alternativen voranzubringen, wobei auch die vom Biosprit ausgehenden Gefahren bewusst gemacht werden müssen. Es ergeben sich entsprechende Forderungen:

  • Kein weiterer Ausbau des Autobahnnetzes.
  • Eine Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik, die für die Lohnabhängigen eine vertretbare Entfernung zwischen Arbeitsplatz und Wohnort bedeutet (öffentliche Vergabe von Bauland, Einfrieren der Mieten, Schaffung von Sozialwohnungen in den Innenstädten …).
  • Strikte Limitierung des Gütertransports per LKW oder Flugzeug; Verbot von Kurzstreckenflügen mit wenigen Ausnahmen; Verbot von Güterferntransporten per LKW; Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen für die von solchen Maßnahmen Betroffenen.
  • Die Kapazität der Infrastruktur für den Gütertransport auf Schienen und Wasserstraßen muss erheblich ausgebaut werden, was eines Plans und erheblicher öffentlicher Investitionen bedarf. Da die kapitalistischen Unternehmen Nutznießer dieser Infrastrukturen sind, müssen sie auch dafür bezahlen.
  • Mehr Straßenbahnen und Nahverkehrszüge in den Ballungsräumen und eine bessere Anbindung an das öffentliche Verkehrswesen in den Vororten; Interregio-Verbindungen anstelle der einseitigen Bevorzugung der IC-Verbindungen; Wiederinbetriebnahme und ausreichende personelle Besetzung von Bahnhöfen in den kleineren Ortschaften.
  • Ausbau und Pflege von Radwegen und Fußgängerzonen in den Städten und Gewerbegebieten, letzteres zur Beförderung der dort Beschäftigten (Industriegebiete, Häfen und Flughäfen etc.).
  • Drastische Einschränkung des Autoverkehrs in den Ballungsräumen durch Schaffung autofreier Zonen und Stadtviertel sowie Umgestaltung der Wohngegenden durch Parkanlagen und öffentlich nutzbare Flächen, was einhergeht mit der Verbesserung der Lebensqualität; Ausbau von Car-Sharing und wohnortnaher kollektiv zugänglicher Angebote.
  • Umfangreiche Investitionen in den Ausbau eines öffentlichen und kostenlosen Verkehrswesens mit hoher Frequenz und Komfort, was vorrangig den Bahnverkehr angeht.
  • Die Erzeugung von Biosprit muss gestoppt werden.

Wohnungsbau

Wohn- und öffentliche Gebäude verursachen in Frankreich 19 % der Emissionen von Treibhausgasen, was einer Steigerung von 22 % seit 1990 entspricht. Dies beruht in erster Linie auf dem Energieverbrauch für Heizung, Warmwasserbereitung, Elektrogeräten, Beleuchtung und Klimaanlagen. Bisher hat die LCR die Wohnungsfrage immer unter sozialen Gesichtspunkten behandelt. Künftig muss dies einhergehen mit Forderungen nach Wärmedämmung, Energiesparmaßnahmen, Gestaltung der Lebensräume etc. Eine Politik, die für die Modernisierung des Wohnraums eintritt, hat zugleich eine erhebliche soziale Dimension, da sie die Belastung der armen Leute durch die Nebenkosten drastisch senkt. Geeignete Forderungen wären:

  •  Schaffung eines öffentlichen Dienstes, der sich um Wohnraum, Modernisierung und Wärmedämmung kümmert. Seine Aufgaben müssten sein:
  • die systematische Wärmedämmung von Gebäuden (Mauern, Dächer, Fenster).
  • die sukzessive Installation moderner Heizungs- und Stromerzeugungsanlagen (Solarstrom, Photovoltaik, Erdwärme, Kraft-Wärme-Kopplung); Installation von Solaranlagen auf allen öffentlichen Gebäuden.
  • Gründung von öffentlichen Unternehmen zur Herstellung von D&
    auml;mmmaterialien (Glas, Faserstoffe etc.); Senkung der Preise für diese Materialien.

Energie

Global gesehen beruht die bisherige Entwicklung der Menschheit grundlegend auf der Verwendung fossiler Energieträger (Öl, Gas, Kohle), die zunehmend knapper werden. Problematisch ist zum einen ihre Umweltschädlichkeit; aber auch die Erschöpfung dieser Ressourcen stellt die übergroße Mehrheit der menschlichen Bevölkerung vor enorme Beschaffungsprobleme. Insofern ist es unumgänglich, einen grundlegenden Wandel einzuleiten, der auf eine weltweite Umstellung unserer Produktionstechniken und Verbrauchsgewohnheiten abzielt, wobei langfristig nur noch erneuerbare Energien in Frage kommen dürfen. In Frankreich sind die Energieerzeuger für die Privathaushalte lediglich für 13% der Emissionen an Treibhausgasen verantwortlich. Aufgrund des hohen Anteils an Atomenergie liegt dies unterhalb der Marge vergleichbarer Länder. Freilich darf man dies nicht dieser Energieform zugute halten, schließlich steht sie unseren Zielen in dreierlei Hinsicht im Wege: Weder ist sie sauber, noch ist sie effizient und sie behindert die Entwicklung erneuerbarer Energien. Ziel kann nicht sein, Wege zur Befriedigung des heutigen Energieverbrauchs zu finden als vielmehr diesen Verbrauch drastisch zu senken.

Zielführende Forderungen

  • Die Schaffung einer wirklich öffentlichen Energieversorgung ohne Atomenergie und unter gemeinsamer Aufsicht der Beschäftigten und der Verbraucher.
  • Dies muss einhergehen mit dem Wechsel von einer hyperzentralisierten Energieerzeugung (mit 19 Atomreaktoren) zu dezentralen Erzeugern, die sich auf unterschiedliche Energiequellen stützen, zahlreich und überschaubar sind und der Kontrolle der jeweiligen Bevölkerung unterliegen.
  • Dieser Öffentliche Dienst müsste auch dafür zuständig sein, Energiesparpotentiale zu evaluieren und erneuerbare Energien bereitzustellen, für deren Entwicklung umfangreiche Investitionen eingeplant werden müssen.
  • Anzustreben ist eine europaweite Kooperation mit Blick auf eine gesamteuropäische Versorgungseinrichtung, damit ein gegenseitiger Austausch von Energien zur Sicherstellung einer konstanten Versorgung stattfinden kann. Die Erzeugungsmodalitäten müssten entlang geographischer Besonderheiten geregelt werden: Windenergie im Nordwesten und Süden Frankreichs, Erdwärme in Nordeuropa und Solarenergie im Süden etc.
  • Eine weitere Aufgabe dieser öffentlichen Versorgungseinrichtung wäre der kostenlose Technologietransfer für erneuerbare Energien in die Länder der südlichen Halbkugel, um dort eine ökologisch vertretbare Entwicklung zu ermöglichen.

Diese Vorschläge müssen rasch ausgearbeitet und in eine für alle verständliche Sprachform gegossen werden. Dabei werden wir u. a. vor folgenden Problemen stehen:

  • Wie machen wir Sachverhalte allgemeinverständlich, die ein Minimum wissenschaftlicher Kenntnisse voraussetzen?
  • Wie vermitteln wir die Dringlichkeit der Gefahren, die der Menschheit durch den Klimawandel drohen?
  • Wie verbreiten wir Forderungen, die auf breitester Ebene angenommen werden können, ohne dass sie angesichts der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse als utopisch erscheinen?

Übersetzung: MiWe
Quelle: http://www.rsb4.de/content/view/2978/89/

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