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Nicaragua

Dringende Erklärung für Nicaragua ‒ Solidarität mit dem Widerstand

23.08.2018

Dringende Erklärung für Nicaragua ‒ Solidarität mit dem Widerstand

Als Intellektuelle, soziale Aktivist*innen und Akademiker*innen möchten wir angesichts der sehr ernsten Situation, die Nicaragua durchmacht und durch staatliche Gewalt und Verletzungen der Menschenrechte gekennzeichnet ist, unseren entschiedenen Protest zum Ausdruck bringen. Verantwortlich ist das gegenwärtige Regime Ortega-Murillo, die Gewalt von oben hat in den letzten drei Monaten zu etwa 300 Toten geführt.

Empörung, Schmerz, ein Gefühl historischer Frustration verdoppeln sich, wenn ein derartiges politisches Fiasko von politischen Führungspersonen und Regierungen ausgeht, die sich links nennen. Was könnte mehr schmerzen als die Ironie einer Führungspersönlichkeit, die sich als Revolutionär nennt und den verbrecherischen Praktiken jenes Diktators [Anastasio Somoza Debayle] nacheifert, gegen den er sich erhoben hat! Und die Empörung wird noch intensiver, wenn dieses Panorama staatlicher Gewalt durch das komplizenhafte Schweigen von politischen Führungspersonen und bekannten Intellektuellen vervollständigt wird, die sich selber als links verstehen und/oder so genannt werden. Das stillschweigende Einverständnis eines gewissen intellektuellen Establishments ‒ einer offizialistischen Linken [Regierungslinken], die sich gewöhnlich die exklusive Vertretung der „Linken“ anmaßt ‒ hat sich unter dem Einfluss der Regierungsmacht in ein Surrogat für ausgeprägten Zynismus verwandelt.

Diese ebenso schmerzliche wie nicht hinnehmbare Situation anzuprangern, die Stimme gegen die Angriffe auf die elementarsten Freiheiten und Rechte, die die gegenwärtige nicaraguanische Regierung verübt, zu erheben, ist nicht alleine eine Pflicht humanitärer Solidarität. Das ist auch ein kollektiver Akt und Aufruf zur Verteidigung des revolutionären Gedächtnisses, um zu versuchen, die Vollendung der politischen Degeneration, die da vor sich geht, zu verhindern.

Es gibt kein schlimmeres Verbrechen als politische Enttäuschung der Hoffnung der Völker.

Es gibt kein schlimmeres Ausplündern als dasjenige, das auf die Veruntreuung der rebellischen Energien für eine gerechte Welt abzielt.

Es gibt keinen schlimmeren Imperialismus als den internen Kolonialismus, der sich in unterdrückerische Gewalt, verkleidet mit antiimperialer Rhetorik, umwandelt.

All dies geschieht in Nicaragua. Das Land, das Ende der siebziger Jahre ein fruchtbares Symbol für emanzipatorische Hoffnung war, hat sich in ein weiteres Terrain des Autoritarismus verkehrt.

Die beschädigte Erinnerung an eine der edelsten und hoffnungstragenden Revolutionen Unseres Amerikas, wie es Sandino war und ist, die Erinnerung an antikapitalistische Kämpfe eines leidenden, doch mutigen Volkes, wird jetzt mit Füßen getreten, um die gewöhnliche Gewalt zu verbergen bzw. dies zu versuchen, wie sie typisch ist für ein weiteres diktatorisches Regime, von denen wir in unserer Geschichte reichlich und immer wieder welche haben. Der revolutionäre Anführer von einst, geehrt durch das Vertrauen seines Volks, jetzt umgewandelt in einen Diktator, blind geworden durch die Macht und mit den Händen voller Blut von jungen Menschen ‒ das ist das so gewaltsam bittere Anblick von Nicaragua, das uns lieb ist.

Wir erheben unsere Stimme, um die Diktatur öffentlich zu verurteilen, in die die Ortega-Murillo-Regierung sich verwandelt hat. Wir bekunden unsere Solidarität mit dem Volk und der Jugend, die sich heute einmal mehr zum Widerstand erhoben haben. Wir tun dies, um ihre Forderungen nach Dialog und Frieden zu unterstützen und zu begleiten, nach der Beendigung einer illegitimen und kriminellen Regierung, die heute die sandinistische Erinnerung usurpiert. Wir tun dies in der Überzeugung, dass es nicht nur um die „Rettung der Ehre“ der Vergangenheit geht, sondern vor allem darum, die emanzipatorischen Keime der Zukunft, die heute gefährdet sind, zu retten und für sie zu sorgen.

17. Juli 2018

Weitere Unterschriften sind an folgende Adresse zu schicken:
declaracionurgentepornicaragua@gmail.com

Unter den Erstunterzeichner*innen:

Alberto Acosta (Wirtschaftswissenschaftler, Ecuador)
Raúl Zibechi (Essayist und Autor, Uruguay)
Hugo Blanco (Aktivist, Herausgeber der Zeitung Lucha indígena, Peru)
Joan Martínez Alier (Leiter der Zeitschrift Ecología política, Spanischer Staat)
Pierre Salama (Wirtschaftswissenschaftler, Frankreich)
Edgardo Lander (Soziologe, Venezuela)
Boaventura de Sousa Santos (Rechtsanwalt, Soziologe, Portugal)
Jaime Pastor (Herausgeber der Zeitschrift Viento Sur, Spanischer Staat)
Ricardo Napurí (Sozialist, Argentinien)
Nora Ciapponi (Sozialistin, Argentinien)
Aldo Casas (Aktivist, Zeitschrift Herramienta, Argentinien)

Für eine vollständige Liste siehe:
http://espacioautonomodepensamientocritico.blogspot.com/2018/07/declaracion-urgente-por-nicaragua.html

Aus dem Spanischen übersetzt

Vorspann von „Socialist Worker“ (Chicago)

In Nicaragua ist aus einer Erhebung, die mit Forderungen von Studierenden nach einem Stopp der Versuche der Regierung, die Sozialversicherung zu kürzen, eine Revolte der Bevölkerung geworden, die den Rücktritt von Präsident Daniel Ortega und Vizepräsidentin Rosario Murillo verlangte, nachdem Regierungskräfte und Paramilitärs eine Terrorkampagne gegen Protestierende entfesselt hatten.

Eine Reihe von Akademiker*innen und Aktivist*innen von sozialen Bewegungen aus aller Welt haben eine Erklärung gegen die Brutalität des Regimes herausgegeben, die zuerst auf Spanisch auf „Correspondencia de Prensa“ und auf Französisch auf „à l’encontre“ veröffentlicht worden ist.

Erklärung auf Spanisch:
„Nicaragua ‒ Declaración urgente por Nicaragua“ (19. Juli 2018), https://correspondenciadeprensa.com/2018/07/19/nicaragua-declaracion-urgente-por-nicaragua-firmas/

Übersetzung ins Englische:
„Statement: Solidarity with Nicaragua’s Resistance“, socialistworker.org. Publication of the International Socialist Organization [USA], 26. Juli 2018, http://socialistworker.org/2018/07/26/solidarity-with-nicaraguas-resistance

Übersetzung ins Französische:
„Déclaration urgente pour le Nicaragua“, à l’encontre [Lausanne], 18. Juli 2018, https://alencontre.org/ameriques/amelat/nicaragua/declaration-urgente-pour-le-nicaragua.html

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