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Geschichte und Philosophie

150 Jahre Darwins „Entstehung der Arten“

Von J. A. | 01.06.2009

Vor genau 150 Jahren, 1859, erschien das  Werk „Die Entstehung der Arten“ ( “On the Origin of the Species by Means of Natural Selection or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life”) von Charles Darwin. Mit ihm beginnt die moderne Evolutionstheorie.

Vor genau 150 Jahren, 1859, erschien das  Werk „Die Entstehung der Arten“ ( “On the Origin of the Species by Means of Natural Selection or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life”) von Charles Darwin. Mit ihm beginnt die moderne Evolutionstheorie.

1859 schrieb Engels an Marx über dieses Buch, es sei „ganz famos“; es sei der großartigste Versuch, „historische Entwicklung in der Natur nachzuweisen“. Und Marx schrieb 1860, Darwins Buch sei „die naturhistorische Grundlage für unsere Ansicht“ an Engels.
Der Autor, Charles Darwin, wurde 1809 in Shrewsbury, England, geboren. Er brachte, nach einem abgebrochenen Medizin-Studium, ein Theologiestudium zu einem regulären Abschluss, mit dem Ziel, Landpfarrer zu werden.

1831 – 1836 unternahm er eine Weltreise als naturwissenschaftlich gebildeter Begleiter des Kapitäns auf dem Vermessungsschiff „Beagle“. Die Hauptaufgabe der Expedition war, die südamerikanischen Küsten von Peru, Chile und Feuerland zu vermessen und zu kartieren. Die fünfjährige Reise führte über die Kapverdischen Inseln an die Ost- und Westküste des südlichen Amerika, von dort über die Galapagosinseln und Tahiti nach Neuseeland, schließlich über Mauritius, Kapstadt und Sankt Helena nach England zurück.
Zur Zeit der Fahrt auf der „Beagle“ hatte Darwin keine Zweifel am Wahrheitsgehalt der Bibel. Doch viele Erfahrungen, die er in den fünf Jahren seiner Reise machte, weckten in ihm Zweifel an seinen Glaubensvorstellungen: Wie kann ein Schöpfungsplan perfekt sein, wenn er so häufig zum Aussterben führt, wie dies durch die Fossiliengeschichte belegt ist? Ebenso Erdbeben und Vulkanausbrüche, bei denen Tausende unschuldiger Menschen ums Leben kommen? Wie kann eine Schöpfung wundervoll sein, wenn es in ihr z. B. Parasiten gibt, die ihre Opfer quälen und schließlich ihren Tod herbeiführen? Und: Wie kann ein weiser und gütiger Schöpfer die Grausamkeit und das Leid der Sklaverei zulassen?

Darwin: „So beschlich mich der Unglaube ganz langsam, am Ende aber war er vollständig“.

Nach seiner fünfjährigen Weltreise lebte Darwin – finanziell so gutgestellt, dass er keinen Beruf ausüben musste – mit Frau und Kindern die meiste Zeit zurückgezogen auf dem Land bei London, wo er bis zu seinem Tod 1882, immer wieder durch Krankheit beeinträchtigt, unermüdlich arbeitete (er veröffentlichte 20 zum Teil mehrbändige wissenschaftliche Werke).

1859 erschien „Über die Entstehung der Arten“; die Wirkung war groß. Das zeigte z. B. 1860 ein Wortgefecht auf einer Sitzung der British Association for the Advancement of Science in Oxford zwischen einem Bischof Wilberforce und dem Naturforscher Thomas H. Huxley. Der Bischof, entschlossen, „Darwin zu zerschmettern“, soll den Naturwissenschaftler gefragt haben, ob er von Seiten seines Großvaters oder seiner Großmutter von einem Affen abstamme. Und Huxley soll erwidert haben, er „schäme sich nicht, einen Affen als Vorfahren zu haben, aber er würde sich sehr wohl schämen, wenn man ihn mit einem Mann in Verbindung brächte, der seine großen Begabungen nur zum Vernebeln der Wahrheit benutzt“.

In der „Entstehung der Arten“ hatte Darwin sich auf die Bemerkung beschränkt: „Licht wird auf den Ursprung der Menschheit und ihre Geschichte fallen“. 1871 zeigte Darwin dann in „Die Abstammung des Menschen…“, dass die Menschen sich aus einem gemeinsamen affenähnlichen Vorfahren entwickelt haben müssen.
1882 starb Darwin in Down bei London.
Die Darwinsche Theorie
Die Darwinsche Theorie besagt: Die Welt mit ihren Organismen ist nicht unveränderlich, auch nicht erst vor kurzem geschaffen; sie verändert sich stetig. Alle Organismengruppen (Tiere wie Pflanzen) stammen von einem gemeinsamen Vorfahren ab, gehen auf einen einzigen Ursprung des Lebens auf der Erde zurück. Arten spalten sich in andere auf, indem die Ausgangsart sich in Tochterspezies aufspaltet. Neue Arten entstehen, indem sie (geo­grafisch) isolierte Gründerpopulationen hervorbringen. Evolutionärer Wandel findet durch allmähliche Veränderung statt. In jeder Generation werden neue Varietäten erzeugt (Darwin kannte weder Gene noch Gregor Mendels Vererbungsgesetze), deren genetisch fixierte Eigenschaften vererbt werden (können). Die zufälligen Unterschiede zwischen den Individuen einer Art lassen sie unterschiedlich mit ihrer jeweiligen Umwelt, in ihrem „Kampf ums Dasein“, zurechtkommen. Hier findet eine natürliche Auslese statt: Einige Individuen haben mehr Glück und verfügen über bestimmte Eigenschaften, die ihnen in ihrer Umwelt eine Überlegenheit verleihen: etwa eine bessere Nutzung der Ressourcen, eine bessere Anpassung an Wetter und Klima, eine höhere Widerstandskraft gegen Krankheiten, eine größere Fähigkeit, Feinden zu entkommen. Dadurch pflanzen sie sich erfolgreicher fort (natürliche Auslese/Selektion ist keine sehr glückliche Wortwahl. Denn sie lässt ein wirkendes Wesen oder Prinzip in der Natur vermuten, das auswählt; doch es gibt weder eine spezielle Selektionskraft in der Natur noch einen Handelnden, der selektiert; nur Selektionsfaktoren).
Was ist Darwinismus?
Wer heute von Darwinismus spricht, meint die Evolution der organischen Natur und die natürliche Auslese als den Mechanismus dieses evolutionären Wandels. Zu Lebzeiten Darwins hatte der Begriff „Darwinismus“ eine etwas andere Bedeutung: Darwinist war, wer nicht an einen übernatürlichen („göttlichen“) Ursprung des Lebens und der Menschen glaubte, sondern die Vielfältigkeit der natürlichen Welt für ein Ergebnis natürlicher Prozesse hielt.

Die darwinistischen Vorstellungen gelten heute unangefochtener denn je: Die Theorie einer gemeinsamen Abstammung der Vielfalt des Lebens – von den niedrigsten Pflanzen bis zu den am höchsten entwickelten Wirbeltieren und die Herleitung des Menschen von einem Primatenvorfahren – ist nicht nur durch die Fossiliengeschichte ziemlich gut untermauert (auch wenn bei den gemeinsamen Primatenvorfahren noch eine Lücke klafft), sondern man weiß mittlerweile: Die biochemische und genetische Ähnlichkeit zwischen dem Menschen und den afrikanischen Menschenaffen ist groß. Den Beweis für die Theorie der gemeinsamen Abstammung von Tieren, Pflanzen, sogar Bakterien lieferte die Molekularbiologie, als sie zeigte, dass alle Organismen den gleichen genetischen Code haben.
Warum treffen Darwins Theorien auf Widerstand?
Darwins Beobachtungen und Theorien stellten zum Einen wesentliche christliche Glaubenselemente in Frage. 1859 war man der Überzeugung, dass die bestehende Vielfalt der belebten Welt nur aus einem Schöpfun
gsakt hervorgegangen sein konnte. Da die Welt von einem allmächtigen Schöpfer erdacht worden war, war sie die beste aller möglichen Welten. Und Gott habe die Welt zum Wohle des Menschen geschaffen. Der Mensch ist die Krone der Schöpfung.

Weiter herrschte die Meinung vor, die Welt sei erst vor relativ kurzer Zeit erschaffen worden. Und sie habe sich seit der Schöpfung nicht wesentlich verändert – abgesehen von kleineren Störungen (Überschwemmungen, Vulkanausbrüchen, der Entstehung von Gebirgen).

Darwins Beobachtungen und Theorien stellten zum Anderen wesentliche Vorstellungen der abendländischen Philosophie (und Wissenschaft) in Frage. Weit verbreitet war der (vor allem philosophische) Glaube, alles in der Natur und alle in ihr ablaufenden Prozesse hätten einen Zweck, ein vorbestimmtes Ziel, und diese Prozesse würden die Welt zu immer größerer Vollkommenheit führen.

Seit dem 17. Jahrhundert hatte sich ein von der Physik und Mathematik bestimmtes deterministisches Wissenschaftsideal entwickelt. Newtons Physik war das leuchtende Beispiel dafür: die Vorstellung der Welt als Uhrwerk, das erkennbaren Gesetzen gehorcht und berechenbar und voraussagbar ist.

Die Erforschung der Natur wurde betrieben, um den Plan des Schöpfers zu verstehen; sie war Theologie. Ganz gleich, wohin man in der Natur blicke, überall finde man Beweise für die unendliche Weisheit eines Schöpfers.
Die Revolutionierung der neuzeitlichen Weltsicht
Die von Darwin entwickelte Evolutionstheorie stellte all diese traditionellen Ansichten in Frage. Zu dem Glauben der Naturtheologen an eine vollkommene Welt standen Darwins Beobachtungen in massivem Widerspruch.

Darwin erklärte die Welt ohne Gott oder andere übernatürliche Kräfte. Gott wurde „entthront“. Der Unterschied zum herkömmlichen Weltbild könnte kaum tiefgreifender sein: Lebewesen und damit auch Menschen sind kein Produkt bewusster Planung, sondern eine Tierart unter vielen, deren typische Eigenschaften durch einen „blinden“ Naturvorgang im Laufe von Millionen von Jahren entstanden sind.

Darwins Sichtweise der Lebewesen einschließlich des Menschen wird als naturalistisch bezeichnet; sie lässt keine übernatürlichen Faktoren bei der Erklärung einzelner Phänomene zu. Die Annahme solcher Faktoren erklärt tatsächlich auch nichts. (Gott zur letzten Ursachen zu erklären, bedeutet lediglich, die Erklärung nach hinten zu verschieben, ins Unerklärliche.)
Darwins Theorien stehen auch im Gegensatz zum Newtonschen Weltbild, demzufolge alles von strengen (physikalischen) Gesetzen bestimmt wird.

In Darwins Welt- und Menschenbild spielt der Zufall eine ganz wichtige Rolle: Leben ist unberechenbar. Evolutionäre Prozesse sind probabilistisch (lassen nur Wahrscheinlichkeitsaussagen zu) und erlauben daher keine sicheren Voraussagen. Zufällige Änderungen können sich im Lauf der Zeit verstärken und zu etwas völlig Neuem führen, das nicht vorhersagbar ist.

Natürlich können sich auch Lebewesen grundlegenden physikalischen Gesetzen, wie dem Gesetz der Schwerkraft, nicht widersetzen. Wie sie sich aber auf der Grundlage dieses Gesetzes entwickeln, bleibt, jedenfalls physikalisch gesehen, offen. Das Gesetz der Schwerkraft schreibt keinem Lebewesen vor, sich laufend, kriechend, schwimmend oder fliegend fortzubewegen. Darüber entscheiden die jeweils spezifischen Beziehungen zwischen den Lebewesen und ihrer Umwelt. Der Weg der Evolution ist unbestimmt und ihre Unbestimmtheit wächst mit den zur Verfügung stehenden Alternativen.
Ist „Sozialdarwinismus“ Darwinismus?
Eine Umdeutung und Übertragung ins Politische erfuhren Darwins Theorien in der Ideologie des „Sozialdarwinismus“, welche die Evolutionstheorie auf menschliche Gesellschaften anwendet und deren Entwicklung als „Kampf ums Dasein“ auffasst: Ununterbrochener Wettbewerb führe zu einer ständigen Verbesserung der sozialen Verhältnisse. Staatliche Eingriffe in diesen Kampf (wie Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung usw.) minderten die Anstrengung der Einzelnen und stünden somit dem Naturprozess zum Besseren im Wege. So wird die Darwinsche Evolutionstheorie zu einem politisch-sozialen Programm umfunktioniert, das (Laissez-faire-)Kapitalismus, Rassismus, Eugenik-Programmen, Massenmord, Kolonialismus und Imperialismus ideologisch rechtfertigt.

„Sozialdarwinismus“ ist offenkundig eine Fehlbezeichnung, weil eine missbräuchliche Umdeutung und Übertragung der Darwinschen naturwissenschaftlichen Theorien auf die Gesellschaft.

Wie Engels einmal bemerkte, schrieb Darwin mit seiner „Entstehung der Arten“ unbeabsichtigt eine „bittre Satire“, als er „nachwies, dass die freie Konkurrenz, der Kampf ums Dasein, den die Ökonomen als höchste geschichtliche Errungenschaft feiern, der Normalzustand des Tierreichs ist. Erst eine bewusste Organisation der gesellschaftlichen Produktion, in der planmäßig produziert und verteilt wird, kann die Menschen aus der Tierwelt herausheben“.

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