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Ökologie

Die Sicht des Kapitals auf COP 21

Von Daniel Tanuro | 14.01.2016

Nach den Vorstellungen des Kapitals ist Klimaneutralität durchaus zu erreichen, aber nur mittels eines sozialen und ökologischen Desasters. Diejenigen, die sich so sehr über das Klimaabkommen freuen, heben vor allem die Tatsache hervor, dass der angenommene Text als Ziel festlegt, „in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen den anthropogenen (vom Menschen erzeugten) Treibhausgasemissionen und den Absorptionen zu erreichen.“ So steht es in der Tat im Text. Aber…

Nach den Vorstellungen des Kapitals ist Klimaneutralität durchaus zu erreichen, aber nur mittels eines sozialen und ökologischen Desasters.

Diejenigen, die sich so sehr über das Klimaabkommen freuen, heben vor allem die Tatsache hervor, dass der angenommene Text als Ziel festlegt, „in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen den anthropogenen (vom Menschen erzeugten) Treibhausgasemissionen und den Absorptionen zu erreichen.“ So steht es in der Tat im Text. ABER: Um die Wirksamkeit dieser Verpflichtung einschätzen zu können und um zu wissen, ob sie wirklich den gewaltigen Erfordernissen entspricht, müssen folgende Fakten berücksichtigt werden:

  • Im Text wird kein Zeitpunkt genannt, an dem der Spitzenwert des Ausstoßes an klimaschädlichen Gasen überschritten sein soll.
  • Der Text nennt auch keinen genauen Zeitpunkt, zu dem das Gleichgewicht Emissionen/Absorptionen („in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts“) erreicht sein soll; das könnte also 2099 sein.
  • Aus den beiden erstgenannten Punkten ergibt sich die logische Folge: In dem Text gibt es auch keine Zielvorgabe für die jährliche Reduzierung der Emissionen.
  • In dem Text gibt es kein Wort zum Ausstieg aus dem Verbrennen fossiler Energieträger, genauso wenig wie zur Notwendigkeit des Ausbaus erneuerbarer Energiequellen (auch nicht zum Energiesystem überhaupt!).
  • Auch zur Dekarbonisierung herrscht in dem Abkommen nur Fehlanzeige.


Welche Schlussfolgerungen?

Mit dem Abkommen werden der Nutzung fossiler Brennstoffe keine Grenzen gesetzt, auch nicht der Verwertung von Ölschiefer, Schweröl usw. Und für eine unbestimmte Zeit (dabei ist nicht ausgeschlossen, dass dies auch nach 2100 noch der Fall sein wird) sollen wir uns damit abfinden, dass die so entstehenden Emissionen Teil des von Menschen verursachten Emissions-„Pakets“ sein werden, das bis 2100 durch Absorptionen auszugleichen ist.

Gewisse NGO (Greenpeace, Avaaz) kommen zu dem Schluss, dass COP 21 „mit den fossilen Brennstoffen Schluss gemacht hat“. So leid es mit tut: Das sind nichts als Wunschträume!

Die Konzerne im Sektor fossiler Brennstoffe haben wahrlich nicht die Absicht, Harakiri zu begehen. Würde ihnen das Abkommen nicht passen, würden sie laut schreien, man wolle sie ruinieren. Genau das aber ist nicht der Fall.

Ein Abkommen im Dienste der extraktivistischen Industrien

In Wirklichkeit entspricht das Abkommen genau dem, was 14 extraktivistische Konzerne wünschten. Sie hatten es im Oktober, als der Vertragsentwurf bekannt wurde, klar zum Ausdruck gebracht1

  • Ein Abkommen, das auf INDCs2 basiert.
  • Alle Länder (zumindest alle großen Verursacherländer) sollen unterzeichnen.
  • Ein langfristig angelegtes Abkommen ohne bezifferte kurz- und mittelfristige Reduktionsziele, aber mit periodischen Überprüfungen dieser Ziele;
  • Zustimmung zum internationalen Handel mit Emissionsrechten;
  • Keine Vorgaben für den Schiffs- und den Luftverkehr (Globalisierung verpflichtet)

Warum bleiben diese Konzerne heute so ruhig? Erstens, weil das Abkommen ganz nach ihrem Geschmack ist. Zweitens, weil dieses Abkommen die Illusion fördert, dass damit die beängstigende Gefahr des Klimawandels gebannt wird. Das passt ihnen toll in den Kram, denn es lenkt von ihrer eigenen Verantwortung ab und schwächt die Mobilisierungen gegen ihre Projekte.

Was planen die Konzerne?

Was bedeutet in diesem Zusammenhang das Vorhaben, „in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen den von Menschen verursachten Emissionen an Treibhausgasen und ihren Absorptionen herzustellen“? Zu meinen, dass damit das Ende des Einsatzes fossiler Brennstoffe eingeleitet wird, ist – wie wir gesehen haben – eine Illusion. Was nun? Wie wollen die Mächtigen dieser Welt die in dem Abkommen dargelegte „Klimaneutralität“ erreichen?

Beim gegenwärtigen Kenntnisstand gibt es lediglich drei technische Antworten auf diese Frage:

  • Schaffung von „Kohlenstoffsenken“ über die Ausdehnung der Waldflächen oder aber auch über industriell betriebene Anpflanzungen von Bäumen, die alles sein werden, nur keine Wälder. Gegebenenfalls sollen genetisch veränderte Bäume genutzt werden, die besonders schnell wachsen, um damit die Wirksamkeit der Senken zu vergrößern.
  • Abscheidung von CO2 in den großen Verbrennungsanlagen und dann Lagerung in geologisch tief liegenden Schichten (CCS-Verfahren)
  • Abscheidung von CO2, das bei der Verbrennung von Biomasse entsteht und Einlagerung ebenfalls in tief liegenden Schichten  (BECS-Verfahren); dieses Verfahren unterscheidet sich von dem vorgenannten, weil es angeblich in der Lage ist, CO2 der Atmosphäre zu entnehmen, mit anderen Worten also „negative Emissionen“ zu erzeugen.

Es ist sehr wohl möglich, dass diejenigen, die das Pariser Abkommen verfasst haben, sich einen Dreck darum scheren, ob in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen den anthropogenen Emissionen und den Absorptionen wirklich erreicht wird.

Aber wenn es wirklich das Ziel ist, dieses Gleichgewicht herzustellen, ohne gleichzeitig auch nur den geringsten Schritt in Richtung Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger zu organisieren, dann kann dieses Ziel theoretisch nur mit dem Ausbau der oben genannten drei Technologien erreicht werden … verbunden mit dem Ausbau der Kernenergie, großer Wasserkraftwerke, Biomasseanlagen und großer Industrieparks erneuerbarer Energien. Und das alles, ohne die Struktur der kapitalistischen Energiestruktur zu ändern (die sehr zentralisiert, verschwenderisch und ineffizient ist). Mit anderen Worten: Indem die Profite gerade der großen Konzerne gesichert bleiben, die für die Klimakatastrophe verantwortlich sind.

Ein stillschweigend enthaltenes Projekt

Dieses Szenario ist kein Hirngespinst; es ist das der Internationalen Energieagentur. Unausgesprochen liegt es (bzw. eine seiner Varianten) dem Pariser Abkommen zugrunde. Implizit sind die verschiedenen Techniken der „Kompensation“ und der „Absonderung“ der Emissionen der Kern des Projekts. Dazu werden neue Mechanismen des Emissionshandels eingerichtet, um es in Gang zu setzen.< br />
In dem Text geht es auch um die Schaffung eines „Mechanismus nachhaltiger Entwicklung“. Damit soll der „Mechanismus eigenständiger Entwicklung“ verstärkt werden, wie er im Kyotoprotokoll steht (was nur schreckliche Erinnerungen weckt), um damit alle Möglichkeiten der Emissionskompensationen maximal auszudehnen. Dies soll vor allem China, Indien und anderen Schwellenländern von Nutzen sein … auf dem Rücken ärmerer Staaten sowie der Ökosysteme.

Elektroautos?
Überall (dpa, Spiegel, usw.) liest man, dass Merkel und Hendriks nach dem Klimagipfel von Paris als „Sofortmaßnahme“ eine massive Förderung von Elektrogeräten wie Nachtspeicher-Heizungen und Elektroautos planen. Offenbar glaubt die promovierte Physikerin Merkel, dass der dazu verbrauchte Strom aus der Steckdose kommt. Jedenfalls steht in den Presseartikeln nicht dabei, dass zum Aufladen der Batterien der Elektroautos viel mehr Energie verbracht wird, als wenn die Autos mit Benzin fahren. Nachtspeicherheizungen waren bisher  tabu.

Mit dem neuen Vorstoß wird jetzt u. a. der Eindruck erweckt, dass Elektroautos null Emissionen haben und wie ein Perpetuum mobile funktionieren.

Diese Stromverbraucher vermehrt einzuführen ist das Gegenteil von Energieeinsparung. Dieser Blödsinn muss als Systemversagen angeprangert werden. Die Leute, die das lesen und glauben, Dr. Merkels Elektroautos  helfen gegen Klimawandel, haben in Klasse 8 Physik nicht aufgepasst. Die Irreführung ist aber offensichtlich beabsichtigt, um zu suggerieren, die Regierung sei in Sachen Klimawandel handlungsfähig – von den Zusatzgeschäften einiger Konzerne ganz zu schweigen.

H.-U. Hill

Sicherlich haben bei den Herrschenden die Leugner des Klimawandels die Schlacht verloren, auch wenn sie noch nicht völlig aufgegeben haben. Was ist also zu tun? Vom kapitalistischen Standpunkt aus gesehen ist das hier oben umrissene Szenario wahrscheinlich die einzig vorstellbare Strategie, um zu versuchen, die absolute, unsagbare, apokalyptische Katastrophe zu verhindern: Sie besteht in einer Erderwärmung um 6° C bis zum Ende des Jahrhunderts – und einer noch größeren Erwärmung im nächsten Jahrhundert (worauf wir mit den gegenwärtigen Emissionen zusteuern!).

Weltweit stillhalten oder kämpfen

Von einem ökologischen und sozialen Standpunkt aus betrachtet habe ich anderer Stelle dargelegt , dass es extrem unwahrscheinlich, um nicht zu sagen absolut unmöglich ist, dass es mit diesem Szenario möglich ist, die 1,5°- oder 2°-Grenze einzuhalten. Es zeichnet sich vielmehr die Gefahr ab, dass es zu einer Erwärmung um etwa 3° kommt bzw. noch mehr (und noch viel mehr, wenn die geologisch eingeschlossenen CO2-Reservoire plötzlich freigesetzt werden). Diese Situation ist für das Kapital beherrschbar, aber zum Preis von mehreren Hundert Millionen Versehrter und Toter.

All dies verbunden mit einer unermesslichen Umweltkatastrophe. Nur als Beispiel: Nach einer Studie der Stanford Universität  würde es die BECS-Technologie ermöglichen, bis 2050 10 Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre zu holen. Wie viel Millionen Hektar Nutzwald müssten angepflanzt werden, wie viel Millionen Hektar genmanipulierter Eukalyptusbäume müssten gepflanzt werden, um so etwas umzusetzen? Die großen NGO, die dieses Abkommen so sehr begrüßen, sollten lieber zweimal nachdenken, bevor sie sich zu Komplizen eines weltweiten Stillhaltens und der Untätigkeit machen.

Weniger denn je kann es um Lobbyarbeit gehen. Unter 1,5° C Erderwärmung zu bleiben, ist nur über Kampf und Mobilisierung möglich. Für unsere Kinder und unsere Erde, für die Natur, deren Teil wir sind, muss die Macht der profit- und wachstumshungrigen kapitalistischen Unternehmen gebrochen werden.

Ökosozialismus oder Barbarei!

14. Dezember 2015
Übersetzung. Jakob Schäfer

Fußnoten
1 http://www.climatechangenews.com/2015/10/14/bp-shell-rio-tinto-offer-support-to-paris-climate-deal/
2 Die Intended Nationally Determined Contributions (INDCs) sind die „angestrebten nationalen Beiträge“. Anm. d. Übers.

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