TEILEN
Praktische Aktionseinheit und solidarische Kritik - Die Haltung des RSB zur Linkspartei

Die Haltung des RSB zur Linkspartei: Praktische Aktionseinheit und solidarische Kritik

Von Daniel Berger | 17.10.2005

Das faktische Zusammengehen von PDS und WASG wie auch der Einzug der Linkspartei.PDS in den Bundestag haben ohne jeden Zweifel die parteipolitische Landschaft in der BRD grundlegend verändert. Auch über die Wahlebene hinaus ist durch diesen Prozess etwas in Bewegung gekommen.

Vor allem die Diskussionen über Hartz IV und über die Reformen, die alle etablierten Parteien für so unabdingbar halten, sind erneut aufgebrochen. Bedeutend mehr Menschen als nur die radikale Linke oder nur die von Hartz IV Betroffenen lehnen die Reformpolitik überhaupt ab. Viele davon haben keine klare Vorstellung anderer „Lösungen“. Aber erstmals seit vielen Jahren wird auch von einem nennenswerten Teil der Bevölkerung über Alternativen zum Neoliberalismus nachgedacht.

Dieser Prozess der Bewusstwerdung findet in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen statt. Er erfasst auch Menschen, die bisher wenig politisch interessiert waren. Für uns als revolutionäre SozialistInnen ist es in jedem Fall erfreulich, wenn im Rahmen dieser neu aufbrechenden Diskussionen, der Informationen und Argumente, die von der Linkspartei jetzt massiver verbreitet werden können, linkes Gedankengut in breiteren Kreisen bekannt wird.

Aufgrund der gemeinsamen Ziele – zumindest auf der Ebene der Ablehnung neoliberaler Politik – halten wir die Diskussion mit den Mitgliedern der Linkspartei für sinnvoll und an vielen Stellen auch für fruchtbar. Im Vordergrund steht für uns dabei allerdings das Bestreben, in gemeinsame Aktionen zu treten. Dort wird sich letztlich erweisen, wo wir gemeinsam wirken können und wo nicht.

Auf der anderen Seite sehen wir auch, wie mit der Verbreitung der Positionen der Linkspartei so manche Illusion in die Vereinbarkeit von Arbeiterinteressen und der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems einhergeht. Gerade die Vorstellung, über die Parlamente Grundlegendes verändern zu können, erscheint uns im Lichte der Geschichte und aller Erfahrungen der ArbeiterInnenbewegung als Irrglaube. Er kann über kurz oder lang zu viel Frust, Enttäuschung und Abwendung von jeglicher politischer Betätigung führen.

Mit der Linkspartei.PDS die praktische Zusammenarbeit in der außerparlamentarischen Bewegung zu suchen und sich gleichzeitig solidarisch-kritisch mit ihren Positionen auseinanderzusetzen, erscheint uns als ein Gebot der Stunde. Dabei haben wir vor allem folgende Fragestellungen im Auge, die wir für die mögliche Einflussnahme auf die tatsächlichen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse als zentral ansehen:

1. Wie stehen kritische Kolleginnen in Betrieb und Verwaltung zur Linkspartei?

Ohne Veränderungen im Bewusstsein, in der Kampfkraft und Entschlossenheit der potentiell Streikfähigen sind keine größeren Angriffe von Kabinett und Kapital abzuwehren, geschweige denn eine grundlegende Veränderung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu erreichen. Die zukünftige politische Diskussion in den Werkstätten und Büros erfolgt vor dem Hintergrund, dass nur in recht beschränkten Kreisen der ArbeiterInnenklasse Klassenbewusstsein existiert, auf jeden Fall in keinem nennenswerten Maße ein sozialistisches.

Klassenbewusstsein ist aber die Voraussetzung, um die Manöver der verschiedenen Fraktionen der Herrschenden durchschauen und einordnen zu können. Wer konsequent vor Jahrzehnten erkämpfte soziale Errungenschaften verteidigen und Gegenkonzepte zu den Plänen von Kabinett und Kapital entwickeln will, muss auch eine klare Vorstellung von einer gesellschaftlichen Alternative haben. Diese Feststellung verweist sofort auf die begrenzte Bedeutung des Einzugs in den Bundestag.

Aber wir wollen auch das Neue nicht übersehen: Im Gegensatz zum Entstehen der Grünen definiert sich die neue Formation als eine links stehende Partei. Ihr Klassencharakter wird zwar vom geschriebenen Programm her und über so manche Stellungnahme ihrer Parteiführer in Frage gestellt, aber die dem Neoliberalismus gegenüber kritischen KollegInnen im Betrieb betrachten die Linkspartei.PDS als eine Partei an der Seite der „Arbeitenden“ und der Armen.

Entscheidend nun ist: Die überwältigende Mehrheit dieser WählerInnen und erst recht der KollegInnen insgesamt sehen die Linkspartei in erster Linie als einen Teil der „Volksvertretung“, d. h. als eine Partei, die mensch wählen kann „und damit hat es sich.“ Sie kann, darf oder soll (je nach Einstellung dieser KollegInnen) im Parlament wirken, die Stimme für die Armen erheben, Opposition betreiben, die neoliberale Politik anprangern usw. Aber als eine Partei, die schwerpunktmäßig den Widerstand im Betrieb und auf der Straße stärken und organisieren hilft, wird sie von den allerwenigsten KollegInnen begriffen.

Dass es nur wenige ArbeiterInnen und Angestellte gibt, die sich – wenn sie nicht sowieso schon SozialistInnen bzw. radikale Linke sind – heute in der Linkspartei.PDS selbst organisieren wollen, sollte niemand verwundern. Dafür ist die neue Formation auch erst seit kurzer Zeit in das Blickfeld gerückt. Aber in welcher Form wird diese Partei wahrgenommen? Worin sehen die KollegInnen die Existenzberechtigung und den Zweck dieser Partei? Hier ist die Antwort leider mehr als sonnenklar. Sie wird als eine im Wesentlichen auf Parlamentsarbeit ausgerichtete Partei verstanden. Eine Partei, die sich „bei einer geänderten SPD“ auch der Verantwortung, sprich der Regierungsbeteiligung, nicht entziehen will, hat zwangsläufig andere Sorgen als eine Partei, die genau das ablehnt. Wohin die Beteiligung an einer bürgerlichen Regierung führt, sehen wir ja in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern.

Die zu erwartenden Wahlerfolge werden erst recht den Schwerpunkt der „Existenzberechtigung“ und die tatsächlichen Aktivitäten und Ressourcen auf die Parlamentsarbeit festlegen. Sicher wird die Partei weiterhin „gute Beziehungen“ zur außerparlamentarischen Bewegung suchen und deren Unterstützung anstreben. Aber das Auseinanderklaffen von konsequenter gewerkschaftlicher Politik und der Politik des „rot-roten Senats“ in Berlin hat schon deutlich werden lassen, in welche Richtung die Linkspartei.PDS im Zweifelsfall ihre Entscheidungen fällt: in Richtung Fortführung der Regierungsbeteiligung.

Die Linkspartei wird im Rahmen dieser Gesamtorientierung und erst recht nach den zu erwartenden weiteren Wahlerfolgen (in allen Landtagen und tausenden von Kommunalparlamenten) eine Partei vor allem und ganz besonders von Menschen werden, die entweder gerne selbst „Abgeordnete“ sein möchten oder sich zumindest als notwendige ZuarbeiterInnen der Abgeordneten sehen.

Zu einer „Kampfpartei“ im Betrieb und auf der Straße, die dem Klassenkampf von oben den Klassenkampf von unten entgegensetzt, kann die Partei von Gysi-Lafontaine-Bischoff-Ernst so ganz bestimmt nicht werden. Hinzu kommt, dass nicht unbedeutende Kräfte der Neu-Mitglieder und SpitzenkandidatInnen über Jahrzehnte in der SPD und im ganz normalen bürgerlichen Wahlkampf- und Parlamentsbetrieb groß geworden sind. Ohne einen massiven Ausbruch von Arbeitskämpfen werden sich solche Kräfte ganz bestimmt nicht umorientieren. Da können sich die paar hundert Linksradikalen, die in die WASG eingetreten waren, noch so abmühen. Ihre Worte haben gegenüber diesen Traditionen und Realitäten einfach kein Gewicht.

2. Warum hoffen viele linke ha
uptamtliche GewerkschafterInnen auf die Linkspartei?

Für eine ganze Reihe von hauptamtlichen GewerkschaftsfunktionärInnen – zumindest soweit sie gewerkschaftliche Gegenmachtpositionen unterstützen – sieht die Lage etwas anders aus. Vielen von ihnen war es in den letzten Jahren mit der zunehmenden Rechtsentwicklung der Gewerkschaftsführungen sehr unwohl geworden. Zu einem organisierten Kampf für eine andere Linie konnten sie sich nicht entschließen. Im Aufbau und in der massiven Unterstützung der Linkspartei.PDS sehen sie eine doppelte Chance:

  • Zum einen kann die immer noch relativ enge Bindung der Gewerkschaftsapparate an die SPD aufgebrochen werden oder zumindest die politische Neutralität der Gewerkschaften gegenüber der SPD durchgesetzt werden. Damit entsteht die Möglichkeit, dass tatsächlich verschiedene parteipolitische Richtungen innerhalb der Gewerkschaft auch offen und ohne Sanktionsgefahr auftreten können.

  • Zum anderen hoffen viele linke gewerkschaftliche Hauptamtliche, dass eine starke Linkspartei “im politischen Raum”, d.h. im Parlament, das abbiegen kann, was die Gewerkschaften nicht verhindern konnten.


Aus diesen Gründen sind GewerkschaftsfunktionärInnen (zumindest was den WASG-Bestandteil angeht) überdurchschnittlich stark in der Linkspartei vertreten. Auch hierbei mischt sich Positives mit Negativem, denn die Gefahr besteht, dass KollegInnen, die in bestimmten Fällen für den Aufbau einer klassenkämpferischen Linken in den Gewerkschaften zu gewinnen wären, ihre Kraft in den Aufbau einer ganz und gar parlamentaristischen Partei stecken. Sicherlich sind diese KollegInnen nicht für eine Politik aktiver Gegenwehr verloren, aber sie fehlen erst einmal im organisierten Kampf um eine Veränderung der Gewerkschaften.

3. Ehemalige SPD-Mitglieder und Noch-PDS-Mitglieder in der Linkspartei

Hier muss grundlegend zwischen Alt- und Neumitgliedern unterschieden werden, weil große Teile der Altmitgliedschaft sich anders als die Neumitglieder positionieren.
Für den größten Teil der Neumitglieder aus der SPD gilt, dass sie SozialdemokratInnen geblieben sind. Es soll aber nicht übersehen werden, dass sie zum ersten Mal seit ihrer Juso-Phase wieder hautnah mit sozialistischen Positionen konfrontiert werden. Manche dieser Neumitglieder gehen nach links. Für einige öffnen sich neue Horizonte, aber leider bleibt dies auf der allgemeinsten Ebene des (bürgerlichen) Sozialismusbegriffs stehen. Denn: Anknüpfungspunkt ist nicht der Klassenkampf, die Eigenaktivität der ArbeiterInnenklasse oder die System sprengende Dynamik konsequenter Interessenpolitik.

Ein Großteil des Apparats der PDS, also des bestimmenden Teils der Linkspartei.PDS, passt sich den sozialdemokratischen Vorstellungen der WASG-MacherInnen an und bemüht sich noch intensiver als vorher, einen „Politikwechsel“ über eine Regierungsbeteiligung zu erreichen. Leider ist bereits schon nach wenigen Monaten des faktischen Zusammengehens von WASG und PDS zu beobachten, dass sich die PDS an die sozialdemokratischen Politikvorstellungen der 70er Jahre anpasst.

4. Finden RevolutionärInnen einen Platz in der Linkspartei?

Sicherlich können in der Linkspartei in begrenztem Maße linkssozialistische und sogar revolutionäre Elemente wirken. Sie mögen hier oder da einige Menschen mit „neuen“ Vorstellungen vertraut machen. Aber ihre Argumente werden – angesichts der Kräfteverhältnisse und der Besetzung der Machtpositionen in der Partei – kaum auf fruchtbaren Boden fallen.
Zur Taktik des Entrismus, des Eintritts von RevolutionärInnen in eine reformistische Formation, haben wir eine sehr kritische Haltung (siehe dazu den Kasten in dem Artikel „Was wir uns von der Linkspartei erwarten und was nicht“). Letztlich hat das Aufgehen so mancher linksradikaler Gruppen in den Grünen nicht gerade zur Stärkung systemkritischer Positionen oder zum Aufbau einer radikalen, sozialistischen Kraft beigetragen.
Wir werden diese Entwicklung in und um die Linkspartei verfolgen und, wo dies möglich ist, auch die politische Auseinandersetzung suchen. Voraussetzung für eine solidarische Kritik ist für uns die praktische Zusammenarbeit bei den nächsten Schritten im Kampf gegen die neoliberale Offensive des Kapitals und seiner Regierung.

Heute – wenige Wochen nach der Bundestagswahl – legen wir dazu eine erste Textsammlung vor, die für Interessierte eine Grundlage für intensivere Diskussionen sein könnte und sein sollte.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite