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Geschichte und Philosophie

60 Jahre Hiroshima, 60 Jahre Nagasaki

Von Ingrid Kohlhas | 01.07.2005

Am 6. August 1945 um 8Uhr16 morgens explodiert über der japanischen Stadt Hiroshima eine Vier-Tonnen-Uranbombe, die den Namen "Little Boy " trägt. 80% der Stadt werden vernichtet. Am 9. August, um zwei nach zehn Ortszeit, zerstört die Viereinhalb-Tonnen-Plutoniumbombe "Fat Man" mit fast doppelt so großer Sprengkraft die Stadt Nagasaki.

Die Opfer
In Hiroshima sterben bis Dezember 1945 140 000 bis 150 000 Menschen, in Nagasaki 70 000 bis 80 000. 350 000 Menschen aus Hiroshima und 270 000 aus Nagasaki sind von den Spätfolgen der radioaktiven Verseuchung betroffen.
Das menschliche Leid war beabsichtigt. Nach Kriegsende verboten die amerikanischen Besatzungsbehörden jede Kommunikation zwischen den Überlebenden der bombardierten Städte, insbesondere den Erfahrungsaustausch zwischen den wenigen funktionstüchtigen Kliniken. Medizinische Unterlagen, Blut -und Gewebeproben wurden beschlagnahmt, und die japanische Verwaltung wurde gezwungen, die vom Internationalen Roten Kreuz angebotene medizinische Hilfe abzulehnen. Fotographisches Material aus Hiroshima konnte bis zum Jahre 1952, dem Ende der US-Besatzungszeit in Japan nirgends gezeigt werden. Die Besatzung verbot selbst den Besitz von Negativen von in Hiroshima und Nagasaki aufgenommenen Fotos.
Ein Dokumentarfilm von Akira Iwasaki, der mehrstündige Aufnahmen von den Trümmern und den verbrannten, verletzten und sterbenden Menschen macht, wird von den Besatzern beschlagnahmt und bleibt als streng geheim bis 1968 unter Verschluss.
Hiroshima war ein Eisenbahnknotenpunkt und hatte militärische Einrichtungen wie Werften der Firma Mitsubishi und Toyo Kogyo (heute Mazda), auf denen Kriegsschiffe gebaut wurden, und von wo aus Soldaten nach China eingeschifft wurden.
Im Dezember 1937 fand in Hiroshima ein Laternenumzug zur Feier der Einnahme der chinesischen Hauptstadt Nanking statt. Im Friedensgedächtnismuseum von Hiroshima wird auch der 300 000 Opfer der Massaker der japanischen Armee in Nangking, der damaligen Hauptstadt Chinas, gedacht. Dies ist auch heute in der japanischen Gesellschaft nicht selbstverständlich.
Beim Atombombenabwurf wurden jedoch fast nur Zivilisten getötet. In Nagasaki waren nur 250 Soldaten unter den Opfern. Hier wurde hauptsächlich der Teil der Stadt zerstört, der von armen Lohnarbeitern bewohnt wurde, meist Christen.
Von 1910 bis 1945 stand Korea unter japanischer Herrschaft. Während des Krieges wurden viele Koreaner gegen ihren Willen zur Zwangsarbeit nach Japan verschleppt, auch nach Hiroshima und Nagasaki. 10 000 bis 20 000 der koreanischen Zwangsarbeiter wurden Opfer des Atombombenangriffs.
Der Krieg Japan -USA
Am 7. Dezember 1941 beim japanischen Überfall auf Pearl Harbor (Hawaii-Inseln) wird die amerikanische Pazifikflotte größtenteils zerstört. Aus Kalifornien, Oregon, Washington und Arizona werden daraufhin 110 000 Amerikaner und Amerikanerinnen japanischer Herkunft in Lager im Innern der Vereinigten Staaten verschleppt.
Im August 1945 ist Japan faktisch geschlagen. Nach Bombenangriffen auf Tokio am 24.11.44 und am 25.2. 45 führen am 9.und 10. März 1945 280 US-Bomber einen Großangriff auf Tokio. Die Brandbomben verursachen einen Feuersturm, in dem 83 800 Menschen ums Leben kommen. Viele ersticken auf offenem Feld, weit weg von der Feuersbrunst, weil das Feuer allen Sauerstoff in der Luft verzehrt. Ein Viertel aller Gebäude wird zerstört, über 40000km² der Stadt werden verwüstet, 1.500.000 Personen werden obdachlos. Dies sind bereits die Dimensionen des konventionellen Kriegs.
Am 21. Juni 1945 wird die japanische Insel Okinawa von amerikanischen Streitkräften besetzt. Die Japanische Seeflotte ist zerstört und die japanische Luftwaffe hat den amerikanischen Angriffen auf die Städte nichts mehr entgegenzusetzen.
Am 21. Juli bekundet der japanische Außenminister Togo in einer Botschaft an die Sowjetregierung die Bereitschaft Japans zur Kapitulation. In ganz Japan findet sich kaum noch ein geeignetes noch nicht zerstörtes Ziel für die Atombomben. Der Angriff auf Nagasaki war durch Zufälligkeiten wie die Witterungsverhältnisse bestimmt und nicht von militärisch strategischen Überlegungen.
In der Zeit zwischen dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki blieb der japanischen Militärregierung keine Zeit darauf zu reagieren. Der japanische Botschafter in Moskau suchte die Regierung der Sowjetunion mit der Bitte um Vermittlung auf, doch die Sowjet Union war seit 2 Tagen in den Krieg gegen Japan eingetreten und in die Mandschurei einmarschiert.
Der Einsteinbrief
1938 weisen die Chemiker Otto Hahn und Fritz Strassmann bei Versuchen, Transurane, (Elemente mit höherer Ordnungszahl als Uran) künstlich herzustellen, das Element Barium, welches nur ein mittelschweres Atom ist, nach. Lise Meitner und ihr Neffe Otto Frisch deuten dies als Kernspaltung und berechnen die freiwerdende Energie. Niels Bohr bringt diese Kunde nach Amerika, in sofort durchgeführten Experimenten bestätigt sich die Vermutung. Albert Einstein schrieb 1939 einen Brief an Präsident Roosevelt, indem auf die Gefahren der Atombombe hingewiesen wird und auf die Möglichkeit, dass Deutschland eine solche Bombe bauen könnte. Einstein schlägt in diesem Brief vor, die Forschungsarbeiten zur Kernspaltung zu forcieren.
Manhattanprojekt
Die amerikanischen und britischen Bemühungen zum Bau der Atombombe werden Anfang 1943 in einer Militärorganisation unter dem Decknamen "Manhattan Engineering District" zusammengefasst. Im Frühjahr 1941 nimmt unter der Leitung des amerikanischen Physikers J. Robert Oppenheimer das Atombombenlabor in Los Alamos im US Bundesstaat Neumexiko seine Arbeit auf. Zweigstellen im ganzen Land arbeiten unter höchstem Geheimhaltungsdruck mit der Zentrale zusammen.
In Oakridge werden zwei Riesenwerke gebaut. 13 000 Arbeitern setzen im August 1943 das Calcutron für die Urantrennung nach der elektromagnetischen Methode in Betrieb. Es verbraucht soviel an elektrischer Energie wie eine Großstadt. Als zweite Großanlage wird für die Isotopentrennung eine Diffusionstrennungsanlage am gleichen Ort erstellt.
3000 km weiter in Hanford im Staat Washington entsteht eine ganze Stadt in der Wildnis. Diese ist für die Reaktoren bestimmt, die den zweiten möglichen Spaltstoff das Plutonium-239 liefern soll. 45 000 Arbeiter sind über ein Jahr lang mit dem Bau dieser Anlage beschäftigt.
Am Atomprogramm in den Vereinigten Staaten waren insgesamt 200.000 Menschen beteiligt, das Programm kostete 2 Milliarden Dollar, zum Vergleich: Waffenproduktion im Jahre 1943 in Milliarden Dollar Deutschland: 13,8; Großbritannien: 11,1; UdSSR: 13,9;
USA: 37,5; Japan: 4,5.
Beispiel für Widerstand gegen das Projekt
Als ab Mitte 1944 kaum noch Zweifel bestehen, dass Deutschland keine eigene Bombe produzieren kann, setzt unter den Wissenschaftlern im Manhattanprojekt eine Debatte über die ethischen Folgen ihrer Mitarbeit ein. 22 führende Wissenschaftler des Metallurgical Laboratory in Chicago unter ihnen Leo Szilard fordern Ende des Jahres 1944, dass die amerikanische Öffentlichkeit über die Existenz des Manhattanprojekts, die Zerstörungskraft der neuen Waffe und ihre voraussichtlichen Wirkungen auf die internationalen Beziehungen aufgeklärt werden.
Ein Komitee unter der Leitung von Oppenheimers ehemaligem Professor in Göttingen, James Franck, untersucht die sozialen und politischen Folgen der Bombe.
Der Bericht weist auf die fast unbegrenzte Zerstörungskraft der Atombombe hin, darauf wie nutzlos es sei, ein Wettrüsten dadurch vermeiden zu wollen, indem man fundamentale wissenschaftliche Tatsachen geheim halte oder Rohstof
fe beschlagnahme. Das Komitee sah die einzige Lösung in einem internationalen Kontrollsystem und wandte sich gegen eine Politik, die nach dem Krieg ein solches System verunmögliche. Es wurde betont, dass ein unangekündigter Angriff auf Japan nicht ratsam sei, sowohl aus moralischen als auch politischen als auch diplomatischen Gründen.
Anfang Juli 1945 macht Leo Szilard eine letzte verzweifelte Anstrengung, den Lauf der Ereignisse umzulenken. Präsident Truman wird in einer Petition ersucht, die Bombe nicht einzusetzen, bevor Japan eine angemessene Warnung erhalten und die Übergabe verweigert habe. Diese Petition wird von 67 Wissenschaftlern unterschrieben.
Der Physiker Joseph Rotblatt ist einer der wenigen, die sich im Dezember 1944 aus dem Manhattanprojekt zurückgezogen haben. 1995 wird er für seine Arbeit in der Friedensbewegung mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Die Mehrzahl, der am Manhattanprojekt beteiligten Physiker und Ingenieure stimmt jedoch mit den Zielen ihrer Regierung überein. Fast 70% der US-Amerikaner sind auch einem Monat nach Hiroshima davon überzeugt, dass der Abwurf der Atombombe "eine gute Sache" war. "Der Japse hat die Wahl zwischen Kapitulation und Vernichtung" titelt "Newsweek".

Literatur zum Thema:
David Guterson, Schnee der auf Zedern fällt, Berlin 1995 (Snow Falling on Cedars, Orlando 1994) Roman über die Verfolgung der japanischen Minderheit in den USA
Ernest Mandel, Der Zweite Weltkrieg, Frankfurt am Main 1991 (The Meaning of the second world war, London 1986)
"Der große Plötz, Die Daten-Enzyklopädie der Weltgeschichte", 32. Auflage, Freiburg, 1998
Florian Coulmas, Hiroshima, Geschichte und Nachgeschichte , München, 2005
Knaurs Historischer Weltatlas, Ausgabe München 1990 (The Times Atlas of World History, London 1990)
Jürgen Neffe, Einstein, Eine Biographie, 6. Auflage, März 2005
Peter Goodchild, J. Robert Oppenheimer, Eine Bildbiographie, Basel 1982 (J. Robert Oppenheimer. "Shatterer of Worlds" , London 1980)
Thomas Bührke, Newtons Apfel, Sternstunden der Physik, Von Galilei bis Lise Meitner, München 1997
Charlotte Kerner, Lise, Atomphysikerin, Die Lebensgeschichte der Lise Meitner, Weinheim und Basel, 1986
Lindner, Grundriss der Atom- und Kernphysik , Leipzig, 1981
K. Simonyi, Kulturgeschichte der Physik, Frankfurt am Main, 1995

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