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Brasilien

Antwort von Articulação de Esquerda

01.01.1970

Liebe Genossinnen und Genossen der isl,

wir danken Euch sehr herzlich für Euer besonderes Interesse an und die internationale Solidarität mit den großen Fragen, vor denen unsere Partei, unsere Regierung und unser Land stehen.

Der Brief, den Ihr an die Parteileitung und an verschiedene Strömungen unserer Partei geschickt habt, wurde, was unsere Organisation Articulação de Esquerda, betrifft, in Gänze in unserer bundesweit verbreiteten Zeitung namens Página 13, Nr. 35 vom Juli 2004 veröffentlicht.

Im Grundsatz sehen wir Übereinstimmung bei den Fragen, die Ihr, Genossinnen und Genossen, in Eurem Brief aufgeworfen habt. Die Regierung Lula ist in der Tat eine Errungenschaft, die die Hoffnungen einer langen Geschichte von Kämpfen des brasilianischen Volkes zusammenfaßt. Und es stimmt auch, dass die Führungsgruppe der Partei seit der Wahlkampagne ihre zur Regierung vertretenen Positionen immer mehr zurücknimmt. Und es trifft ebenfalls zu, dass die gegenwärtige Sozialpolitik der Regierung einerseits bedeutsame und reformerische Aspekte zum Inhalt hat, aber andererseits auch tiefgehend und strukturell in die neoliberale Wirtschaftspolitik des Finanzministeriums eingebunden ist. Es handelt sich um Fragen, über die wir intensiv diskutieren. Unsere Positionsbildung findet sich in unserem Buch Novos rumos para o Governo Lula, Dokumente der Articulação de Esquerda (2000–2004) (etwa: Die Regierung Lula neu orientieren d. Übers.), erschienen in unserem Verlag Editora Página 13.

Kürzlich, im Dezember 2004, haben wir in São Bernardo do Campo, der Wiege der PT, die VII. Nationale Konferenz der Articulação de Esquerda durchgeführt.

Im Allgemeinen besteht der Inhalt der auf diesem Treffen verabschiedeten Entschliessung in einer kritischen Sicht auf das Abschneiden der PT bei den Wahl im Jahre 2004 und fordert nachdrücklich reale Veränderungen in der aktuellen Wirtschaftspolitik der Bundesregierung.

Die Entschliessung weist darauf hin, dass eine Wiederwahl von Lula im Jahr 2006 keineswegs gesichert ist und das eines der Hauptmotive für die Enttäuschung der WählerInnen von der PT, einschließlich der Mittelschichten, darin besteht, dass die Regierung sich dafür entschieden hat, “den Schichten, denen es ein wenig besser geht, etwas wegzunehmen, um es an die zu Armen zu verteilen, ohne die Reichen anzutasten”. Auf der Grundlage von Daten des Finanzministeriums prangern wir an, dass die brutale Unverhältnismäßigkeit zwischen Zinszahlungen und Investitionen auch weiterhin besteht und auf diese Weise die Hegemonie des Finanzkapital gewährleistet: “Im Jahr 2002, dem letzten Regierungsjahr von Fernando Henrique Cardoso, hat die Regierung 12,8 Mrd. Reais investiert, aber 70 Mrd. Reais an Zinszahlungen geleistet. 2003, bereits unter Lula, hat die Regierung 6,9 Mrd. Reais investiert, aber 70,7 Mrd. Reais an Zinsen gezahlt. Die Daten für 2004 sind noch unvollständig, aber die Tendenz hat sich nicht verändert: 1,7 Mrd. Reais an Investitionen, aber 50,8 Mrd. Reais an Zinsen”.

Im Wesentlichen gehen unsere Positionen davon aus, dass ein Wahlerfolg von Lula in 2006 nur durch eine Wende in der aktuellen Wirtschaftspolitik erfolgen kann, und zwar in einer Veränderungsperspektive, die der Hoffnung und der Mobilisierung der arbeitenden Bevölkerung unserer Landes wieder Auftrieb gibt, denn ein Weiter so wie bisher wird zu einer solchen Enttäuschung in der Bevölkerung führen, die von der PT nicht mehr aufgefangen werden kann und die eine schwere politische Niederlage der gesamten brasilianischen Linken nach sich ziehen wird: “Ohne eine politische Richtungsänderung würde ein Wahlsieg von Lula im Jahr 2006 nicht mehr die gleiche Bedeutung haben, wie der Sieg von 2002. Es wäre kein Sieg der Hoffnung über die Angst sein, sondern der Sieg des “Weiter so”.

Gleichermaßen setzen wir die Auseinandersetzung innerhalb der PT fort, weil wir keinerlei linke parteipolitische Alternative sehen, die imstande wäre, zu einem Kräfteverhältnis beizutragen, um die Rechte in unserem Land zu schlagen. Eine Wahlniederlage oder programmatische Niederlage der Regierung Lula zugunsten der Rechten würde in unserem Volk als eine Niederlage der gesamten brasilianischen Linken empfunden und nicht nur als Niederlage der heutigen Mehrheitsströmung in der PT. Eine Niederlage der Regierung Lula würde der Rechten neuen Spielraum verschaffen und nicht der Linken, wie es sich einige neue Parteien in Brasilien vorstellen, die im übrigen auf simplifizierende Weise die Regierung Lula mit der von Cardoso gleichsetzen.

Wir wissen, dass unsere Aufgabe schwierig ist, aber nicht unmöglich: die Fahne des Sozialismus in unserer Partei weiterhin hoch zu halten, indem wir uns im parteiinternen Kampf stets auf die gesellschaftlichen Kämpfe stützen, die sich gegen die Herrschaft des Kapitals richten.

Mit internationalistischen Grüßen

São Paulo, Brasilien, im Dezember 2004

Bundesleitung der Articulação de Esquerda
(Tendenz innerhalb der Partido dos Trabalhadores)

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