TEILEN
Bildung, Jugend

Bildung im Sozialismus

Von Philipp Xanthos | 08.06.2010

Harte Strafen, vormilitärische Ausbildung, Staatsbürgerkunde: Das verbinden viele mit dem Bildungssystem des „real existierenden Sozialismus“. Wenn wir jedoch von Sozialismus sprechen, beziehen wir uns nicht auf diese Karikatur, sondern auf den ursprünglichen Marxschen Begriff von Sozialismus, dem „Verein freier Menschen“ (Kapital) oder der „menschlichen Gesellschaft“ (Ökonomisch-Philosophische Manuskripte).

Die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen sind in der sozialistischen Gesellschaft nicht länger entfremdet, von Sachzwängen bestimmt und hierarchisiert, sondern bewusst, an Bedürfnissen orientiert und selbstbestimmt. Dies gilt auch für das Verhältnis zwischen dem Menschen und seiner Lebenswelt im Allgemeinen. Hieraus ist leicht ersichtlich, was „Lernen“ im Sozialismus bedeutet.
Was?
Menschen hätten die Möglichkeit, ihrem Interesse, sich die Welt zu erklären, zu folgen. Sie würden das lernen, dessen sie bedürfen. Das erste Merkmal der Bildung im Kapitalismus wäre hiermit aufgehoben, das Lernen von normierten, meist uninteressanten, fremden Inhalten. Das heutige Bildungssystem zeichnet sich dadurch aus, dass junge Menschen nahezu alles, was für sie interessant ist, jenseits des offiziellen Lehrplans lernen müssen. Dies betrifft vor allem die Themen: Sexualität, Geschlechterrollen, Drogen und Psychologie.
Wie?
Für Lernprozesse stünde im Sozialismus genau die Zeit zur Verfügung, die ein Individuum für einen bestimmten Gegenstand braucht – ganz im Gegensatz zum Lernen im Kapitalismus.
Gleichzeitig wird damit die Arbeitsteilung zwischen SchülerIn und LehrerIn überflüssig. Anzunehmen ist, dass sich Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Interessen zu Projektgruppen zusammenschließen, um sich gegenseitig zu helfen; denn, dass ein isolierter Mensch bei dem Versuch, sich die Welt zu erklären, nicht sehr weit kommen dürfte, ist offensichtlich.
Womit?
Die Bevölkerung wird im Sozialismus zu entscheiden haben, welcher Anteil am gesellschaftlichen Reichtum der Bildung zugute kommt. Konkret muss geplant werden: wie viel Zeit die Menschen neben der notwendigen Arbeit für Bildung übrig haben, wie viel an Ressourcen für Bücher, Laborausstattung, Räume usw. zur Verfügung gestellt wird und welcher Teil der eingesetzten Mittel zweckgebunden ist, also für die Forschung, technische Ausbildung und Verbesserung der materiellen Produktion benötigt wird. So lange es sich daher bei der Bildung um ein relativ knappes Gut handelt, müssen die Möglichkeiten demokratisch verwaltet und verteilt werden. In einem Räte-System, in dem jedem Menschen gleiches Stimmrecht zukommt, entscheiden gewählte, rechenschaftspflichtige und jederzeit absetzbare Delegierte. Für Berufs-Beamtentum und verselbstständigte Bürokratie ist da kein Platz mehr.

Der Sozialismus ist nicht an sich die „Lösung aller Probleme“; er stellt vielmehr die Probleme erst auf eine rationale, lösbare Grundlage. Erst die Teilhabe aller Individuen an der ökonomischen Planung und der gesellschaftlichen Entwicklung – frei von sog. „Sachzwängen“ – ermöglicht wirklich selbstbestimmtes Lernen.

Dieser Text ist Teil der Sondervanti zum Bildungsstreik 2010.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite