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DIE LINKE

Aktiv in den sozialen Kämpfen, von den Mitgliedern regiert!

Von Edith Bartelmus-Scholich | 06.10.2005

Erwartungen an eine vereinigte Linkspartei

Diskussionsbeitrag von Edith Bartelmus-Scholich 

Das Versagen der Sozialdemokratie politische Lösungen zu finden, die einem globalisierten Kapitalismus etwas entgegensetzen können, hat zu gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen geführt, die in ihrer Konsequenz vielen Menschen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gepflegten Illusionen über eine "Zähmung des Kapitalismus" nehmen. Die Ernüchterung über die Entwicklung der SPD, die Verschlechterung der Lebenslage für Millionen durch eine rigide Politik des Sozialabbaus der rot-grünen Bundesregierung, aber auch der geringe Widerstand gesellschaftlicher Akteure, wie Kirchen, Sozialverbände und Gewerkschaften, haben, die Notwendigkeit des Aufbaus einer politischen Formation, die solidarische Alternativen in den Mittelpunkt ihrer Programmatik stellt, deutlich gemacht. 

Aus den sozialen Protesten der Jahre 2003 und 2004 ist die WASG als Sammlungspartei der GegnerInnen der neoliberalen Agenda hervor gegangen. Dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach einer linken Opposition im Deutschen Bundestag folgend, und dem politischen Druck durch die Vorverlegung der Bundestagswahlen Rechnung tragend, haben WASG, nicht organisierte Linke und Mitglieder der PDS durch ihre gemeinsame Kandidatur auf den Listen der Linkspartei.PDS die Voraussetzungen für parlamentarische Opposition gegen den Neoliberalismus geschaffen, um nun in einen Parteineubildungsprozess einzutreten, der eine gesamtdeutsche Partei links von der SPD hervor bringen soll.

Aufzubauen ist eine starke Kraft der Linken, die anziehend wirkt auf nicht organisierte Linke und auf Menschen, die zuvor politisch nicht aktiv waren. Sie muss eng verbunden mit den arbeitenden Menschen und den sozialen Bewegungen, deren Impulse aufnehmen und diese im sozialen Potest aktiv unterstützen, denn die Basis eines erstrebten Politikwechsels ist die gesellschaftliche Bewegung dafür. Hunderttausende, ja Millionen Menschen müssen für eine neue Politik aufstehen und sich mit dieser neuen Partei eines der Instrumente dafür schaffen. Praktisch bedeutet dies, dass die Partei zur Gesellschaft hin offene Strukturen braucht, die zur Mitwirkung einladen, und dass gleichzeitig sehr viele ihrer Mitglieder in den sozialen Bewegungen mitarbeiten müssen.

Wie die sozialen Bewegungen muss die Linkspartei ihre Einheit in der Vielfalt finden. Aus dem Spannungsfeld unterschiedlicher Ansätze in einer pluralistischen Partei, der produktiven Kraft der Widersprüche, entspringt eine Vielzahl von Ideen. Dies erfordert eine Parteistruktur, die Strömungen und Arbeitsgemeinschaften vorsieht, unterschiedliche Meinungen auch nach außen sichtbar werden lässt, eine solidarische Streitkultur, die Gegensätze erträgt und nicht zuletzt ein gut verankerter Minderheitenschutz.

Die Angriffe des global agierenden Kapitals erfordern mehr als je zuvor, globale Konzepte der Gegenwehr. Dies bedeutet, dass eine zukünftige antikapitalistische Linkspartei nicht nur Mitglied in einer Internationale sein muss, sondern mehr als bisher üblich verantwortlich an Konzepten und Aktionen mitarbeiten muss, die über den nationalen Rahmen hinaus gehen. Dabei genügt es nicht, dass eine Handvoll Funktions- oder MandatsträgerInnen auf diesem Gebiet tätig wird. Vielmehr muss die internationale Zusammenarbeit von sehr vielen Mitgliedern aktiv getragen werden.

Das gesellschaftliche Bedürfnis, für diesen Parteiaufbau ist vorhanden und wurde zuerst von der WASG aufgegriffen, die eine dynamische Entwicklung aufwies, bevor Linkspartei.PDS und weitere linke Kräfte das Projekt erweiterten. Die WASG tritt entschieden für eine Abkehr vom Neoliberalismus und für eine Politik ein, die die vitalen Interessen der Mehrheit der Bevölkerung in den Mittelpunkt stellt. Dies ist unabdingbare Voraussetzung auch für eine vereinigte Linkspartei. Hier Abstriche zu machen, etwa durch die Ausgestaltung neoliberaler Politik im Rahmen von Regierungsbeteiligungen, hieße dem Projekt seine Grundlage zu entziehen. Dabei werden politischen Vorschläge gebraucht, die zum Einen radikal gegen den Sozialabbau, für mehr Demokratie und Frieden stehen, und zum Anderen an die realistischen Erwartungen der Menschen anknüpfen. 

Die Menschen, die sich für die Mitarbeit in dieser neuen Partei entscheiden, werden zu einem Teil auch aus der SPD kommen. Ihr Ausbruch aus den Organisationsstrukturen der Sozialdemokratie zeigt, dass Teile der sozialdemokratischen Basis, anders als die Führung der SPD, dem globalisierten Kapitalismus kämpferisch und interessengeleitet begegnen wollen. Durch die vertiefte Auseinandersetzung mit den Problemen und vor allem durch Teilnahme an den gesellschaftlichen Kämpfen werden bei vielen von ihnen noch gehegte Hoffnungen, den "Rheinischen Kapitalismus" restaurieren zu können, und die Krise durch eine neokeynseanistische Wirtschaftspolitik überwinden zu können, absehbar schwinden, so dass dem Ausbruch aus den Organisationsstrukturen auch ein Ausbruch aus dem Denken der Sozialdemokratie folgen wird. Die klassenkämpferische Perspektive der Partei wird sich in dem Maße entwickeln, in dem die folgenden Bedingungen in der Praxis erfüllt werden:

  • Offenheit und enge Verbundenheit mit den neuen sozialen Bewegungen, den Gewerkschaften und den arbeitenden Menschen.
  • Aktive Teilnahme an den sozialen Kämpfen statt einseitiger Parlamentsfixierung.
  • Radikale Orientierung an den vitalen Interessen der Erwerbslosen und Lohnabhängigen.
  • Entwicklung anschlussfähiger Forderungen mit systemsprengendem Potential.
  • Weiterentwicklung und Konkretisierung sozialistischer Utopien. Integration feministischer und ökologischer Gesellschaftskritiken.

Eine andere Politik, eine andere Welt, wird dann möglich, wenn die Mehrzahl der Menschen sich bewusst von den angeblichen Sachzwängen der Profitlogik befreit und ihr Schicksal gemeinsam selbstbestimmt gestaltet. In diesem Sinne muss sich die neue Partei als emanzipatorisches Projekt verstehen. Innerparteiliche Demokratie ist dabei keine Formalität, sondern setzt entweder Grenzen oder eröffnet Räume für den emanzipatorischen Prozess. Versuche, hierarchische Strukturen und Methoden der Vergangenheit in einem neuen Projekt der vereinigten Linken unkritisch zu reproduzieren, laufen diesem Ziel zuwider. Die emanzipatorische Perspektive der zukünftigen Partei wird sich in dem Maße entwickeln, wie die folgenden Bedingungen in der Praxis erfüllt werden:

  • Konsequente Willensbildung von unten nach oben. Entscheidungen auf eine möglichst breite Basis stellen. Alle wichtigen Fragen per Urabstimmung entscheiden.
  • Volle Transparenz in allen innerparteilichen Entscheidungen. Stärkung der demokratischen Kontrolle von Gremien und MandatsträgerInnen. Meinungsvielfalt und Minderheitenschutz in den Medien der Partei.
  • Vorrang der Arbeit im Kollektiv. Abbau von Hierarchien zu Gunsten von Aufgabenstellungen. Gleiche Augenhöhe zwischen Mitgliedern und FunktionsträgerInnen.
  • Mitgestaltungsmöglichkeiten für jedes Mitglied in den Politikfeldern seiner Wahl.
  • Zugang zu Bildungsangeboten für jedes Mitglied. 

Entstehen muss eine Linkspartei, deren Strukturen und Methoden so gestaltet werden, dass die Mitglieder, die Partei selbsttätig und nach ihren Vorstellungen aufbauen und unter Teilnahme an den sozialen Kämpfen eine ihren und den Interessen der Bevölkerungsmehrheit gemäße Politik formulieren und durchsetzen können. Dabei sollten FunktionsträgerInnen Beispiele für eine glaubwürdige politische Praxis geben. Kontraproduktiv ist es hierbei, der Mehrheit der Mitglieder in revolutionärer Ungeduld voraus zu eilen, ihnen Forderungen überzustülpen, ihnen belehrend gegenüber zu treten oder stellvertretend für sie tätig zu werden. Eine kämpferisch eingestellte Mitgliedschaft, die aktiv an den sozialen Kämpfen teil nimmt und selbstbewusst die Partei aufbaut, wird in der Bewältigung der ihr gestellten Aufgaben sowohl die klassenkämpferische, als auch die emanzipatorische Perspektive entwickeln.

6.10.05

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