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Kultur

Buchtipp „Das kalte Herz“

Von Paul Brandt | 21.09.2013

Buchtipp „Das kalte Herz – von der Macht des Geldes und dem Verlust der Gefühle“ von Wolfgang Schmidbauer.
Wer die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung durch eine solidarische, sozialistische und demokratische Gesellschaft ablösen will, in der die Demokratie nicht z. B. vor den Toren der Fabriken, Verwaltungen und Kaufhäuser stehen bleibt, wird täglich mit dem Fakt konfrontiert, dass die überwiegende Mehrheit der ArbeiterInnenklasse das kapitalistische System nicht in Frage stellt.

Buchtipp „Das kalte Herz – von der Macht des Geldes und dem Verlust der Gefühle“ von Wolfgang Schmidbauer.
Wer die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung durch eine solidarische, sozialistische und demokratische Gesellschaft ablösen will, in der die Demokratie nicht z. B. vor den Toren der Fabriken, Verwaltungen und Kaufhäuser stehen bleibt, wird täglich mit dem Fakt konfrontiert, dass die überwiegende Mehrheit der ArbeiterInnenklasse das kapitalistische System nicht in Frage stellt.

MarxistInnen sind Meisterinnen und Meister in der Akribie ihrer Krisenanalyse, aber in der Annäherung an eine Antwort auf die Frage, welche Wirkmechanismen im Kapitalismus so mächtig sind, dass auch und gerade die Betroffenen dieses Gesellschaftssystems so fest in ihm verankert sind, gibt es in der Regel mehr oder weniger verkürzte Erklärungen.

Zwar wird dabei manchmal auf die Integrationsfähigkeit des Kapitalismus durch seine – global sehr unterschiedliche – materielle und ideologische Versorgung bzw. Orientierung hingewiesen (Schöner Wohnen, schneller Fahren, komplexer Surfen, Sexismus und Chauvinismus) oder die zu einfache These vom >Verrat< durch die reformistischen Bürokraten aufgestellt (Verrat setzt voraus, dass es ein Bewusstsein, ein Ziel, eine Forderung gibt, welche verraten werden könnten – das ist aber leider zumindest bei der Infragestellung des bestehenden Systems seitens der Klasse eben nicht der Fall).

Was wirkt so nachhaltig, was ist es, was Menschen so in dieses Gesellschaftssystem integriert? Wolfgang Schmidbauer versucht aus psychologischer, besser psycho-analytischer Sicht, Aspekte einer Antwort zu geben. Dabei stellt er die Entwicklungsprozesse, die Sozialisation in der Erziehung und die späteren ethischen Orientierungen sowie deren Auswirkungen auf die alltäglichen Beziehungsmuster und Kontakte unter den Menschen in den Mittelpunkt.

Folgende Grundaussage durchzieht das Buch: Der Kapitalismus zerstört zunehmend die Entwicklung der Empathie – die menschliche Voraussetzung für gelebte Solidarität. Wolfgang Schmidbauers Buch liest sich eingängig und spannend, es beschreibt Entwicklungsprozesse anhand vieler Beispiele aus seiner therapeutischen Erfahrung; es liegt in der Linie von Arno Gruen: „Der Verlust des Mitgefühls“ (1997) und von Richard Sennett: „Der flexible Mensch – Die Kultur des neuen Kapitalismus“ (1998) mit einer ausgeprägt soziologischen, spannenden Sicht auf die Dinge, Menschen und ihre Verhältnisse. Allesamt empfehlenswerte Bücher zum besseren Verstehen der Gegenwart.

Das kalte Herz − von der Macht des Geldes und dem Verlust der Gefühle
Wolfgang Schmidbauer
Goldmann Taschenbuch
München, 2012
220 Seiten
8,99 Euro

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