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Kultur

Buchbesprechung: „Apologie von links“

Von Jochen Herzog | 26.12.2013

Guenther Sandleben / Jakob Schäfer, Neuer ISP Verlag, Köln, September 2013
Der Titel des Buchs bedarf wegen der zwischen Verteidigung und Selbstverteidigung schwankenden Bedeutung des Begriffs der Apologie einer Erklärung. Denn auch der Untertitel „Zur Kritik gängiger linker Krisentheorien“ hebt die Mehrdeutigkeit des Titels noch nicht auf.

Guenther Sandleben / Jakob Schäfer, Neuer ISP Verlag, Köln, September 2013

Der Titel des Buchs bedarf wegen der zwischen Verteidigung und Selbstverteidigung schwankenden Bedeutung des Begriffs der Apologie einer Erklärung. Denn auch der Untertitel „Zur Kritik gängiger linker Krisentheorien“ hebt die Mehrdeutigkeit des Titels noch nicht auf.

Ihre eigene Lesart haben die Verfasser wohl deshalb gleich am Anfang dieses 147 Seiten langen Bandes preisgegeben mit der Beantwortung der selbstgestellten Frage: „Wird der Kapitalismus wirklich verteidigt, wenn linksorientierte Autoren über die katastrophale Krise der Gegenwart berichten?“ Ihre Antwort lautet: „Ja – leider! Tatsächlich reden linke Krisentheoretiker – von wenigen Ausnahmen abgesehen – den Kapitalismus schön, wenn sie meinen, die Ursachen der Krise lägen überwiegend im Finanzsektor, nicht aber im Kernbereich der kapitalistischen Wirtschaftsweise …, wo Waren produziert und abgesetzt werden.“ (S. 7)

Nach einer ausführlichen Einleitung in die Problematik des „finanzmarktbezogenen“ bzw. sogar „finanz- marktgetriebenen“ Kapitalismus wer- den in den Kapiteln I bis IV (S. 17–90) die „gängigen linken Krisentheorien“ einzeln dargestellt und vor dem Hintergrund der marxistischen Arbeitswert-, Geld- und Krisentheorien analysiert und kritisiert:

Kap. I: Die Theorie vom „finanzmarktgetriebenen Kapitalismus“ als aktuelle Variante linkskeynesianischer Unterkonsumtionstheorie (Memorandumgruppe)
Kap. II: Geld – der vertrackte Kern des „staatsmonopolistischen Kapitalismus“: Der Beitrag von Lucas Zeise
Kap. III: Geldökonomie und Realökonomie – die Zwei-Weltentheorie von Michael Heinrich
Kap. IV: Das fiktive Kapital als treibende und zerstörende Macht: Zur Kritik der Wertkritik (Gruppe Krisis).

Mit zwei, drei Einzelbeispielen auf die inhaltliche Seite dieses Kapitelblocks einzugehen oder die unter MarxistInnen vermutlich nicht auf allgemeine Zustimmung stoßende Kritik an Lenins unkritischer Übernahme der Hilferding’schen Theorie vom Finanzkapital (in Kap. II) aus Platzgründen mal soeben kurz und unzulänglich zu streifen, würde diesem zentralen Teil des Buches nicht gerecht und muss deshalb unterbleiben, vielleicht auf eine detailliertere Besprechung an anderer Stelle (z. B. Avanti online) verschoben werden.

Es folgen auf den letzten 50 Seiten zwei Kapitel, die besondere Aufmerksamkeit verdienen.

Kap. V Exkurs: Die Macht der Banken: Eine theoretische und empirische Analyse von Bankenmacht, Bankprofiten und deren Quellen und Kap. VI: Wohin treibt die Krise?
Es empfiehlt sich sehr, gleich nach der Einleitung und vor der Kritik der reformistischen Apologeten des Kapitalismus diese Kapitel zu lesen. Hier können sich die Verfasser ganz der eigenen, systematischeren Darstellung des Finanz- und Bankenbereichs (Kap. V) bzw. der Krisentheorie und -entwicklung (Kap. VI) widmen. Dadurch sind hier einige der theoretischen Voraussetzungen für das Verständnis der ersten vier Kapitel leichter zu gewinnen.

Die einzelnen Banktätigkeiten (Commercial Banking mit dem Kreditgeschäft, Investment-Banking und der Handel mit Anleihen, Derivaten, Aktien, Rohstoffen, Devisen usw.) werden systematisch auf ihre weithin unterstellte Eignung untersucht, Macht zu gewinnen und auszuüben.
Mit vielen Fehlurteilen über die hohen Profite, die sich die Banken dank ihrer Macht angeblich sichern können, wird abgerechnet. Die Macht zur Erpressung von industriellen Kreditnehmern durch die Drohung, den verliehenen Kredit in Geldform aus dem Unternehmen zu ziehen, wenn z. B. bestimmte Gewinnvorgaben nicht eingehalten würden, wird überzeugend in den Bereich der Fiktion verwiesen. Die Argumentation wird durch aussagekräftige Tabellen und Grafiken anschaulich unterstützt.

Ein Beispiel zur Funktion des ideellen Gesamtkapitalisten (S.111, 2. Absatz):
„Als die Banken 2008 und auch später mit gigantischen Rettungsschirmen vor dem Zusammenbruch bewahrt wurden, kapitulierte der Staat keineswegs vor der Macht der Banken, wie linksorientierte Krisendeuter zu wissen glaubten, sondern er schützte den gesamten Industrie- und Handelssektor vor einem Kollaps des Kreditsystems und des darauf beruhenden Zahlungssystems. Was er tat, entsprach dem Bedürfnis des Gesamtkapitals.“ (Hervorhebungen von mir.)
Klarer und einfacher kann man die Einordnung des Finanzsektors in den gesamtkapitalistischen Zusammenhang und seine relative Machtlosigkeit gegenüber den anderen Kapitalfraktionen kaum ausdrücken.

Hiermit wird – wie auch sonst an keiner anderen Stelle des Buches – die ungeheure Bedrohung durch die Finanzkrise für die arbeitenden Menschen keineswegs kleingeredet. Die Vergesellschaftung der Banken durchzusetzen steht weiterhin ziemlich weit oben auf der revolutionären Tagesordnung. Von einem der beiden Verfasser weiß ich sicher, dass er auch bei der symbolischen Umzingelung des Bankenviertels in Frankfurt aktiv beteiligt war.

Das letzte Kapitel (VI) zeigt, wie aus der Verhinderung bzw. Abmilderung der zyklischen Bereinigungs- und Kapitalvernichtungskrisen durch Interventionen im gesamtkapitalistischen Interesse (Staatsinterventionismus, z. B. Abwrackprämie, aber auch die Interventionen der Notenbanken) die Entwertungsrisiken auf den Staat
übergehen, der ja in Form der wachsenden Staatsverschuldung seine antizyklischen Fähigkeiten immer mehr einbüßt. Die Verfasser sprechen hier von der Entwicklung einer permanenten Krise, die in Verbindung mit der jeweils nächsten zyklischen Krise (kombinierte Krise) und deren wieder nicht bereinigten Überakkumulationslasten immer näher an den Rand einer Katastrophe führt.

Die für Avanti-LeserInnen wichtige Frage: „Worauf steuert dann alles zu?“ (S. 138) Die Antwort ist die oft zitierte Formel von Rosa Luxemburg, die hier in konkretisierter Ausformulierung so lautet:
„Entweder der klassenbewusste Widerstand von unten bleibt auf dem niedrigen Niveau, wie wir ihn heute – selbst in Südeuropa – immer noch haben. Dann drohen Massenelend, barbarische Verhältnisse und gewaltige Bereinigungskrisen des Kapitals …

Oder aber es kommt zu einer Belebung des Klassenbewusstseins und des aktiven Klassenkampfes von unten. Dann gibt es eine Chance, dass dies nicht alles auf Kosten der Klasse der Lohnabhängigen abgewickelt wird. Dann könnte daraus auch der Mut zum Kampf für ein anderes Wirtschaftssystem erwachsen.“

Auf der Rückseite des Buchs heißt es: „Die Autoren setzen auf der Seite der Leserinnen und Leser weder Kenntnisse der Wirtschaftswissenschaften noch der Marx’schen Theorie, sondern lediglich die Bereitschaft voraus, aktuelle Krisentheorien zu hinterfragen.“ Der Wahrheitsgehalt dieser Einschätzung kann nur von den so umworbenen LeserInnen selbst beantwortet werden. Aber die Ermutigung, sich mit diesem anspruchsvollen und trotz der äußerst komplexen Natur des Themas in teilweise amüsanter Polemik geschriebenen Buch zu beschäftigen, soll hier nicht fehlen. Denn hier wird eine überzeugende Verteidigung marxistischer Theorie und Analysewerkzeuge gegen ideologische Selbsttäuschung in Gestalt linker bürgerlicher Wirtschaftstheorie vorgelegt – in einem ganz anderen, aber ebenso zutreffenden Sinn eine wahre Apologie von links.


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