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Die SPD - Eine bürgerliche Partei

Die SPD – eine bürgerliche Partei

Von Avanti | 01.03.2000

Ob eine Partei eine Arbeiterpartei ist oder nicht, hängt von bestimmten Merkmalen ab: ihren Zielen und ihrer Strategie, ihrer Praxis, der sozialen Zusammensetzung, ihrer Basis, der Organisationsstruktur, den Beziehungen zum Kapital und zum bürgerlichen Staatsapparat, ihrer Geschichte und ihren internationalen Beziehungen.

Das Programm der SPD
Am 10.9.97 arbeitete der SPD-Wirtschaftsrat, ein Gremium von 30 Topmanagern der Wirtschaft, unter Gerhard Schröders Leitung in Dresden einen Leitantrag für eine neue Wirtschaftspolitik aus. Am 14.9.97 nahm der SPD-Parteivorstand mit nur drei Gegenstimmen bei 42 Ja-Stimmen den Antrag an. “SPD-Chef Oskar Lafontaine erklärte (…), dass die SPD-Spitze Schröders Thesen unterstütze” (Handelsblatt, 16.9.97). Am 4.12.97 verabschiedete der Hannoveraner Parteitag der SPD mit Lafontaines Unterstützung die neoliberalen Wirtschaftsthesen Schröders mit großer Mehrheit. Der Sozialliberalismus wurde durch den Neoliberalismus ersetzt.

Jede reformistisch-sozialistische Partei ist eine bürgerliche Partei, weil sie letztendlich die kapitalistische Ordnung einer sozialistischen Revolution vorzieht. Sie hat einen Doppelcharakter, insofern sie an ihren sozialistischen Zielen festhält und/oder ArbeiterInnen klassenmäßig organisiert. Die SPD hat ihren Doppelcharakter bereits 1959 mit der Annahme des Godesberger Programms verloren. Damals schrieben unsere GenossInnen: “Das Godesberger Programm ist eine Absage an den letzten Rest sozialdemokratischen Denkens. Anstelle der alten reformistischen Vorstellung ‘über Reformen und Demokratie zum Sozialismus’ zu kommen, ist das uneingeschränkte Bekenntnis zur bürgerlichen Demokratie selbst getreten. Das Programm besteht aus Abfallprodukten der verschiedenen Schulen der bürgerlichen Ideologie…” “Eine seit Jahren verfolgte Praxis wurde ‘programmatisch’ zementiert mit dem Ziel, die sozialdemokratische Politik und Praxis durch Vorstellungen einer sozial-liberalen Volkspartei zu ersetzen, mit Anpassung an das Denken der von der Bourgeoisie manipulierten Wähler und seiner Scheinwelt. Es ist das Bekenntnis zur bürgerlichen kapitalistischen Gesellschaft, zu ihrem Staat und dessen militärischen Verteidigung nach innen und nach außen. Alle im Programm angesprochenen Veränderungen in Staat und Gesellschaft bewegen sich im Rahmen dieser Konzeption.” Seitdem sieht die SPD zwischen den Kapitaleignern und den Lohnabhängigen keinen Klassengegensatz mehr. Sie erkennt weder die eigenständigen Klasseninteressen der Arbeiterklasse an noch den tagtäglich stattfindenden Klassenkampf zwischen Lohnarbeit und Kapital. Die programmatischen Aussagen der SPD bleiben völlig im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die gestaltet werden soll. Mit Godesberg ist die SPD zu einer (sozial-) liberalen bürgerlichen Partei geworden.

Die Praxis der SPD

Die praktische Politik der SPD ist an den Interessen der großen und kleinen Kapitaleigner und den allgemeinen Interessen des deutschen Imperialismus ausgerichtet. Im Balkankrieg hat die SPD zum ersten Mal in ihrer Geschichte nicht nur einem Krieg zugestimmt, sondern ihn mitgeführt. De facto gab es ein “Bündnis für Krieg” von SPD-Grünen-CDU-CSU-FDP-Kapitalverbänden-DGB. Der Unterschied zwischen SPD und CDU liegt in der Form und nicht im Inhalt. Beide vertreten die Politik des Neoliberalismus. Diese Politik setzen SPD und Grüne aber nicht über die Konfrontation mit der Arbeiterbewegung durch, sondern über eine vertiefte Klassenzusammenarbeit (“Bündnis für Arbeit … und Wettbewerbsfähigkeit”). Der Bruch Lafontaines mit Schröder erfolgte, weil ersterer die neoliberale Politik der Bundesregierung mit einem gewissen sozialen Ausgleich verbinden wollte. Diesen Ausgleich erwarteten auch Teile der Arbeiterklasse, die sich bei den Landtagswahlen 1999 der Stimme enthielten und damit gegen Schröders sozialen Kahlschlag protestierten. Ohne eigene politische Alternative und von Lafontaine im Stich gelassen, ist der sozialliberale Flügel in der SPD schwach, demoralisiert und zu jeder neuen Kapitulation bereit. In der SPD steht nicht die Neubelebung des sozialliberalen Flügels an, sondern die Anpassung des Programms an die neoliberale, kapitalistische Praxis.

Die “Strategie” der SPD

Über eine Strategie im sozialistischen Sinne verfügt die SPD nicht. Wer das kapitalistische Gesellschaftssystem nicht abschaffen will, braucht auch keinen Weg zu einer anderen Gesellschaft. Die “Strategie” der SPD ist längst zur bürgerlichen Wahlstrategie verkommen, wie sie auch von CDU oder FDP verfolgt wird. Auch dabei sind natürlich Entwicklungen möglich. So wird die SPD immer mehr zu zum Kanzlerwahlverein, der einen Wahlkampf nach US-amerikanischem Entpolitisierungsmuster führt.

Die soziale Zusammensetzung der SPD

In der Mitgliedschaft der SPD sind die ArbeiterInnen deutlich geringer vertreten als in der Gesamtbevölkerung. Angestellte und Beamte aus dem öffentlichen Dienst stellen 40 Prozent des SPD-Funktionärskörpers. Je höher die Parteihierarchie, desto weniger ArbeiterInnen zählt sie und um so mehr Staatsbedienstete. Die SPD ist längst mit dem Staatsapparat verschmolzen. Da Angestellte und BeamtInnen im Öffentlichen Dienst dem Staat als “Arbeitgeber” gegenüberstehen, entwickeln sie in Streiks kaum das Bewusstsein, dass der Hauptkonflikt in der Gesellschaft zwischen Arbeiterklasse und Kapitaleignern besteht. Die Entfernung jeglichen marxistischen, sozialistisch-reformistischen und klassenkämpferischen Denkens aus der SPD ist mit dem Aufstieg dieser staatlichen Beschäftigten zur die Partei beherrschenden Schicht verbunden. Soweit noch vorhanden und nicht integriert, geben die Arbeitermitglieder, die 1972 für Willy Brandts “Reformpolitik” streikten, heute ihre Parteibücher zurück. Die SPD ist ihrer sozialen Zusammensetzung nach keine proletarische Partei mehr.

Die Organisation der SPD

Sie stützt sich auf die Säulen Staatsbürokratie, Parlamentsfraktionen, Parteiapparat, Stiftung, Beziehungen zur Wirtschaft und – mit starken Einschränkungen – auf einen Teil der Gewerkschaftsbürokratie. Die Arbeitsgemeinschaften (Jusos, AfA) haben innerhalb der SPD vollends ihre Funktion verloren und sind nur ein Schatten früherer Tage.

Von entscheidender Bedeutung für den Wandel der SPD von einer reformistisch-sozialistischen Partei mit Doppelcharakter zu einer sozialliberalen neoliberalen Partei war ihr Verzicht, nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Klassenorganisationen neu aufzubauen. Im 19. Jahrhundert und auch noch in der Weimarer Republik lebten die SPD-Mitglieder und Sympathisanten von der Wiege bis zur Bahre in einer Art Gegengesellschaft. In Arbeitersport- und Arbeiterkulturvereinen waren Hunderttausende organisiert. Allein der Arbeiterradsportbund zählte über 200.000 Mitglieder. Die SPD besaß Dutzende Tageszeitungen und noch 1951/52 konnte sie 21 Tageszeitungen aufzählen. Von all dem ist nichts übriggeblieben. Mit den Arbeitervereinen verschwanden die sozialdemokratischen Stützen in der Arbeiterklasse und damit das sozialistische Klassenbewußtsein der von der SPD beeinflußten Massen.

Heute wird die SPD nicht einfach von einer materiell privilegierten Partei- und Staatsbürokratie beherrscht, sondern von deren Spitze. Ausdruck davon ist die Doppelfunktion des Bundeskanzlers Schröder als Kanzler und Parteivorsitzender. Der sozialliberale Flügel der SPD (Frankfurter Kreis) ist mit dem Abgang Lafontaines sehr geschwächt worden und hat kaum Einfluß. Eine gewisse Erneuerung wäre in der Opposition nicht völlig ausgeschlossen, ist heute aber nicht absehbar. Einen sozialistisch-reformistischen Flügel gibt es in der SPD seit langem nicht. Die Parteiorganisation der SPD ist die einer normalen bürgerlichen Partei. Sie umfaßt keine Klassenstrukturen mehr.

Die SPD und der Staatsapparat

Die SPD ist weitgehend mit dem Staatsapparat verschmolzen. Staatsbeamte stellen die Führung der Partei (Kanzler und SPD-Minister, die SPD-Regierungschefs der Länder, Fraktionsspitzen). Diese privilegierte Schicht beherrscht die Partei völlig. Wichtige Entscheidungen über Kanzlerkandidaten fallen nicht auf Parteitagen, sondern wie wir Lafontaines Buch “Das Herz schlägt links” entnehmen können im engsten Kreis beim Abendessen oder an der Theke.

Finanziell ist die SPD zu ca. 80 Prozent von Staatsknete abhängig. Dabei bekommt die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) mehr Staatsknete als die Partei. Allein 1991 betrug der Zuschuß für die FES rund 201 Mio. DM aus dem Bundeshaushalt. Damit konnte sie im gleichen Jahr 767 Hauptamtliche beschäftigten. Davon arbeiteten 404 in ihrer Bonner Bundeszentrale, 237 in den Landesbüros und 126 in 74 Außenstellen in aller Welt. Zum Vergleich: Die SPD beschäftigte 1993 in ihrer Zentrale und ihrer Bundestagsfraktion 562 hauptamtliche Mitarbeiter.

Die SPD ist aber nicht nur mit dem Staatsapparat verschmolzen, sondern auch mit Teilen des Finanzkapitals z.B. mit der viertgrößten Bank der BRD, der Westdeutschen Landesbank. Bei der WestLB als Zusammenschluß der Sparkassenverbände, Landschaftsverbände und des Landes NRW ist fast das gesamte Management vom einfachen Sparkassenleiter bis zum Vorstandsvorsitzenden sozialdemokratisch. In einem Sparclub treffen sich gut zwei Dutzend führende Politiker wie Clement, Schleußer und Rau mit Wirtschaftsbossen wie Neuber und spekulieren mit Aktien…

Innerhalb der SPD hat heute der mit 30 Managern von Großkonzernen besetzte Wirtschaftsrat erheblich mehr Einfluß als der SPD-Gewerkschaftsrat mit den Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften. So hatte Gerhard Schröder mit den SPD-Managern die neoliberalen Wirtschaftsthesen ausgearbeitet, die später vom Hannoveraner Parteitag der SPD angenommen wurden und jetzt Grundlage der Regierungspolitik sind.

Die Geschichte der SPD

Die zentristische*  SPD verwandelte sich mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten der monarchistischen Regierung im August 1914 in eine Hauptstütze des Bürgertums und des Imperialismus. Ohne die SPD wäre die bürgerliche Ordnung nach dem Ersten Weltkrieg zusammengebrochen. Weitere Wendepunkte in ihrer Geschichte waren: 1933 kampflose Kapitulation vor Hitler und der Versuch, sich dem nationalsozialistischen Regime anzupassen; Verzicht auf Neugründung ihrer Klassenorganisationen nach dem Zweiten Weltkrieg; Übergang vom sozialistischen Reformismus zum Sozialliberalismus 1959; Übergang vom Sozialliberalismus zum Neoliberalismus in den Jahren 1995 bis 1999. Auch von ihrer geschichtlichen Entwicklung ist die SPD keine Arbeiterpartei, sondern eine bürgerliche Partei.

Die internationalen Beziehungen der SPD

Die SPD fördert weltweit über die halbstaatliche Friedrich-Ebert-Stiftung und die Sozialistische Internationale alle möglichen nicht-revolutionären, bürgerlichen Strömungen und Organisationen. So hob die SPD vor der portugiesischen Revolution 1974/75 in Bad Godesberg die Sozialistische Partei Portugals aus der Taufe. Heute unterstützt die Friedrich-Ebert-Stiftung auf den Philippinen die Organisation Bisig, um sie als Alternative zur starken revolutionären Linken aufzubauen. Die FES ist ein Instrument des BRD-Imperialismus.

Zusammenfassung:

Die SPD ist eine durch und durch bürgerliche Partei. In ihren Zielen vertritt sie die herrschende kapitalistische Politik des Neoliberalismus und setzt sie in der Praxis über das “Bündnis für Arbeit … und Wettbewerbsfähigkeit” um. Der sozialliberale Flügel in der SPD ist kaum existent, einen sozialistisch-reformistischen Flügel gibt es nicht mehr. Die SPD ist mit dem Staatsapparat und mit Teilen des Finanzkapitals verschmolzen, sie wird überwiegend vom Staat finanziert und übt darüber ihren politischen Einfluß aus. Mitgliedsstruktur, Parteiapparat und Parteiführung spiegeln diese Entwicklung wieder.

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