TEILEN
Kultur

Buchbesprechung: Der Weg der Sozialdemokratisierung

Von B.B. | 01.07.2007

Das Lebenswerk der Historikerin Frau Prof. Dr. Helga Grebing ist die Aufarbeitung der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung in Deutschland, besonders die der Gewerkschaften und der SPD.

Das Lebenswerk der Historikerin Frau Prof. Dr. Helga Grebing ist die Aufarbeitung der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung in Deutschland, besonders die der Gewerkschaften und der SPD.

Das neue Buch von Frau Grebing Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung schreibt diese bis zum Jahr 2000 fort. Darin entdeckt Frau Grebing, die der SPD sehr wohlwollend gegenübersteht, im Schröder/Blair-Papier Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten „einige Wahrheiten”, „die schon längst hätten gesagt werden müssen”, wie z.B. „dass der Arbeitsmarkt einen neuen Sektor mit niedrigen Löhnen braucht, da die Arbeitslosen lieber schlechte und schlecht bezahlte Jobs haben wollen als gar keine”. Trotz Wiederkäuen neoliberaler Thesen übersieht Frau Grebing die Wende der SPD hin zu einer neoliberalen Partei Mitte der 90er Jahre unter dem damaligen Gespann Lafontaine/Schröder.
Der doppelte Verrat der SPD
Im Kapitel über „sozialdemokratische Abwehrstrategien gegen den Nationalsozialismus” behauptet die Autorin, die Sozialdemokratie habe den Nationalsozialismus „keineswegs unterschätzt und sich keine Illusionen darüber gemacht, dass er nicht die Arbeiterbewegung als ersten Schritt zur eigenen Machtkonsolidierung zerschlagen würde” (S. 99). Wie passt das damit zusammen, dass „(es) bei der SPD nur kurzfristig die Illusion (gab), im `Dritten Reich` legale Opposition treiben zu können”, die Frau Grebing „vorübergehende vorsichtige Anpassungstendenzen” nennt (S. 112)?

Die SPD beging in Bezug auf den Nationalsozialismus gleich doppelten Verrat. Erst verriet sie die Novemberrevolution 1918 im Bündnis mit dem monarchistischen Generalstab des Heeres und setzte in den Nachkriegsjahren die reaktionären Freikorps, aus denen sich nahtlos die spätere SA Hitlers rekrutierte, gegen die revolutionären ArbeiterInnen ein. Dann kapitulierte die SPD-Parteiführung 1932-33 kampflos vor Hitler und versuchte ebenso wie die sozialdemokratische Gewerkschaftsführung beim nationalsozialistischen Regime unterzukriechen, was dieses allerdings nicht zuließ.

Nicht einmal die Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 war für die Parteiführung Anlass zum Widerstand, sondern erst das Verbot der SPD am 22. Juni. Da war das Hitlerregime fast fünf Monate an der Macht. In ihrer Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Ein Überblick von 1966 hatte Frau Grebing immerhin noch von einer „opportunistischen Anpassung an das nationalsozialistische Regime” geschrieben und dafür die Beispiele des Austritts der SPD aus der Sozialistische Arbeiterinternationale am 30. März 1933 und der Zustimmung der SPD-Reichstagsfraktion zur außenpolitischen Erklärung der Nazi-Regierung angeführt. Wie sich die „vorübergehende vorsichtige Anpassungstendenz” ausdrückte, zeigt anschaulich das Zeugnis des SPD-MdR Wilhelm Högners (s. Kasten).
Ungewollte Aktualität
Von einer Veröffentlichung in der vorwärts-buch-GmbH ist nur eine beschönigende Hofgeschichtsschreibung zu erwarten. Doch enthält die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung höchst aktuelle Passagen allerdings – von der Autorin nicht beabsichtigt – nicht in Bezug auf die SPD, sondern auf die neue Partei Die Linke. Die SPD schwankte in den 50er/60er Jahren zwischen „Kooperation und Opposition” (S.139f). Während sie lange in „konstruktiver Opposition” gegen die CDU-geführte Bundesregierung stand, setzte die Sozialdemokratie auf der Ebene der Länder und Kommunen frühzeitig auf „Kooperation” mit der Christdemokratie (S. 159f). In Stadt und Land bewies sie ihre „Regierungsfähigkeit”, lange bevor sie 1966 in die Regierung der Großen Koalition eintrat. Dem Wandlungsprozess der Sozialdemokratie mit dem inhaltlichen Einschnitt des Godesberger Programms entsprach eine Organisationsreform mit der Bildung eines Präsidiums der SPD. Dabei übernahm de facto die Bundestagsfraktion die Macht in der Partei (S. 145f).

Nicht unähnlich verläuft die Entwicklung um die Die Linke. Bereits lange Zeit vor der Vereinigung bestimmte die vereinigte Bundestagsfraktion von L.PDS und WASG die Geschicke der noch nebeneinander existierenden Parteien. Die Zustandsbeschreibung Der Linken wäre mit Schwanken zwischen „Kooperation und Opposition” gut getroffen. Die Kooperation mit anderen Parteien ist in vielen Städten Ostdeutschlands gängige Praxis. In Westdeutschland wird Die Linke mit dem Einzug in Rathäuser und Landtage auch mehr und mehr zu einer „kooperativen” Partei, um mit Grebing zu sprechen. Den Weg der SPD wird Die Linke nicht kopieren, aber ihr Weg der Sozialdemokratisierung ist vorgezeichnet.

TiPP!
Helga Grebing: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Von der Revolution 1848 bis ins 21. Jahrhundert, Berlin 2007.

Die SPD und Hitlers „Friedensrede”
Der SPD-Reichstagsabgeordnete Wilhelm Hoegner über die Abstimmung am 17. Mai 1933 über Hitlers Außenpolitik:
„Jetzt kam die Abstimmung (…) Wir erhoben uns mit ihnen und stimmten der Erklärung des deutschen Reichstags zu. Da brach ein Beifallssturm der anderen Abgeordneten los. Selbst unser unversöhnlichster Gegner, Adolf Hitler, schien einen Augenblick bewegt. Er erhob sich und klatschte uns Beifall zu. Der Reichstagspräsident Göring aber stand auf und sprach großartig die Worte: `Das deutsche Volk ist immer einig, wenn es sein Schicksal gilt`. (…) Dann fingen die deutschnationalen Abgeordneten das Deutschlandlied zu singen an. Die meisten in unseren Reihen sangen mit. Manchen liefen die Tränen über die Wangen.” (Wilhelm Hoegner, Flucht vor Hitler, Frankfurt/M. 1979).

 

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite