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Länder

Der alte Mann und die Mär vom amerikanischen Traum

Von Maximilian Sarra | 14.06.2016

Der Prospect Park in New York ist richtig voll. Über 28 000 wird das Sanders-Team später sagen. Sie sind hier, um Bernie Sanders zu hören, den grauhaarigen 74-Jährigen und Shootingstar der US-amerikanischen Linken.

Der Prospect Park in New York ist richtig voll. Über 28 000 wird das Sanders-Team später sagen. Sie sind hier, um Bernie Sanders zu hören, den grauhaarigen 74-Jährigen und Shootingstar der US-amerikanischen Linken.

Viele halten blaue Banner in die Höhe, auf denen man den Slogan der Sanders-Kampagne lesen kann „A future to believe in“ – „Eine Zukunft, an die man glauben kann“. Als Bernie Sanders dann auf die Bühne kommt, schallt es laut durch den Park: „Bernie! Bernie!“ Für den Senator ist das hier so etwas wie ein Heimspiel. Auch wenn er viele Jahre in Vermont gelebt hat, sein New Yorker Dialekt ist ihm auch nach 55 Jahren geblieben. Der Sohn polnischer Immigranten ist in Brooklyn aufgewachsen. Er lebte damals mit seinen Eltern und seinem Bruder in einer einfachen Mietskaserne, wie es bis heute noch so viele dort gibt.

In den letzten Monaten ist der Senator aus dem kleinen Staat in New England zu einem ernsthaften Herausforderer für Hillary Clinton geworden. Wer in den USA ab und zu linksliberales Talkradio hört oder einen der linken Spartenkanäle auf den hinteren Programmplätzen einschaltet, der dürfte schon vorher mal irgendwann von Bernie Sanders gehört haben. Die meisten Amerikaner­Innen kennen ihn aber erst durch die „Primaries“. Bei denen bestimmt die Demokratische Partei den Kandidaten, der bei den Präsidentschaftswahlen im November antritt.

Der Erfolg von Sanders

In Vermont ist Sanders bekannter. Der Berufspolitiker wurde in den 1980ern zum Bürgermeister einer Kleinstadt gewählt. Er setzte sich damals gegen den Amtsinhaber der Demokraten durch. Inzwischen hat er sich aber längst mit der Partei von Präsident Obama arrangiert, saß lange Zeit im Repräsentantenhaus, bevor er in den Senat gewählt wurde. Zwar immer als Parteiloser, aber ohne Gegenkandidaten aus der Demokratischen Partei. Mitglied ist er dort erst letztes Jahr geworden, seit er Präsident werden will.

Der Erfolg von Bernie Sanders hängt eng mit dem amerikanischen Traum zusammen. Denn der bröckelt spürbar. Die Mittelschicht wird kleiner und immer mehr Amerikaner rutschen in die Armut ab. Gleichzeitig wächst auch die Oberschicht leicht. Die Menschen im Prospect Park stört das. Denn gerade New York ist exemplarisch für die wachsende soziale Ungleichheit im ganzen Land. Eine aktuelle Studie des renommierten Pew-Forschungszentrums zählt nur die Hälfte der New Yorker überhaupt noch zur Mittelschicht. Auch unter Obama ist der Lebensstandard der Amerikaner immer tiefer gesunken.

Diese Entwicklung erklärt den Erfolg von Bernie Sanders. Soziale Gerechtigkeit ist nämlich das Kernthema seines Wahlkampfes. Typisch, er sei nun mal ein Ein-Themen-Kandidat, das meint zumindest Hillary Clinton, weil er etwa immer wieder einen höheren Mindestlohn fordert. Den Leuten im Prospect Park scheint das zu gefallen. Heute liegt der Mindestlohn in den USA bei 7,25 Dollar pro Stunde. Das ist, die Inflation eingerechnet, niedriger als vor rund 50 Jahren.

Im ganzen Land haben sich Bündnisse gebildet, die einen Mindestlohn von 15 Dollar fordern. Das sei das Existenzminimum, heißt es dazu etwa von den Fastfood-Beschäftigten, die sich für mehr Lohn einsetzen. Sie gehen dafür auch immer wieder auf die Straße. Bernie Sanders hat ihnen auf nationaler Ebene eine Stimme gegeben. Vor seinem Auftritt im New Yorker Prospect Park war der Senator selbst noch bei einer Demonstration für einen höheren Mindestlohn. Er sei stolz auf die Streikenden. „Wenn du 40 Stunden pro Woche arbeitest, solltest du nicht in Armut leben!“ Solche Sätze sind in der amerikanischen Politik immer noch was Besonderes.

Sozialist Sanders?

Zu einem Sozialisten wird er dadurch aber nicht. Eher zu einem linkeren Sozialdemokraten. Den Wahlkampf von Bernie Sanders haben die radikaleren Linken im ganzen Land trotzdem aufmerksam verfolgt. Manche, wie der Her­ausgeber des marxistischen Jacobin-Magazins, unterstützen den Senator mit Vorbehalten. Andere verlangen, dass er sich vom Parteiestablishment löst.

Dazu gehört Kshama Sawant. Die lebhafte Frau sitzt im Stadtrat von Seattle, 6 Flugzeugstunden von New York entfernt. Bei ihrer letzten Wahl holte sie über 50 Prozent. Damit hat sie es gleich im ersten Anlauf gegen die anderen Kandidat­Innen geschafft, die von den zwei großen Parteien unterstützt wurden. Und das, obwohl sie Kommunistin ist und auch ihre antikapitalistische Haltung nicht verschweigt.

Im Interview mit der linksliberalen Huffington Post fordert ­Kshama Sawant etwa eine komplett andere Gesellschaft, „in der die Ressourcen auf der Welt nicht länger von einer gierigen, undemokratischen Oligarchie kontrolliert werden“. Bernie Sanders hingegen nennt die sozialdemokratisch geprägten skandinavischen Länder als positives „sozialistisches“ Beispiel. Kshama Sawant freut sich trotzdem über seinen Erfolg. Denn dass sich plötzlich so viele Menschen für den Begriff „Sozialismus“ interessieren und das Netz fleißig nach entsprechenden Wikipedia-Artikeln durchsuchen, das ist neu in den Staaten.

Die Aktivistin findet dagegen nicht gut, wie sich die Führungsebene der Demokratischen Partei verhält. Die sei nicht an einem wirklichen Politikwechsel inter­essiert. Die mächtigsten Demokraten, Inhaber von wichtigen politischen Ämtern, wollten mit Clinton lieber eine Kandidatin, die die Interessen der Großkonzerne und der Wall Street vertrete.

Im Internet hat Sawant deshalb eine Petition gestartet. Bernie Sanders soll sich von den Demokraten lösen. Und er solle, egal wie die Vorwahlen gegen Clinton ausgehen, weiter antreten. Entweder zusammen mit der Grünen Partei oder als Unabhängiger. Man dürfe die Anti-Establishment-Rhetorik nicht den Rechten überlassen. Denn auch bei den Republikanern wirbt ein Kandidat damit, dass er mit dem Establishment in Washington aufräumen möchte: Donald Trump. Und den halten die Linken für eine absolute Katastrophe. Mindestens genauso wie Hillary Clinton.

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