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Geschichte und Philosophie

Çatal Hüyük – Stadt der Gleichheit

Von Bernhard Brosius | 25.12.2012

Zwischen 7000 und 6000 v.u.Z. entfaltete sich in der zentralanatolischen Siedlung Çatal Hüyük eine egalitäre Gesellschaft, die sorgfältig erforscht wird. Ohne kulturelle Brüche, ohne kriegerische Konflikte und ohne innere Unruhen lebten dort 1000 Jahre lang bis zu 8000 Menschen zusammen. Damit war Çatal Hüyük die mit Abstand größte Siedlung ihrer Zeit. Zahlreiche figürliche Darstellungen und Wandbilder in jedem Haus, häufige archäologische Funde von großen Feiern, die auf den Flachdächern der Stadt stattfanden, Funde von Musikinstrumenten und der Nachweis der Pflege historischer Überlieferungen in schriftloser Zeit belegen eine blühende und beeindruckende Kultur.

Zwischen 7000 und 6000 v.u.Z. entfaltete sich in der zentralanatolischen Siedlung Çatal Hüyük eine egalitäre Gesellschaft, die sorgfältig erforscht wird. Ohne kulturelle Brüche, ohne kriegerische Konflikte und ohne innere Unruhen lebten dort 1000 Jahre lang bis zu 8000 Menschen zusammen. Damit war Çatal Hüyük die mit Abstand größte Siedlung ihrer Zeit. Zahlreiche figürliche Darstellungen und Wandbilder in jedem Haus, häufige archäologische Funde von großen Feiern, die auf den Flachdächern der Stadt stattfanden, Funde von Musikinstrumenten und der Nachweis der Pflege historischer Überlieferungen in schriftloser Zeit belegen eine blühende und beeindruckende Kultur.

Von besonderer Bedeutung für alle SozialistInnen, ja für alle Menschen, die für Freiheit und Gerechtigkeit streiten, ist, dass diese Kultur getragen wurde von einer egalitären Gesellschaft – einer Gesellschaft, in der die Gleichheit der Menschen in allen Bereichen des Lebens verwirklicht war. Und diese egalitären Verhältnisse waren nicht etwa naturwüchsig, sondern aus einer patriarchalen Klassengesellschaft entstanden, welche 7200 v.u.Z. in einer sozialen Revolution überwunden wurde.
Die Siedlung Çatal Hüyük bestand nur aus Wohnhäusern und freien Plätzen zur Deponierung von Abfall. Diese Wohnhäuser standen dicht an dicht, Wand an Wand, ohne Straßen oder andere Zwischenräume, und die Siedlung erstreckte sich in Terrassen über den Hügel. So war der Weg durch die Siedlung nur mittels Leitern über die Dächer anderer Häuser möglich, und der Zugang in die Häuser musste mit Hilfe von Leitern vom Dach aus erfolgen. Unbewohnte Sondergebäude wie Tempel oder Versammlungshallen gab es nicht, und gesellschaftliche Funktionen wie Archive und ‘Schulen’ wurden von Haushalten in normalen Wohnhäusern übernommen.

Die Abnutzungsspuren an den Skeletten der arbeitsfähigen Menschen zeigen, dass die notwendige schwere körperliche Arbeit auf alle gleich verteilt war. Die gleichen Rohstoffe und Abfälle in jedem Haus und die gleichen Arbeitsspuren an allen Skeletten beweisen überdies, dass die Ökonomie nicht auf Arbeitsteilung beruhte.
Die Aufhebung der Arbeitsteilung in Çatal Hüyük erstreckte sich aber auch auf die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern: Im Küchenbereich arbeiteten Männer und Frauen gleichermaßen, sowohl bei der Nahrungszubereitung als auch bei der Produktion von Werkzeugen. Wandbilder zeigen Männer, die sich mit Kindern befassen. Und es konnte sogar ermittelt werden, dass Männer und Frauen den gleichen Anteil ihrer Zeit innerhalb des Hauses verbrachten. Es war also nicht so, dass Frauen mehr Zeit im Haus verbrachten und die Männer draußen waren. Die Analyse der Zusammensetzung der menschlichen Knochen ergab überdies eine reichhaltige und abwechslungsreiche, gleichwertige Ernährung für alle. Nirgendwo fanden sich irgendwelche Anzeichen von Unterschieden im Wohlstand oder der Lebensweise der Menschen oder zwischen den Geschlechtern.

Diese bemerkenswerte Gleichheit der Menschen führte zu einer solidarischen Form des Zusammenlebens. Bereits bei den ersten Grabungen in den 1960er Jahren war aufgefallen, dass nicht ein einziges Skelett Gewalteinwirkung als Todesursache erkennen ließ – ein Befund, der bis heute Gültigkeit behielt. In der Kunst von Çatal Hüyük fehlen überdies Darstellungen aggressiver Akte wie Kämpfe oder Kriege. Als 2007 klar wurde, dass auch die verheilten Verletzungen nicht auf interpersonelle Gewalt, sondern auf Unfälle, meist Stürze von Leitern, zurückzuführen waren, zog der Grabungsleiter das Fazit: „Die Menschen in Çatal Hüyük lebten ein gewaltfreies Leben.” Und das Jahr 2005 brachte das Ergebnis, dass nicht ein einziger Mensch in Çatal Hüyük je verhungert war!
– Welche Schande für die Zeit, für die Gesellschaft, in der wir heute leben müssen! –

Auch auf die ökologische Situation fiel Licht. Es gibt keine Hinweise auf Entwaldung, Erosion oder den Verlust von Anbauflächen. Alle Ressourcen, die am Anfang der Besiedlung 7000 v.u.Z. genutzt wurden, waren 1000 Jahre später immer noch vorhanden. Als Ursache dieser schonenden Ressourcennutzung wird die egalitäre Gesellschaftsordnung angesehen, denn ‘die Kontrolle der Gemeinschaft über alle Ressourcen ermöglichte, frühzeitige Schädigungen oder Instabilitäten zu erkennen und so gefährdete Biotope gezielt zu schonen’.
Unter Berücksichtigung all dieser Besonderheiten verwundert es schon nicht mehr, dass die Lebenserwartung in Çatal Hüyük erstaunlich hoch war (Skelette von 60- bis 80jährigen sind keine Seltenheit) und auch der Gesundheitszustand der Menschen sich als überraschend gut herausstellte.

In den letzten fünf Jahren gelang es dem internationalen Forscherteam sogar, die politische Organisation in Çatal Hüyük ansatzweise zu enträtseln. Jedes Haus war in mehrere Netzwerke eingebunden, die sich nur in diesem einen Haus überschnitten. So gab es ein radiales Netz von Haushalten, d.h. von allen Häusern, die sich entlang einer Linie vom Mittelpunkt der Stadt bis zu ihrem Rand aneinander reihten. Weiterhin gab es einen organisatorischen Zusammenhang zwischen allen Häusern, die auf einer Kreislinie, also einer Terrassenebene, um das Hügelzentrum gelegen waren. Beide Strukturen bedingten, dass das Hügelzentrum unbebaut war. Dort fanden die ArchäologInnen eine ausgedehnte Mülldeponie. Und auch alle Häuser, die rings um eine Mülldeponie erbaut waren, verband ein besonderes Netzwerk. Denn die streng geregelte Behandlung dieses Mülls, insbesondere seine regelmäßige Desinfektion mit Asche und Kalk, war Teil der Hygiene in Çatal Hüyük und wirkte sich unmittelbar auf den Gesundheitszustand der Menschen aus. Nahezu identische Wandbilder in weit voneinander entfernten Häusern sowie Befunde, die zurzeit noch nicht veröffentlicht sind, werden interpretiert als Hinweise auf die Existenz weiterer, noch nicht verstandener Netzwerke. „So war die Gesellschaft als Ganzes … in verschiedene Zugehörigkeiten und Gruppierungen aufgeteilt, die die Entwicklung einer Zentralmacht verhinderten.”

6000 v.u.Z. verließen die Menschen ihre Siedlung und verteilten sich in fünfzehn Dörfern über die Ebene. Dort lebten sie weitere 700 Jahre, wirtschaftlich eng miteinander vernetzt, ohne Krieg, ohne Konflikte und in egalitärer Verfassung. Erst als durch eine Klimaveränderung die Ebene austrocknete, mussten sie zu nomadischen Hirten werden, deren Spur sich im Nebel der Geschichte verliert.
Eine Entwicklung wie die beschrieben
e bestätigt einmal mehr, dass nicht der technische Standard, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse über die Lebensqualität und den Gesellschaftscharakter entscheiden.
Çatal Hüyük zeigt uns nicht nur, dass es möglich ist, eine Klassengesellschaft zu überwinden, sondern auch, dass es möglich ist, danach eine Gesellschaft aufzubauen ohne Ausbeutung, Gewalt und Unterdrückung. So konnte der höchste damals erreichbare Lebensstandard verwirklicht werden, und zwar für alle.

Und was wäre uns heute möglich – auf dem heutigen Stand unserer technischen Entwicklung –, wenn wir endlich vernünftige gesellschaftliche Verhältnisse hätten…

Für weitere Informationen siehe: www.urkommunismus.de und http://www.catalhoyuk.com

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