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Die SPD - Eine bürgerliche Partei

Austritt nach 52 Jahren

Von Avanti | 01.03.2000

Interview mit dem Genossen Erich Meinike, dem früheren SPD-Bundestagsabgeordneten und SPD-Vorsitzenden von Oberhausen zu seinem Austritt aus der SPD.

Avanti: Erich, Du bist nach langen Jahren Mitgliedschaft aus der SPD ausgetreten und hast eine Erklärung gegen den Krieg [der NATO gegen Jugoslawien] veröffentlicht. Kannst Du Deine Beweggründe noch einmal kurz zusammenfassen?

E. Meinike: Ich bin ja schon seit längerem mit der politischen Entwicklung der SPD unzufrieden, aber den konkreten Anlass zum Austritt hat gegeben, dass die SPD den NATO-Luftangriffen gegen Jugoslawien zugestimmt hat und auch den Einsatz deutscher Soldaten befürwortet. Das war und ist für mich die schwerwiegendste Fehlentscheidung der SPD nach 1945 und auch die gröbste Verletzung ihres Parteiprogramms.

Avanti: Ich würde ja sagen ‘herzlichen Glückwunsch’ zum Austritt, aber der Schritt ist Dir, glaube ich, nicht leicht gefallen, nach wieviel Jahren in der SPD?

E. Meinike: Ich bin seit 1947, das ist seit 52 Jahren, Mitglied in der SPD, war Jahrzehnte lang, 20 Jahre und länger in unterschiedlichen Funktionen in der Partei. Ich habe angefangen vom Hauskassierer bis zum Unterbezirksvorsitzenden 1968 bis 1978 und schließlich auch die 13 Jahre als Mitglied im Deutschen Bundestages von 1969 bis 1983, mit viel Engagement und auch Fleiß, wenn ich das im Nachhinein sagen darf. Und wenn du 50 Jahre und noch länger in einer Partei Mitglied bist, da hast du ja viele Freundschaften geschlossen, Sympathien erfahren und auch Kritik und dann ist der Austritt eine schwere Entscheidung.

Viele fragen mich “mußte das denn sein?” wie jetzt auf dem Bundeskongreß der Falken. Das war jetzt kein Spießrutenlaufen. Aus dem offiziellen Bereich der SPD gab es bisher keine Reaktion. Ich habe auf dem Falkenkongreß gefragt, ob sich die Falken mich noch weiter leisten können, als Vorsitzenden des Trägervereins ihrer Bildungsstätte in Oer-Erkenschwick, da ich mich aus dem Kreis der SPD verabschiedet hätte. Dann habe ich aus meiner Austrittserklärung zitiert, dass die Zustimmung zu den Kriegseinsätzen der Bankrott der SPD in der Außenpolitik ist und habe dann viel Beifall bekommen.

Und die Falken haben ja dann auch selbst den sofortigen Stop der Bombardierungen gefordert.

Avanti: Du bist schon einmal aus den Falken ausgeschlossen worden, aber später wieder eingetreten?

E. Meinike: Beim Beginn der Ostermärsche 1959, 1960 gab es einen Vorstandsbeschluß der Falken, der so schizophren war: Die Teilnahme am Ostermarsch war erlaubt, aber die Unterstützung des Ostermarschs in Komitees, in Ausschüssen war unvereinbar mit der Mitgliedschaft bei den Falken. Dagegen haben sich die Oberhausener Falken gewandt, den Beschluß nicht anerkannt und dann sind wir ausgeschlossen worden. Jahre darauf haben die Falken selber ihre Position geändert und da konnte ich wieder eintreten.

Avanti: 1978 hast Du im Bundestag gemeinsam mit den Abgeordneten Lattmann, Hansen und Coppik gegen die “Anti-Terror-Gesetzgebung” der Schmidt-Regierung gestimmt. Was waren deine Gründe?

E. Meinike: 1976, 77, 78 gab es ja die Auseinandersetzungen mit der RAF. Da stand die Frage an, ob die staatlichen Mittel ausreichen, um mit diesem Problem fertig zu werden. Wir hatten ja vorher schon eine Reihe Veränderungen im Strafrecht etwa 1972 die Berufsverbote usw. Es gab stetige Verschlechterungen der Rechte des Bürgers. Dann ist das Kontaktsperregesetz Ende 1977 verabschiedet worden. Die Kontaktsperre war unter Justizminister Vogel bereits in der Praxis vollzogen worden und da gab es bereits Widerstand in der SPD-Fraktion und auch in der FDP-Fraktion. Und nach der Schleyer-Entführung ging es beim “Anti-Terror-Gesetz” erheblich zur Sache mit dem Ausschluss von Verteidigern, Trennscheiben usw. Da wurde ins Strafrecht so enorm eingegriffen, dass wir gesagt haben: Diese Eingriffe stehen in keinem Verhältnis zu den Mitteln, die man schon hat. Sie engen die einzelnen Rechte des Bürgers erheblich ein. Am Ende blieben aber nur vier Abgeordnete der SPD über, die dagegen stimmten.

Avanti: Hansen und Coppik waren dann Mitbegründer der Demokratischen Sozialisten (DS). Du bist nach der Abstimmung hier in Oberhausen aus allen Ämtern abgesägt worden?

E. Meinike: Das war später, da gab es auch noch andere Abstimmungen wie die Vermögenssteuersenkung oder bei dem Versuch, den Verteidigungshaushalt um 1 Mrd. DM zu kürzen, da waren wir 24 Abgeordnete mit Gerhard Schröder, Renate Schmitt und Ottmar Schreiner. Ich bin dann 1980 noch einmal als Bundestagskandidat hier nominiert worden, aber aus dem Vorstand des Unterbezirks Oberhausen rausgeflogen. Da war ich schon überrascht. Drei Jahre später bin ich dann endgültig geschasst worden.

Avanti: Wie würdest Du die Unterschiede sehen in der SPD zwischen den 50er/60er Jahren, den frühen 70ern und heute? Die SPD hatte bis in die 60er Jahre hinein eine Arbeiterbasis, auch viele Funktionäre waren Arbeiter. Hier veränderte sich die soziale Basis und es gab die politischen Veränderungen mit dem Godesberger Programm. Wie hat sich vor diesem Hintergrund der linke Flügel der SPD entwickelt?

E. Meinike: Ich würde die Entwicklung der SPD ab 1945 nicht als einen stetigen Niedergang, nicht als eine stetige Anpassung erklären. Im Gegenteil. Auch die 50er Jahre waren geprägt von einem unerhört starken Antikommunismus bis hinein in die Arbeiterbasis. Natürlich war die soziale Zusammensetzung damals anders als später, als die SPD in den Städten in NRW stark wurde. Im Ruhrgebiet ist die SPD ja erst in den 50er, 60er Jahre zu ihren Mehrheiten gekommen. Sie aber als kritischer oder linker zu bezeichnen, würde ich nicht so sehen. Sie war damals vor allem außerordentlich stark antikommunistisch geprägt. In den 50er Jahren gab es allerdings eine stärkere kontroverse Debatte um die Frage der Landesverteidigung, Kampf dem Atomtod. Und beim Godesberger Programm gab es am Ende ja nur 16 Gegenstimmen gegen das ganze Programm, bei dem Abschnitt Landesverteidigung aber fast 1/3 Gegenstimmen. Von einer gewissen Wiederbelebung der Linken in der SPD kann man eigentlich Ende der 60er Jahre sprechen. Ostermarschbewegung, Kampf den Notstandsgesetzen, der Vietnam-Krieg und natürlich die Studentenbewegung, die natürlich auch in die SPD Bewegung brachten. Und auch meine Wahl zum Bundestagsabgeordneten 1969 war auch ein Ergebnis der Konflikte der Studentenunruhen, von einem erheblichen Diskussionsprozeß in der SPD. In meiner Erinnerung war das die bewegendste Zeit. Damals galt ja 1/3 des SPD-Vorstands als links wie Peter von Oertzen, Jochen Steffen usw.

Avanti: Was sind die Mechanismen in der Partei, die aus Jusos mit revolutionärem Anspruch à la Schröder Kriegstreiber machen?

E. Meinike: Ich glaube die SPD ist nie richtig fertig geworden mit dem alten Vorwurf der &
ldquo;vaterlandslosen Gesellen”, dem Problem ihrer Staatsorientierung. Auch bei der Bundesregierung sind doch die ehemaligen Jusos Schröder, Scharping, Wiezoreck-Zeul in Regierungsfunktionen. Die gebärden sich ja schlimmer als alle anderen, den Beweis zu führen, dass sie staatsorientiert sind, die loyalsten Bürger der Republik sind. Sie überbieten sich fast darin, ihre Staatstreue zu dokumentieren, den Nachweis zu führen, wie wirklich vaterlandstreu sie sind. Das prägt sie auch bei der Frage Krieg und Frieden.

Es gibt jetzt die These von Arno Klönne, man könne eigentlich gar nicht in der SPD die Unterscheidung zwischen links und rechts treffen. Man müsse unterscheiden zwischen Kriegsbefürwortern und Kriegsgegnern. Ich sehe durchaus diese Unterscheidung, aber ich würde damit nicht die Frage links und rechts als überholt betrachten. Es gibt da einen Voscherau, den ich für einen klassischen rechten Sozialdemokraten halte, der nichts von Vergesellschaftung etc. wissen will, der in der Kosovo-Frage eine eindeutig ablehnende Position einnimmt. Die Diskussion über Krieg und Frieden ist sicherlich auch eine gesellschaftliche, die sich mit Ökonomie, mit Sozialismus oder mit Interessen des Kapitals nach wie vor verbindet. Ich kann den Krieg nicht loslösen von den Interessen des Kapitals.

Natürlich gibt es Auswirkungen durch die Situation seit 1989/90, nach dem Zusammenbruch der DDR, es gibt einen radikalen Bruch auch in der SPD, an Sozialismus denkt man nicht mehr, man hat ihn aufgegeben. Nimm den Kurs von Schröder, Hombach, Clement, der auf die Unternehmenssteuerreform im Jahr 2000 drängt. Von daher sehe ich keine Chance, dass sich in der SPD etwas verändert, verbessert, geschweige denn, dass man in der SPD noch eine Chance hat, Veränderungen zu erreichen. Von innen heraus wirst du in dieser SPD in absehbarer Zeit nichts bewegen, nichts verändern können. Es müßte schon außerparlamentarisch sein, da hoffen wir ja immer noch darauf, nämlich mit Druck etwas zu bewegen, auch in den Gewerkschaften, die sich ja auch zur Zeit nun wirklich nicht mehr an Grundsatzlosigkeit überbieten lassen. Da haben die Schröder, Hombach und Clement eindeutig Position bezogen und haben dafür auch eine große Mehrheit in der SPD. Da denkt keiner mehr an Sozialismus. Das ist nur noch eine Fassade im Programm. Einige wissen, wo sie hinwollen, das ist ja nicht substanzlos. Hombach ist ja nicht substanzlos. Die haben eine Konzeption. Die ist eindeutig neoliberal. Und der große Rest in der SPD ist so substanzlos und die paar Jusos sind saft- und kraftlos. Da erklärt der neue Juso-Vorsitzende Mikfeld, die BRD braucht eine neue Linke. Wo meint er denn jetzt die neue Linke bilden zu müssen? In der SPD doch wohl nicht.

Avanti: Die Strukturen der SPD, Parteiapparat, Parteibürokratie, da kommt mensch doch auch gar nicht mit Veränderungen durch?

E. Meinike: Die Hauptamtlichenstruktur ist sehr gefestigt. Der Parteiapparat in Bonn, Landes- und Bezirksverbände und dann die Sekretäre an den Orten. Das ist ein Machtfaktor. Die meisten Hauptamtlichen wollen ihren Job ja auch auf Lebenszeit ausüben. Es sei denn es gibt da eines Tages andere lukrativere Beschäftigungen in Form von Vorstandsplätzen bei Verkehrsgesellschaften, Energieunternehmen usw. Die reichen aber nicht für alle Sekretäre. Die haben eine Doppelrolle zu spielen. Sie müssen parieren nach oben und für Ordnung sorgen in dem Laden. Daneben gibt es eine Menge, die ehrenamtlich in der Partei arbeiten. Die neben diesem Ehrenamt so viele Funktionen und Ämter aufgehäuft haben, von denen aus sie Macht ausüben und an denen sie natürlich auch hängen und kleben. Sie sind meist im öffentlichen Dienst beschäftigt. Da ist die Abhängigkeit von den jeweiligen Ratsfraktionen, umgekehrt sind sie als Verwaltungsbeamte dort Zuarbeiter der Stadtverordneten. Die gesamte SPD in NRW ist vom öffentlichen Dienst geprägt. Bei den Aktiven, die den SPD-Ortsverein noch besuchen, dominiert von den Teilnehmern her die öffentliche Hand, die wiederum ihre Delegierten wählen, aus demselben Klüngel heraus. Das Oberhausener Rathaus hat ca. 600 SPD-Mitglieder, d.h. da ist jeder dritte Beschäftigte Mitglied der SPD. Sie sind z.T. passiv, aber brav, abrufbar und ihr Verhalten ist angepaßt. Einzelne Funktionäre ziehen die Strippen als Personalratsvorsitzende in Abstimmung mit den örtlichen SPD-Parteivorsitzenden. Und die Strippen, die so gezogen werden, entscheiden dann über dein berufliches Schicksal oder deine berufliche Karriere. Du bekommst hier auch nichts bewegt. Du merkst auch dann, wenn du mit diesen Leuten mal über nicht örtliche Probleme diskutieren willst, über bundespolitische Fragen, die hören gar nicht hin, die wollen gar nicht.

Avanti: Die sozialistische Linke in (West-) Deutschland muß ganz unten wieder anfangen. Hast Du ein paar Tips?

E. Meinike: Dass die Linke in einer erheblichen Schwächeposition ist, das ist richtig. Aber wir kommen ja nicht aus dem Nichts. Es sind ja Reste der sozialistischen Linken da. Versprengte Überbleibsel, auch mißratene Entwicklungen, Sprengsel. Die Frage ist: Kann man die unter einen Hut bringen oder sollte man das überhaupt? Besteht dafür überhaupt eine Notwendigkeit, sie zu sammeln? Nach meiner Meinung bekommst du die nicht unter ein organisatorisches Dach, auch nicht politisch. Da sollte es eine gewisse punktuelle Zusammenarbeit geben, ein Zusammenfinden z.B. gegen den Krieg. Oder in den Gewerkschaften möglicherweise mit einer Plattform oder so etwas ähnlichem wie die “Erfurter Erklärung” es mal war – in außerparlamentarischen Bewegungen, wobei ich es natürlich auch für notwendig halte, die parlamentarische Ebene wahrzunehmen. Da haben wir ja die PDS, die ich durchaus als sozialistische Linke bezeichnen würde. Und diese ganzen Gruppen sollten nicht vorrangig gegeneinander kämpfen, sondern punktuell zusammenarbeiten, aber sie sollen durchaus ihre Unterschiede austragen, das ist sogar wertvoller als je.

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